Urteil des SozG Bremen vom 17.07.2009

SozG Bremen: stadt bremen, unterkunftskosten, niedersachsen, miete, wohnung, konzept, heizung, behörde, leistungsklage, handbuch

Sozialgericht Bremen
Gerichtsbescheid vom 17.07.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Bremen S 26 AS 8/09
Der Bescheid der Beklagten vom 11.07.2008 und der Wider-spruchsbescheid vom 17.12.2008 werden aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, die Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu über ihren
Überprüfungs-antrag vom 02.07.2008 zu bescheiden. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die außergerichtlichen
Kosten der Kläger hat die Beklagte zu ¾ zu erstatten.
Tatbestand:
Die Kläger beanspruchen höhere Kosten der Unterkunft. Die Klägerin zu 1) und ihre 1996 geborene Tochter erhalten
von der Beklagten laufende Leistungen zur Sicherung des Le-bensunterhaltes nach dem Zweiten Buch
Sozialgesetzbuch (SGB II).
Zum 01.04.2008 schloss die Klägerin zu 1) einen Mietvertrag über eine 64 qm große Woh-nung mit zwei Zimmern in
der R.- Straße im Bremer Stadtteil H. (Ortsteil L.) ab. Die Brutto-warmmiete beträgt 500,00 Euro.
Mit Bescheid vom 20.05.2008 bewilligte die Beklagte den Klägern für den Zeitraum 01.06.2008 bis 30.11.2008 Kosten
für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich lediglich 374,49 Euro.
Mit Schreiben vom 02.07.2008 bat die Klägerin zu 1) um eine Überprüfung des Bewilligungs-bescheides vom
20.05.2008. Die anerkannte Miete liege weit unter den tatsächlichen Kosten und unter der als angemessen
anzusehenden Miete.
Mit - dem hier streitgegenständlichen - Bescheid vom 11.07.2008 lehnte die Beklagte eine Änderung des Bescheides
vom 20.05.2008 ab. Eine Überprüfung nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) habe ergeben, dass der
Bescheid nicht zu beanstanden sei. Die Kläger seien ohne Zustimmung in die neue Wohnung gezogen. Es könnte
lediglich eine Kalt-miete in Höhe von 360,00 Euro angesetzt werden. Nach Auskunft des Vermieters seien für Heiz-
und Kaltwasserkosten 50,00 Euro zu zahlen. Die Beklagte gehe davon aus, dass davon jeweils 25,00 Euro für
Heizkosten und 25,00 Euro für die Kaltwasserkosten vorgesehen seien. Abzuziehen seien daneben noch Kosten der
Wassererwärmung (10,51 Euro), so dass insge-samt nur 374,49 Euro übernommen werden könnten (360,00 Euro
maximale Bruttokaltmiete zuzüglich 25,00 Euro Heizkosten abzüglich 10,51 Euro Warmwasserpauschale).
Mit Schreiben vom 14.08.2008 legten die inzwischen anwaltlich vertretenen Kläger Wider-spruch gegen den Bescheid
der Beklagten vom 11.07.2008 ein. Der Bescheid gehe von einer zu geringen übernahmefähigen Kaltmiete aus. Im
Übrigen hätten die Kläger Heizkosten in Höhe von 54,00 Euro zu zahlen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 17.12.2008 wies die Beklagte den Widerspruch der Kläger als unbegründet zurück.
Nach den vorgelegten Unterlagen sei davon auszugehen, dass die Brut-tokaltmiete 475,00 Euro betrage. Nach den
seit dem 01.11.2007 geltenden Mietobergrenzen in der Stadtgemeinde Bremen seien aber nur 360,00 Euro
angemessen.
Am 05.01.2009 haben die Kläger Klage erhoben.
Sie beantragen,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11.07.2008 in der Form des Widerspruchsbescheides vom
17.12.2008 zu verurteilen, an sie ab dem 01.04.2008 Unterkunftskosten in Höhe von 462,00 Euro zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Soweit Leistungen vor dem 01.06.2008 beantragt worden seien, könne die Klage schon des-halb keinen Erfolg haben,
weil der zur Überprüfung gestellte Bewilligungsbescheid nur den Zeitraum 01.06.2008 bis 30.11.2008 umfasst habe.
Im Übrigen sei die Höhe der anzuerken-nenden Kosten der Unterkunft nicht zu beanstanden. Sie entspreche der
seinerzeit geltenden Verwaltungsanweisung.
Mit Schreiben vom 29.05.2009 hat die Kammer die Beteiligten darauf hingewiesen, dass be-absichtigt sei, das
Verfahren zum Anlass zu nehmen, die Frage der angemessenen Unter-kunftskosten in der Stadtgemeinde Bremen
grundsätzlich zu klären. Gegenwärtig sei aller-dings nicht klar, auf welcher empirischen Grundlage die Beklagte ihre
Mietobergrenzen fest-gelegt habe. Das von ihr eingeholte Gewos-Gutachten ("Preisgünstiger Wohnraum in Bremen
2006/07 - Analyse für die Stadt Bremen") stelle jedenfalls keine taugliche Grundlage zur Be-wertung des regionalen
Wohnungsmarktes dar. Unter Fristsetzung bis zum 26.06.2009 ist die Beklagte um Mitteilung gebeten worden, ob sie
die angefochtenen Bescheide von sich aus aufhebt und neu in die Ermittlungen eintritt.
Eine Reaktion der Beklagten erfolgte nicht.
Das Gericht hat die Verfahrensbeteiligten mit Schreiben vom 01.07.2009 darauf hingewiesen, dass es erwäge, über
die Klage ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid zu ent-scheiden. Zugleich ist die Beklagte daran
erinnert worden, die gerichtliche Anfrage vom 29.05.2009 zu beantworten. Eine Reaktion durch die Beklagte ist bis
heute nicht erfolgt.
Das Gericht hat die Leistungsakte der Beklagten am 26.01.2009 beigezogen (vgl. Bl. 21 - Rückseite - der
Gerichtsakte).
Entscheidungsgründe:
Über die Klage kann gemäß § 105 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung
entschieden werden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsäch-licher oder rechtlicher Art aufweist und
der entscheidungserhebliche Sachverhalt geklärt ist. Soweit in der Kommentarliteratur bisweilen bezweifelt wird, ob
eine Entscheidung nach § 131 Abs. 5 SGG durch Gerichtsbescheid erfolgen könne, weil die Entscheidung besondere
Schwierigkeiten tatsächlicher Art aufweise (so Keller in Meyer-Ladewig, SGG, Komm., 9. Aufl. 2008, Rdnr. 19b zu §
131) teilt das Gericht diese Bedenken nicht. Schwierig ist nicht die Ent-scheidung nach § 131 Abs. 5 SGG, sondern
schwierig sind die Ermittlungen, zu denen sich das Gericht nicht in der Lage sieht und die die Behörde im
Verwaltungsverfahren versäumt hat. Die Erkenntnis, dass die weiteren Ermittlungen erheblich sind, liegt dagegen auf
der Hand und rechtfertigt ein Urteil in voller Kammerbesetzung nicht.
Die Voraussetzungen einer Zurückverweisung an die Beklagte nach § 131 Abs. 5 SGG liegen vor. Hält das Gericht
eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt
und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich
sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Diese Möglichkeit
besteht auch bei kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklagen nach § 54 Abs. 4 SGG, wo-bei das Gericht in einem
solchen Fall im Urteil die Verpflichtung auszusprechen hat, dass der Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung
des Gerichts neu zu bescheiden ist. Eine Zu-rückverweisung an die Verwaltung kann nur binnen sechs Monaten seit
Eingang der Akten der Behörde bei Gericht eingehen, weshalb der Akteneingang - wie hier geschehen (26.01.2009) -
aktenkundig zu machen ist.
Es handelt sich bei der Klage um eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 4 SGG. Dem
steht nicht entgegen, dass Gegenstand des Verfahrens ein Überprü-fungsantrag nach § 44 SGB X ist. Denn auch in
einem solchen Fall kann unmittelbar auf Leis-tung geklagt werden (vgl. Krasney/Udsching, Handbuch des
sozialgerichtlichen Verfahrens, 5. Aufl. 2008, S. 163). Von einer Aufhebung auch des ursprünglichen
Bewilligungsbescheides hat das Gericht allerdings zu diesem Zeitpunkt abgesehen, weil ohnehin eine Neubeschei-
dung zu erfolgen hat.
Das Gericht hält eine weitere Sachaufklärung für erforderlich. Die Beteiligten streiten über die angemessene Höhe der
Kosten der Unterkunft. Zwar hat die Beklagte zu Recht darauf hinge-wiesen, dass die Kläger mit ihrer Klage keine
höheren Leistungen für den Zeitraum 01.04.2008 bis 31.05.2008 beanspruchen können. Denn dieser Zeitraum ist nicht
Gegenstand des Bewilligungsbescheides vom 20.05.2008, der alleine Gegenstand des Überprüfungsan-trages vom
02.07.2008 war. Soweit allerdings Leistungen für den Zeitraum 01.06.2008 bis 30.11.2008 im Streit stehen, bedarf es
weiterer Ermittlungen.
Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen
Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Die Angemessenheit des Mietpreises ist unter
Berücksichtigung der örtlichen Besonderheiten konkret zu ermitteln (so bereits BSG, Urt. v. 07.11.2006, SozR 4-4200
§ 22 Nr 3, RdNr 17). Dabei muss der Grundsicherungsträger zur Feststellung der Beschaffenheit des örtlichen
Mietwohnungsmark-tes nicht zwingend auf einen qualifizierten oder einfachen Mietspiegel im Sinne der §§ 558c und
558d BGB abstellen, der in der Stadtgemeinde Bremen ohnehin nicht besteht. Die vom Grundsicherungsträger
gewählte Datengrundlage muss lediglich auf einem schlüssigen Kon-zept beruhen, das eine hinreichende Gewähr
dafür bietet, die aktuellen Verhältnisse des örtli-chen Mietwohnungsmarktes wiederzugeben (BSG, Urt. v. 16.08.2006 -
B 14/7b AS 44/06 R -).
