Urteil des SozG Braunschweig vom 17.03.2010

SozG Braunschweig: widerspruchsverfahren, anspruch auf rechtliches gehör, bevollmächtigung, faires verfahren, verwaltungsverfahren, original, vorverfahren, form, klageänderung, vollmachten

Sozialgericht Braunschweig
Urteil vom 17.03.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Braunschweig S 17 AS 3620/09
Der Widerspruchsbescheid vom 3.August 2009 wird insoweit aufgehoben, als darin über die Widersprüche der Klägerin
zu 1., der Klägerin zu 5 und des Klägers zu 6. entschieden wird. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Beklagte
hat 50 % der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 1., der Klägerin zu 5. und der Klägerin zu 6. zu
erstatten. Kosten des Klägers zu 2., der Klägerin zu 3. und der Klägerin zu 4. sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Kläger wenden sich gegen einen als unzulässig abgewiesenen Widerspruch.
Die Klägerin zu 1. ist die Ehefrau des Klägers zu. 2. und die Mutter der volljährigen Klägerin zu 4., der minderjährigen
Klägerin zu 5. sowie des minderjährigen Klägers zu 6 ... Der Kläger zu 2. ist der Vater der volljährigen Klägerin zu 3 ...
Gemeinsame Kinder haben die Klägerin zu 1. und der Kläger zu 2 nicht.
Die Kläger beziehen von der Beklagten Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch - Zweites Buch (SGB II).
Die Kläger führten gegen die Beklagte ein Widerspruchsverfahren gegen die Leistungsbewilligung für den Zeitraum Mai
bis Oktober 2008, in dem sie teilweise obsiegen. Im Widerspruchsverfahren hatte der Prozessbevollmächtigte der
Kläger eine Vollmacht im Original vorgelegt, die die Klägerin zu 1. unterschrieben hatte. Aus der Vollmacht ergab
sich, dass diese auch für ein evtl. Kostenfestsetzungsverfahren gelten soll. Im Widerspruchsbescheid vom
23.12.2008 führte die Beklagte aus, dass die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung bzw. Rechtsverteidigung
notwendigen Aufwendungen erstattet werden, soweit dem Widerspruch abgeholfen wurde. Ferner wird festgestellt,
dass die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes notwendig war. Gegen diesen Widerspruchsbescheid und den
entsprechenden Ausgangsbescheid führen bzw. führten die Kläger ein gesondertes Klageverfahren (S 17 AS
3950/08). Prozessbevollmächtigte der Kläger stellten bei der Beklagten einen Antrag auf Erstattung der Kosten für
das Widerspruchsverfahren. Mit Bescheid vom 11.05.2009 bewilligte die Beklagte Vorverfahrenskosten in Höhe von
157,08 EUR und lehnte darüber hinaus die Übernahme der beantragten Kosten ab. In dem
Kostenfestsetzungsbescheid legte die Beklagte nicht ausdrücklich eine Kostenquote fest, die Berechnung der
festgesetzten Kosten basiert jedoch auf einer Kostenquote von 100%. Der Prozessbevollmächtigte der Kläger legte
gegen den Kostenfestsetzungsbescheid vom 11.05.2009 am 11.05.2009 Widerspruch ein und erklärte, dass eine
Vollmacht bereits vorliege. Die Beklagte forderte mit Schreiben vom 25.06.2009 einen Nachweis über die
Bevollmächtigung des Prozessbevollmächtigten im Original an. In der Betreffzeile dieses Schreibens führt sie an,
dass es um das Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 11.05.2009 ginge. Als Widerspruchsführer führt sie
lediglich den Namen der Klägerin zu 1. an. Der Prozessbevollmächtigte schickte am 12.07.2009 eine Vollmacht in
Form eines Telefaxes. Diese Vollmacht hatte die Klägerin zu 1. unterschriebenen. Mit Widerspruchsbescheid vom
03.08.2009 wies die Beklagte den Widerspruch als unzulässig, da keine Vollmacht im Original vorgelegt worden und
ein Telefax nicht ausreichend sei, begründet diese Entscheidung auf fast fünf DIN-A 4 Seiten. Am Ende der
Begründung des Widerspruchsbescheides führt die Beklagte zudem wörtlich aus: " Da der Widerspruch unzulässig ist,
bedarf es keiner Entscheidung über seine Begründetheit. Allerdings wäre der Widerspruch im Falle seiner Zulässigkeit
auch in der Sache nicht begründet, da der angefochtene Bescheid rechtmäßig ist."
