Urteil des SozG Bremen vom 06.01.2010

SozG Bremen: behinderung, gesellschaft, niedersachsen, berufungsschrift, gesundheitszustand, begriff, tumor, anhörung, zustellung, rechtsmittelbelehrung

Sozialgericht Bremen
Urteil vom 06.01.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Bremen S 3 SB 195/08
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist der Grad der Behinderung (GdB) des Klägers nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX).
Bei dem 1936 geborenen Kläger war durch Bescheid vom 07. Oktober 2002 ein GdB von 50 unter Berücksichtigung
der folgenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen festgestellt: 1. Operiertes Prostataleiden 07/02 (im Stadium der
Heilungsbewährung) (Einzel-Bewertung des GdB: 50); 2. Bluthochdruck (Einzel-Bewertung des GdB: 10).
Im Juni 2007 leitete die Beklagte von Amts wegen ein Nachuntersuchungsverfahren ein. Nach Auswertung ärztlicher
Berichte nahm der versorgungsärztliche Dienst unter dem 20. Juli 2007 dahingehend Stellung, dass die Position 1)
nunmehr wie folgt zu bezeichnen und zu bewerten sei: "Operiertes Prostataleiden, Harninkontinenz, erektile
Dysfunktion" (Einzel-Bewertung des GdB: 20). Der Gesamt-GdB sei deswegen nur noch mit 20 festzustellen.
Nach Anhörung des Klägers setzte die Beklagte durch Neufeststellungsbescheid vom 06. Mai 2008 den GdB ab 01.
Juni 2008 auf 20 herab und führte zur Begründung aus, dass in den gesundheitlichen Verhältnissen des Klägers eine
wesentliche Änderung eingetreten sei. Die Heilungsbewährungszeit sei positiv verlaufen und deshalb der GdB den
jetzt vorliegenden tatsächlichen Verhältnissen anzupassen.
Im Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, dass tatsächlich keine Veränderung in seinen gesundheitlichen
Verhältnissen eingetreten und deshalb der angefochtene Bescheid aufzuheben sei. Durch Widerspruchsbescheid vom
23. Juli 2008 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.
Dagegen richtet sich die am 18. August 2008 erhobene Klage, mit welcher der Kläger die Aufhebung des
angefochtenen Bescheides begehrt. Zur Begründung hat er vorgetragen, an seiner Beeinträchtigung durch das
operierte Prostataleiden habe sich nichts geändert. Da der Tumor auf die Prostata begrenzt und die Kapsel intakt
gewesen sei, seien alle anderen Organe von Anfang an tumorfrei gewesen. Die Gefahr, dass erneut ein Tumor
auftreten könne, sei jetzt genauso groß wie 2002. Nicht nachvollziehbar sei, wie die Beklagte zu der jetzigen
Bewertung der Position 1) mit einem GdB von 20 gekommen sei, so dass schon deswegen die Beurteilung fehlerhaft
sei.
Das Gericht hat Befundberichte des Prof. Dr. C. vom 26. November 2008, des Internisten Dr. D. vom 22. Dezember
2008 und des Urologen E. vom 29. Januar 2009 eingeholt.
Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,
den Neufeststellungsbescheid vom 06. Mai 2008 i.d.F. des Widerspruchsbescheides vom 23. Juli 2008 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Bescheid für zutreffend und bezieht sich auf eine vorgelegte versorgungsärztliche
Stellungnahme vom 17. Februar 2009.
Die Beteiligten sind auf die Möglichkeit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid gem. § 105 Sozialgerichtsgesetz
(SGG) hingewiesen worden.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf die Prozessakte und die Verwaltungsakten
der Beklagten. Diese Unterlagen haben vorgelegen und waren Grundlage der Entscheidung.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet. Zu Recht hat die Beklagte den GdB bei dem Kläger ab dem 01. Juni
2008 nur noch mit 20 festgestellt. Der angefochtene Bescheid verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten. Das
Gericht konnte über den Rechtsstreit gem. § 105 SGG durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine
besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist.
Im Gesundheitszustand des Klägers ist eine wesentliche Änderung zu erkennen, die es gem. § 48 Sozialgesetzbuch
Zehntes Buch (SGB X) rechtlich gebietet, ihm nur noch einen GdB von 20 zuzuerkennen. Bei einem Vergleich der bei
dem Kläger früher festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen mit dem jetzt vorliegenden Zustand ist eine
maßgebliche Verbesserung festzustellen.
Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) stellen die für die Durchführung des
Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag eines behinderten Menschen das Vorliegen
einer Behinderung und den Grad der Behinderung (GdB) fest. § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX definiert Behinderung als
Abweichung der körperlichen Funktion, der geistigen Fähigkeit oder der seelischen Gesundheit von dem für das
Lebensalter typischen Zustand, die mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate andauert und eine Teilhabe
am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden
als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt (§ 69 Abs. 1 Satz 3 SGB IX). Liegen mehrere Beeinträchtigungen
der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in
ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt (§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX).
Gem. § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX gelten für den GdB die im Rahmen des § 30 Abs. 1 BVG für den Begriff des Grades
der Schädigungsfolge (GdS) festgelegten Maßstäbe entsprechend. Zu beachten ist, dass der Begriff des GdB ebenso
wie der des GdS das Maß der gesundheitlichen Beeinträchtigung bezeichnet und nichts über die Leistungsfähigkeit
am Arbeitsplatz besagt. Eine Feststellung ist allerdings nur zu treffen, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt (§ 69
Abs. 1 Satz 5 SGB IX).
