Urteil des SozG Bremen vom 09.07.2009

SozG Bremen: aufschiebende wirkung, verwaltungsakt, kontrolle, sanktion, auszahlung, begriff, ermessen, eingriff, vollziehung, akte

Sozialgericht Bremen
Urteil vom 09.07.2009 (rechtskräftig)
Sozialgericht Bremen S 26 AS 1248/09 ER
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstel-lerin vom 02.07.2009 gegen den Sanktionsbescheid vom
15.06.2009 wird angeordnet, soweit damit die der Antragstelle-rin zustehenden Leistungen um mehr als 30 % der
Regelleis-tung gekürzt wurden. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt. Die außergerichtlichen Kosten der
Antragstellerin hat die An-tragsgegnerin zu ½ zu erstatten.
Gründe:
I. Die 1965 geborene Antragstellerin wendet sich gegen eine Sanktionierung. Sie bezieht von der Antragsgegnerin
laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Mit Bescheid vom 25.09.2008 senkte die Antragsgegnerin das Arbeitslosengeld II für den Zeit-raum 01.11.2008 bis
31.01.2009 um 30 % der Regelleistung mit der Begründung ab, die An-tragstellerin habe sich am 21.08.2008 trotz
Belehrung über die Rechtsfolgen geweigert, eine Eingliederungsvereinbarung abzuschließen.
Am 18.12.2008 schlossen die Beteiligten eine Eingliederungsvereinbarung für den Zeitraum bis 17.05.2009 ab.
Danach verpflichtete sich die Antragstellerin, sich in den nächsten sechs Monaten pro Monat mindestens um drei
Stellen zu bewerben und dies bei der Arbeitsvermitt-lung der Antragsgegnerin bei jedem Termin nachzuweisen.
Mit Bewilligungsbescheid vom 26.02.2009 bewilligte die Antragsgegnerin für den Zeitraum 01.04.2009 bis 30.09.2009
ungekürzte Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II.
Anlässlich eines Termins am 02.03.2009 legte die Antragstellerin Bewerbungsnachweise ent-sprechend der
Eingliederungsvereinbarung vor.
Anlässlich eines Termins am 05.06.2009 konnte die Antragstellerin keine Bewerbungsüber-sicht vorlegen. Daraufhin
schlossen die Beteiligten eine weitere Eingliederungsvereinbarung für den Zeitraum bis 04.12.2009 ab. Darin
verpflichtete sich die Antragstellerin noch einmal ausdrücklich, bis zum 11.06.2009 den Nachweis über die
Bewerbungsbemühungen für den Zeitraum 02.03.2009 bis 05.06.2009 nachzuliefern. Sollte sie dieser Verpflichtung
nicht nach-kommen, werde das Arbeitslosengeld II wegen einer wiederholten Pflichtverletzung (vgl.
Sanktionsbescheid vom 25.09.2008) um 60 % der für sie maßgeblichen Regelleistung abge-senkt.
Am 11.06.2009 erschien die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin. Sie konnte aber nur drei Bewerbungsnachweise
vorlegen. Auf entsprechende Nachfrage der Arbeitsvermittlerin erklär-te die Antragstellerin, dass es als ungelernte
Kraft schwierig sei, eine Stelle zu finden.
Mit Bescheid vom 15.06.2009 senkte die Antragsgegnerin das Arbeitslosengeld II der Antrag-stellerin für den Zeitraum
01.07.2009 bis 30.09.2009 um 211,00 Euro monatlich ab. Trotz Be-lehrung über die Rechtsfolgen sei die
Antragstellerin ihren Pflichten aus der Eingliederungs-vereinbarung nicht nachgekommen. Für den Zeitraum März bis
Juni 2009 sollte sie neun Be-werbungen vorlegen. Dies habe sie nicht getan.
Am 02.07.2009 hat die Antragstellerin den vorliegenden Eilantrag gestellt. Ebenfalls am 02.07.2009 hat die
Antragstellerin Widerspruch gegen den Sanktionsbescheid vom 15.06.2009 eingelegt. Sie sei ihren Pflichten
nachgekommen. Ausweislich des Bescheides vom 15.06.2009 habe sie von März 2009 bis Juni 2009 insgesamt neun
Bewerbungen vorle-gen müssen. Der Monat Juni habe aber dreißig Tage. Zugleich legte die Antragstellerin sechs
weitere, allerdings nicht datierte Schreiben an Firmen vor, in denen sie sich auf Stellenanzei-gen bzw.
