Urteil des SozG Bremen vom 20.01.2009

SozG Bremen: darlehen, wohnung, marokko, stadt, pension, glaubhaftmachen, auflage, umwelt, hausrat, wahrscheinlichkeit

Sozialgericht Bremen
Beschluss vom 20.01.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Bremen S 18 AS 84/09 ER
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, dem Antragsteller ein Darlehen in Höhe von 50,00 Euro zu gewähren. Die
außergerichtlichen Kosten des Verfahrens trägt die An-tragsgegnerin.
Gründe:
I. Der Antragsteller ist 1969 geboren und steht derzeit bis Mai 2009 im ALG II Bezug und erhält daneben eine Rente.
Er hat bei der BAgIS Hausverbot. Seine Leistungen nach dem SGB II für Januar 2009 hat er unstreitig erhalten. Am
15.01.2009 bat er die BAgIS um ein Darlehen, da er aktuell völlig mittellos sei. Er wurde auf die Bremer Tafel
verwiesen.
Am 19.01.2009 hat der Antragsteller den vorliegenden Eilantrag gestellt. Er trägt vor: anläss-lich einer Reise zu seiner
Ehefrau nach Marokko, die vom 28.10. bis 4.11.2008 geplant gewe-sen sei, habe er den Rückflug verpasst und ein
sehr viel teureres Ticket beschaffen müssen, er habe erst am 13.1.2009 zurück fliegen können. Er legte ein Zugticket
von Kenitra nach Marrakech/Marokko, gestempelt am 12.1.2009 abends vor. Bei seiner Rückkehr habe der Vermieter
ihm den Zutritt zu seiner Wohnung verweigert, er sei zunächst im Obdachlosenasyl und nun von Seiten der
Wohnungshilfe des Amtes für Soziale Dienste in einer Pension untergebracht und müsse sich eine neue Wohnung
suchen. Er sei total mittellos. Aus der handschriftlichen Begründung ergibt sich, dass es dem Antragsteller um ein
Darlehen von 50,00 Euro geht.
Er beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm für den Monat Januar 2009 weitere
Leistungen wegen akuter Mittellosigkeit auf Darlehensba-sis zu gewähren.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie trägt mit Schriftsatz vom heutigen Tage vor, der Antragsteller habe u.a. ein Flugticket nicht vorgelegt, es sei nicht
glaubhaft gemacht, dass er die gezahlten Leistungen für Januar 2009 für einen Rückflug verbraucht habe. Das
vorgelegte Ticket beziehe sich auf eine Zugreise innerhalb Marokkos. Dem zuständigen Leistungsteam sei von einer
derartigen Reise auch nichts bekannt. Man habe den Antragsteller zu Recht auf die Bremer Tafel verwiesen, damit
werde die Notla-ge ausreichend behoben.
Die Behördenakte wurde aus dem Verfahren S 1 K 702/07 beim VG A-Stadt beigezogen. Daraus ergibt sich, dass der
Antragsteller mit Frau B. verheiratet ist, die in Kenitra/Marokko geboren wurde (Pass Bl. 130, Heiratsurkunde Bl. 151
in Band IV der Leistungsakte).
II. Das Gericht kann auf Antrag nach § 86b Abs. 2 SGG eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den
Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die
Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder we-sentlich erschwert werden könnte (Satz 1); es kann
eine einstweilige Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges
Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint
(Satz 2). Neben dem Anordnungsgrund (Eilbedürftigkeit), setzt die Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz einen
Anordnungsanspruch (Leistungsanspruch) voraus.
Die Voraussetzungen für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung gemäß § 86 b Abs. 2 S. 2
Sozialgerichtsgesetz (SGG), liegen vor. Der Antragsteller hat sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen
Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Er begehrt allein ein Darlehen von 50,00 Euro. Rechtsgrundlage dafür ist § 23
Abs. 1 S. 1 SGB II. Der Antragsteller ist mittellos, das bestreitet auch die Antragsgegnerin nicht. Der geltend ge-
machte Bedarf, den die Regelleistungen umfassen (§ 23 Abs. 1 SGB II) besteht offensichtlich nicht nur in
Lebensmitteln, sondern daneben in Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Bedarfen des täglichen Lebens sowie in
vertretbarem Umfang in Beziehungen zur Umwelt und Teil-nahme am kulturellen Leben, insoweit ist der Wortlaut des §
20 SGB II eindeutig. Der Hinweis auf die Bremer Tafel könnte allein den Nahrungsbedarf decken, nicht jedoch die
übrigen Be-darfe. Dazu muss der Antragsteller aber auch zu den Ausgabestellen in A-Stadt gelangen können. Der
geltend gemachte Bedarf ist auch unabweisbar im Sinne des § 23 Abs. 1 SGB II. Der An-tragsteller ist ohne
Geldmittel. Die Begründung des Antragstellers dafür ist zwar umständlich, sie ist aber nicht unglaubhaft, dafür gibt es
keinen Anhaltspunkt. Glaubhaftmachen bedeutet, die überwiegende Wahrscheinlichkeit darlegen (Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer, Rz. 16 b zu § 86 b SGG). Davon geht das Gericht vorliegend aus. Immerhin hat er die
gestempelte Zug-fahrkarte vom Wohnort seiner Frau nach Marrakech zum Flughafen vorgelegt. Es ist auch plausibel,
dass durch den verpassten Rückflug kurzfristig ein neues Flugticket erforderlich wurde und dass dieses nur gegen
höhere Kosten zu kaufen war, die die SGB II – Leistungen für den laufenden Monat aufgezehrt haben. Zudem muss
der Antragsteller, der derzeit auf Staatskosten in einer Pension untergebracht werden musste, eine angemessene
Wohnung suchen, dazu braucht er die Möglichkeit, jeden-falls an öffentlichen Geräten zu telefonieren und mit
öffentlichen Verkehrsmitteln zu Woh-nungsbesichtigungen zu fahren. Auch dafür ist ein Darlehen von 50,00 Euro, das
die Antrags-gegnerin bis zum Mai 2009 (Ende der aktuellen Leistungsbewilligung) ratenweise einbehalten kann,
nutzbar. Es ist nicht nachvollziehbar, dass der Antragsteller mit der Wohnungssuche hinwarten soll. Auf Verhalten
oder Verschulden stellt § 23 Abs. 1 SGB II nicht ab, sondern allein auf die De-ckung unabweisbarer Bedarfe. Damit
steht in Zusammenhang, dass dem Sozialrecht – bis auf die gesetzlich vorgesehenen Fälle – ein Sanktionscharakter
fremd ist. Selbst § 23 Abs. 2 SGB II hat Hilfecharakter (Eicher/Spellbrink, Komm. zu § 23 SGB II, Rz. 74).
Der Anordnungsgrund (Eilbedürftigkeit) bedarf keiner gesonderten Begründung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 S. 1 SGG analog. Sie entspricht der Billig-keit, weil der Antrag
erfolgreich ist (vgl. Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 193 Rz. 12 a).
Hinweis
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes 750,00 Euro nicht übersteigt und
wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr nicht im Streit sind (§ 172 Abs. 3 Nr. 1 i. V. m. § 144
Abs. 1 SGG).