Urteil des SozG Bremen vom 02.09.2009

SozG Bremen: wohnung, heizung, umzug, unterkunftskosten, stadt, anwendungsbereich, entstehungsgeschichte, wohnraum, erlass, ausnahme

Sozialgericht Bremen
Beschluss vom 02.09.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Bremen S 26 AS 1408/09 ER
I. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anord-nung verpflichtet, dem Antragsteller ab dem 01.08.2009
und bis zu einer bestandskräftigen Entscheidung über den am 06.07.2009 eingelegten Widerspruch, längstens aber
bis zum Ende des laufenden Bewilligungszeitraums (30.11.2009), Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von
monatlich insgesamt 313,52 Euro zu gewähren. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt. Die Leistungen werden
vorläufig erbracht und stehen unter dem Vorbehalt der Rückforderung. Die außergerichtlichen Kosten des
Antragstellers hat die Antragsgegnerin zu erstatten. II. Dem Antragsteller wird für das Antragsverfahren rückwir-kend
Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiord-nung von Rechtsanwalt B. bewilligt.
Gründe:
I. Der Antragsteller begehrt die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Übernahme seiner Un-terkunftskosten in
tatsächlicher Höhe. Er bezieht von der Antragsgegnerin laufende Leistun-gen zur Sicherung des Lebensunterhaltes
nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Nach seinem Zuzug nach A-Stadt bewohnte der alleinstehende Antragsteller in der Zeit vom 08.09.2008 bis zum
31.05.2009 eine möblierte 32 qm große Ein-Zimmer-Wohnung mit Duschbad in der Z-straße. Die Bruttowarmmiete
betrug 250,00 Euro. Darin sollen Strom- und Warmwasserkosten in Höhe von 33,00 Euro enthalten gewesen sein (vgl.
Bl. 59 der Leis-tungsakte). Über eine Küche oder Kochgelegenheit verfügte die Wohnung nicht. Die Antrags-gegnerin
erkannte an Kosten für Unterkunft und Heizung insgesamt 217,00 Euro monatlich an.
Zum 01.06.2009 zog der Antragsteller ohne Zustimmung der Antragsgegnerin in eine 2-Zimmerwohnung in der Y-
Straße. Die Grundmiete beträgt 260,00 Euro. Hinzu kommen Vor-auszahlungen für Betriebskosten in Höhe von 85,00
Euro monatlich sowie Heizkosten, die der Antragsteller direkt an die AUQ. zahlt. Momentan zahlt er insoweit einen
monatlichen Ab-schlag in Höhe von 50,00 Euro inklusive Warmwasserkosten.
Mit Bewilligungsbescheid vom 01.07.2009 bewilligte die Antragsgegnerin Arbeitslosengeld II für den Zeitraum
01.06.2009 bis 30.11.2009 in Höhe von monatlich 604,00 Euro bzw. - nach der Erhöhung der Regelleistung zum
01.07.2009 - von 612,00 Euro. Dabei waren Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 217,00 Euro
berücksichtigt. Eine Begründung für die Deckelung der Kosten für Unterkunft findet sich in dem Bescheid nicht.
Am 06.07.2009 legte der Antragsteller gegen den Bescheid vom 01.07.2009 Widerspruch ein, über den noch nicht
entschieden worden ist. Am 29.07.2009 hat er zudem den vorliegenden Eilantrag gestellt, dem die Antragsgegnerin
entgegen getreten ist.
Das Gericht hat die Leistungsakte der Antragsgegnerin beigezogen.
II. Der nach § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG- statthafte Antrag auf Erlass einer einst-weiligen Anordnung ist
teilweise begründet.
Voraussetzung für den Erlass der begehrten Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG ist neben einer
besonderen Eilbedürftigkeit der Regelung (Anordnungsgrund) ein An-spruch des Antragstellers auf die begehrte
Regelung (Anordnungsanspruch). Anordnungs-grund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs.