Die Kläger haben am 19.08.2009 Klage erhoben.
Zur Begründung trägt ihr Prozessbevollmächtigter vor, es habe bereits eine Vollmacht vorgelegen für das
Widerspruchsverfahren, in dem die Kläger teilweise obsiegt hätten. Im Übrigen erfüllte ein Telefax die Schriftform. Die
Beklagte habe das Verfahren veranlasst.
Die Kläger beantragten zunächst: Teilklageantrag vorerst: I. Unter Abänderung des Ausgangs- und des
Widerspruchsbescheides wird die Beklagte unter allen gesetzlichen Voraussetzungen verurteilt, an die Kläger für den
Zeitraum höhere ALG II Leistungen von ...zu zahlen.
II. Festzustellen, dass die Kosten des Vorverfahrens zu 100% durch die Beklagte zu erstatten sind und dass die
Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes für das Vorverfahren notwendig war.
III: Soweit das Gericht der Auffassung ist, dass die Beklagte eine unrichtige Ermessensentscheidung bezüglich des
Anforderns einer Vollmacht getroffen haben sollte
IV. hilfsweise die Beklagte unter Abänderung des Ausgangs- und des Widerspruchsbescheides zu verurteilen, unter
Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichtes eine Entscheidung zu treffen.
Die Kläger beantragen nunmehr: I. Der Widerspruchsbescheid vom 03.August 2009 wird aufgehoben;
II. hilfsweise die Beklagte unter Abänderung des Ausgangs- und des Widerspruchsbescheides unter Berücksichtigung
der Rechtsauffassung des Gerichtes die Beklagte zu verurteilen, eine neue Entscheidung zu treffen;
III. höchst hilfsweise festzustellen, dass die Kläger M. und N. nicht von der Klägerin O. vertreten werden, daher
gesonderte Ausgangs- und Widerspruchsbescheide hätten erlassen werden müssen;
IV. festzustellen, dass die Kosten des Vorverfahrens zu 100% durch die Beklagte zu erstatten sind und dass die
Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes für das Vorverfahren notwendig war.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie führt aus, der Klageänderung werde keine Zustimmung erteilt.
Wegen des weiteren Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen ergänzend Bezug
genommen auf die Prozessakte des Klageverfahrens sowie die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der
Entscheidungsfindung waren.
Entscheidungsgründe:
Die Klagen der Klägerin zu 1, der Klägerin zu 5. und des Kläger zu 6. sind teilweise begründet, im Übrigen unzulässig.
Die Klagen des Klägers zu 2., der Klägerin zu 3. und der Klägerin zu 4. sind teilweise unzulässig, im Übrigen
unbegründet.
Gegenstand der Klagen ist der Widerspruchsbescheid vom 03.08.2009, bzgl. des höchst hilfsweise gestellten
Antrages unter "III." der Kostenfestsetzungsbescheid vom 11.05.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
03.08.2009.
Die Klagen sind nicht aus dem Grund unzulässig, weil die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung gestellten
Anträge eine Klageänderung darstellen und diese gemäß § 99 Absatz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) unzulässig
ist. Bei den in der mündlichen Verhandlung gestellten Anträgen handelt es sich gemäß § 99 Absatz 3 Nr. 2 SGG nicht
um eine Klageänderung. Danach liegt eine Klageänderung nicht vor, wenn ohne Änderung des Klagegrundes der
Klageantrag in der Hauptsache oder in bezug auf Nebenforderungen erweitert oder beschränkt wird. Mit Klageerhebung
machte der Prozessbevollmächtigte deutlich, dass sich die Klage gegen den Bescheid vom 11.05.2009 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 03.08.2009 richte und dass die in der Klageschrift genannten Anträge nicht
abschließend seien. Daraus wird deutlich, dass er sich weitere Anträge vorbehalten wollte, die im Zusammenhang mit
den angefochtenen Bescheiden stehen.
Die Klagen sind auch nicht unzulässig, weil die angefochtenen Bescheide Gegenstand des Weiteren am erkennenden
Gericht entschiedenen Rechtsstreites S 17 AS 3950/08 sind. Gemäß § 96 SGG wird nach Klageerhebung ein neuer
Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides
ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Der Widerspruchsbescheid vom
23.12.2008 enthält zwar eine unbestimmte Kostengrundentscheidung, da die Beklagte keine Kostenquote festgesetzt
hat, obwohl der Widerspruch nur teilweise erfolgreich war. Das hat zur Folge, dass der Widerspruchbescheid mangels
Bestimmtheit keine Kostengrundentscheidung enthält.
Im Kostenfestsetzungsbescheid vom 11.05.2009 setzt die Beklagte ausdrücklich keine Kostenquote fest, geht aber
bei der Bemessung der zu erstattenden Aufwendungen von einer Kostenquote von 100% aus. Der
Kostenfestsetzungsbescheid vom 11.05.2009 enthält allenfalls eine konkludente Festsetzung einer Kostenquote und
nur insoweit wäre er Gegenstand des Verfahrens S 17 AS 3950/08. Gegen eine Kostenquote von 100 % wenden sich
die Kläger jedoch hier nicht. Gegenstand dieses Klageverfahrens ist die Entscheidung über die konkrete Höhe der zu
erstattenden Aufwendungen.
Der Antrag, festzustellen, dass die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes im Vorverfahren notwendig war, ist
unzulässig, da darüber nicht im Hauptsacheverfahren entschieden wird. Die Entscheidung, ob die Hinzuziehung
notwendig war, trifft der Urkundsbeamte im Rahmen des Verfahrens nach § 197 SGG (Leitherer in Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 9. Auflage 2008, § 193 Rn 5b m. w. N.).
Soweit der Prozessbevollmächtigte der Kläger beantragt, dass die Kosten des Vorverfahrens zu 100% durch die
Beklagte zu erstatten sind, sind die Klagen ebenfalls unzulässig. Die gerichtliche Kostenentscheidung als
Nebenentscheidung gemäß § 193 SGG beinhaltet auch die Kosten des Vorverfahren (Leitherer in Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer, SGG § 193 Rn 5a m. w. N.). Ein Antrag auf Feststellung, dass die Kosten des Vorverfahrens
durch die Beklagte zu übernehmen sind, kann grundsätzlich nicht mit einem Hauptsacheantrag geltend gemacht
werden. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Kostenentscheidung im Widerspruchsbescheid isoliert angefochten
wird. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor, da die komplette Aufhebung des Widerspruchsbescheides begeht wird.
Die Klagen auf Aufhebung des Widerspruchsbescheides sind zulässig. Ein Widerspruchsbescheid kann alleiniger
Gegenstand einer Klage sein, wenn und soweit er eine zusätzliche Beschwer enthält (Bundessozialgericht (BSG),
Urteil vom 15.08.1996, 9 RV 10/95, SozR 3-1300 § 24 Nr 13; Urteil vom 25.03.1999, B 9 SB 14/97, SozR 3-1300 § 24
Nr 14; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG § 95 Rn 3a). Als zusätzliche Beschwer gilt die Verletzung
einer wesentlichen Verfahrensvorschrift (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG § 95 Rn 3c). Zudem muss
für den Kläger ein berechtigtes Interesse an einer verfahrensfehlerfreien Entscheidung über den Widerspruch
bestehen, die Verfahrensvorschrift muss auch dem Schutz des Klägers dienen und der Widerspruchsbescheid muss
auf diesem Verfahrensfehler beruhen (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG § 95 Rn 3c).
Eine wesentliche Verfahrensvorschrift, die dem Schutz des Betroffenen dient, ist die Vorschrift über die Anhörung
gemäß § 24 des Sozialgesetzbuches – Zehntes Buch (SGB X). Die Verletzung dieser Vorschrift im
Widerspruchsverfahren stellt eine zusätzliche Beschwer dar, die es rechtfertigt den Widerspruchsbescheid isoliert
aufzuheben. Der Betroffene hat daran ein berechtigten Interesse (BSG, Urteile vom 15.08.1996 und 25.03.1999,
a.a.O. Urteil vom 15.08.2002, B 7 AL 38/07 R, SozR 3-1300 § 24 Nr 21).
§ 13 SGB X stellt ebenfalls eine wesentliche Verfahrensvorschrift dar. Gemäß § 13 Absatz 1 kann sich ein Beteiligter
durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen. Dieses Recht ist Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips. Der
rechtswidrige Ausschluss eines Rechtsbeistandes verstößt gegen das im Rechtsstaatsprinzip enthaltene das Recht
auf ein faires Verfahren (Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 08.10.1974, 2 BvR 747/73, BVerfGE
38, 105). Ebenso wie die Vorschrift über die Anhörung soll § 13 SGB X zudem den Anspruch auf rechtliches Gehör
gewährleisten. Der Betroffene ist berechtigt, dieses Recht nicht nur selbst wahrzunehmen, sondern sich der Hilfe
eines Vertreters zu bedienen. Darin kommt auch zum Ausdruck, dass die Vorschrift auch dem Schutz des –
insbesondere rechtlich nicht versierten – Beteiligten dient. Es besteht ein berechtigtes Interesse daran, dass sich die
Behörde im Widerspruchsverfahren inhaltlich mit dem Vorbringen des Vertreters des Beteiligten auseinandersetzt,
sofern dieser ordnungsgemäß zum Vertreter bestellt worden ist.
Sofern hier eine Verletzung von § 13 SGB X vorliegt - was im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung noch nicht geprüft
wird – beruht die Entscheidung im Widerspruchsbescheid vom 03.08.2009 auch darauf. Die Beklagte hat sich in der
Begründung des Widerspruchsbescheides umfassend mit der Frage auseinandergesetzt, ob eine Vollmacht in Form
eines Telefaxes den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Bevollmächtigung gemäß § 13 SGB X genügt. Dass sie
am Ende der Begründung kurz anführt, der Widerspruch wäre auch in der Sache erfolglos geblieben, da der
angefochtene Bescheid rechtmäßig sei, führt nicht dazu, anzunehmen, die Beklagte hätte über den Widerspruch auch
materiell entschieden. Zum einen widerspricht diese Ausführung dem vorangestellten Satz, in dem die Beklagte
ausführt, dass es keiner Entscheidung über die Begründetheit des Widerspruchs bedarf, da dieser bereits unzulässig
sei. Zum anderen lässt die Aussage, der Widerspruch sei auch unbegründet, weil der angefochtene Bescheid
rechtmäßig, jegliche weitere Begründung vermissen, die auf eine inhaltliche Auseinandersetzung der Beklagten
schließen lassen könnten.
Der Antrag, den Widerspruchsbescheid vom 03.08.2009 aufzuheben, ist für die Klägerin zu 1, die Klägerin zu 5. und
den Kläger zu 6. auch begründet. Es liegt eine Verletzung von § 13 Absatz 1 SGB X vor, da die Klägerin zu 1., die
Klägerin zu 5. und der Kläger zu 6. für das Widerspruchsverfahren wirksam durch den Prozessbevollmächtigten
vertreten waren. Sie hatten ihn ordnungsgemäß bevollmächtigt. Gemäß § 13 Absatz 1 Satz 1 SGB X kann sich ein
Beteiligter durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen. Gemäß § 13 Absatz 1 Satz 3 SGB X hat der
Bevollmächtigte auf Verlangen seine Vollmacht schriftlich nachzuweisen.
