Urteil des SozG Bremen vom 25.02.2010

SozG Bremen: unterkunftskosten, stadt, umzug, hauptsache, fax, gemeinde, niedersachsen, anteil, auflage, unterliegen

Sozialgericht Bremen
Beschluss vom 25.02.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Bremen S 23 AS 319/10 ER
Die Antragsgegnerin wird im Wege des einstweiligen Rechts-schutzes verpflichtet, den Antragstellern für die
Begleichung von Mietrückständen 974,19 Euro zu erbringen. Die Auszahlung der Leistungen erfolgt vorläufig. Sie
stehen unter dem Vorbehalt der Rückforderung. Im Übrigen – soweit darüber hinaus weitere 94,16 Euro begehrt
wurden – wird der Antrag abgelehnt. Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der
Antragsteller zu 91 vom Hundert.
Gründe:
I.
Die Antragsteller (d. Ast.) begehren im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Übernahme von Mietrückständen.
Die 51 Jahre alte Ast. zu 1) und ihr 47 Jahre alter Ehemann, der Antragsteller zu 2), stehen im laufenden -
ergänzenden - Leistungsbezug bei der Antragsgegnerin, der Trägerin der Grund-sicherung in A-Stadt. Mit Bescheid
vom 2. Dezember 2009 bewilligte die Antragsgegnerin ihnen für den Monat Januar 2010 insg. 205,77 Euro und für die
Monate Februar und März 2010 jeweils 269,99 Euro monatlich. Am 10. Februar 2010 kündigte die Vermieterin der An-
tragsteller, die OG., den Antragstellern den Mietvertrag unter Bezugnahme auf die rückständigen Restmieten für die
Monate November 2009 bis Februar 2010 in Höhe von insgesamt 1.068,35 Euro.
Am 17. Februar 2010 haben d. Ast. beim Sozialgericht die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes beantragt. Sie
begehren die Übernahme des Rückstandes und erklären, der Rück-stand sei entstanden, weil die Antragsgegnerin die
Unterkunftskosten nur teilweise übernommen hätte. Daher hätten sie auch keine Mahnungen von der Vermieterin
erhalten und seien über den Rückstand völlig überrascht gewesen. Am 15. und am 16. Februar 2010 hätten sie wegen
des Rückstandes bei der Antragsgegnerin vorgesprochen. Am 17. März 2010 sei ih-nen dann mündlich mitgeteilt
worden, dass der Rückstand nicht übernommen werde. Die Dringlichkeit des Eilantrages ergebe sich aus der
fristlosen Kündigung.
Die Antragsgegnerin ist dem Eilantrag entgegengetreten. Sie meint, die Unterkunftskosten seien in zutreffender Höhe
übernommen worden. Der Grund dafür, dass die Kosten nur teil-weise zu übernehmen seien, läge darin, dass die
Antragsteller zuvor eine günstigere Woh-nung in EV. gehabt hätten. Die Unterkunftskosten würden daher gem. § 22
Abs. 1 Satz 2 SGB II nur in Höhe der damaligen Kosten – d.h. nur in Höhe von 269,16 Euro zzgl. Heizkosten –
übernommen. Die Antragsteller seien ohne Zustimmung von EV. nach A-Stadt verzogen. Einen plausiblen Grund für
den Umzug von EV. nach A-Stadt hätten sie auch nicht genannt. Überdies sei die neue Wohnung unangemessen. Die
Bruttokaltmiete betrüge 458,54 Euro monatlich.
Bezüglich der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten verwiesen. Die Verwaltungsakte ist vom Gericht am 18. Februar
2010 per Fax unter Fristsetzung zum 24. Februar 2010 angefordert worden. Die Antragsgegnerin hat die
Verwaltungsakten gleichwohl innerhalb der gesetzten Frist nicht vorgelegt. Sie hat im Fax vom 23. Februar 2010
erklärt, die Akten würden dem Gericht "kurzfristig übersandt".
II.
