Urteil des SozG Bremen vom 24.02.2010

SozG Bremen: die post, rechtsschutzinteresse, akteneinsicht, beweismittel, pass, niedersachsen, mitwirkungspflicht, stillschweigend, aufwand, leistungsanspruch

Sozialgericht Bremen
Beschluss vom 24.02.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Bremen S 18 AS 286/10 ER
1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
3. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Gründe:
I. Die Beteiligten streiten um die vorläufige Weiterbewilligung von SGB II Leistungen.
Der Antragsteller steht seit längerem im ergänzenden Leistungsbezug bei der Antragsgegne-rin. Er stellte bei der
Antragsgegnerin einen Antrag auf Weiterbewilligung von Leistungen ab dem 01.02.2010. Mit Schreiben vom
26.01.2010 teilte die Antragsgegnerin mit, dass eine ab-schließende Bearbeitung erst nach Vorlage eines gültigen
Ausweis-Dokuments (Personal-ausweis) erfolgen könne. In diesem Schreiben wurde darauf hingewiesen, dass eine
Vorlage bereits mit Schreiben vom 25.11.2009 verlangt worden sei. Unstreitig verfügt der Antragsteller über einen
Ausweis. Diesen legte er weder bei Beantragung der Weiterbewilligung noch bis heute vor.
Mit Faxeingang am 13.02.2010 hat der Antragsteller das Sozialgericht Bremen um die Ge-währung einstweiligen
Rechtsschutzes ersucht. Er trägt vor, Ende 2009 sei er ohne rechtliche Belehrung aufgefordert worden, seinen
aktuellen Ausweis vorzulegen. Auf dem Schreiben der Antragsgegnerin, in dem diese darauf hinweise, dass eine
Bearbeitung bis zur Vorlage des Ausweises nicht in Betracht komme, sei ebenfalls keine Rechtsbehelfsbelehrung
angebracht worden. Nunmehr sei die einstweilige Anordnung geboten. Dem Verfahren liege eine Kürzung in das
Existenzminimum zugrunde, weshalb hier erhebliche und wesentliche Nachteile abzu-wenden seien. Trotz
Fristsetzung sei ein Zahlungseingang nicht feststellbar. Er wohne seit Jahren unter derselben Anschrift und die Post
gehe ersichtlich zu. Es fehle an einer schriftli-chen Mitwirkungsaufforderung und die erneute Vorlage des Ausweises
dürfte keinerlei Aus-wirkung auf das Vorliegen der Leistungsvoraussetzungen haben. Dem SGB II sei eine Aus-
weisvorlagenpflicht nicht zu entnehmen. Die Überprüfung der Gültigkeit eines Ausweises ge-höre nicht zu den
elementaren Aufgaben eines Sozialleistungsträgers. Die Aufforderung zur Vorlage sei bereits rechtswidrig und greife in
das Grundrecht auf Handlungsfreiheit ein.
Der Antragsteller beantragte zunächst, 1. die Antragsgegnerin zu verurteilen, an den Antragsteller vorläufig Leistungen
in gesetzlicher Höhe zu bewilligen, 2. dem Antragsteller Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der RA´in B., B-Straße,
A-Stadt zu bewilligen, 3. der Unterzeichnenden Akteneinsicht in die Leistungsakte der Antragsgegnerin auf ihre
Kanzlei zu gewähren.
Die Antragsgegnerin beantragt, 1. den Antrag abzulehnen und 2. zu entscheiden, dass Kosten gem. § 193
Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht zu erstatten sind.
Die Antragsgegnerin trägt vor, zur Sicherstellung, dass die Grundsicherungsleistungen der richtigen Person gewährt
werden würden, sei die Vorlage eines Identitätsnachweises in Form eines Personalausweises oder Passes
unabdingbar. Angesichts der großen Anzahl von Leis-tungsempfängern in der Geschäftsstelle sei der Antragsteller
den zuständigen Mitarbei-tern/innen nicht persönlich bekannt, da er die Leistungen nur schriftlich beantragt und
schrift-lich mit der Antragsgegnerin verkehrt habe. Deshalb sei der genannte Beschluss des Sozial-gerichts Az. S 23
AS 795/09 ER nicht einschlägig. Die Antragstellerseite verliere kein Wort über die konkreten Gründe seiner
Verweigerungshaltung. Diese nähre Zweifel an seiner Iden-tität.
Mit Schriftsatz vom 21.02.2010 hat der Antragsteller weiter sinngemäß beantragt, Akteneinsicht in die vollständige
Akte nebst Computerausdrucken der Antrags-gegnerin auf die Kanzlei der Prozessbevollmächtigten zu gewähren.