Der GdB ist unter Beachtung der Versorgungsmedizin-Verordnung – VersMedV - vom 10.12.2008 (BGBl. I, 2412), dort
insbesondere der in der Anlage zu § 2 enthaltenen "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" (im Folgenden: VMG), zu
bewerten.
Im Jahre 2002 war bei dem Kläger – seinerzeit in Einklang mit Nr. 26.13 der "Anhaltspunkte für die ärztliche
Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" (AHP), Stand 1996, -
wegen des Prostatakarzinoms ein GdB von 50 anzusetzen und eine Heilungsbewährung von fünf Jahren abzuwarten.
Nach Nr. 18 Abs. 7 AHP wie auch heute nach Nr. A 2 h) VMG handelt es sich bei der Heilungsbewährungszeit um
einen Zeitraum, in dem bei Gesundheitsstörungen, die zu Rezidiven neigen, der Verlauf der Genesung abgewartet
werden muss. Hinzu kommt, dass während dieser Zeit ein höherer GdB-Wert, als er sich aus dem festgestellten
Schaden ergibt, festgestellt wird. Der Grund für die Feststellung eines GdB von 50 nach Diagnose und Entfernung
bzw. Behandlung eines malignen Prostatatumors war und ist vor allem in der psychisch außergewöhnlich belastenden
Situation zu sehen, die für den Erkrankten mit dem Wissen um seine Tumorerkrankung mit Rezidivneigung verbunden
ist. Berücksichtigt werden außerdem ggf. Operationsfolgen und eventuell notwendige postoperative Tumortherapien.
Auch das Bundessozialgericht (Urteil vom 09.08.1995 - 9 RVs 14/94) hat ausgeführt, dass Sinn der
Heilungsbewährung ist, Krebskranken unterschiedslos zunächst den Schwerbehindertenstatus zuzubilligen, um
dadurch körperliche und seelische Auswirkungen der Erkrankung während des weitgehend noch labilen postoperativen
Zustands, der eine unbestimmte Zahl von körperlichen und seelischen Störungen mit sich bringt, umfassend zu
berücksichtigen.
Dieser Heilungsbewährungszeitraum ist bei dem Kläger positiv abgelaufen. Nach den vorliegenden medizinischen
Berichten gibt es weder Anhaltspunkte für ein Rezidiv oder eine Metastasierung noch für eine außergewöhnliche
psychoreaktive Störung. Zu bewerten ist daher nunmehr der verbliebene Organschaden in Gestalt der
Stressinkontinenz Grad I, wie sie sich aus dem Befundbericht des Urologen E. vom 29. Januar 2009 ergibt. Für eine
Stressinkontinenz Grad I kann nach Nr. B 12.2.4 VMG ein GdB von 0 – 10 angesetzt werden, wobei hier angesichts
der immerhin gegebenen Notwendigkeit zum Tragen von Vorlagen ein GdB von 10 angemessen erscheint. Eine
erektile Dysfunktion wird in den vom Gericht eingeholten Befundberichten nicht mehr ausdrücklich erwähnt. Ihr
weiteres Vorliegen kann zwar als typische Operationsfolge unterstellt werden, rechtfertigt aber in Verbindung mit der
Stressinkontinenz immer noch nur ein GdB von 20.
Das leichte Bluthochdruckleiden bedingt einen GdB von 10 (Nr. B 9.3 VMG).
Bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen GdB-Werte nicht
addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet (Teil A Nr. 3 VMG).
Maßgebend sind vielmehr die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter
Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander (VMG a.a.O:). In der Regel ist von der
Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, welche den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle
weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird
(VMG a.a.O.). Dabei erhöht ein Einzel-GdB von 10, der sich nicht besonders nachteilig auf eine schon vorliegende
Behinderung auswirkt, grundsätzlich den Gesamt-GdB nicht; auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem
Einzel-GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung
zu schließen (VMG a.a.O.; BSG vom 13.12.2000 - B 9 V 8/00 R -).
In Anwendung der vorstehenden Maßstäbe ist ein Gesamt-GdB von 20 ausreichend und angemessen, um dem jetzt
vorliegenden Gesundheitszustand des Klägers Rechnung zu tragen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtsmittelbelehrung:
Dieser Gerichtsbescheid kann mit der Berufung angefochten werden.
Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheides beim Landessozialgericht
Niedersachsen-Bremen, Georg-Wilhelm-Straße 1, 29223 Celle oder bei der Zweigstelle des Landessozialgerichts
Niedersachsen-Bremen, Am Wall 198, 28195 Bremen schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten
der Geschäftsstelle einzulegen.
Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Monatsfrist bei dem
Sozialgericht Bremen, Am Wall 198, 28195 Bremen
schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.
Die Berufungsschrift muss innerhalb der Monatsfrist bei einem der vorgenannten Gerichte eingehen. Sie soll den
angefochtenen Gerichtsbescheid bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung der
Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.
Ist der Gerichtsbescheid im Ausland zuzustellen, so gilt anstelle der oben genannten Monatsfrist eine Frist von drei
Monaten.
Der Berufungsschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.