2 Satz 3 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung -ZPO-).
Der Antragsteller konnte einen Anspruch auf Übernahme einer Bruttokaltmiete in Höhe von 270,00 Euro zuzüglich
Heizkosten glaubhaft machen. Der Anspruch folgt aus § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Danach werden Leistungen für
Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind.
Heizkostenvorauszahlungen in Höhe von 43,52 Euro sind nach dem gegenwärtigen Erkennt-nisstand angemessen.
Die von dem Antragsteller gemäß § 20 Abs. 1 SGB II aus der Regel-leistung zu finanzierenden Warmwasserkosten
hat das Gericht entsprechend der Rechtspre-chung des Bundessozialgerichts pauschal mit 6,48 Euro angesetzt
(BSG, Urt. v. 27.2.2008 - B 14/11b AS 15/07 R -; BSG, Urt. v. 19.02.2009 - B 4 AS 48/08 R -). Angemessen ist
daneben für Alleinstehende in der Stadt A-Stadt eine Bruttokaltmiete von 270,00 Euro. Dies entspricht der bisherigen
verwaltungs- und sozialgerichtlichen Rechtsprechung, auf die der Antragsteller bereits hingewiesen worden ist (vgl.
nur VG Bremen, Beschl. v. 20.06.2007 - S7 V 1407/07 -; best. d. OVG Bremen, Beschl. v. 30.07.2007 - S1 B 251/07
- sowie neuerdings - zur nunmehr gültigen Mietobergrenze von 270,00 Euro für 1-Personen-Haushalte - SG Bremen,
Beschl. v. 11.03.2009 - S 23 AS 417/09 ER -).
Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin scheidet eine Deckelung der Unterkunftskosten auf das Niveau der alten
Wohnung nach § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II aus. Nach dieser Vor-schrift werden die Leistungen weiterhin nur in Höhe
der bis dahin zu tragenden angemesse-nen Aufwendungen erbracht, wenn sich nach einem nicht erforderlichen
Umzug die ange-messenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung erhöhen.
Es kann an dieser Stelle dahinstehen, ob der Umzug des Antragstellers tatsächlich nicht er-forderlich war. Eine
angemessene Unterkunft setzt üblicherweise zumindest die Möglichkeit voraus, sich selber zu versorgen. Daran
fehlte es bei der zuvor von dem Antragsteller be-wohnten Wohnung, die über keine Küche oder anderweitige
Kochgelegenheit verfügte.
Darauf kommt es aber nicht an, weil § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II weder nach seinem Wortlaut, noch nach seinem Sinn
und Zweck auf den vorliegenden Fall Anwendung findet.
Die Kammer hat bereits in ihrem gerichtlichen Vergleichsvorschlag vom 11.08.2009 auf Fol-gendes hingewiesen:
"Die Antragsgegnerin beruft sich bei ihrer Deckelung der Leistungen für Unterkunft und Heizung auf das Niveau der
alten Wohnung auf § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II. Diese Vor-schrift dürfte von vornherein nicht anwendbar sein. Sie setzt
voraus, dass sich nach ei-nem nicht erforderlichen Umzug "die angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und
Heizung" erhöhen. Die Aufwendungen für die neue Wohnung sind aber nicht mehr ange-messen. Die Wohnung ist zu
teuer. Darauf weist die Antragsgegnerin in ihrer Erwiderung zu Recht hin. Dieses Ergebnis mag für die Beteiligten
überraschend sein. Es ist aber zwingend und erklärt sich vor dem Hintergrund des eigentlichen Zwecks der Regelung.
In der Gesetzesbegründung heißt es zu der mit dem Fortentwicklungsgesetz vom 20.07.2006 (BGBl. I. S. 1706)
eingefügten und später hier nicht entscheidend geänderten Regelung (BT-Drucks. 16/1410, S. 23):
"Mit der Regelung werden die Kosten der Unterkunft und Heizung in den Fällen auf die bisheri-gen angemessenen
Unterkunftskosten begrenzt, in denen Hilfebedürftige unter Ausschöpfung der durch den kommunalen Träger
festgelegten Angemessenheitsgrenzen für Wohnraum in ei-ne Wohnung mit höheren, gerade noch angemessenen
Kosten ziehen. Diese Begrenzung gilt insbesondere nicht, wenn der Wohnungswechsel zur Eingliederung in Arbeit
oder aus gesund-heitlichen oder sozialen Gründen erforderlich ist."
Verhindert werden sollen also Umzüge zur Ausschöpfung der Mietobergrenzen. Damit ist der Anwendungsbereich der
Vorschrift stark eingeschränkt. Zwar ist nicht zu verkennen, dass derjenige Leistungsempfänger unter Umständen
besser steht, der eine gerade schon unangemessene Wohnung bezieht. Dass die Vorschrift offensichtlich sinnwidrig
ist und entgegen ihrem Wortlaut auszulegen ist, überzeugt aber zum einen vor dem Hinter-grund des klar geäußerten
Willens des Gesetzgebers nicht. Zum anderen wird durch den eingeschränkten Anwendungsbereich verhindert, dass
durch einen Umzug die Differenz zwischen tatsächlichen und anerkannten Kosten der Unterkunft zu groß wird, was
an-sonsten schnell zu einer Überschuldungssituation mit den entsprechenden sozialen Fol-gen führen könnte."
An dieser Auffassung hält die Kammer fest. Dies entspricht im Übrigen auch der Rechtspre-chung des
Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen. Der 13. Senat des Landessozialge-richts hat bereits mit Beschluss
vom 09.08.2007 entschieden (L 13 AS 121/07 ER):
"Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin sind die Kosten für Unterkunft und Hei-zung im vorliegenden Falle
auch nicht aufgrund der Regelung des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II (in der ab 1. August 2006 geltenden Fassung des
Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20. Juli 2006, BGBl. I S. 1706 ff.) auf
339,25 EUR monatlich und damit auf die Höhe der Unterkunftskosten für die bisherige Wohnung der Antragstellerinnen
zu begrenzen. Hierzu wird in vollem Umfang auf die zutreffenden Ausführungen des SG Aurich im angegriffenen
Beschluss Bezug genommen (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG), das ausführlich und überzeugend dargelegt hat, dass sich
die genannte Neuregelung nach Wortlaut, Systematik, Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck lediglich auf
Fälle bezieht, in denen Hilfebedürftige unter Ausschöpfung der jeweiligen konkreten Angemessenheitsgrenzen für
Wohnraum in eine Wohnung mit höheren, gera-de noch angemessenen Kosten umziehen (vgl. zu dieser bisher soweit
ersichtlich in Rechtsprechung und Literatur einhelligen Auslegung ergänzend: LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss
vom 06.06.2007 Az. L 28 B 676/07 AS ER und L 28 B 843/07 AS PKH, zitiert nach Juris; Piepenstock in: jurisPK-
SGB II, 2. Aufl. 2007, § 22 Rn. 69). § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II n.F. ermächtigt dagegen einen Grundsicherungsträger
nicht da-zu, bei einem nicht erforderlichen Umzug in eine unangemessen teure Wohnung wie hier weiterhin nur
Unterkunftskosten in Höhe der Kosten für die bisherige, angemessen teure Wohnung zu übernehmen. Soweit die
Antragsgegnerin der vom SG zutreffend vorge-nommenen Auslegung des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II n.F. eine
Besserstellung derjenigen Hilfebedürftigen entgegen hält, die in eine unangemessen teure Wohnung umgezogen sind,
da sich ihr Bedarf erhöht im Gegensatz zu denjenigen, die unter die Neuregelung fallen und ihre absolut gesehen
geringeren Mehrkosten nicht erstattet erhalten, greift die-se Argumentation zur Überzeugung des Senats nicht durch.
