Urteil des SozG Bremen vom 25.03.2010

SozG Bremen: bildende kunst, künstler, versicherungspflicht, stadt, anerkennung, musik, abgrenzung, verwertung, begriff, unternehmen

Sozialgericht Bremen
Urteil vom 25.03.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Bremen S 4 KR 148/09
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Versicherungspflicht der Klägerin nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG).
Die Klägerin absolvierte in den Jahren 2003 bis 2007 ein Studium zur Diplom-Designerin in der Fachrichtung
Modedesign an der Fachhochschule G ... 2007 erhielt sie für ihre Diplomab-schlussarbeit den Modepreis der Stadt G
... Es schlossen sich verschiedene Praktika in Mode-unternehmen in A-Stadt und S-Land an. Seit dem 01.07.2008
übt sie mit dem Entwurf, der Herstellung und (teilweise auch) dem Vertrieb von Kleidungsstücken eine selbstständige
Tä-tigkeit aus.
Am 09.12.2008 beantragte sie bei der Beklagten die Feststellung ihrer Versicherungspflicht nach dem KSVG. Sie sei
(ausschließlich) selbstständig im Bereich bildende Kunst/Design als Modedesignerin tätig. Sie erstelle in Kleinserien
ihre Kollektion selber. Ihre aktuelle Kollektion vertreibe sie über ein Modegeschäft in A-Stadt (MD 82 – X-Straße). Der
Vertrieb in weiteren Geschäften sei geplant. Zum Teil finde aber auch ein Direktverkauf an ihre Kunden statt. In der
ersten Jahreshälfte 2008 rechne sie mit einem Einkommen aus selbstständiger künstleri-scher Tätigkeit in Höhe von
3.000,00 EUR. Darüber hinaus gehe sie keiner Erwerbstätigkeit nach.
Mit Bescheid vom 17.03.2009 lehnte die Beklagte die Feststellung der Versicherungspflicht unter Berufung auf die
sog. "Feintäschner"-Entscheidung des Bundessozialgerichts (Urt. v. 24.06.1998 - B 3 KR 13/97 -) ab. Es handele sich
nicht um bildende Kunst. Wer Textilien als Einzelstücke oder in Kleinserie nach eigenen Entwürfen selbst schneidere
oder in anderer Weise herstelle, gehöre aufgrund seines durch handwerkliche Arbeiten geprägten Tätigkeits-profils
nicht zum Personenkreis der Designer. Dies gelte insbesondere dann, wenn die herge-stellten Textilien mit
vergleichbaren Produkten industrieller oder rein handwerklicher Herkunft konkurrierten und wenn der Hersteller seine
Wertschätzung und sein Einkommen auch aus der handwerklichen Qualität seiner Arbeiten beziehe.
Hiergegen legte die inzwischen anwaltlich vertretene Klägerin mit Schreiben vom 08.04.2009 Widerspruch ein. Der
Schwerpunkt der Tätigkeit liege in der schöpferischen Arbeit. Auch sei die Klägerin in Kunstkreisen als Künstlerin
anerkannt. Dies zeige der Modepreis der Stadt G ...
Mit Widerspruchsbescheid vom 30.07.2009 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück.
Eine Zuordnung zum Bereich der (bildenden) Kunst sei nur möglich, wenn sich die Tätigkeit nicht auf die Herstellung
des Endprodukts erstrecke, wie dies etwa bei einem Designer der Fall sei, der sich allein mit der Anfertigung von
Entwürfen beschäftige. Eine (reine) Designtätigkeit liege aber dann nicht vor, wenn der Betroffene seine Wertschät-
zung und sein Einkommen auch aus dem mit handwerklicher Qualität hergestellten Endpro-dukt beziehe. Es sei daher
unerheblich, wenn ggf. für die manuelle Fertigung Dritte beauftragt würden. Die Tätigkeit der Klägerin entspreche der
einer Damenschneiderin. Es handele sich um eine handwerkliche Tätigkeit im Sinne der Handwerksordnung (HwO).
