Urteil des SozG Bremen vom 18.06.2009

SozG Bremen: wohnung, leistungsanspruch, hauptsache, mittellosigkeit, interessenabwägung, aufenthalt, stadt, auffordern, vermieter, bezirk

Sozialgericht Bremen
Beschluss vom 18.06.2009 (rechtskräftig)
Sozialgericht Bremen S 18 AS 924/09 ER
Die Antragsgegnerin wird im Wege des einstweiligen Rechtsschut-zes verpflichtet, dem Antragsteller für die Zeit vom
18. Mai bis zum 31. Oktober 2009 Leistungen in Höhe von 666,79 Euro im Monat zu gewähren. Die
Leistungsgewährung erfolgt vorläufig und unter dem Vorbehalt der Rückforderung. Die Antragsgegnerin trägt die
notwendigen außergerichtlichen Kos-ten des Antragstellers.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes um die Gewährung von Leistungen, wobei streitig
ist, ob der 1952 geborene Antragsteller die Wohnung S-Str. be-wohnt und damit überhaupt in der örtlichen
Zuständigkeit der Antragsgegnerin lebt.
Der Antragsteller arbeitete früher im Schiffbauergewerbe und lebte zeitweise in Wohncontai-nern auf Baustellen. Mit
Bescheid vom 28.11.2008 bewilligte ihm die Antragsgegnerin - wie seit Jahren – SGB II- Leistungen vom 01.01. bis
30.06.2009 in Höhe von 386,79 (incl. Mehr-bedarf) plus 280,00 Euro Kosten der Unterkunft.
Bei einer routinemäßigen Überprüfung der Kosten der Unterkunft stellte sie fest, dass keine Heiz- und kaum
Warmwasserkosten verbraucht worden waren. Aufgrund eines daraufhin durchgeführten Hausbesuches kam die
Antragsgegnerin zu der Einschätzung, der Antragstel-ler bewohne die Wohnung S-Str. nicht. Im Einzelnen wird auf
den Bericht über den Hausbe-such verwiesen (Bl. 112 Behördenakte). Mit Bescheid vom 03.02.2009 stellte sie die
Leistun-gen an den Antragsteller völlig ein, da der Aufenthalt unklar sei.
Der Antragsteller machte dagegen bereits bei dem Hausbesuch und in seinem Widerspruchs-schreiben geltend, er
lebe eben minimalistisch, er habe wenig Bekleidung und kaufe jeweils zu den Mahlzeiten gesondert ein. Ein Bett
benutze er wegen seiner Rückenschmerzen nicht, er schlafe besser auf Decken. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl.
118 ff. der Behördenakte verwiesen.
Am 18.05.2009 hat der Antragsteller das Gericht um die Gewährung vorläufigen Rechtsschut-zes ersucht.
Die Antragsgegnerin ist dem Eilantrag entgegengetreten. Sie meint, die Vermutung, dass der Antragsteller die
Wohnung nicht bewohne, sei gerechtfertigt und werde durch bloße gegentei-lige Erklärungen nicht entkräftet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Leis-tungsakte der Behörde
Bezug genommen.
II.
Der gem. § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Antrag auf einstweilige Anord-nung ist zulässig und im
Sinne des Tenors begründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige
Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn
eine solche Regelung zur Abwendung we-sentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Die Gewährung
einstweiligen Rechtsschutzes setzt einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund voraus (vgl. Meyer-
Ladewig, SGG, 7. Auflage 2002, § 86b Rn. 27, 29). Ein materieller Anspruch ist im einstweiligen
Rechtsschutzverfahren nur einer summarischen Überprüfung zu unterziehen; hierbei muss der Antragsteller glaubhaft
machen, dass ihm aus dem Rechtsverhältnis ein Recht zusteht, für das wesentliche Gefahren drohen (Meyer-
Ladewig, a.a.O., Rn. 29, 36). Der Anordnungsgrund setzt Eilbedürftigkeit voraus, dass heißt, es müssen erhebliche
belastende Auswirkungen des Verwaltungshandelns schlüssig dargelegt und glaubhaft gemacht werden. Dabei muss
die Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheinen, § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG. Dies bedeutet
zugleich, dass nicht alle Nachteile zur Geltendmachung vorläufigen Rechtsschutzes berechtigen. Bestimmte
Nachteile müssen hingenommen werden (Binder in Hk-SGG, 2003, § 86 b Rn. 33). Es kommt damit darauf an, ob ein
Abwarten bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache hingenommen werden kann. Ob dies der Fall ist, be-misst sich
an den Interessen der Antragssteller und der öffentlichen sowie gegebenenfalls weiterer beteiligter Dritter. Dabei
reichen auch wirtschaftliche Interessen aus (vgl. Binder, a.a.O.).