Der Antragsteller hat weiter vorgetragen, die Auskunft der Antragsgegnerin, der Antragsteller sei den Mitarbeitern und
Mitarbeiterinnen persönlich nicht bekannt, sei offensichtlich falsch. Es habe Beratungsgespräche gegeben. Er beziehe
sich auch auf den Beschluss des Sozialge-richts zum Az: S 23 AS 795/09 ER.
Das Gericht hat der Antragstellerseite mit Schreiben vom 23.02.2010 eine weitere Stellung-nahmefrist bis
einschließlich 24.02.2010 eingeräumt. Telefonisch hat die Prozessbevollmäch-tigte des Antragstellers am 23.02.2010
darauf hingewiesen, dass sie weiterhin der Auffassung sei, eine Vorlagepflicht für den Ausweis und eine Verpflichtung
für ein weiteres Vorsprechen sei nicht gegeben. Die Antragsgegnerin könne davon keine Leistungsgewährung
abhängig machen, dies sei nicht zumutbar.
Auf ausdrückliche Nachfrage des Gerichts hat sie bestätigt, dass eine weitere schriftliche Stel-lungnahme nicht
beabsichtigt sei und durch das Gericht bereits am 24.02.2010 entschieden werden könne. Dabei ist sie noch einmal
ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass die Leistungsakte von der Antragsgegnerin bislang nicht vorgelegt
worden ist und eine Weiterlei-tung deshalb nicht möglich sei.
Die Leistungsakte der Antragsgegnerin hat dem Gericht demnach nicht vorgelegen.
II. A. Der gem. § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Antrag auf einstweilige Anord-nung ist bezogen
auf die fortlaufende Leistungsgewährung bereits zulässig, weil es an einem stets erforderlichen
Rechtsschutzbedürfnis mangelt.
Am Rechtsschutzbedürfnis fehlt es, wenn das angestrebte Ziel auf einfachere und näherlie-gende Weise -
insbesondere durch eigene (zumutbare) Mitwirkungshandlungen – erreicht werden kann und sich dadurch die
Einleitung gerichtlicher Schritte als überflüssig erweist (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage,
§ 86b Rn 26b; vor § 51 Rn. 16 ff.; SG Lüneburg, Beschluss vom 10.12.2007 – S 25 AS 1623/07; LSG Nordrhein-
Westfalen, Be-schluss vom 15.01.2009 – L 7 B 398/08 AS).
Im vorliegenden Verfahren hat die Antragsgegnerin eine Weiterbewilligung nicht gänzlich ab-gelehnt. Sie hat diese
vielmehr "nur" von der Vorlage eines gültigen Ausweisdokuments ab-hängig gemacht. Die Antragsgegnerin hat mit
Schreiben vom 26.01.2010 (Bl. 6 d. A.) aus-drücklich die Bearbeitung von der Vorlage des Ausweises abhängig
gemacht. Daraufhin hat der Antragsteller seinen Pass nicht vorgelegt, obwohl er im Besitz eines gültigen Passes ist
und hat mit Faxeingang am 13.02.2010 einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechts-schutzes beim Gericht
eingereicht. Das Gericht vertritt hier die Auffassung, dass es dem An-tragsteller zumutbar war, den einfacheren und
nahe liegenden Weg, der persönlichen Vor-sprache und Vorlage des Dokuments, nachzukommen. Ein
Ausweisdokument ist unstreitig vorhanden, so dass für das Gericht kein nachvollziehbarer Grund für eine
Verweigerungshal-tung ersichtlich ist. Ein gerichtliches Einschreiten ist vielmehr geradezu "überflüssig".