Gleichwohl könne es sich im Einzelfall um eine künstlerische Tätigkeit handeln. Die Abgrenzung zwischen Hand-werk
und Kunst sei danach zu treffen, ob in einschlägigen fachkundigen Kreisen eine Anerkennung als Künstler erfolgt sei.
Am 31.08.2009 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie weist darauf hin, dass sie ihr Studium erst 2007 abgeschlossen
habe. Damit habe noch nicht die Möglichkeit bestanden, sich in Künst-lerkreisen entsprechend zu etablieren. Deshalb
sei sie aber gerade besonders schutzbedürf-tig. Zu berücksichtigen sei darüber hinaus, dass die Berufsbezeichnung
Modedesigner im Berufsgruppenkatalog des KSVG auftauche. Dem Gesetz sei deshalb gerade zu entnehmen, dass
Modedesigner bildende Künstler seien.
Sie beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 17.03.2009 in der Form des Widerspruchsbe-scheides vom 30.07.2009 aufzuheben
und festzustellen, dass sie seit dem 09.12.2008 der Versicherungspflicht nach dem KSVG unterliegt.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält an ihrer Ansicht fest, wonach sich der Begriff des Designs lediglich auf den Entwurf des Produkts
beschränke. Die Kombination des Entwurfs und der späteren Herstellung des Endprodukts sei kein Design im Sinne
des KSVG. Von einer Designertätigkeit im Sinne von § 2 KSVG könne nur dann ausgegangen werden, wenn der
Designer seine Entwürfe an ande-re Unternehmen verkaufe, die diese dann umsetzten und die Endprodukte
veräußerten. Die Beklagte weist weiter darauf hin, dass die Feststellung der Künstlereigenschaft im Falle der eigenen
Herstellung des Endprodukts nicht ausgeschlossen sei. Dann aber sei Vorausset-zung die Anerkennung durch
fachkundige Kreise bildender Künstler als Künstler. Dafür reiche der Modepreis der Stadt G., der kein Kunstpreis sei,
nicht aus.
Das Gericht hat die Verwaltungsvorgänge der Beklagten beigezogen.
Entscheidungsgründe:
Die als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Sozialgerichtsge-setz (SGG) statthafte
Klage ist nicht begründet. Die angegriffenen Bescheide sind nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat zu Recht die
begehrte Feststellung der Versicherungspflicht abgelehnt, weil die Klägerin nicht zu dem vom KSVG erfassten Kreis
der selbstständigen Künstler und Publizisten gehört.
Rechtsgrundlage des geltend gemachten Feststellungsanspruchs ist § 1 i. V. m. § 2 Satz 1 KSVG. Nach § 1 KSVG
sind selbständige Künstler und Publizisten in der allgemei-nen Rentenversicherung, in der gesetzlichen
Krankenversicherung und in der sozialen Pfle-geversicherung pflichtversichert, wenn sie die künstlerische oder
publizistische Tätigkeit er-werbsmäßig und nicht nur vorübergehend ausüben und im Zusammenhang mit der künstleri-
schen oder publizistischen Tätigkeit nicht mehr als einen Arbeitnehmer beschäftigen, es sei denn, die Beschäftigung
erfolgt zur Berufsausbildung oder ist geringfügig im Sinne des § 8 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch. Nach § 2
KSVG ist Künstler im Sinne des Geset-zes, wer Musik, darstellende oder bildende Kunst schafft, ausübt oder lehrt.
