Urteil des SozG Bremen vom 09.06.2009

SozG Bremen: darlehen, hauptsache, auflage, erlass, miete, sanktion, ermessensausübung, unterdeckung, währung, gerichtsakte

Sozialgericht Bremen
Beschluss vom 09.06.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Bremen S 23 AS 937/09 ER
Die Antragsgegnerin wird im Wege des einstweiligen Rechts-schutzes verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig und
unter dem Vorbehalt der Rückforderung 503,32 Euro zu gewähren. Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen
außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin.
Gründe:
I. Die Antragstellerin streitet mit der Antragsgegnerin um die Gewährung eines Darlehens zur Überbrückung der Zeit
bis zur Auszahlung des Arbeitslosengeldes (I) am Monatsende.
Die 1963 geborene Antragstellerin verlor zum 28. Februar 2009 ihren Arbeitsplatz bei einer Zeitarbeitsfirma. Mit
Bescheid vom 4. Mai 2009 bewilligte die Bundesagentur für Arbeit der Antragstellerin für die Zeit vom 1. März 2009
bis zum 11. Oktober 2009 Arbeitslosengeld (I) in Höhe von (19,32 Euro kalendertäglich mal 30 Kalendertage gleich)
579,60 Euro monatlich. Seit dem 2. März 2009 erhält die Antragstellerin laufend ergänzende Leistungen nach dem
SGB II von der Antragsgegnerin. Am 30. April 2009 fragte die Antragstellerin bei der Antrags-gegnerin an, weshalb
das für Mai 2009 gezahlte Arbeitslosengeld (I) auf das Arbeitslosen-geld II für Mai 2009 angerechnet werde, obwohl es
– das Arbeitslosengeld (I) - erst Ende des Monats zufließe (Bl. 66). Zur Begründung ihres Antrages erklärte sie in
einem Schreiben vom 4. Mai 2009 sinngemäß, wegen des unterschiedlichen Auszahlungszeitpunktes für
Arbeitslosengeld (I) – am Monatsende - bzw. Arbeitslosengeld II – am Monatsanfang – fehlte ihr in der Zwischenzeit
jeweils ein Barbetrag in Höhe von ca. 100,00 Euro. Außerdem könne sie wegen des ausstehenden Arbeitslosengeldes
(I) auch ihre Miete nicht zahlen und sich auch keine Fahrscheine für den Besuch von Vorstellungsgesprächen kaufen.
Sie bitte daher um die Gewährung eines Darlehens gem. § 23 Abs. 4 SGB II von 503,32 Euro. Über den Antrag ist
bisher nach Aktenlage nicht entschieden.
Am 19. Mai 2009 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht den Erlass einer einstweiligen An-ordnung beantragt, mit
der die Antragsgegnerin verpflichtet werden soll, ihr ein in monatlichen Raten zurückzuzahlendes Darlehen zu
gewähren. Ergänzend hat sie erklärt, sie könne sie wegen eines laufenden Verbraucherinsolvenzverfahrens Bank-
oder Privatdarlehen nicht be-antragen. Die Antragsgegnerin habe auf das Schreiben vom 4. Mai 2009 überhaupt nicht
rea-giert, so dass Eilrechtsschutz erforderlich sei.
Die Antragsgegnerin hat auf das Fax des Gerichts vom 19. Mai 2009 erst nach wiederholten Mahnungen vom 28. Mai
und vom 5. Juni 2009 sowie auf einen Anruf des Vorsitzenden beim zuständigen Sachbearbeiter ebenfalls am 5. Juni
20009 reagiert. Sie hat erklärt, es läge kein Anordnungsgrund vor. Zur Begründung hat sie vorgetragen, es fehle an
einer drohenden Wohnungslosigkeit, weil die Antragstellerin die Miete inzwischen gezahlt habe. Im Übrigen hat sie
sich auf einen Aktenvermerk vom 15. Mai 2009 berufen. Nach diesem Aktenvermerk sind der Antragstellerin alle
bisher für den laufenden Bewilligungszeitraum bewilligten Leistungen auch ausgezahlt worden. Eine
Darlehensgewährung sei nicht möglich, zumal der Leistungs-bescheid der Agentur für Arbeit der Antragstellerin
Leistungen zuspreche und ihr - der Antrag-stellerin - die unterschiedlichen Zahlungsmodalitäten bekannt hätten sein
müssen. Die An-tragstellerin hätte sich das ihr zustehende Geld entsprechend einteilen müssen. Ihr seien Le-
bensmittelgutscheine für die Tafel angeboten worden. Diese habe die Antragstellerin abge-lehnt.
Bezüglich der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und auf die Verwaltungsakte verwiesen.
II.