Der gem. § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Antrag auf Erlass einer einstwei-ligen Anordnung ist
zulässig und überwiegend begründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige
Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn
eine solche Regelung zur Abwendung we-sentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Die Gewährung
einstweiligen Rechtsschutzes setzt einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund voraus (vgl. Meyer-
Ladewig, SGG, 9. Auflage 2008, § 86b Rn. 27, 29). Ein materieller Anspruch ist im einstweiligen
Rechtsschutzverfahren nur einer summarischen Überprüfung zu unterziehen; hierbei muss der Antragsteller glaubhaft
machen, dass ihm aus dem Rechtsverhältnis ein Recht zusteht, für das wesentliche Gefahren drohen (Meyer-
Ladewig, a. a. O., Rn. 28). Der Anordnungsgrund setzt Eilbedürftigkeit voraus, dass heißt, es müssen erhebliche
belastende Auswirkungen des Verwaltungshandelns schlüssig dargelegt und glaubhaft gemacht werden. Dabei muss
die Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheinen, § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG. Dies bedeutet
zugleich, dass nicht alle Nachteile zur Geltendmachung vorläufigen Rechtsschutzes berechtigen. Bestimmte
Nachteile müssen hingenommen werden (Binder in Hk-SGG, 2003, § 86 b Rn. 33). Es kommt damit darauf an, ob ein
Abwarten bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache hingenommen werden kann. Ob dies der Fall ist, be-misst sich
an den Interessen der Antragssteller und der öffentlichen sowie gegebenenfalls weiterer beteiligter Dritter. Dabei
reichen auch wirtschaftliche Interessen aus (vgl. Binder, a. a. O.).
1. Die Antragsteller haben Anspruch auf die Übernahme der Mietrückstände bis zur Ange-messenheitsgrenze von
435,00 Euro Bruttokaltmiete für einen Zweipersonenhaushalt (siehe zur Angemessenheitsgrenze: Beschluss der 26.
Kammer vom 10. Februar 2009 - S 26 AS 186/09 ER sowie diverse weitere Entscheidungen des Sozialgerichts unter
www.sozialgericht-bremen.de ).
a) Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin steht einer Übernahme gem. § 22 Abs. 5 SGB II nicht die Regelung
des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II entgegen. Diese Vorschrift bestimmt zwar, dass bei einem nicht erforderlichen Umzug
die angemessenen Kosten weiterhin nur in Höhe der bis dahin zu tragenden Aufwendungen erbracht werden.
Allerdings findet diese Re-gelung nur Anwendung auf Umzüge, die innerhalb einer Gemeinde erfolgen, nicht aber auf
Umzüge von einer Gemeinde oder Stadt in eine andere. Dies ergibt sich aus einer teleologi-schen Reduktion der
Norm, denn andernfalls wären Hilfebedürftige dauerhaft in ihrer freien Wohnortwahl beschränkt (ausführlich: Lang/Link,
in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage, § 22 Rn. 47b m.w.N.; Berlit, in: Münder, SGB II, 3. Aufl., § 22 Rn. 51
m.w.N.); ein Ergebnis, das unter der Geltung der in Art. 11 Grundgesetz verbürgten Freizügigkeit nicht zutreffend sein
kann.
b) Dass die Ast. vor dem Umzug keine Zusicherung eingeholt haben, führt nicht dazu, dass nun geringere als die
angemessenen Unterkunftskosten gewährt werden dürften. Eine fehlen-de Zustimmung führt lediglich dazu, dass nur
die angemessenen Unterkunftskosten zu ge-währen sind, § 22 Abs. 1 und 2 SGB II.
c) Angemessen sind – wie dargelegt – für einen Zweipersonenhaushalt 435,00 Euro Brutto-kaltmiete. Die tatsächliche
Bruttokaltmiete von anscheinend (die Akten sind dem Gericht nicht vorgelegt worden) 458,54 Euro ist damit um 23,54
Euro monatlich überhöht. Es wird davon ausgegangen, dass die Mietrückstände für die vier streitigen Monate zu
einem Anteil von (23,54 mal 4 gleich) 94,16 Euro hierauf zurückgehen. Diesen Anteil können die Ast. von der
Antragsgegnerin auch nicht als Mietrückstand gem. § 22 Abs. 5 SGB II erhalten. Dementspre-chend sind den Ast.
(1.068,35 minus 94,16 Euro gleich) 974,19 Euro zur Tilgung ihres Miet-rückstandes zu zahlen.
2. Der Anordnungsgrund – die Eilbedürftigkeit - ergibt sich aus der finanziell prekären Situati-on d. Ast ...
3. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 Abs. 1 SGG in entsprechender Anwen-dung. Sie entspricht dem
Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen der Beteiligten. D. Ast. haben zu (974,19 Euro zu 1.068,35 Euro gleich) 91
vom Hundert obsiegt. Dementsprechend sind die außergerichtlichen Kosten d. Ast. zu 91 % zu erstatten.
Gerichtskosten fallen im vor-liegenden Verfahren nicht an.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde statthaft. Sie ist binnen eines Monats nach Zustellung beim
Sozialgericht Bremen, Am Wall 198, 28195 Bremen, schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten
der Geschäftsstelle einzulegen.
Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist bei dem Landessozial-gericht
Niedersachsen-Bremen, Georg-Wilhelm-Straße 1, 29223 Celle oder der Zweigstelle des Lan-dessozialgerichts
Niedersachsen-Bremen, Am Wall 198, 28195 Bremen schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten
der Geschäftsstelle eingelegt wird.