Urteil des SozG Bremen vom 24.07.2009

SozG Bremen: stadt, wohnung, anspruch auf bewilligung, örtliche zuständigkeit, ausstattung, umzug, krankheit, beihilfe, eltern, rechtsgrundlage

Sozialgericht Bremen
Beschluss vom 24.07.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Bremen S 24 SO 103/09 ER
Die Antragsgegnerin wird unter Aufhebung des entgegenste-henden Bescheides verpflichtet, der Antragstellerin darle-
hensweise 1.101,00 Euro Deponat für die Wohnung A-Straße zu bewilligen sowie ihr unter dem Vorbehalt der
Rückforde-rung eine angemessene Beihilfe für Bodenbelag und die Erst-ausstattung mit Möbeln zu gewähren. Im
Übrigen wird der Antrag abgewiesen. Die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin trägt die Antragsgegnerin.
Gründe:
I. Die Antragstellerin stammt aus Afghanistan, sie ist 1985 geboren und leidet an Mukoviszido-se. Dadurch ist sie
schwerbehindert und kann nach ärztlichem Attest keine Treppen steigen. Sie hat ein Kind und ist aktuell mit dem
zweiten schwanger.
Am 23.04.2009 stellte sie bei der Antragsgegnerin Antrag auf Grundsicherungsleistungen. Sie wolle von F-Stadt nach
A-Stadt umziehen, da sie nach der Trennung von ihrem Mann die Un-terstützung der Familie brauche. In F-Stadt
bezog sie Grundsicherungsleistungen in Höhe von 571,84 Euro monatlich (zuletzt Bescheid vom 08.01.2009 der Stadt
F-Stadt, Fachbereich So-ziales). Die Stadt F-Stadt stimmt auch dem Umzug zu, der damals noch mit dem Ehemann
zusammen geplant war (Bl. 25 BA).
Mit Schreiben vom 23.04.2009 teilte ihr die Antragsgegnerin mit, dass derzeit ein Antrag we-gen des Wohnsitzes in F-
Stadt abgelehnt werden müsste, sie könne aber nach Anmietung einer Wohnung in A-Stadt mit max. 505,00 Euro
Bruttokaltmiete (wegen Schwangerschaft und Krankheit) nachdem SGB XII rechnen. Sie müsse u. a. den
Einstellungsbescheid über Leis-tungen nach dem SGB XII aus F-Stadt vorlegen.
Zum 21.04.2009 meldete sich die Antragstellerin mit ihrem Sohn in der Wohnung ihrer Eltern in A-Stadt an, zum
01.05.2009 in der Wohnung A-Straße. Am 28.04.2009 stellte ihr die An-tragsgegnerin eine
Mietübernahmebescheinigung für diese Wohnung aus (bis 505 Euro Kalt-miete plus 100,00 Euro Heizkosten).
Die Antragstellerin legte eine Bescheinigung des Klinikums X. vor, nach der sie wegen ihrer Krankheit eine
Erdgeschosswohnung mit einem Boden, auf dem ambulante physiotherapeuti-sche Maßnahmen möglich sind,
benötige. Im Moment werde sie von ihrem Bruder in die elter-liche Wohnung getragen, die im 5. Stock liege, das sei
nicht weiter zumutbar.
Mit Bescheid vom 25.05.2009 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag auf Übernahme des Deponats und der Beihilfe
für den Bodenbelag ab.
Zum Zeitpunkt der Bedarfsentstehung (Mietvertragsunterzeichnung) habe sich der gewöhnli-che Aufenthalt in F-Stadt
befunden, A-Stadt sei dafür nicht zuständig. Der Bodenbelag sei aus den Regelsätzen zu bezahlen.
Am 26.05.2009 stützte sich die Antragsgegnerin dagegen in einem Schreiben auf das Argu-ment, die Wohnung sei
ohne ihre Zustimmung angemietet worden, der Antrag richte sich nun auf Schuldenübernahme. Ein rechtzeitiger
Antrag am früheren Wohnsitz hätte die dortige Zu-ständigkeit ausgelöst (Bl. 16 GA.).
Am 05.06.2009 wurde der vorliegende Eilantrag gestellt. Die Antragstellerin ergänzt, dass sie in der Wohnung der
Eltern keine Physiotherapie erhalten könne, derer sie dringend bedürfe. Der Mann habe alle Möbel mitgenommen.
Sie beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung unter Aufhebung des Be-scheides vom 25.05.2009 zu
verpflichten, ihr das Deponat für die Wohnung A-Straße in Höhe von 1.101,00 Euro sowie die beantragte Beihilfe für
den Bodenbelag und die Ausstattung mit Möbeln zu bewilligen,
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Ab 01.05.2009 erhalte die Antragstellerin Grundsicherung und ihr Sohn Hilfe zum Lebensun-terhalt sowie insgesamt
605,00 monatlich für die Kosten der Unterkunft. Eine Mietkaution könne nach § 29 SSGB XII nur bei vorheriger
Zustimmung zum Umzug übernommen werden. Daran fehle es, sie könne auch nicht nachgeholt werden. Eine
Ausstattung mit Mobiliar schei-tere daran, dass ein konkreter Bedarf nicht bekannt sei. Es sei nicht dargelegt, warum
aus der früheren Wohnung keine Ausstattung mitgebracht worden sei. Der Vortrag, der Ehemann ha-be alles
mitgenommen, genüge nicht, insbesondere nicht hinsichtlich der Möbel, die das Kind benötige. Es sei auch nicht
vorgetragen, welche zivilrechtlichen Schritte die Antragstellerin unternommen habe, um die Möbel anteilig zu
bekommen. Es handele sich nicht um eine Erst-ausstattung. Die Mietübernahmebescheinigung stelle keine
Zustimmung zu der Anmietung dieser Wohnung dar, sondern zeige nur die Höhe der Miete, die Rahmen der
Freizügigkeit übernommen werden könne.
Dem Gericht haben die einschlägigen Behördenakten vorgelegen.
II. Das Gericht kann auf Antrag nach § 86b Abs. 2 SGG eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den
Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die
Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder we-sentlich erschwert werden könnte (Satz 1); es kann
eine einstweilige Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges
Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint
(Satz 2). Neben dem Anordnungsgrund (Eilbedürftigkeit), setzt die Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz einen
Anordnungsanspruch (Leistungsanspruch) voraus.
Die Voraussetzungen für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung gemäß § 86 b Abs. 2 S. 2
Sozialgerichtsgesetz (SGG), liegen vor.
Die Antragstellerin hat sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
Rechtsgrundlage für den Anspruch auf die Übernahme des Deponats ist § 29 Abs. 1 S. 7 und 8. Es handelt sich um
einen notwendigen Umzug, die Antragstellerin war wegen familiärer Hilfe angesichts ihrer Krankheit, der nötigen
Kinderbetreuung und ihrer Schwangerschaft darauf angewiesen. Es ist zudem ihr Wunsch- und Wahlrecht (§ 9 Abs. 2
SGB XII) zu berücksichti-gen. Das hat die Antragsgegnerin mit der Erwähnung des Freizügigkeitsgrundrechts auch
getan. Bei einem notwendigen Umzug soll die Zustimmung vom Sozialhilfeträger erteilt wer-den, d. h., der Anspruch
ist in der Regel gegeben. Der angegriffene Bescheid bezieht sich im Übrigen nicht darauf, sondern auf den fehlenden
gewöhnlichen Wohnsitz in A-Stadt und die damit fehlende örtliche Zuständigkeit der Antragsgegnerin. Das trifft nach
dem Sachverhalt nicht zu.
Für die Übernahme der Mietkaution - als Darlehen - ist die vorherige Zustimmung des Sozial-hilfeträgers nicht
Voraussetzung, zuständig ist der Träger am Zuzugsort (Grube/Wahrendorf, Komm. zu SGB XII Rnrn. 42, 43 und 53
zu § 29 m.N ... Anders bei Umzugskosten, die hier nicht streitig sind).
Danach hat die Antragstellerin bzw. ihre Bedarfsgemeinschaft einen Anspruch auf Bewilligung der Kaution als
Darlehen, das nicht mit der laufenden Hilfe verrechnet werden darf (Gru-be/Wahrendorf, a. a. O.). Einen
weitergehenden (Zuschuss-) Anspruch hat sie nicht, insoweit war der Antrag abzulehnen. Die Antragsgegnerin kann
sich ihren Rückzahlungsanspruch ab-treten lassen.
Nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII hat die Antragstellerin auch einen Anspruch auf die begehrte Erstausstattung der
Wohnung glaubhaft gemacht. Das bestreitet die Antragsgegnerin auch nicht grundsätzlich. Sie " kommt immer dann in
Betracht, wenn die nachfragende Person aus welchen Gründen auch immer( ) über keine entsprechenden
Gegenstände verfügt ( ). Dies kann etwa gegeben sein nach einem Wohnungsbrand, nach einer Partnerschaftstren-
nung.(Grube/Wahrendorf, Rn. 6 zu § 31 SGB XII). Die Besonderheiten des Einzelfalles sind zu berücksichtigen. Diese
bestehen hier darin, dass die Antragstellerin zu 80% schwerbehin-dert mit einem kleinen Sohn nach Trennung vom
Ehemann zu ihrer Familie nach A-Stadt zog. Es ist ihr in der Lage nicht vorzuhalten, dass sie nicht mit dem Ehemann
direkt oder gerichtlich eine Aufteilung der Möbel erstritten hat, sondern ohne Umzugsgut (sie kann nicht einmal al-lein
Treppen steigen) nach A-Stadt zu ihren Eltern ging.
Die Rechte der Antragstellerin sind nicht anders zu wahren, als durch eine weitgehende Vor-wegnahme der
Hauptsache. Die Antragsgegnerin ist dadurch geschützt, dass die Bewilligung unter dem Vorbehalt der Rückforderung
erfolgt.
Rechtsgrundlage für die begehrte Bewilligung eines Bodenbelags ist ebenfalls § 29 SGB XII. Eine erforderliche
Einzugsrenovierung kann unter besondern Umständen einen notwendigen Bedarf darstellen (Grube/Wahrendorf, a. a.
O., Rnr. 57 zu § 29 SGB XII m. N.), auch dann, wenn sie nicht eine "Schönheitsreparatur" im mietvertragsrechtlichen
Sinne ist. Mehr als den Bodenbelag verlangt die Antragstellerin nicht. Hier ergibt sich aus dem Besichtigungsprotokoll
der "G. Wohnungsbaugesellschaft" vom 4.5.2009 (Bl. 9 GA), dass der vorhandeneBodenbe-lag erhebliche
Gebrauchsspuren aufweist. Angesichts der nachgewiesenen Lungenkrankheit der Antragstellerin ist damit glaubhaft
gemacht, dass sie diese Teilrenovierung benötigt, um - wie z. B. auch Allergiker - ohne zusätzliche Atemnot dort
leben und Physiotherapie erhalten zu können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.