Zum einen ist eine sachwid-rige Ungleichbehandlung, die eine andere, weitere Auslegung der Neuregelung gebieten
würde, nicht zu erkennen. Denn auch der Hilfebedürftige, der in eine unangemessen teu-re Wohnung gezogen ist,
erhält gleichwohl nicht seine vollen Unterkunftskosten ersetzt, sondern nur Kosten bis zur individuell ermittelten
Angemessenheitsgrenze, d.h. auch er hat die darüber hinausgehenden Kosten selbst zu tragen, selbst wenn sich
damit im Ein-zelfall ggf. eine geringere "Zuzahlung" ergeben kann als in den Fällen des Umzugs von einer
angemessenen in eine gerade noch angemessen teure Wohnung. Zum anderen handelt es sich nach Wortlaut,
Systematik und Entstehungsgeschichte der Norm um eine Ausnahmeregelung zum vorstehenden § 22 Abs. 1 Satz 1
SGB II: Es soll auch bei eigent-lich angemessenen Unterkunftskosten im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II eine
Kos-tenübernahme nicht erfolgen, wenn ein nicht erforderlicher Umzug erfolgt ist, um damit die Grenzen noch
angemessener Unterkunftskosten auszuschöpfen. Auch dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis verbietet es aber, die
Neuregelung über ihren Wortlaut hinaus, ent-gegen ihrer systematischen Stellung und entgegen der Absicht des
Gesetzgebers erwei-ternd auf alle Fälle eines nicht erforderlichen Umzuges anzuwenden und die Kosten auf dem
Niveau der bisherigen Unterkunftskosten zu "deckeln". Soweit die Antragsgegnerin schließlich auf eine indirekte
Besserstellung des in eine unangemessen teure Wohnung Umgezogenen hinweist, da im Falle eines erneuten
Umzugs bei der Prüfung der Voraus-setzungen des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II n.F. von einer erhöhten Basis
ausgegangen werden müsse, verkennt sie, dass die Neuregelung bei einem erneuten Umzug dann nicht eingreift.
Denn die Norm setzt wie bereits dargelegt gerade voraus, dass der Hilfe-bedürftige von einer angemessenen in eine
(noch) angemessene, aber teurere Wohnung umzieht; bei einem Auszug aus einer unangemessen teuren Wohnung ist
sie von vorn-herein nicht einschlägig."
Soweit in der Kommentierung teilweise vertreten wird, die Regelung müsse "erst recht" auf einen Umzug in eine nicht
mehr angemessene Wohnung anwendbar sein (so Kalhorn in Hauck/Noftz, SGB II, Komm., Loseblatt, Rdnr. 45 zu §
22) überzeugt dies das Gericht nicht. Mit der geltenden Gesetzeslage ist eine solche Auslegung nicht mehr zu
vereinbaren.
Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG. Vor dem Hintergrund des
Umstandes, dass lediglich Betragsrahmengebühren nach § 14 RVG anfallen, ohnehin Prozesskostenhilfe in voller
Höhe zu bewilligen war (vgl nur LSG Nieder-sachsen-Bremen, Beschl. v. 14.12.2007 - L 13 B 85/07 AS -) und der
Antragsteller sich bereits mit einer vergleichsweisen Beilegung des Rechtsstreits auf der Basis einer Bruttokaltmiete
von 270,00 Euro einverstanden erklärt hatte, hat das Gericht von einer weiteren Kostenteilung abgesehen.
Die Beschränkung der Regelungsanordnung auf den Bewilligungszeitraum entspricht der übli-chen gerichtlichen
Praxis.
HINWEIS
I. Soweit dem Eilantrag stattgegeben wurde, ist dieser Beschluss nicht anfechtbar, weil der Wert des
Beschwerdegegenstandes 750,00 Euro nicht übersteigt und wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein
Jahr nicht im Streit sind (§ 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG in Verbindung mit § 144 Abs. 1 SGG). Die Antragsgegnerin ist nur in
Höhe von 386,08 Euro beschwert (313,52 Euro Euro abzüglich 217,00 Euro mal vier Monate).
II. Soweit Prozesskostenhilfe bewilligt wurde, ist dieser Beschluss für die Beteiligten dieses Verfahrens gemäß § 73a
SGG i. V. m. § 127 Abs. 2 Satz 1 ZPO unanfechtbar.