Urteil des SozG Bremen vom 31.08.2009

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Sozialgericht Bremen
Beschluss vom 31.08.2009 (rechtskräftig)
Sozialgericht Bremen S 23 AS 1559/09 ER
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird ab-gelehnt. Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Antragsstellerin (d. Ast.) begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Gewäh-rung eines höheren
Zuschusses zu den ungedeckten Kosten der Unterkunft gem. § 22 Abs. 7 SGB II.
Die 1981 geborene Ast. absolviert eine Ausbildung. Sie bewohnt eine Eineinhalbzimmerwoh-nung in A-Stadt, für die
sie eine Gesamtmiete in Höhe von 426,14 Euro entrichtet. Die Antrag-stellerin erhält eine Ausbildungsvergütung in
Höhe von 434,91 Euro (nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben). Zudem wird ihr – mit Bescheid vom 27. April
2009 – eine Berufsausbil-dungsbeihilfe in Höhe von 131,00 Euro im Monat gewährt. Diese Beihilfe wird nach einem
Bedarf in Höhe von 559,00 für den Lebensunterhalt sowie in Höhe von 12,00 Euro für Fahrt-kosten, mithin an einem
Gesamtbedarf in Höhe von 571,00 Euro errechnet, auf den die Aus-bildungsvergütung angerechnet wird. Auf Antrag
wird der Antragstellerin zudem von der An-tragsgegnerin, der Trägerin der Grundsicherung in A-Stadt, mit Bescheid
vom 19. Juni 2009 ein Zuschuss zu den ungedeckten Kosten der Unterkunft in Höhe von 208,00 Euro im Monat
gewährt. Dabei ging die Antragsgegnerin bei der Berechnung der Höhe des Zuschusses wie folgt vor: Sie zog von den
Kosten der Unterkunft in Höhe von 434,91 den maximalen Zu-schuss zur Unterkunft nach BAföG bzw. SGB III in
Höhe von 218,00 Euro ab, woraus sich dann der unbedeckte Bedarf ergab, nämlich (426,14 – 218,00 gleich) 208,14
Euro, was so-dann auf 208,00 Euro abgerundet wurde. Gegen den Bescheid erhob die Antragstellerin am 19. Juli 2009
Widerspruch, den sie mit Anwaltsschreiben vom 27. Juli 2009 begründete. Zur Begründung des Widerspruchs führte
die Antragstellerin aus: Es sei unzutreffend, von ihren Kosten der Unterkunft einen Betrag von 218,00 Euro
abzusetzen. Ein solcher Betrag werde ihr nämlich nach BAB überhaupt nicht gewährt. Gewährt würde insgesamt nur
ein Betrag von 131,00 Euro. Über den Widerspruch ist – soweit ersichtlich – noch nicht entschieden.
Am 21. August 2009 hat d. Ast. beim Sozialgericht die Gewährung einstweiligen Rechtsschut-zes beantragt. Sie
begehrt die Zahlung von mindestens 295,14 Euro im Monat als Zuschuss zu den ungedeckten Kosten der Unterkunft.
Ihr sei nicht verständlich, weshalb sie so geringe Leistungen erhalte. Die Eilbedürftigkeit ergebe sich daraus, dass sie
erneut Schwierigkeiten habe, ihr Miete zu zahlen.
Die Antragsgegnerin ist dem Eilantrag entgegengetreten. Sie meint, es läge kein Anord-nungsanspruch vor. Die von
ihr vorgenommene Berechnung sei nicht zu beanstanden.
Bezüglich der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten verwiesen. Die Verwaltungsakte ist vom Gericht am 21. August
2009 per Fax angefordert worden. Die Antragsgegnerin hat die Verwal-tungsakten gleichwohl bisher nicht vorgelegt
und hierfür auch keine Erklärung abgegeben.
II.