1. Es liegt ein Anordnungsanspruch vor. Zwar ist bei derzeitigem Kenntnisstand des Gerichts nicht erwiesen, ob dem
Antragsteller ein Leistungsanspruch zusteht. Denn trotz der anzu-nehmenden Mittellosigkeit des Antragstellers könnte
der Leistungsanspruch gegen die An-tragsgegnerin nach § 36 SGB II ausgeschlossen sein, wenn er nicht seinen
gewöhnlichen Aufenthalt in deren Bezirk hat. Das wäre denkbar, wenn er die Wohnung S-Str. nicht bewohnt, denn für
eine andere Wohnung in A-Stadt ist er auch nicht gemeldet.
Wenn aber nicht klar ist, ob ein Anordnungsanspruch besteht, ist insofern eine Interessenab-wägung vorzunehmen
(Keller, in: Meyer-Ladewig, SGG, 9. Aufl. 2008, Rdn. 29a zu § 86b m.w.N.). Dabei sind die Folgen abzuwägen, die auf
der einen Seite entstehen würden, wenn das Gericht die einstweilige Anordnung nicht erließe mit denjenigen Folgen,
die eintreten wür-den, wenn das Gericht die Anordnung erließe, sich jedoch im Hauptsacheverfahren heraus-stellt, das
der Anspruch nicht besteht (Landessozialgericht Berlin, Beschluss vom 28. Januar 2003, L 9 B 20/02 KR ER; Keller,
a.a.O.). Die Interessenabwägung geht vorliegend zu Lasten der Antragsgegnerin aus, da aufgrund der Mittellosigkeit
des Antragstellers die Folgen, die diesen treffen bei Ablehnung des Eilantrages schwerer wiegen als die Folgen, die
die An-tragsgegnerin treffen, wenn die einstweilige Anordnung im Ergebnis zu Unrecht erginge.
Dabei ist in die Interessenabwägung weiter einzubeziehen, dass die Antragsgegnerin den Antragsteller gem. § 60
SGB II zur Vorlage von Auskünften des Vermieters hätte auffordern können. Es ist nicht erkennbar, warum der
Antragsteller Miete zahlen sollte für eine Wohnung, die er nicht benutzt. Die Mitwirkungspflichten der §§ 60 ff. SGB I
verpflichten andererseits nicht dazu, Angaben zu machen, die jemand nicht machen kann.
Weiter ist zu berücksichtigen, dass geschiedene Bauhandwerker ohne Arbeit häufiger in Wohnsituationen leben, die
von dem Üblichen deutlich abweichen und dass sie auch nicht kochen, sondern auswärts essen. Das ist dem Gericht
aus einer Vielzahl anderer Verfahren nicht unbekannt.
Im Eilverfahren lassen sich die Umstände nicht weiter aufklären. Im Hauptsacheverfahren wird der Antragsteller damit
rechnen müssen, dass über den Vermieter oder die Freundin weitere Aufklärung gesucht wird und dass er auch
Angaben dazu machen muss, was aus der bewillig-ten Erstausstattung der Wohnung, ca. 1000,00 Euro im Januar
2006, geworden ist.
2. Es ist auch ein Anordnungsgrund gegeben. Dem Antragsteller ist nicht zumutbar, auf den Ausgang des
Widerspruchsverfahrens verwiesen zu werden, zumal die Antragsgegnerin die Bewilligung voraussichtlich weiter
ablehnen wird.
3. Es erscheint erforderlich, dem Antragsteller im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes Leistungen für die Zeit
bis Ende Oktober 2009 zuzusprechen, da anzunehmen ist, dass die Antragsgegnerin mindestens so viel Zeit benötigt,
um die erforderlichen Informationen einzu-holen und so zu einer Entscheidung über den Leistungsanspruch des
Antragstellers zu kom-men.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in entsprechender Anwendung.