Urteil des SozG Bremen vom 26.01.2009

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Sozialgericht Bremen
Beschluss vom 26.01.2009 (rechtskräftig)
Sozialgericht Bremen S 23 AS 32/09 ER
1. Die Antragsgegnerin wird im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet, dem Antragsteller im Monat
Januar 2009 weitere 350,77 Euro und in den Monaten Februar bis Mai 2009 jeweils 522,38 Euro zu gewähren. 2. Die
Leistungsgewährung erfolgt vorläufig und unter dem Vorbehalt der Rückforderung. 3. Im Übrigen wird der Antrag
abgelehnt. 4. Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu 60 vom
Hundert.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes um die Gewährung von Leistungen zur Sicherung
des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitssuchende – SGB II.
Streitig ist u.a. die Anrechnung der Rente der Mitbewohnerin des Antragstellers.
Der 1962 geborene Antragsteller lebt nach seinen eigenen Angaben (Bl. 13 der Akten) mit Frau SF. in einer ca. 67 qm
großen Dreizimmerwohnung (Bl. 10). Frau SF. bezieht eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, die seit dem 1. Juli 2005
633,44 Euro (Zahlbetrag) betrug. Der Antragsteller steht im laufenden Leistungsbezug bei der Antragsgegnerin. Zuletzt
bewilligte die Antragsgegnerin ihm mit Bescheid vom 28. November 2008 für die Zeit vom 1. Dezember 2008 bis zum
31. Mai 2009 Leistungen in Höhe von 522,38 Euro im Monat. Dabei rechnete die Antragsgegnerin die Rente wegen
Erwerbsunfähigkeit teilweise - in Höhe von 26,60 Euro (als "Unterhalt") - beim Antragsteller an. Mit Schreiben
ebenfalls vom 28. November 2008 so-wie vom 8. Dezember 2008 forderte die Antragsgegnerin den Antragsteller auf,
u.a. einen aktuellen Rentenbescheid der Frau SF. vorzulegen.
Am 9. Januar 2009 hat der Antragsteller das Gericht um die Gewährung vorläufigen Rechts-schutzes ersucht. Zur
Begründung erklärt er unter Vorlage des entsprechenden Kontoaus-zugs, die Antragsgegnerin habe ihm für Januar
2009 lediglich 171,61 Euro überwiesen. Er legt außerdem ein Schreiben der Antragsgegner vom 12. Dezember 2008
vor. Dieses Schrei-ben hat – neben Grußformel und Rechtsbehelfsbelehrung lediglich folgenden Inhalt:
"Sehr geehrter Herr A.,
Anrechnung des übersteigenden Einkommens von Frau SF. in Höhe von 123,27."
(Das Schreiben ist in der Verwaltungsakte der Antragsgegnerin nicht enthalten. Es findet sich dort auch kein Vermerk,
wieso dieses Schreiben gefertigt worden sein könnte.) Der An-tragsteller trägt vor, Frau SF. sei seine Mitbewohnerin.
Frau SF. und er dürften auch deshalb nicht als Bedarfsgemeinschaft eingestuft werden, weil Frau SF. lediglich eine
Grundrente er-halte. Er sei dringend auf weitere Leistungen angewiesen, um seinen Lebensunterhalt sicher-zustellen.
Von Seiten seiner Mitbewohnerin könne er keine finanzielle Unterstützung erwarten.
Die Antragsgegnerin ist dem Eilantrag entgegengetreten. Sie meint, der Eilantrag sei nicht begründet. Der
Antragsteller lebe seit Erstantragstellung am 4. Mai 2005 mit Frau SF. in ehe-ähnlicher Gemeinschaft zusammen.
Das Einkommen aus der Rente der Frau SF., das den Bedarf der Frau SF. übersteige, sei bedarfsmindernd beim
Antragsteller zu berücksichtigen. Auf telefonische Rückfrage des Vorsitzenden hat die Antragsgegnerin erklärt, der
Bescheid vom 28. November 2008 sei derzeit noch nicht aufgehoben worden. Außerdem hat die An-tragsgegnerin
erklärt, dass sie an Frau SF. im Januar 2009 einen Betrag in Höhe von 254,10 Euro überwiesen habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und auf die Ver-waltungsakte der
Antragsgegnerin Bezug genommen.
II.