Der gem. § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Antrag auf Erlass einer einstwei-ligen Anordnung ist
zulässig, aber nicht begründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige
Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn
eine solche Regelung zur Abwendung we-sentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Die Gewährung
einstweiligen Rechtsschutzes setzt einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund voraus (vgl. Meyer-
Ladewig, SGG, 9. Auflage 2008, § 86b Rn. 27, 29). Ein materieller Anspruch ist im einstweiligen
Rechtsschutzverfahren nur einer summarischen Überprüfung zu unterziehen; hierbei muss der Antragsteller glaubhaft
machen, dass ihm aus dem Rechtsverhältnis ein Recht zusteht, für das wesentliche Gefahren drohen (Meyer-
Ladewig, a. a. O., Rn. 28). Der Anordnungsgrund setzt Eilbedürftigkeit voraus, dass heißt, es müssen erhebliche
belastende Auswirkungen des Verwaltungshandelns schlüssig dargelegt und glaubhaft gemacht werden. Dabei muss
die Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheinen, § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG. Dies bedeutet
zugleich, dass nicht alle Nachteile zur Geltendmachung vorläufigen Rechtsschutzes berechtigen. Bestimmte
Nachteile müssen hingenommen werden (Binder in Hk-SGG, 2003, § 86 b Rn. 33). Es kommt damit darauf an, ob ein
Abwarten bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache hingenommen werden kann. Ob dies der Fall ist, be-misst sich
an den Interessen der Antragssteller und der öffentlichen sowie gegebenenfalls weiterer beteiligter Dritter. Dabei
reichen auch wirtschaftliche Interessen aus (vgl. Binder, a. a. O.).
1. Es ist kein Anordnungsanspruch gegeben. Nach vorläufiger Prüfung der Sach- und Rechts-lage hat die
Antragstellerin keinen Anspruch auf die Gewährung eines höheren Zuschusses zu den ungedeckten Kosten der
Unterkunft gem. § 22 Abs. 7 SGB II. Die von der Antragsgeg-nerin vorgenommene Berechnung ist – jedenfalls im
Eilverfahren – nicht zu beanstanden. Denn die Antragsgegnerin hat zu Recht als ungedeckte Kosten der Unterkunft
gem. § 22 Abs. 7 SGB II die von den SGB III/BAföG-Sätzen nicht gedeckten Kosten angesehen. Zur näheren
Begründung kann auf das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom verwie-sen werden. Dort heißt es
im Einzelnen hierzu:
Mit der Formulierung in § 22 Abs. 7 S. 1 SGB II "und deren Bedarf sich nach den" ent-sprechenden Vorschriften des
SGB III und des BAföG richtet, bringt das Gesetz zum Ausdruck, dass die Festlegung des für die
Zuschussberechnung maßgeblichen Bedar-fes sich gerade nicht nach den Vorschriften des SGB II, sondern
grundsätzlich denen des SGB III und des BAföG richten soll. Auch die Formulierung des SGB III und des BAföG
spricht für diese Auslegung: § 65 SGB III legt fest, welcher "Bedarf" für den Le-bensunterhalt bei beruflicher
Ausbildung und Unterbringung in einem eigenen Haus-halt anzuerkennen ist. In § 13 BAföG ist ausdrücklich
bestimmt, welche Beträge als monatliche "Bedarfe" des Auszubildenden gelten. Der Gesetzgeber hat hiermit festge-
legt, welchen anzuerkennenden Bedarf Auszubildende grundsätzlich hinsichtlich ihrer Wohnkosten haben. Die in § 22
Abs. 7 SGB II erwähnten "ungedeckten Kosten der Unterkunft und Heizung" sind damit die durch den SGB III/BAföG-
Satz nicht gedeckten Kosten (ebenso LSG Hessen, Beschluss vom 2.8.2007 - L 9 AS 215/07 ER).