Die mit Telefax am 12.07.2009 übersandte Vollmacht genügt diesen Anforderungen. Ein Telefax erfüllt das
Schriftformerfordernis. Dieses gilt nach h. M. für die von Einlegung von Rechtsbehelfen und Rechtsmittel
(Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 06.12.1988, 9 C 40/87, BVerwGE 81, 32ff. m. w. N.). An die Form
einer schriftlichen Vollmacht können keine weitergehenden Anforderungen gestellt werden. Auch eine durch Telefax
übermittelte Prozessvollmacht genügt den Anforderungen einer schriftlichen Vollmacht (Landessozialgericht (LSG)
Baden-Württemberg, Urteil vom 09.11.2006, L 6 SB 1439/06, NZS 2007, 446ff. m.w.N; LSG Berlin, Urteil vom
07.02.1991, L 10 An 21/90, zit. nach juris; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 28.09.1989, L 16 KR 41/88, Breith
1990, 95-99, jeweils zu § 73 SGG; a.A. Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 23.06.1994, I ZR 106/92, 05.06.1997, III
ZR 190/96; Beschluss vom 27.03.2002, III ZB 43/00, zit. nach juris, jeweils zu § 80 der Zivilprozessordnung (ZPO);
Bundesfinanzhof, Urteil vom 05.06.2003, III R 38/01, BFH/NV 2004, 489 ff., zu § 62 der Finanzgerichtsordnung
(FGO)).
Die von der abweichenden Ansicht vertretene Formstrenge, die es erforderlich macht, die Vollmacht im Original
vorzulegen, ist auf das sozialrechtliche Verfahren nicht übertragbar (LSG Baden-Württemberg, a.a.O; Leitherer in
Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG § 73 Rn 62). Gleiches gilt für das sozialrechtliche Verwaltungsverfahren. Hinzu
kommt, dass gemäß § 13 Absatz 1 Satz 3 SGB X die Vollmacht lediglich schriftlich nachzuweisen ist, während
gemäß § 73 Absatz 6 SGG und in den entsprechenden Vorschriften der ZPO und der FGO die schriftliche Vollmacht
zu den Gerichtsakten zu reichen ist. Zum Nachweis ist das Original nicht zwingend erforderlich (LSG Niedersachsen-
Bremen, Beschluss vom 15.04.2008, L 6 AS 148/08 ER, zit. nach juris).
Es ist grundsätzlich eine Frage der Beweiswürdigung, ob eine Vollmacht in Form eines Telefaxes als ausreichend
angesehen werden kann, um den Beweis einer ordnungsgemäßen Bevollmächtigung zu erbringen. Wenn
Anhaltspunkte dafür bestehen, dass das Telefax nicht mit dem Original übereinstimmt, kann es gerechtfertigt sein,
die Vorlage des Originals zu fordern (LSG Baden-Württemberg, a.a.O.). Derartige Anhaltspunkte sind hier nicht
erkennbar. Inhaltlich ermächtigt die Vollmacht den Prozessbevollmächtigten, das Widerspruchsverfahren der Klägerin
zu 1., der Klägerin zu. 5. und des Klägers zu 6. gegen den Kostenfestsetzungsbescheid vom 11.05.2009 zu führen.
Das Aktenzeichen der Beklagten für dieses Widerspruchsverfahren wurde auf der Vollmacht vermerkt. Die
Unterschrift der Klägerin zu 1. dokumentiert die Bevollmächtigung ihrerseits. Sie lässt sich aber auch dahin gehend
auslegen, dass sie auch als gesetzliche Vertreterin ihrer minderjährigen Kinder – der Klägerin zu 5. und des Klägers
zu 6. – die Bevollmächtigung bekunden wollte. Die Unterschrift des Klägers zu 2. bedurfte es dazu nicht, da dieser
nicht der Vater der Klägerin zu 5. und des Klägers zu 6. ist.
Jedoch ist die Frage, ob die mit Telefax eingereichte Vollmacht dem Schriftformerfordernis genügt, nicht allein
entscheidungserheblich. Denn die im vorangegangenen Widerspruchsverfahren gegen die Leistungsbewilligung
vorgelegte, von der Klägerin zu 1. unterschriebene Originalvollmacht bevollmächtigte den Prozessbevollmächtigten
bereits, für die Klägerin zu 1., die Klägerin zu 5. und den Kläger zu 6. das Widerspruchsverfahren gegen den
Kostenfestsetzungsbescheid zu führen. Zunächst ergibt sich, dass die Vollmacht auch für ein Folgeverfahren in Form
eines Kostenfestsetzungsverfahrens gilt. Die Vollmacht umfasst zunächst das Kostenfestsetzungsverfahren im
Antragsverfahren.
Für das Widerspruchsverfahren gegen den Kostenfestsetzungsbescheid musste jedoch keine gesonderte Vollmacht
vorgelegt werden. Auch das Widerspruchsverfahren war von der Vollmacht umfasst. Bei einem Verwaltungsverfahren
mit anschließendem Widerspruchsverfahren handelt es sich um ein Verwaltungsverfahren (BSG, Urteil vom
02.12.1992, 6 RKa 33/90, BSGE 71, 274, 279; BVerwG, Urteil vom 27.09.1989, 8 C 88/88, BVerwGE 82, 336, 338,
a.A. SG Braunschweig, Urteil vom 18.06.2008, S 19 AS 1797/07). Das Widerspruchsverfahren stellt zwar zum einen
ein gerichtliches Vorverfahren dar, andererseits ist es die Fortführung des durch an angegriffenen Verwaltungsakt
bereits abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens, denn die betreffende Entscheidung der Behörde ist noch nicht
bestandskräftig bzw. bindend geworden.
Hinsichtlich der Bevollmächtigung im Widerspruchsverfahren findet gemäß § 62, 2. Halbsatz SGB X § 13 SGB X
Anwendung (KassKomm-Krasney, § 62 SGB X RdNr 30). Die Vorschriften des SGG sind insoweit über § 62, 1.
Halbsatz SGB X nicht anwendbar, da die Vorschrift des § 73 SGG über die Bevollmächtigung im Klageverfahren nicht
auf ein behördliches Verfahren zugeschnitten ist, daher direkt keine Anwendung finden kann. Auch eine
entsprechende Anwendung scheidet aus, da gemäß § 62, 2. Halbsatz SGB X die Vorschriften des
Sozialgesetzbuches vorrangig sind und § 13 SGB X eine Regelung über die Bevollmächtigung enthält.
Eine Vollmacht für das Verwaltungsverfahren dauert grds. solange, wie das Verwaltungsverfahren und endet mit
Eintritt der Bindungswirkung des beantragten Bescheides (LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 07.12.1983, SozVersR
1984, 162).
Jedoch muss sich aus der Vollmacht klar ergeben, ob sie auch für einen sich möglicherweise anschließenden
Rechtsstreit gelten soll. Allenfalls bei unklarer Formulierung sind sonstige Umstände zu berücksichtigen (BSG, Urteil
vom 15.08.1991, 12 RK 39/90, SozR 3 - 1500 § 73 Nr 2).
Aus der Vollmacht, die der Prozessbevollmächtigte der Kläger in dem Widerspruchsverfahren gegen die
Leistungsbewilligung für Mai bis Oktober 2008 vorgelegt hatte, ergibt sich nicht, dass bzgl. des
Kostenfestsetzungsverfahren nur dass Antragsverfahren, nicht jedoch das Widerspruchsverfahren umfasst sein soll.
Vielmehr bevollmächtigte die Klägerin zu 1. den Prozessbevollmächtigten für sie, die Klägerin zu 5. und den Kläger zu
6. das sich nach Abschluss des Widerspruchsverfahrens anschließende Kostenfestsetzungsverfahren insgesamt zu
führen.
