Urteil des SozG Bremen vom 02.07.2009

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Sozialgericht Bremen
Beschluss vom 02.07.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Bremen S 23 AS 894/09 ER
Die Antragsgegnerin wird im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflich-tet, dem Antragsteller für die
Erstausstattung der Wohnung weitere 70,00 Euro unter dem Vorbehalt der Rückforderung zu gewähren. Im Übrigen
wird der Antrag abgelehnt. Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des An-tragstellers
zu 93 vom Hundert.
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt Leistungen für die Erstausstattung seiner Wohnung.
Der 1962 geborene Antragsteller zog am 10. August 2009 nach langjährigen Haft- und Thera-pieaufenthalten erstmals
wieder in eine eigenes, teilmöbliertes Zimmer. Am 15. März 2009 zog er in eine neue – unmöblierte – Wohnung um.
Mit Schreiben vom 15. April 2009 bean-tragte er bei der Antragsgegnerin die Übernahme von Kosten für die
Erstausstattung der Wohnung. Er verwies zur Begründung darauf, dass er mit Ausnahme eines Bettes nicht über
eigene Einrichtungsgegenstände verfüge. Die Antragsgegnerin lehnte den Antrag mit Be-scheid vom 24. April 2009
ab. Sie verwies darauf, dass der Antragsteller bereits seit dem 10. August 2008 in einer eigenen Wohnung gewohnt
habe. Es handele sich daher bei der im März 2009 bezogenen Wohnung nicht um einen Erstbezug. Mit
Anwaltsschreiben vom 6. Mai 2009 erhob der Antragsteller gegen die Ablehnung Widerspruch, zu dessen Begründung
er darauf verwies, dass er aufgrund der langjährigen Haft und der stationären Therapie keinen Hausstand habe
aufbauen können. Nach dem Ende der Therapie habe er in möblierten Woh-nungen gelebt und daher keine Möbel
anschaffen können. Außer seinem Bett verfüge er über keinerlei Einrichtungsgegenstände.
Der Antragsteller hat das Gericht am 14. Mai 2009 um die Gewährung vorläufigen Rechts-schutzes ersucht. Er macht
geltend, es sei eine Kostenübernahme von 850,00 Euro (zunächst beantragt: 900,00 Euro) erforderlich.
Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller auf den Eilantrag hin mit Schreiben vom 25. Mai 2009 die Bewilligung von
447,20 Euro zugesagt. Mit Bescheid vom 12. Juni 2009 hat die An-tragsgegnerin sodann 626,70 Euro bewilligt. Mit
weiterem Bescheid vom 30. Juni 2009 wur-den weitere 92,00 Euro bewilligt, so dass insgesamt 718,70 Euro bewilligt
worden sind.
Der Antragsteller ist der Auffassung, ihm seien noch ein Spiegelschrank im Bad sowie eine ausreichende
Wohnzimmereinrichtung zu bewilligen. Für die Einrichtung des gesamten Wohnzimmers habe die Antragsgegnerin
lediglich 80,00 Euro bewilligt. Dieser Betrag reiche nicht aus. Zur weiteren Begründung verweist der Antragsteller auf
den Beschluss der 3. Kammer für Sozialgerichtssachen des Verwaltungsgerichts Bremen vom 6. Juni 2008 – S 3 V
1467/08 -.
Hierauf hat die Antragsgegnerin erwidert, der Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 6. Juni 2008 sei vom
Oberverwaltungsgericht Bremen mit Beschluss vom 13. August 2008 – S 2 B 332/08 – aufgehoben worden.
Außerdem komme die Bewilligung eines Badezimmerspiegel-schranks bzw. von Beleuchtung im Badezimmer nicht in
Betracht, da nach dem zwischenzeit-lich am 20. Mai 2009 durchgeführten Hausbesuch im Badezimmer ein
entsprechender Bedarf nicht festgestellt worden sei. Sie verweist auf die in A-Stadt bestehenden Gebrauchtmöbella-
ger und die Kleinanzeigen in der Tagespresse. In den Kleinanzeigen würden Regalschränke bereits ab 10,00 Euro,
Couchtische ab 20,00 Euro und Sessel ab 20,00 Euro angeboten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und auf die Ver-waltungsakte der
Antragsgegnerin Bezug genommen.
II.
Der gem. § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Antrag auf Erlass einer einstwei-ligen Anordnung ist
zulässig und teilweise begründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung auch zur
Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung
zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Die Gewährung einstweiligen
Rechtsschutzes setzt einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund voraus (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 7.