Der gem. § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Antrag auf einstweilige Anord-nung ist zulässig und
teilweise begründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige
Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn
eine solche Regelung zur Abwendung we-sentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Die Gewährung
einstweiligen Rechtsschutzes setzt einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund voraus (vgl. Meyer-
Ladewig, SGG, 7. Auflage 2002, § 86b Rn. 27, 29). Ein materieller Anspruch ist im einstweiligen
Rechtsschutzverfahren nur einer summarischen Überprüfung zu unterziehen; hierbei muss der Antragsteller glaubhaft
machen, dass ihm aus dem Rechtsverhältnis ein Recht zusteht, für das wesentliche Gefahren drohen (Meyer-
Ladewig, aaO, Rn. 29, 36). Der Anordnungsgrund setzt Eilbedürftigkeit voraus, dass heißt, es müssen erhebliche
belastende Auswirkungen des Verwaltungshandelns schlüssig dargelegt und glaubhaft gemacht werden. Dabei muss
die Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheinen, § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG. Dies bedeutet
zugleich, dass nicht alle Nachteile zur Geltendmachung vorläufigen Rechtsschutzes berechtigen. Bestimmte
Nachteile müssen hingenommen werden (Binder in Hk-SGG, 2003, § 86 b Rn. 33). Es kommt damit darauf an, ob ein
Abwarten bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache hingenommen werden kann. Ob dies der Fall ist, be-misst sich
an den Interessen der Antragssteller und der öffentlichen sowie gegebenenfalls weiterer beteiligter Dritter. Dabei
reichen auch wirtschaftliche Interessen aus (vgl. Binder, a.a.O.).
1. Soweit der Antragsteller die restliche Auszahlung der ihm mit Bescheid vom 28. November 2008 bewilligten
Leistungen begehrt, liegen die Voraussetzungen für den Erlass einer einst-weiligen Anordnung vor.
Der Leistungsbescheid vom 28. November 2008 ist nicht aufgehoben worden. Eine Aufhe-bung des
Leistungsbescheides liegt insbesondere nicht in dem Schreiben vom 12. Dezember 2008. Insofern ist schon völlig
unklar, was überhaupt Gegenstand und Aussage dieses Schreibens sein soll. Die dem Schreiben beigefügte
Rechtsbehelfsbelehrung spricht zwar dafür, dass der Verfasser das Schreiben als Verwaltungsakt, also als Bescheid,
verstanden wissen wollte. Das Schreiben enthält aber keine verständliche Aussage und insbesondere – was für den
vorliegenden Zusammenhang von besonderer Bedeutung ist – keine Aufhebung des zuvor ergangenen
Leistungsbescheides. Daher ist davon auszugehen, dass durch das Schreiben vom 12. Dezember 2008 die
Weitergeltung des Leistungsbescheides vom 28. No-vember 2008 unberührt bleiben sollte und geblieben ist.
Die Nichtgewährung der durch den Bewilligungsbescheid vom 28. November 2008 zugesag-ten Leistungen kann
dementsprechend nur dann rechtmäßig sein, wenn hierfür eine gesetzli-che Grundlage besteht. Für die hier
vorliegende teilweise Zahlungseinstellung kommt als Er-mächtigungsgrundlage allein § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II
in Verbindung mit § 331 Abs. 1 Satz 1 SGB III in Betracht. Nach dieser Vorschrift kann der Grundsicherungsträger die
Zah-lung einer laufenden Leistung ohne Erteilung eines Bescheides vorläufig einstellen, wenn er Kenntnis von
Tatsachen erhält, die Kraft Gesetzes zum Ruhen oder zum Wegfall des An-spruchs führen und wenn der Bescheid,
aus dem sich der Anspruch ergibt, deshalb mit Wir-kung für die Vergangenheit aufzuheben ist. Die Voraussetzungen
für die Anwendung dieser Vorschrift sind vorliegend nicht gegeben. Dabei kann dahinstehen, ob die Vorschrift
überhaupt auch zu einer – wie hier – teilweisen Zahlungseinstellung ermächtigt. Denn vorliegend sind – jedenfalls
nach Aktenlage – der Antragsgegnerin keine Tatsachen bekannt geworden, die zu einem Ruhen oder einem Wegfall
des Anspruchs des Antragstellers hätten führen können. Insbesondere ist der Akte keine Durchschrift eines neuen, an
Frau SF. adressierten Renten-bescheides zu entnehmen. Es ist in der Akte auch kein Vermerk enthalten, dass die
Rente der Frau SF. inzwischen höher sein soll als im Jahre 2005. Dem Antragsteller stehen damit im Monat Januar
2009 von den ihm mit Bescheid von 28. November 2008 bewilligten 522,38 Euro abzüglich der überwiesenen 171,61
Euro noch 350,77 Euro zu. In den übrigen vom Be-scheid vom 28. November 2008 erfassten Monaten – d.h. im
Dezember 2008 und in den Mo-naten Februar bis Mai 2009 hat die Antragsgegnerin an den Antragsteller monatlich
522,38 Euro zu zahlen.
Die von der Antragsgegnerin an Frau SF. geleisteten 254,10 Euro kann sich die Antragsgeg-nerin nicht
leistungsmindernd anrechnen lassen. Nach Aktenlage fehlte für die Zahlung an Frau SF. eine rechtliche Grundlage.
Eine Zahlung an Frau SF. ist auch in dem Bescheid vom 28. November 2008 nicht vorgesehen.