Telefongespräche in der Zeit vom 13.06.2009 bis zum 20.06.2009 bezog.
Sie beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr für die Zeit vom 01.07.2009 bis zum
30.09.2009 die monatliche Regelleistung in ungekürzter Höhe auszuzahlen sowie
ihr einen Vorschuss in einer vom Gericht zu bestimmenden Höhe bar auszu-zahlen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Am 03.07.2009 hat sie der Antragstellerin einen Lebensmittelgutschein über 40,00 Euro aus-gehändigt. Im Übrigen ist
sie dem Antrag mit der Begründung entgegengetreten, die nunmehr nachgereichten Bewerbungsnachweise könnten
für den hier maßgeblichen Zeitraum (02.03.2009 bis 05.06.2009) nicht mehr berücksichtigt werden. Berücksichtigt
werden könnten sie nur für den Zeitraum ab 05.06.2009.
Das Gericht hat die Leistungsakten der Antragsgegnerin angefordert. Vorgelegt wurde der 2. Band der Leistungsakte.
Bewilligungsbescheide enthielt die Akte nicht.
II.1. Vorab ist darauf hinzuweisen, dass der Antrag der Antragstellerin umzudeuten war in ei-nen Antrag auf
Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Sankti-onsbescheid vom 15.06.2009. Denn mit
dem (ungekürzte Leistungen vorsehenden) Bewilli-gungsbescheid vom 22.01.2009 besteht eine gesicherte
Rechtsposition, in die der Sanktions-bescheid im Sinne einer teilweisen Aufhebung eingreift. Soweit dem Widerspruch
gegen den Sanktionsbescheid aufschiebende Wirkung zukommt, "lebt" dieser Bewilligungsbescheid wie-der "auf". Die
Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG vor-rangig gegenüber dem Erlass einer
einstweiligen Anordnung. Bereits an dieser Stelle ist dar-auf hinzuweisen, dass kein rechtliches Bedürfnis dafür
besteht, den sich aus dem Bewilli-gungsbescheid nunmehr ergebenden - noch nicht erfüllten - Auszahlungsbetrag
ebenfalls zu tenorieren. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsgegnerin die Folgen der
aufschiebenden Wirkung ignorieren wird.
2. Der so verstandene und nach §§ 86a Abs. 2 Nr. 4, 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG in Verbin-dung mit § 39 Nr. 1 SGB
II statthafte Antrag ist teilweise begründet. Ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 86b Abs.
1 Satz 1 Nr. 2 SGG ist begründet, wenn das private Interesse des Widerspruchsführers, den Vollzug des Bescheides
bis zur Entscheidung im Widerspruchsverfahren auszusetzen, gegenüber dem öffentlichen Interesse an dessen
sofortiger Vollziehung überwiegt. Die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs ist in der Regel bereits dann
anzuordnen, wenn sich der angefochtene Bescheid als offensichtlich rechtswidrig erweist (OVG Bremen, Beschl. v.
10.10.2008 - S2 B 458/08 -). Im Übrigen bedarf es einer umfassenden Interessenabwägung.
Der Sanktionsbescheid vom 15.06.2009 begegnet insoweit durchgreifenden rechtlichen Be-denken, als gemäß § 31
Abs. 3 Satz 1 SGB II von einer wiederholten Pflichtverletzung ausge-gangen wurde, die zu einer Absenkung in Höhe
von 60 % der maßgeblichen Regelleistung berechtigt. Die erstmalige Pflichtverletzung ist Tatbestandsvoraussetzung
dieser Vorschrift. Ob sie vorliegt, unterliegt der gerichtlichen Kontrolle. Da alleine an eine Pflichtverletzung an-
geknüpft wird, nicht aber an einen vorangegangenen Sanktionsbescheid, vermag die Be-standskraft eines
vorangegangenen Sanktionsbescheides an dieser Kontrolle nichts zu än-dern. Aus dem Gesamtzusammenhang der
Vorschrift (abgestuftes Sanktionssystem) ergibt sich aber, dass nur sanktionsfähige Pflichtverletzungen unter den
Begriff der Pflichtverletzung fallen. Eine solche liegt mit der Weigerung der Antragstellerin, eine
Eingliederungsvereinba-rung abzuschließen (vgl. Sanktionsbescheid vom 25.09.2008), nicht vor. Denn die nach § 31
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. a) SGB II erfolgte Sanktionierung der Weigerung durch den Hilfebedürf-tigen, eine ihm
angebotene Eingliederungsvereinbarung abzuschließen ist sowohl dann un-verhältnismäßig und damit rechtswidrig,
wenn die Eingliederungsvereinbarung gemäß § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II durch Verwaltungsakt ersetzt wurde (Beschl.