Auflage 2002, § 86b Rn. 27, 29). Ein materieller Anspruch ist im einstweiligen Rechts-schutzverfahren nur einer
summarischen Überprüfung zu unterziehen; hierbei muss der An-tragsteller glaubhaft machen, dass ihm aus dem
Rechtsverhältnis ein Recht zusteht, für das wesentliche Gefahren drohen (Meyer-Ladewig, aaO, Rn. 29, 36). Der
Anordnungsgrund setzt Eilbedürftigkeit voraus, dass heißt, es müssen erhebliche belastende Auswirkungen des Ver-
waltungshandelns schlüssig dargelegt und glaubhaft gemacht werden. Dabei muss die An-ordnung zur Abwendung
wesentlicher Nachteile nötig erscheinen, § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG. Dies bedeutet zugleich, dass nicht alle Nachteile
zur Geltendmachung vorläufigen Rechts-schutzes berechtigen. Bestimmte Nachteile müssen hingenommen werden
(Binder in Hk-SGG, 2003, § 86 b Rn. 33). Es kommt damit darauf an, ob ein Abwarten bis zu einer Ent-scheidung in
der Hauptsache hingenommen werden kann. Ob dies der Fall ist, bemisst sich an den Interessen der Antragssteller
und der öffentlichen sowie gegebenenfalls weiterer betei-ligter Dritter. Dabei reichen auch wirtschaftliche Interessen
aus (vgl. Binder, a.a.O.).
1. Der Anordnungsanspruch ergibt sich daraus, dass nach vorläufiger Prüfung der Sach- und Rechtslage dem
Antragsteller gem. § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II ein Anspruch auf weitere Leistungen für die Erstausstattung für
die Wohnung zusteht.
a) Dass ein Anspruch auf Erstausstattung dem Grunde nach besteht, ist inzwischen unstreitig und braucht daher nicht
näher erläutert zu werden.
b) Die Antragsgegnerin hat den bestehenden Anspruch durch die Bewilligung von 718,70 Eu-ro nicht vollständig erfüllt.
aa) Zwar steht dem Antragsteller für die Ausstattung des Badezimmers nach vorläufiger Prü-fung kein weiterer
Leistungsanspruch zu. Denn ein entsprechender Bedarf ist nicht glaubhaft gemacht. Das Protokoll des am 20. Mai
2009 durchgeführten Hausbesuchs spricht eher dafür, dass über die bereits gewährten Gegenstände im Badezimmer
kein weiterer Ausstattungsbe-darf besteht. Im Übrigen sei darauf hingewiesen, dass es nicht sicher erscheint, dass
ein Spiegelschrank im Badezimmer erforderlich ist. In vielen Wohnungen – auch von Nichtleis-tungsempfängern - sind
Spiegelschränke im Badezimmer nicht vorhanden.
bb) Etwas anderes gilt aber für die Ausstattung des Wohnzimmers. Die nach der Verwal-tungsanweisung zu § 23
Absatz 2 SGB II
(http://www.soziales.bremen.de/sixcms/media.php/13/Verwaltungsanweisung%20zu%20%2023%20Abs.%203%20SGB%20II%20Stand%202009-
02-25.pdf) für die Erstausstattung des Wohnzimmers vorgesehene Pauschale in Höhe von 80,00 Euro
(Einpersonenhaushalt) ist – nach vorläufiger Prüfung - nicht ausreichend. Zwar ist der Leistungsträger grundsätzlich
be-fugt, die Leistung zu pauschalieren. Dies folgt aus § 23 Abs. 3 Satz 5 SGB II. Die Pauschale steht jedoch der
Höhe nach nicht im freien Ermessen des Leistungsträgers. Sie ist vielmehr unter Berücksichtigung des
Bedarfsdeckungsprinzips so zu ermitteln, dass die Pauschalbe-träge ausreichen müssen, um den typischen
tatsächlichen Bedarf zu decken (Hengelhaupt in Hauck/Nofz, § 23 SGB II, Rn. 443). Die Pauschale ist voll gerichtlich
überprüfbar (Hengel-haupt a.a.O., Rn. 441). Orientierungspunkt ist der durchschnittliche Lebensstandard unterer
Einkommenschichten, begrenzt allerdings durch den verfassungsrechtlich verbürgten An-spruch auf das
soziokulturelle Existenzminimum (Hengelhaupt a.a.O., Rn. 443). Der Geldbe-trag muss daher so bemessen sein,
dass die Betroffenen in der Umgebung von Nichthilfe-empfängern ähnlich wie diese leben können (so zur Rechtslage
nach dem Bundessozialhilfe-gesetz Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 12. April 1984, 5 C 95/0 = BVerwGE 69,
146; weitere Nachweise bei Hengelhaupt a.a.O.). Eine Absenkung der Leistungen – und damit auch der Pauschalen -
aus reinen Spargründen ist nicht zulässig (VGH Bayern, Urteil vom 13. August 2002, 12 N 2 1480).