2. Soweit der Antragsteller darüber hinaus weitere Leistungen deshalb begehrt, weil Frau SF. nach seiner Ansicht
nicht seine Partnerin, sondern lediglich seine Mitbewohnerin ist, stehen dem Antragsteller keine weiteren Leistungen
zu, weil der Bescheid vom 28. November 2008 mangels rechtzeitigen Widerspruchs des Antragstellers bindend
geworden ist.
Es bestehen allerdings erhebliche Zweifel, ob der Antragsteller und Frau SF. eine Bedarfsge-meinschaft bilden. Frau
SF. ist zwar für den Antragsteller gem. § 7 Abs. 3 Nr. 3c SGB II eine Person, die mit ihm – dem Antragsteller – in
einem gemeinsamen Haushalt zusammenlebt. Es erscheint aber zweifelhaft, ob vom Vorliegen eines wechselseitigen
Willens auszugehen ist, dass der Antragsteller und Frau SF. Verantwortung füreinander tragen und füreinander ein-
stehen wollen.
Da der Antragsteller das Vorliegen einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft verneint, kommt die Annahme eines
solchen Willens nur nach der Vermutungsregelung des § 7 Abs. 3a SGB II in Betracht. Diese Vorschrift besagt, dass
ein Wille füreinander Verantwortung zu tragen ver-mutet wird, wenn Partner (1.) länger als ein Jahr zusammenleben,
(2.) mit einem gemeinsa-men Kind zusammenleben, (3.) Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder (4.) be-
fugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.
Die Anwendung der Vermutungsregelung setzt nach dem Wortlaut der Vorschrift voraus, dass die Betroffenen
"Partner" im Sinne des Gesetzes sind; dies ist nicht bei jedem Zusammenle-ben von Frau und Mann gegeben
(Spellbrink, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, Rdn. 45 zu § 7 m.w.N.). Eine Partnerschaft setzt vielmehr
nach der Rechtsprechung des Bundes-verfassungsgerichts (Urt. vom 17. November 1992 - 1 BvL 8/87 -, BVerfGE 87,
234, zit. nach juris Rn. 92) nur dann gegeben, wenn die Bindung auf Dauer angelegt ist und sie keine weite-re
Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt (für eine Anwendung der Entscheidung auf den Begriff des Partners:
Spellbrink, a.a.O.). Ob dies vorliegend gegeben ist, ist insbesondere wegen der entgegenstehenden Erklärungen des
Antragstellers (Bl. 13 – 15 Verwaltungsakte) zweifelhaft. Die Antragsgegnerin hat hierzu keine weiteren Ermittlungen
angestellt. Wieso sie gleichwohl zu dem Ergebnis gekommen ist, der Antragsteller und Frau SF. seien eine eheähn-
liche Lebensgemeinschaft, lässt sich der Verwaltungsakte nicht schlüssig entnehmen. Soweit einem Aktenvermerk
vom 11. Mai 2005 (Bl. 15 d. A.) die Schlussfolgerung zu entnehmen ist, es werde von einer eheähnlichen
Lebensgemeinschaft ausgegangen, weil sich der Antragstel-ler "zumindest teilweise an den Mietkosten beteiligt +
einige Zimmer + Haushaltsgeräte ge-meinsam genutzt werden" so entspricht diese Überlegung nicht den gesetzlichen
Vorgaben. Entscheidend für die Annahme einer Partnerschaft ist nämlich nicht die gemeinsame Nutzung von (Wohn-)
Zimmer, Küche, Bad und Haushaltsgeräten, sondern – wie dargelegt - die Art der Bindung zwischen den Beteiligten.
Es hätte daher nahe gelegen, weitere Ermittlungen anzu-stellen.
Dem Antragsteller können gleichwohl insofern keine höheren Leistungen gewährt werden, weil er gegen den Bescheid
vom 28. November 2008 – jedenfalls nach Aktenlage – keinen Widerspruch erhoben hat. Dem Antragsteller bleibt
somit alleine, einen Überprüfungsantrag gem. § 44 SGB X zu stellen und anschließend eventuell erneut
Eilrechtsschutz zu begehren.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in entsprechender Anwendung. Der Antrag war im Wesentlichen
erfolgreich (Zahlung weiterer 350,77 Euro im Monat Januar 2009 und wohl weiterer 96,96 Euro in den Monaten Februar
bis Mai 2009, insg. 737,17 Euro), lediglich, soweit der Antragsteller als Alleinstehender behandelt werden wollte, war
er nicht erfolgreich (Anrechnung von 26,60 Euro als Einkommen der Frau SF. und Regelleistung von 316,00 statt
351,00 Euro, insg. 61,60 Euro im Monat, insg. 308,00 Euro).
Der Beschluss ist unanfechtbar, § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG. Die Antragsgegnerin ist mit 737,17 Euro beschwert, der
Antragsteller mit 308,00 Euro. Der Schwellenwert für die Beschwerde liegt bei 750,00 Euro.