Der gem. § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Antrag auf Erlass einer einstwei-ligen Anordnung ist
zulässig und begründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige
Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn
eine solche Regelung zur Abwendung we-sentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Die Gewährung
einstweiligen Rechtsschutzes setzt einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund voraus (vgl. Meyer-
Ladewig, SGG, 7. Auflage 2002, § 86b Rn. 27, 29). Ein materieller Anspruch ist im einstweiligen
Rechtsschutzverfahren nur einer summarischen Überprüfung zu unterziehen; hierbei muss der Antragsteller glaubhaft
machen, dass ihm aus dem Rechtsverhältnis ein Recht zusteht, für das wesentliche Gefahren drohen (Meyer-
Ladewig, aaO, Rn. 29, 36). Der Anordnungsgrund setzt Eilbedürftigkeit voraus, dass heißt, es müssen erhebliche
belastende Auswirkungen des Verwaltungshandelns schlüssig dargelegt und glaubhaft gemacht werden. Dabei muss
die Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheinen, § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG. Dies bedeutet
zugleich, dass nicht alle Nachteile zur Geltendmachung vorläufigen Rechtsschutzes berechtigen. Bestimmte
Nachteile müssen hingenommen werden (Binder in Hk-SGG, 2003, § 86 b Rn. 33). Es kommt damit darauf an, ob ein
Abwarten bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache hingenommen werden kann. Ob dies der Fall ist, be-misst sich
an den Interessen der Antragssteller und der öffentlichen sowie gegebenenfalls weiterer beteiligter Dritter. Dabei
reichen auch wirtschaftliche Interessen aus (vgl. Binder, a.a.O.).
1. Den Antragstellern steht gem. § 23 Abs. 4 SGB II ein Anordnungsanspruch auf Gewährung eines Darlehens in der
begehrten Höhe (503,32 Euro) zu. Diese Vorschrift besagt, dass Leis-tungen zur Sicherung des Lebensunterhalts als
Darlehen erbracht werden können, soweit in dem Monat, für den die Leistungen erbracht werden, voraussichtlich
Einnahmen anfallen. Um-fasst sind auch diejenigen Fälle, in denen Arbeitslosengeld (I) gezahlt wird (Hengelhaupt, in:
Hauck/Haines, SGB II, § 23 Rn. 69).
a) Die Voraussetzungen für die Anwendung der Vorschrift sind gegeben.
aa) Die Antragsstellerin erzielt im laufenden Monat Juni 2009 Einahmen, namentlich Arbeits-losengeld (I).
bb) Der Juni 2009 ist auch ein Monat, in dem Leistungen (nach dem SGB II) gezahlt werden.
b) Insofern ist durch § 23 Abs. 4 SGB II ein Ermessen eröffnet. In die Ermessensausübung sind die Wertungen
einzustellen, die das SGB II vorgibt (Lang/Blüggel, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, § 23 Rn. 120). Das
so eröffnete Ermessen ist durch § 1 Abs. 1 Satz 2 SGB II in der Weise reduziert, dass eine Gewährung des
Darlehens erfolgen soll. Nach dieser Vorschrift dient die Grundsicherung der Sicherung des Lebensunterhalts. Daraus
folgt zugleich, dass immer dann, wenn eine existenzielle Unterdeckung besteht, eine Leistungsge-währung zu erfolgen
hat. Dem steht im Übrigen nicht entgegen, dass die Antragsgegnerin der Antragstellerin nach der Darstellung der
Antragsgegnerin Lebensmittelgutscheine angeboten hat. Auf Lebensmittelgutscheine verweist nämlich – und nur für
den hier nicht vorliegenden Fall einer Sanktion - nur § 31 Abs. 3 Satz 6 SGB II, nicht aber § 23 Abs. 4 SGB II.
c) Dem steht entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin nicht entgegen, dass die An-tragsgegnerin unstreitig die
der Antragstellerin zustehenden Leistungen für den Monat Juni 2009 bereits gewährt hat. Denn gerade diese
Fallkonstellation soll von § 23 Abs. 4 SGB II geregelt werden. In dem Zusammenhang ist die Antragsgegnerin darauf
hinzuweisen, dass die amtliche Überschrift des § 23 SGB II "Abweichende Erbringung von Leistungen" lautet.
d) Der Antragstellerin war damit die von ihr geschätzte Summe von 503,32 Euro zuzuspre-chen, zumal im
Eilverfahren unstreitig war, dass es sich hierbei um den fehlenden Betrag handelte.
2. Der Anordnungsgrund – die Eilbedürftigkeit - ergibt sich aus der finanziell prekären Situati-on der Antragstellerin.
Denn es sind dann, wenn - wie hier - die Gesetzeslage eindeutig ist, keine hohen Anforderungen an die Eilbedürftigkeit
zu stellen. Insofern kommt es nicht darauf an, ob die Mietzahlungen der Antragstellerin erfolgt sind. Entscheidend ist
vielmehr, dass die Leistungen insgesamt nicht ausreichend sind, bis die Zahlung des Arbeitslosengeldes (I) am
Monatsende erfolgt.
3. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.
4. Die Entscheidung ist nicht anfechtbar, § 173 Abs. 3 Nr. 1 SGG. Die Antragstellerin hat voll obsiegt. Für die
Antragsgegnerin wäre im Hauptsacheverfahren der Berufungsschwellenwert von 750,00 Euro nicht erreicht. Die
Antragsgegnerin ist mit 503,32 Euro unterlegen.