Ob die von der Beklagten zugrunde gelegten Mietobergrenzen auf einer solchen Datengrund-lage festgesetzt wurden,
ist dem Gericht nicht bekannt. Die Beklagte hat sich zu dieser Frage trotz gerichtlicher Aufforderung nicht geäußert.
In ihrer Fachlichen Info SGB II Nr. 7/2009 vom 06.07.2009 heißt es nunmehr, es sei "ein neues
Wohnungsmarktgutachten erforderlich." Dem entnimmt das Gericht, dass eine hinreichend belastbare Datengrundlage
derzeit nicht besteht.
Deshalb weist das Gericht nur am Rande darauf hin, dass die von der Stadt Bremen eingehol-ten beiden Gewos-
Gutachten keine hinreichende Datengrundlage wären. Die Beklagte ist zuletzt durch Urteil des
Oberverwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen vom 04.02.2009 darauf hingewiesen worden, dass mit den
Gewos-Gutachten kein schlüssiges Konzept zur Wiedergabe des örtlichen Mietwohnmarktes vorgelegt wurde (OVG
Bremen, Urt. v. 04.02.2009 - S2 A 317/06 -; zweifelnd nunmehr auch LSG Niedersachsen-Bremen, Beschl. v.
04.05.2009 - L 7 AS 133/09 B ER -; kritisch schon VG Bremen, Urt. v. 28.09.2007 - S7 K 3144/06 - sowie ausführlich
SG Bremen, Beschl. v. 22.01.2009 - S 21 AS 1/09 ER -). Erforder-lich für die verlässliche Feststellung angemessener
Aufwendungen im Sinn des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II wären Angaben zu den Mieten, zu denen eine freie Wohnung
mit einfachen Wohnverhältnissen zum jeweiligen Zeitpunkt in Bremen zu beschaffen wäre. Dies aber lässt sich dem
Gewos-Gutachten gerade nicht entnehmen (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschl. v. 04.05.2009 - L 7 AS 133/09 B
ER -).
Die noch erforderlichen Ermittlungen sind von ihrer Art und ihrem Umfang erheblich und die Aufhebung ist auch unter
Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich.
Die Auswertung des örtlichen Mietwohnungsmarktes kann das Gericht nicht leisten. Es ist Aufgabe des
Grundsicherungsträgers, insoweit ein schlüssiges Konzept vorzulegen (vgl. BSG, Urt. v. 16.08.2006 - B 14/7b AS
44/06 R -), dass sodann der gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Daran fehlt es bisher.
Den Klägern ist ein Abwarten der zu erfolgenden Neubescheidung zuzumuten. Gegenstand des Verfahrens ist ein
abgeschlossener Zeitraum in der Vergangenheit. Der Ausgang des Rechtsstreits wird zwar auch Auswirkungen auf die
laufend von der Beklagten zu überneh-menden Unterkunftskosten haben. Insoweit erhalten die Kläger aber, zuletzt
durch Beschluss der Kammer vom 22.06.2009 (S 26 AS 1094/09 ER), vorläufig höhere Kosten der Unterkunft, wobei
entsprechend der Rechtsprechung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen (Beschl. v. 04.05.2009 - L 7 AS
133/09 B ER -) die Werte zu § 12 WoGG zugrunde gelegt wurden. Sollte die Beklagte bis zu einer Neubescheidung
die Gewährung höherer Leistungen ablehnen, haben die Kläger wiederum die Möglichkeit, einstweiligen Rechtsschutz
zu bean-tragen. Da inzwischen die Nebenkostenabrechnung für das Jahr 2008 vorliegen dürfte, könn-ten in diesem
Rahmen die nach wie vor bestehenden Unklarheiten bei der Höhe der Heizkos-ten geklärt werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Obwohl die Klage teilweise abzuweisen war, weil die Kläger ihr
eigentliches Ziel der Gewährung höherer Unterkunftskosten nicht erreicht haben, hat das Gericht insoweit von einer
Kostenteilung abgesehen. Denn dass der Rechts-streit in der Sache nicht entscheidungsreif war, lag an der
versäumten Ermittlungsarbeit der Beklagten im Vorfeld des Verfahrens. Dann aber hat sie auch die Kosten zu tragen.
Dies gilt allerdings insoweit nicht, als die Kläger für den Zeitraum 01.04.2008 bis 31.05.2008 Leistun-gen
beanspruchen. Denn dies ist - worauf bereits hingewiesen wurde - nicht Gegenstand die-ses Verfahrens.