In § 2 Satz 1 KSVG werden drei Bereiche künstlerischer Tätigkeit jeweils in den Spielarten des Schaffens, Ausübens
und Lehrens umschrieben, nämlich die Musik sowie die bildende und die darstellende Kunst. Eine weitergehende
Festlegung, was darunter im Einzelnen zu verstehen ist, ist im Hinblick auf die Vielfalt, Komplexität und Dynamik der
Erscheinungsfor-men künstlerischer Betätigungsfelder nicht erfolgt. Der Gesetzgeber spricht im KSVG nur all-gemein
von "Künstlern" und "künstlerischen Tätigkeiten", auf eine materielle Definition des Kunstbegriffs hat er hingegen
bewusst verzichtet (BT-Drucks 8/3172, S. 21). Dieser Begriff ist deshalb aus dem Regelungszweck des KSVG unter
Berücksichtigung der allgemeinen Ver-kehrsauffassung und der historischen Entwicklung zu erschließen (vgl. nur
BSG SozR 4-5425 § 24 Nr. 6 Rn. 13 und BSGE 83, 160, 161 = SozR 3-5425 § 2 Nr. 9 S. 33 - jeweils m. w. N.; vgl.
auch BT-Drucks 9/26, S. 18 und BT-Drucks 8/3172, S. 19 ff.).
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gehören handwerkliche Tätigkeiten, auch wenn ihnen ein
gestalterischer Freiraum immanent ist (z. B. Steinmetze, Goldschmiede und andere Kunsthandwerker sowie
Fotografen), entsprechend der historischen Entwicklung und der allgemeinen Verkehrsauffassung grundsätzlich nicht
zum Bereich der Kunst im Sinne des KSVG (vgl BSGE 80, 136 = SozR 3-5425 § 2 Nr. 5 zum
Musikinstrumentenbauer; BSGE 82, 164 = SozR 3-5425 § 2 Nr. 8 zum Feintäschner; BSG, Urt. v 28.02.2007 - B 3
KS 2/07 R - zit. n. juris, zum Tätowierer).
Die Tätigkeit der Klägerin ist insgesamt als handwerklich und nicht als künstlerisch einzustu-fen. Dass sie ihre
Kleidungsstücke auch entwirft und insoweit - entsprechend ihrer Ausbildung - als Modedesignerin tätig ist, steht dem
nicht entgegen. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der die Kammer folgt, ist eine zu
(kunst-)handwerklichen Produkten führende Tätigkeit nur dann künstlerisch im Sinne des § 2 KSVG, wenn sie sich
ausschließlich auf das künstlerisch-ästhetische Entwerfen solcher Produkte beschränkt. Eine Tätigkeit, die eine
Kombination von Entwurf und handwerklicher Umsetzung dieses Entwurfs in Einzelstü-cke oder Serien darstellt, ist
dagegen insgesamt dem Bereich des Handwerks (Kunsthand-werk) zuzuordnen (BSG, Urt. v. 30.01.2001 - B 3 KR
1/00 R - zum Industriedesign).
Die Kammer hält diesen Ansatz zur Abgrenzung von Handwerk und Kunst für überzeugend. Der Klägerin ist
zuzugestehen, dass diese Frage auch in der Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet wird und sich selbst in der
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts Anzeichen für eine weniger strenge Handhabung finden (vgl. z. B. Urt. v.
