Urteil des SozG Bremen vom 02.09.2009

SozG Bremen: besondere härte, ausbildung, darlehen, erlass, verfügung, rechtsgrundlage, vorschuss, sicherstellung, leistungsausschluss, zivilprozessordnung

Sozialgericht Bremen
Beschluss vom 02.09.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Bremen S 26 AS 1516/09 ER
Die Antragsgegnerin wird im Wege einer einstweiligen Anord-nung verpflichtet, der Antragstellerin ab dem 01.09.2009
und bis zu einer Bewilligung von BAföG-Leistungen durch das Landesamt für Ausbildungsförderung, längstens aber
zu-nächst bis zum 30.11.2009, Leistungen zur Sicherung des Le-bensunterhaltes nach dem SGB II in Höhe von
monatlich 360,00 Euro als Darlehen zu gewähren. Die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin hat die An-
tragsgegnerin zu erstatten.
Gründe:
Der nach § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG- statthafte Antrag auf Erlass einer einstwei-ligen Anordnung ist
begründet.
Voraussetzung für den Erlass der begehrten Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG ist neben einer
besonderen Eilbedürftigkeit der Regelung (Anordnungsgrund) ein An-spruch der Antragstellerin auf die begehrte
Regelung (Anordnungsanspruch). Anordnungs-grund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs.
2 Satz 3 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung -ZPO-).
Die Antragstellerin konnte einen Anspruch nach § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II glaubhaft machen. Danach können an
Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des BAföG dem Grunde nach förderungsfähig sind und die deshalb
eigentlich vom Leistungsbezug nach dem SGB II ausgeschlossen sind, in besonderen Härtefällen Leistungen zur
Sicherung des Lebensunter-haltes als Darlehen erbracht werden.
So liegt der Fall hier. Zwar ist der Besuch der Erwachsenenschule nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BAföG dem Grunde
nach förderungsfähig, so dass grundsätzlich gemäß § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II ein Leistungsanspruch nach dem SGB
II ausscheidet. Der Leistungsausschluss ist vorliegend auch nicht seinerseits gemäß § 7 Abs. 6 SGB II
ausgeschlossen. Im vorliegenden Fall handelt es sich jedoch um einen besonderen Härtefall im Sinne von § 7 Abs. 5
Satz 2 SGB II, der die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts als Darlehen vorsieht. Der
Zweck der gesetzlichen Ausschlussregelung des § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II, zu verhindern, dass Leistungen nach dem
SGB II dazu dienen, durch Sicherstellung des allge-meinen Lebensunterhalts das Betreiben einer dem Grunde nach
förderungsfähigen Ausbil-dung zu ermöglichen und so auf einer zweiten Ebene eine versteckte Ausbildungsförderung
stattfinden zu lassen, wird hier nicht berührt (vgl. ebenso schon VG Bremen, Beschl. v. 13.02.2007 - S3 V 276/07 -;
VG Bremen, Beschl. v. 05.09.2007 - S2 V 2257/07 -). Die Antrag-stellerin hat nach ihren Einkommens- und
Vermögensverhältnissen, die sie bisher schon zum Bezug von Leistungen nach dem SGB II berechtigten,
voraussichtlich einen Anspruch auf Leistungen nach dem BAföG. Diese Ansprüche kann die Antragsgegnerin auch
auf sich über-leiten, so dass eine Ausbildungsförderung auf zweiter Ebene mit Mitteln der Leistungsträger nach dem
SGB II im Ergebnis nicht zu befürchten ist. Dass der Antragstellerin diese Leistun-gen nicht mit Beginn der
Ausbildung zur Verfügung stehen, beruht auf der Regelung des § 51 Abs. 2 BAföG, nach der Vorschussleistungen
erst erbracht werden, wenn über den Antrag nicht binnen sechs Wochen nach Antragstellung entschieden werden
kann und auf der - von der Rechtsprechung mitgetragenen - Praxis des hiesigen Amtes für Ausbildungsförderung, den
Beginn dieser Frist erst im Zeitpunkt des Vorliegens eines vollständigen Antrages auf Ausbildungsförderung
anzusiedeln.
Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin hat es die Antragstellerin deshalb auch nicht in der Hand, notfalls unter
Zuhilfenahme verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes einen Vor-schussanspruch gegen das Landesamt für
Ausbildungsförderung durchzusetzen. Nach der ständigen Rechtsprechung der für das BAföG zuständigen 1. Kammer
des Verwaltungsge-richts Bremen beginnt der Lauf der Sechs- bzw. Zehnwochenfrist des Vorschussanspruchs nach §
51 Abs. 2 BAföG erst mit Vorliegen eines vollständigen Antrags (vgl. nur VG Bremen, Beschl. v. 19.10.2005 - 1 V
2083/05 -). Eine Möglichkeit, Härtefallgründen über den Anspruch aus § 51 Abs. 2 BAföG hinaus Rechnung zu tragen,
besteht mangels Rechtsgrundlage im Ausbildungsförderungsrecht nicht (vgl. schon VG Bremen, Beschl. v.
25.09.2001 - 7 V 1724/01 -). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts bestehen hiergegen keine
verfassungsrechtlichen Bedenken, weil etwa auftretende Notlagen durch § 7 Abs. 5 SGB II aufgefangen werden,
wonach in besonderen Härtefällen Leistungen zur Sicherung des Le-bensunterhalts als Darlehen gewährt werden
können (VG Bremen, Beschl. v. 19.10.2005 - 1 V 2083/05 -)
Der Antragstellerin war es nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand nicht möglich, zu einem früheren Zeitpunkt einen
vollständigen Ausbildungsförderungsantrag zu stellen, da ihr Vater - zu dem sie nach ihren Angaben nahezu keinen
Kontakt mehr hat - bisher keine Einkommens-unterlagen vorgelegt hat. Das Landesamt für Ausbildungsförderung hat
den Vater der Antrag-stellerin aus diesem Grund noch einmal angeschrieben. Eine Antwort steht aber noch aus.
Angesichts dieser Zusammenhänge würde es eine besondere Härte darstellen, die Antrag-stellerin darauf zu
verweisen, ihre Ausbildung abzubrechen, um wieder in den Genuss von Leistungen nach dem SGB II zu kommen.
Ihre Situation unterscheidet sich von der Situation anderer Auszubildender, deren Ausbildung dem Grunde nach
förderungsfähig ist, die aber aus in ihrer Person liegenden Gründen keine Förderungsleistungen erhalten. Der Abbruch
der Ausbildung würde weiterhin sowohl den Zielsetzungen des BAföG als auch des SGB II wider-sprechen.
Die Höhe des der Antragstellerin zuzubilligenden Anspruchs beschränkt sich zunächst auf diejenigen Leistungen, die
sie nach § 51 Abs. 2 BAföG erwarten kann. Die Antragstellerin besser zu stellen, als wenn sie einen Vorschuss nach
dem BAföG erhielte, überzeugt - zu-mindest für das Eilverfahren - nicht. Der Anspruch nach § 51 Abs. 2 BAföG ist
auf 360,00 Eu-ro im Monat begrenzt. Insoweit hat die Antragstellerin auch einen Anordnungsgrund glaubhaft machen
können.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.