Auch rechtssystematisch überzeugt allein die von der Beklagten vorgenommene und vom Sozialgericht bestätigte
Berechnungsmethode: Durch die Zuschussregelung des § 22 Abs. 7 SGB II sollen Empfänger von
Berufsausbildungsbeihilfe oder Leistungen nach dem BAföG gerade nicht Empfängern von Arbeitslosengeld II
angenähert wer-den. Dies widerspräche der Grundentscheidung des § 7 Abs. 5 S. 1 SGB II, wonach Auszubildende
grundsätzlich keine Leistungen nach dem SGB II erhalten sollen. Auch § 19 S. 2 SGB II, wonach der Zuschuss nach
§ 22 Abs. 7 SGB II nicht als Arbeitslo-sengeld II gilt, spricht für diese Auslegung (ebenso LSG Hessen, Urteil vom
27.3.2009 - L 6 AS 340/08 B ER; SG Schleswig, Beschluss vom 2.7.2007 - S 4 AS 364/07 ER; im Ergebnis ebenso
LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 25.3.2009 - L 11 B 575/08 AS ER; Berlit, in: LPK-SGB II, 2. Aufl., § 22 Rnr.
130). Demzufolge wird in der Literatur zu Recht kritisiert, dass die Regelung des § 22 Abs. 7 SGB II im SGB II
systematisch eigentlich nichts zu suchen hat, sondern besser eine Regelung im SGB III bzw. BAFöG mit einer
Anhebung der Bedarfe für Unterkunft erfolgt wäre (Berlit, in: LPK- SGB II, 2. Aufl., § 22 Rnr. 126). Durch die von der
Klägerin für richtig gehaltene Berechnungsme-thode hingegen würden BAB-Empfänger und Empfänger von BAföG-
Leistungen im Ergebnis so gestellt, als wären sie Berechtigte nach dem SGB II.
Aus den Gesetzesmaterialien lässt sich keine abweichende Auffassung herleiten: § 22 Abs. 7 SGB II wurde eingefügt
durch Art. 1 Nr. 21 e) des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.7.2006
(GSiFoG; BGBl. I S. 1706 f.) mit Wirkung ab 1.1.2007 (Art. 16 Abs. 4 GSiFoG). In der Begründung des Gesetzes-
entwurfs der Fraktionen der CDU/CSU und SPD (BT-Drucks. 16/1410 S. 24) ist ausge-führt, dass die pauschalierte
Leistungsgewährung nach dem BAföG und der Be-rufsausbildungsbeihilfe zu Ausbildungsabbrüchen führen kann,
wenn die in der Ausbil-dungsförderung berücksichtigten Leistungen für Unterkunft und Heizung für eine Exis-
tenzsicherung nicht ausreichen. Der Gesetzgeber wollte mit § 22 Abs. 7 SGB II also erkennbar einen Ausgleich für
die Pauschalierungen der Bedarfe im Recht der Ausbil-dungsförderung erreichen. Genau dieses Ergebnis wird durch
die Berechnungsmetho-de der Beklagten erzielt: Die Klägerin erhält mit ihrem Einkommen, den Leistungen für die
Ausbildungsförderung und dem Zuschuss für die Unterkunftskosten zusammen genau ihren Anteil an den
Unterkunftskosten.
Im Übrigen ist auch die von der Antragsgegnerin vorgenommene Abrundung (von 208,14 Eu-ro auf 208,00 Euro) nicht
zu beanstanden. Die Rechtsgrundlage hierfür findet sich in § 41 Abs. 2 SGB II.
2. Es kann damit dahinstehen, ob ein Anordnungsgrund –Eilbedürftigkeit – gegeben ist.
3. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 Abs. 1 SGG in entsprechender Anwen-dung. Sie entspricht dem
Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen der Beteiligten.
5. Der Beschluss ist nicht anfechtbar, § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG, weil in der Hauptsache die Berufung nicht zulässig
wäre. Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt für keinen Beteiligten 750,00 Euro und betrifft auch nicht
wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr (§ 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG in Verbindung mit § 144 Abs.
1 SGG). D. Ast. ist mit einem Betrag von (295,14 Euro beantragt, 208,00 Euro erhalten, Differenz 87,14 Euro, mal
zwei Monate (August und September 2009) gleich) 174,28 Euro.