Dass zum Zeitpunkt der Vollmachterteilung noch kein Kostenfestsetzungsverfahren bzw. Widerspruchsverfahren
gegen den Kostenfestsetzungsbescheid anhängig war, steht dem Willen der Vollmachtgeber nicht entgegen, den
Prozessbevollmächtigtem auch für ein ggf. zukünftiges Antrags- und Widerspruchsverfahren zu bevollmächtigen. Ob
es in die Entscheidung des Beteiligten fällt, ein Antrags- und Widerspruchsverfahren zu betreiben oder ob dieses
durch einen Bevollmächtigten erfolgt, obliegt allein der Entscheidung des Vollmachtgebers.
Der Antrag, den Widerspruchsbescheid vom 03.08.2009 aufzuheben, ist für den Kläger zu 2., die Klägerin zu 3. und
die Klägerin zu 4. dagegen unbegründet. Es liegt für diese Kläger keine Verletzung von § 13 Absatz 1 SGB X vor, da
sie für das Widerspruchsverfahren nicht wirksam durch den Prozessbevollmächtigten vertreten waren. Es liegen nur
Vollmachten vor, die von der Klägerin zu 1. unterschrieben worden sind, vor. Die Klägerin zu 1. ist jedoch nicht
berechtigt für ihren Ehemann - den Kläger zu 2. -, die volljährige Tochter ihres Ehemannes - die Klägerin zu 3. und
ihre eigene volljährige Tochter - die Klägerin zu 4. - einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung deren rechtlichen
Interessen zu bevollmächtigen.
Die Beklagte hat auch mit Schreiben vom 25.06.2009 die Vorlage einer Vollmacht für den Kläger zu 2. und die
Klägerinnen zu 3. und 4. verlangt. Darin kommt hinreichend zum Ausdruck, dass sie den Nachweis der
Bevollmächtigung aller Widerspruchsführer fordert. Sie bezieht sich ausdrücklich auf den Widerspruch gegen den
Bescheid vom 11.05.2009. Dass sie dann nur ausdrücklich den Namen der Klägerin zu 1. nennt, ist unschädlich. Der
Prozessbevollmächtigte der Kläger hatte in dem Widerspruchsschreiben vom 11.05.2009 selbst nur den Namen der
Klägerin zu 1. mit dem Zusatz "u.a." angegeben und wollte damit Widerspruch für alle Mitglieder der
Bedarfsgemeinschaft einlegen. Dass die Beklagte nur die Vorlage einer Vollmacht einer Widerspruchsführerin
verlangen wollte, ist anhand der Gesamtumstände lebensfremd und konnte vom Prozessbevollmächtigten der Kläger
auch nicht in dieser Weise verstanden werden. Bewilligungsbescheide über die Gewährung von Leistungen nach dem
SGB II werden in der Regel und auch im Fall der Kläger gemäß § 38 SGB II SGB II an das Mitglied der
Bedarfsgemeinschaft bekannt gegeben, das den Antrag für sich und alle weiteren Mitglieder stellt. Bei Einlegung
eines Widerspruchs durch dieses Mitglied ist in der Regel davon auszugehen, dass auch für die anderen Mitglieder
Widerspruch eingelegt wird. Das bedeutet, dass das antragstellende und widerspruchseinlegende Mitglied der
Bedarfsgemeinschaft im Verwaltungsverfahren oftmals nur allein namentlich benannt wird, obwohl auch die einzelnen
Ansprüche der übrigen Mitglieder mitumfasst sind.
Etwas anderes gilt allerdings für eine Widerspruchseinlegung durch einen Rechtsanwalt, da nicht zwangsläufig davon
ausgegangen werden kann, dass dieser alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft vertritt.
Mangels Vorlage einer wirksamen Vollmacht des Klägers zu 2., sowie der Klägerinnen zu 3. und 4. sind die
Widersprüche dieser Kläger gegen den Kostenfestsetzungsbescheid vom 11.05.2009 unzulässig und die Klagen
insoweit unbegründet.