07.07.2005 - B 3 KR 37/04 R - zum Webdesign, Tz. 20, wonach der Grafikdesigner seine Künstlereigenschaft nicht
dadurch verliert, dass er Grafiken "in Anbetracht der fortgeschrittenen technischen Möglichkeiten" selbstständig
erstellen kann). Nach der Rechtsprechung des Landessozialgerichts Nieder-sachsen-Bremen ist bei einer Tätigkeit als
Modedesignerin dann von einer künstlerischen Tä-tigkeit auszugehen, wenn der Betroffene zwar seine Produkte
selber vertreibt, er sie aber nicht selber herstellt (so LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 16.09.2009 - L 4 KR 216/07 -
, nicht rechtskräftig; vgl. SG Bremen, Urt. v. 07.06.2007 - S 4 KR 177/05 -). Es bedarf an dieser Stelle keiner
Entscheidung, ob es überzeugt, das Bestehen von Versicherungspflicht davon abhängig zu machen, ob der
Betroffene die Herstellung seiner Entwürfe durch freie Mitarbei-ter und Praktikanten vornehmen lässt (so in dem der
Entscheidung des Landessozialgerichts zugrunde liegenden Fall). Denn die Klägerin, die die Kleidungsstücke - aus
welchen Gründen auch immer - unbestritten selber herstellt, übt auch nach dieser Rechtsprechung keine - im Sinne
des KSVG - künstlerische Tätigkeit aus. Die Kammer neigt ohnehin dazu, entsprechend der Rechtsprechung des
BSG zum Industriedesign nur dann eine künstlerisch-designerische Tätigkeit anzunehmen, wenn keine Beschäftigung
mit "der Produktion" erfolgt (BSG, Urt. v. 30.01.2001 - B 3 KR 1/00 R -). Dafür spricht zum einen die Vermeidung von
Abgrenzungs-schwierigkeiten. Denn entsprechend der - spiegelbildlichen - Frage nach der Abgabepflicht ist rechtlicher
Anknüpfungspunkt für die Frage nach dem Vorliegen einer künstlerischen Tätigkeit nicht die Herstellung des
Endprodukts, sondern ausschließlich die Verwertung des Entwurfs (BSG, a. a. O.). Zum anderen spricht aber auch
gerade die von der Klägerin angeführte und nach dem Willen des Gesetzgebers maßgebliche soziale
Schutzbedürftigkeit (BT-Drucks. 8/3172, S. 21) für den hier vertretenen Ansatz. Denn die Klägerin erzielt ihr
Einkommen eben auch aus der Veräußerung der Bekleidungsstücke als Endprodukt und nicht - was ungleich
schwieriger sein dürfte - alleine aus der Verwertung des Entwurfs. Dadurch, dass sie ihre Entwürfe auch herstellt und
vertreibt bzw. vertreiben lässt, hat sie (noch) nicht das ange-stammte handwerkliche Berufsfeld verlassen und einen
künstlerischen Berufsbereich gewählt (darauf abstellend BSG, Urt. v. 28.02.2007 - B 3 KS 2/07 R - zum Tätowierer).
Eine künstleri-sche Tätigkeit setzt eine Beschränkung auf den Entwurf voraus, ohne diesen selbst umzu-setzen. Nur
dann liegt eine eigenschöpferisch-gestalterische Tätigkeit vor, weil das Einkom-men aus dem kreativen Schaffen und
nicht aus dem Einsatz manuell-technischer Fähigkeiten folgt (vgl. BSG, Urt. v. 28.02.2007, a. a. O.; vgl. auch BSG,
Urt v 24.06.1998 - B 3 KR 13/97 R - Feintäschner).
Zuletzt liegt hier auch nicht ausnahmsweise eine künstlerische Tätigkeit vor. Die Beteiligten gehen zu Recht davon
aus, dass trotz der handwerklichen Arbeit nach eigenen Entwürfen eine Zuordnung zum Bereich der Kunst dann
möglich ist, wenn der Betroffene mit seinen Werken in Kunstkreisen als Künstler anerkannt und behandelt wird (st.
Rspr., vgl. nur BSGE 80, 136, 138 = SozR 3-5425 § 2 Nr. 5; BSGE 82, 164 = SozR 3-5425 § 2 Nr. 8). Hierbei ist vor
allem maßgebend, ob er an Kunstausstellungen teilnimmt, Mitglied von Künstlervereinen ist, in Künstlerlexika
aufgeführt wird, Auszeichnungen als Künstler erhalten hat oder andere Indi-zien auf eine Anerkennung als Künstler
schließen lassen. Diese Kriterien sind hier ebenfalls nicht erfüllt. Eine Anerkennung der Klägerin durch Fachkreise der
bildenden Kunst (z. B. Kunstkritiker, Museumsleute, Galeristen, Kunstvereine) liegt nicht vor. Dem Gericht fehlt es
aber auch an Anhaltspunkten dafür, dass der Modepreis der Stadt G., der tatsächlich wohl "nur" die beste
Abschlussarbeit unter den jeweiligen Absolventen des Diplomstudienganges Modedesign prämiert, ein solcher
Kunstpreis im Sinne der dargestellten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.