der Kammer vom 17.03.2009 - S 26 AS 218/09 ER -; vgl. auch bereits OVG Bremen, Beschl. v. 15.08.2007 - S2 B
292/07 -) als auch dann, wenn der Leistungsträger die ihm offen stehende Möglichkeit des milderen Mittels, einen
Verwaltungsakt nach § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II zu erlassen, ungenutzt lässt und lediglich mit dem intensiveren
Eingriff einer Sanktion nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. a) SGB II auf das Nichtzustandekommen der
Eingliederungsvereinbarung reagiert (LSG Hamburg, Beschl. v. 22.09.2008 - L 5 B 483/07 ER AS -; vgl. auch BVerfG,
Beschl. v. 14.02.2005 - 1 BvR 199/ 05 -). Dass § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. a) SGB II nach dem Wortlaut ein
Ermessen des Grundsicherungsträgers nicht vorsieht, steht dem nicht entgegen. Denn aus dem Nebeneinander der
Handlungsmöglichkeiten nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. a) SGB II auf der einen und § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II auf
der anderen Seite ergibt sich, dass der Beklagten gleichwohl ein Auswahlermessen zusteht.
Abzulehnen war der Antrag aber in Höhe der dann noch verbleibenden 30 %-Sanktion. Die Voraussetzungen einer auf
§ 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. b) SGB II gestützten Absenkung der Leistungen liegen vor. Danach wird die maßgebliche
Regelleistung um 30 % abgesenkt, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige sich trotz Belehrung über die Rechtsfolgen
weigert, in der Eingliederungsvereinbarung festgelegte Pflichten zu erfüllen, insbesondere in ausreichendem Umfang
Eigenbemühungen nachzuweisen. So liegt der Fall hier.
Die Antragstellerin wurde über die rechtlichen Folgen einer Pflichtverletzung belehrt. Ihren in der
Eingliederungsvereinbarung vom 18.12.2008 festgelegten Pflichten ist sie nicht hinrei-chend nachgekommen. Dort
hatte sie sich verpflichtet, pro Monat die geringe Anzahl von drei Bewerbungsnachweisen vorzulegen. Für den
Zeitraum 02.03.2009 bis 05.06.2009 hätte sie danach neun Nachweise erbringen müssen. Dies hat sie nicht getan.
Soweit sie sich nunmehr auf den Sanktionsbescheid vom 15.06.2009 bezieht, wonach sie für den Zeitraum März bis
Juni 2009 insgesamt neun Bewerbungen vorzulegen gehabt hätte, ist ihr zwar zuzugestehen, dass die Formulierung
missverständlich ist. Gemeint war wohl, dass für den Zeitraum März bis einschließlich Mai 2009 (insoweit also "bis"
Juni) neun Bewerbungen vorzulegen waren. Dar-auf kommt es aber nicht an. Denn die Eingliederungsvereinbarung war
in diesem Punkt klar gefasst und die Pflichtverletzung (naturgemäß) bereits eingetreten, als der Sanktionsbescheid
erlassen wurde. Die dort getroffene missverständliche Formulierung vermag die Klägerin des-wegen nicht zu
entschuldigen.
Das Gericht weist am Rande darauf hin, dass der wohl erfolgte Verweis der Antragstellerin auf die Bremer Tafel nicht
den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Ermessensentscheidung nach § 31 Abs. 3 Satz 6 SGB II genügt
(Beschl. der Kammer vom 20.03.2009 - S 26 AS 528/09 ER -). Da die Antragsgegnerin im Rahmen des gerichtlichen
Verfahrens bereits einen Lebensmittelgutschein ausgehändigt hat und sich für die Antragstellerin nunmehr eine Nach-
zahlung ergibt ist davon auszugehen, dass sich der Antrag der Antragstellerin auf Auszahlung eines Barvorschusses
entsprechend erledigt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.