Da der Hauptantrag unter "I." für den Kläger zu 2. und die Klägerinnen zu 3. und 4. erfolglos geblieben ist, war bzgl.
dieser Kläger auch über den Hilfsantrag zu "II." zu entscheiden. Der Antrag ist mangels Rechtsschutzbedürfnis bzw.
Klagebefugnis unzulässig. Dem Gericht erschließt sich zunächst nicht, was mit diesem Antrag im Unterschied zum
Antrag zu "I." begehrt wird. Sofern damit ein Bescheidungsurteil des Gerichts begehrt wird, weil die
Vorlageanforderung einer Vollmacht gemäß § 13 Absatz 1 SGB X für eine Ermessensentscheidung gehalten wird, so
fehlt es an der Klagebefugnis, da die Kläger keinen möglichen Anspruch geltend gemacht haben. Gemäß § 13 Absatz
1 Satz 3 SGB X hat der Bevollmächtigte auf Verlangen seine Vollmacht schriftlich nachzuweisen. Aufgrund des
eindeutigen Wortlautes handelt es sich nicht um eine Ermessensnorm, einer anderen Auslegung ist diese Vorschrift
nicht zugänglich. Das schließt nicht aus, dass im Einzelfall eine Vollmachtanforderung missbräuchlich sein kann mit
der Folge, dass eine Vollmacht nicht vorzulegen ist. Dafür bestehen hier aber keinerlei Anhaltspunkte. In den zu
zahlreichen Verfahren der Kläger vorliegenden Verwaltungsakten sind nur zwei Vollmachten enthalten, die (auch) der
Kläger zu 2. unterschrieben hat. Vollmachten der Klägerinnen zu 3. und 4. liegen gar nicht vor, so dass davon
ausgegangen werden kann, dass bisher überwiegend nur Vollmachten der Klägerin zu 1. vorgelegt worden waren.
Da der Hauptantrag unter "I." und der Hilfsantrag zu "II." für den Kläger zu 2. und die Klägerinnen zu 3. erfolglos
geblieben sind, war bzgl. dieser Kläger auch über den höchst hilfsweise unter "III." gestellten Antrag zu entscheiden.
Dieser Antrag ist gemäß § 55 SGG unzulässig, da kein Gegenstand einer zulässigen Feststellungsklage gemäß § 55
Absatz 1 Nrn 1 bis 4, oder Absatz 2 SGG betroffen ist. Es geht wohl um die Bekanntgabe bzw. den Adressaten der
Bewilligungsbescheide über die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II. Anzumerken ist, dass es in diesem
Verfahren nicht um einen derartigen Bewilligungsbescheid geht, sondern um die Kostenfestsetzung im
Widerspruchsbescheid. Der angefochtene Kostenfestsetzungsbescheid vom 11.05.2009 und der
Widerspruchsbescheid vom 03.08.2009 wurden an dem Prozessbevollmächtigten bekannt gegeben, da dieser die
Verfahren betrieben hat. Sofern der Prozessbevollmächtigte generell festgestellt wissen will, dass für die Kläger § 38
SGB II keine Anwendung findet, weil die Vertretungsvermutung widerlegt worden ist, so kann dieses nicht mit einer
Feststellungsklage begehrt werden. Diese ist gegenüber einer Gestaltungs- oder Leistungsklage subsidiär (Keller in
Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG § 55 Rn 3). Im konkreten Einzelfall müssten die betroffenen Kläger geltend
machen, dass an sie kein Bewilligungsbescheid ergangen ist. Dieses kann allenfalls mit einer Leistungsklage erreicht
werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt den Anteil des Obsiegens und Unterliegen sowie
den Umstand, dass der mit Klageerhebung zunächst gestellte Antrag auf Gewährung weiterer nicht näher bezifferter
Leistungen nach dem SGB II offensichtlich unzulässig war, da es um derartige Leistungen in diesem Verfahren
eindeutig nicht ging.