Der Antragsteller war auf Grund der auch im SGB II geltenden Mitwirkungsobliegenheiten gemäß § 60 ff. SGB I auch
gehalten, den Pass tatsächlich vorzulegen. Das BSG hat in sei-nem Urteil vom 19.02.2009 – B 4 AS 10/08 R –, in
dem es um die Vorlage von Kontoauszü-gen ging dazu wörtlich ausgeführt:
" Die Klägerin traf eine Mitwirkungsobliegenheit zur Vorlage der geforderten Unterla-gen gemäß § 60 SGB I. Der Senat
schließt sich der Rechtsauffassung des 14. Senats an (vgl BSG, Urteil vom 19.9.2008 - B 14 AS 45/07 R, zur
Veröffentlichung vorgese-hen). Danach gilt im Wesentlichen Folgendes: Nach § 60 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB I hat, wer
Sozialleistungen beantragt oder erhält, alle Tatsachen anzugeben, die für die Leis-tung erheblich sind, Beweismittel zu
bezeichnen und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers Beweisurkunden vorzulegen oder ihrer Vorlage
zuzustimmen. Die Mitwirkungsobliegenheiten des SGB I gelten auch im Rahmen des SGB II. Die in den §§ 60 bis 67
SGB I niedergelegten Mitwirkungsobliegenheiten bleiben ergänzend an-wendbar, solange und soweit das
Normprogramm der besonderen Mitwirkungsoblie-genheiten des SGB II dies nicht ausschließt, also den
Lebenssachverhalt nicht aus-drücklich oder stillschweigend abweichend und/oder abschließend regelt. 14 Das SGB II
ist für eine ergänzende Anwendung der §§ 60 ff SGB I grundsätzlich offen (ebenso Voelzke in Hauck/Noftz, SGB II, K
§ 56 RdNr 3, Stand November 2004; Rein-hardt in Krahmer, Hrsg, LPK-SGB I vor §§ 60 bis 67, RdNr 2). Zwar sind
verschiedene Mitwirkungsobliegenheiten der Antragsteller bzw Leistungsempfänger im SGB II auch ausdrücklich und
explizit normiert (vgl §§ 56, 58 Abs 2 und 59 SGB II). Sie stellen je-doch eine bereichsspezifische Ausgestaltung der
allgemeinen Mitwirkungsvorschriften des SGB I dar. Ergänzend ist dabei jeweils auf die in §§ 60 ff SGB I normierten
Pflich-ten abzustellen."
Diesen Gründen schließt sich das erkennende Gericht voll inhaltlich an. Im SGB II sind kon-krete Regelungen
bezogen auf die Vorlagepflicht von Ausweisen nicht vorhanden. Auch hier geht es deshalb um die Vorlage von einem
Beweismittel nach § 60 Abs. 1 Satz 3 SGB I. Die Grenzen der Mitwirkung nach § 65 Abs. 1 Ziffer 1-3 sind von der
Antragsgegnerin nicht über-schritten worden. Da es um monatliche Leistungen von mehreren hundert Euro geht, ist
der Nachweis der Identität nicht unangemessen (Nr. 1; vgl. auch SG Lüneburg, a.a.O.). Ein wich-tiger Grund für das
Verhalten des Antragstellers (Nr. 2) ist für das Gericht ebenfalls nicht er-kennbar. Allein die Tatsache, dass ein
"weiterer Gang" zur Antragsgegnerin unangenehm o-der mit Zeitaufwand verbunden sein könnte, kann nicht dazu
führen, im konkreten Fall ein Rechtsschutzinteresse für ein gerichtliches Eingreifen zu bejahen. Es ist hier auch nicht
er-kennbar, dass es sich um eine reine Schikane handeln könnte. Selbst wenn es richtig sein sollte, dass der
Antragsteller mehrfach bei der Antragsgegnerin wegen verschiedener Einglie-derungsvereinbarungen vorgesprochen
haben sollte, lässt dies keinen Aufschluss darüber zu, ob er den Mitarbeitern gerade der Leistungsabteilung bekannt
war oder nicht. Die Antrags-gegnerin kann sich die erforderlichen Kenntnisse auch nicht selbst durch einen geringeren
Aufwand als der Antragsteller beschaffen (Nr. 3). Der Ausweis mit Lichtbild liegt nur dem An-tragsteller vor. Solange
der Antragsteller seiner Mitwirkungspflicht nicht nachkommt, ist der Antrag auf Gewährung von einstweiligem
Rechtsschutz damit insgesamt unzulässig (vgl. e-benda).
B. Eine Vorlage einer auch beim Gericht nicht eingereichten Leistungsakte, kommt nicht in Be-tracht.
C. Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 SGG.
D. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe war gemäß § 73a SGG abzulehnen, weil keine hinreichende
Erfolgsaussicht für dies Verfahren besteht. Nach summarischer Prüfung ist kein Leistungsanspruch mangels
Rechtsschutzinteresse gegeben. Insoweit wird zwecks Ver-meidung von Wiederholungen auf die vorstehenden
Ausführungen zu Buchstabe A. verwie-sen. Es spricht auch keine gewisse Wahrscheinlichkeit oder aber eine mindest
hälftige Er-folgsaussicht bei Antragstellung des PKH-Antrages (vgl. LSG Hamburg Beschluss vom 07.09.2007 – L 4 B
355/07) für den Antragsteller.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde statthaft. Sie ist binnen eines Monats nach Zustellung beim
Sozialgericht Bremen, Am Wall 198, 28195 Bremen, schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten
der Geschäftsstelle einzulegen.
Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist bei dem Landessozial-gericht
Niedersachsen-Bremen, Georg-Wilhelm-Straße 1, 29223 Celle oder der Zweigstelle des Lan-dessozialgerichts
Niedersachsen-Bremen, Am Wall 198, 28195 Bremen schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten
der Geschäftsstelle eingelegt wird.