Diesen Anforderungen genügt die von der Verwaltungsanweisung auf 80,00 Euro festgelegte Pauschale für das
Wohnzimmer einer Einzelperson nach vorläufiger Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht. Die Kammer geht davon
aus, dass es nicht möglich ist, mit diesem Betrag ein Wohnzimmer unter Berücksichtigung der genannten Vorgaben
vollständig einzurichten (siehe, zur Pauschale für eine Wohnung für einen Erwachsenen und zwei Kinder: Beschluss
der 3. Kammer für Sozialgerichtssachen des Verwaltungsgerichts Bremen vom 6. Juni 2008 – S 3 V 1467/08 -, a.A. –
aber ohne Begründung -: Oberverwaltungsgericht Bremen mit Be-schluss vom 13. August 2008 – S 2 B 332/08).
Dass es nicht möglich ist, mit dem genannten Betrag neue Wohnzimmermöbel und Haus-haltsgegenstände
anzuschaffen, braucht nicht weiter erörtert zu werden. Die Kammer geht aber auch davon aus, dass es nicht möglich
ist, für den genannten Betrag angemessene ge-brauchte Möbel und Haushaltsgeräte für das Wohnzimmer
anzuschaffen.
In dem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass Zweifel an der Pauschale auch deshalb bestehen, weil diese
lediglich einen Wohnzimmersessel (25,00 Euro), einen Couchtisch (30,00 Euro) und ein Regal (25,00 Euro)
berücksichtigt. Die Kammer ist – jedenfalls im Eilver-fahren – der Auffassung, dass ein Wohnzimmer, das lediglich
mit diesen drei Möbelstücken ausgestattet ist, nicht so ähnlich ausgestattet ist wie bei Nichthilfeempfängern (hierzu
als Kri-tierium nach dem Bundessozialhilfegesetz Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 12. April 1984, 5 C 95/0 =
BVerwGE 69, 146; weitere Nachweise bei Hengelhaupt a.a.O.). Erforderlich dürfte mindestens noch ein Fernseher, ein
Fernsehtisch, ein Sofa sowie Wandschmuck (Bil-der, Poster, etc.) sein.
Der Vorsitzende der Kammer hat bei den von der Antragsgegnerin genannten Gebrauchtmö-bellagern angerufen und
sich nach den Preisen für ein Sofa, ein Regal, einen Fernseher und einen Couchtisch sowie die erforderliche
Anlieferung (der Antragsteller verfügt nicht über ein Auto und kann daher nicht an private Anbieter ohne Lieferung
verwiesen werden) erkundigt. Der einzige Anbieter, der alle Gegenstände liefern konnte (Recycling-Lager/Börse, A-
Stadt), verlangte hierfür insgesamt mindestens 140,00 Euro (Frage nach den jeweils günstigsten Ein-
richtungsgegenständen einschließlich Lieferung). Rechnet man noch die Kosten für einen Fernsehtisch und ein
Mindestmaß an Wandschmuck hinzu, dürften Kosten von mindestens 150,00 Euro zu erwarten sein.
Wie hoch der dem Antragsteller noch zustehende Betrag ist, kann im Eilverfahren nicht ab-schließend entschieden
werden. Die Kammer geht jedoch davon aus, dass dem Antragstel-lern zumindest weitere 70,00 Euro zu gewähren
sind. Mit dem Gesamtbetrag von dann 150,00 Euro dürften nach überschlägiger Rechnung die erforderlichen
Wohnzimmereinrich-tungsgegenstände angeschafft werden können.
2. Die Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) folgt aus den Einkommens- und Vermögensverhält-nissen des
Antragstellers.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in entsprechender Anwendung. Dabei geht die Kammer davon aus,
dass der Antrag des Antragstellers etwa zu 93 vom Hundert erfolg-reich war (850,00 Euro beantragt, 718,70 plus
70,00 Euro gleich 788,70 erhalten).
4. Der Beschluss ist nicht anfechtbar, § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG, weil in der Hauptsache die Berufung nicht zulässig
wäre. Die Antragsgegnerin ist mit einem Betrag von 70,00 Euro und der Antragsteller mit einem Betrag von (718,70
Euro plus 70,00 Euro gleich 788,70 – 850,00 Euro gleich) 61,30 Euro beschwert, der Schwellenwert für eine zulässige
Berufung liegt bei 750,00 Euro, § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG.