Urteil des SozG Braunschweig vom 22.09.2009

SozG Braunschweig: treu und glauben, verzicht auf leistungen, arglistige täuschung, gesetzliche vertretung, darlehen, zukunft, vermieter, wohnung, willenserklärung, rückzahlung

Sozialgericht Braunschweig
Urteil vom 22.09.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Braunschweig S 17 AS 2730/08
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerinnen begehren die Auszahlung eines einbehaltenen Betrages.
Die Klägerin zu 1. lebt zusammen mit ihrer minderjährigen Tochter, der Klägerin zu 2 ... beide bezeihen von der
Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch - Zweites Buch (SGB II).
Die Klägerinnen wollten umziehen. Die Beklagte teilte den Klägerinnen mit Schreiben vom 10.10.2006 mit, dass sie
eine Wohnung anmieten können. Am 23.10.2006 stellten sie einen Antrag auf Feststellung der angemessenen Kosten
der Unterkunft und Heizung für die von ihnen ausgewählte Wohnung. Die Klägerin zu 1. unterzeichnete am,
26.10.2006 den Mietvertrag.
Die Beklagte erteilt am 30.10.2006 eine Zusicherung zur Übernahme der Unterkunfts- und Heizkosten. Am gleichen
Tag stellte die Klägerin zu 1. einen Antrag auf Übernahme der Mietkaution. Dabei unterzeichnete sie eine
Einverständniserklärung zur vorzeitigen Rückzahlung der Mietkaution durch Einbehaltung von Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von monatlich 20,00 EUR. In dem Erklärungsvordruck wird ausgeführt,
dass dieses Einverständnis freiwillig abgegeben werden kann. Zudem ließ sich die Beklagte den
Rückzahlungsanspruch bzgl. der Mietkaution gegen den Vermieter abtreten.
Mit Bescheid vom 01.02.2007 gewährte die Beklagte hinsichtlich der Mietkaution in Höhe von 350,00 EUR ein
Darlehen und legte fest, dass die Tilgung durch Einbehaltung von laufenden Leistungen in Höhe von monatlich 20,00
EUR ab dem 01.03.2007 erfolgt. Mit Schreiben vom 09.01.2008 widerrief die Klägerin zu 1. die Einbehaltung des
monatlichen Betrages von 20,00 EUR. Die Beklagte stellte bereits zum Januar 2008 die Einbehaltung ein und zahlte
der Klägerin zu 1. für Januar einen Betrag von 20,00 EUR aus. Am 22.09.2008 haben die Klägerinnen Klage erhoben.
Zur Begründung führen der Prozessbevollmächtigte aus, möglicherweise sei die Klägerin zu 1. falsch beraten worden,
als sie die Erklärung unterschrieben hätte, so dass ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch in betracht komme. Der
Vordruck sei nicht von der Klägerin zu 1. selbst ausgefüllt worden. Er werde noch vortragen, ob sie tatsächlich falsch
beraten worden sei. Die Beklagte habe sich zudem den Rückzahlungsanspruch bzgl. der Mietkaution abtreten lassen.
Es handele sich um eine unzulässige Rechtsausübung, wenn dann noch laufende Leistungen einbehalten werden, da
die Beklagte auf diese Weise doppelt abgesichert sei.
Die Klägerinnen beantragen,
die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger die einbehaltenen Beträge in Höhe von monatlich 20,00 EUR für den
Zeitraum von März 2007 bis Dezember 2007, insgesamt 200,00 EUR zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie führt aus, für den Zeitraum von März bis Dezember 2007 liege ein wirksamer Verzicht auf Leistungen nach dem
SGB II vor. Aus dem Vordruck ergebe sich eindeutig, dass es eine freiwillige Vereinbarung gewesen sei.
Im Rahmen einer Erörterungstermins am 10.06.2009 erklärten sich die Beteiligten mit einer Entscheidung des
Gerichts ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
Wegen des weiteren Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen ergänzend Bezug
genommen auf die Prozessakte des Klageverfahrens sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand
der Entscheidungsfindung waren.
Entscheidungsgründe:
Die Klagen sind zulässig, jedoch unbegründet.
Zulässige Klageart ist hier die allgemeine Leistungsklage gemäß § 54 Absatz 5 SGG. Die Klägerinnen begehren die
Zahlung von monatlichen Teilbeträgen, die die Beklagte bereits mit Bewilligungsbescheiden gewährt, jedoch nicht
ausgezahlt hatte.
Die Klägerinnen haben jedoch keinen Anspruch auf Zahlung von insgesamt 200,00 EUR aufgrund der monatlich
einbehaltenen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II.
Die Klägerin zu 2. hat schon allein aus dem Grund keinen Anspruch auf Auszahlung. da die Beklagte von den ihr
gewährten Leistungen keine Teilbeträge einbehalten hat, sondern lediglich von denen der Klägerin zu 1. bewilligten
Leistungen.
Die Klägerin zu 1. erklärte sich damit einverstanden, dass laufende Leistungen in Höhe von monatlich 20,00 EUR
einbehalten werden. Sie hat nicht ausdrücklich erklärt, dass auch Leistungen ihrer Tochter, der Klägerin zu 2., deren
gesetzliche Vertretung sie übernimmt, einbehalten werden sollen. Da es an einer ausdrücklichen Erklärung fehlt, kann
sich ihr Einverständnis nur auf die ihr persönlich bewilligten Leistungen beziehen.
Die Klägerin zu 1. hat für den Zeitraum von März bis Dezember 2006 wirksam auf die Zahlung eines Teilbetrages der
ihr gewährten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von monatlich 20,00 EUR verzichtet.
Gemäß § 46 Absatz 1 des Sozialgesetzbuches - Erstes Buch (SGB I) kann auf Ansprüche auf Sozialleistungen durch
schriftliche Erklärung gegenüber dem Leistungsträger verzichtet werden; der Verzicht kann jederzeit mit Wirkung für
die Zukunft widerrufen werden. Gemäß § 46 Absatz 2 SGB I ist der Verzicht nur unwirksam, soweit durch ihn andere
Personen oder Leistungsträger belastet oder Rechtsvorschriften umgangen werden.
In der Rechtsprechung ist umstritten, ob auf Leistungen, die der Sicherung des Existenzminimums dienen, wirksam
verzichtet werden kann. So wird vertreten, dass es eine unzulässige Rechtsausübung darstellt und die Behörde sich
nach Treu und Glauben nicht auf eine Verzichtserklärung berufen könne, wenn der verzicht rechtswidrig herbeigeführt
worden sei. Ob auf existenzsichernde Leistungen überhaupt verzichtet werden könne, wird bezweifelt (Hessisches
Landessozialgericht (LSG), Beschluss vom 16.01.2008, L 9 SO 121/07 ER, zit. nach juris). In einer weiteren
Entscheidung wurde offengelassen, ob auch existenzsichernde Leistungen verzichtet werden kann, aber der Widerruf
für die Zukunft für zulässig erachtet (Hessisches LSG, Beschluss vom 05.09.2007, L 6 AS 145/07 ER, zit. nach
juris).
Nach entgegenstehender Auffassung wird vertreten, dass ein Verzicht auch auf existenzsichernde Leistungen
zulässig und ein Widerruf nur für die Zukunft möglich sei (Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht (OVG),
Beschluss vom 27.03.2003, 12 ME 52/03, in einer Entscheidung zur Sozialhilfe, zit. nach juris). bei der Gewährung
eines Darlehens für eine Mietkaution wird es als zulässig angesehen, die Rückzahlungspflicht, auch wenn diese nicht
ausdrücklich im Gesetz geregelt sei, durch Einbehaltung monatlicher Teilbeträge aus laufender Hilfe zum
Lebensunterhalt festzulegen. Dabei handele es sich rechtlich um einen Verzicht des Hilfebedüftigen gemäß § 46 SGB
I, den er jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen könne (Niedersächsisches OVG, a.a.O.).
Auch bei Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II wird ein Verzicht für zulässig gehalten
(Bayerisches LSG, Urteil vom 15.03.2007, L 7 AS 287/06; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21.08.2007, L 1
B 37/07 AS, zit. nach juris).
Dieser Auffassung schließt sich auch das erkennende Gericht an. § 46 SGB I sieht die Möglichkeit vor, auf
Sozialleistungen zu verzichten. In dieser Vorschrift wird zunächst nicht unterschieden, ob es sich um
existenzsichernde Leistungen handelt oder nicht. Es wird allein der Entscheidung des Leistungsempfängers
überlassen, ob er sich in der Lage sieht, seinen Lebensunterhalt ohne den Betrag, auf den er verzichtet hat, zu
bestreiten.
Eine einschränkende Auslegung der Vorschrift des § 46 SGB I auf Sozialleistungen, die nicht nur das
Existenzminimum sichern, ist nicht notwendig, da der verzichtende ausreichend geschützt wird.
So ist der Verzicht jederzeit mit Wirkung für die Zukunft möglich. Auch ist der verzichtende mit Wirkung für die
Vergangenheit geschützt, wenn durch den verzicht Rechtsvorschriften umgangen werden sollen. In diesem Fall ist die
Verzichtserklärung gemäß § 46 Absatz 2 SGB I bereits von Anfang an unwirksam.
Der Sozialleistungsempfänger ist schließlich noch dadurch geschützt, dass bezogen auf seine Verzichtserklärung die
allgemeinen Regelungen über die Anfechtung von Willenserklärungen gemäß §§ 119 ff. des Bürgerlichen
Gesetzbuches (BGB) Anwendung finden und auf diese Weise auch eine Erklärung als von Anfang an unwirksam
anzusehen ist.
Gemäß § 119 Absatz 1 BGB kann eine Willenserklärung angefochten werden, wenn sich der Erklärende bei Abgabe
der Willenserklärung über den Inhalt im Irrtum war oder eine Erklärung diesen Inhaltes überhaupt nicht abgeben wollte.
Gemäß § 123 BGB kann eine Willenserklärung angefochten werden, die durch arglistige Täuschung oder
widerrechtliche Drohung herbeigeführt worden ist. Eine wirksame Anfechtung hat gemäß § 142 BGB zur Folge, dass
die Willenserklärung als von Anfang an unwirksam ist.
Hieran gemessen hat die Klägerin zu 1. keinen Grund für eine Anfechtung ihrer Verzichtserklärung geltend gemacht.
Der Prozessbevollmächtigte konnte nicht vortragen, ob der Klägerin zu 1. bei der Unterschrift der Verzichtserklärung
bewusst war, dass die Gewährung eines Darlehens wegen der Mietkaution nicht zwingend davon abhängt, dass sie
auf einen Teil ihrer monatlichen Leistungen verzichtet. So verbleibt es bei dem eindeutigen Wortlaut der von der
Beklagten vorbereiteten Verzichtserklärung. Daraus wird unmissverständlich deutlich, dass es sich um eine freiwillige
Erklärung zur vorzeitigen Rückzahlung des Darlehens handelt. Der Klägerin zu 1. war es zumuten, den von ihr
unterschriebenen Vordruck vollständig zu lesen und ggf. nachfragen. Auch bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass
die Beklagte trotz des eindeutigen Wortlautes der Erklärung, die Klägerin zu1. gedrängt haben könnte, diese zu
unterschreiben.
Die Verzichtserklärung ist auch nicht gemäß § 46 Absatz 2 SGB I von Anfang an unwirksam. Andere Personen oder
Leistungsträger werden durch den Verzicht nicht belastet. Gemäß § 5 Absatz 2 SGB II hatte die Klägerin zu 1. keinen
ergänzenden Anspruch gegen den Träger der Sozialhilfe.
Auch wird durch die vorzeitige Rückzahlung eines Darlehens für eine Mietkaution keine Rechtsvorschrift umgangene.
Gemäß § 22 Absatz 3 SGB II kann eine Mietkaution bei vorheriger Zusicherung durch den am Ort der neuen
Unterkunft zuständigen kommunalen Träger übernommen werden. Eine Mietkaution soll als Darlehen erbracht werden.
§ 22 Absatz 3 SGB II legt zwar fest, dass die Mietkaution im Regelfall lediglich darlehensweise übernommen werden
soll. Die Vorschrift enthält jedoch keine Regelung zum Zeitpunkt und der Form der Rückzahlung dieses Darlehens.
Die Regelung des § 23 Absatz 1 SGB II zur Darlehensrückzahlung bei Gewährung von Leistungen für unabweisbare
Bedarfe durch Aufrechung gegen laufende Leistungen findet auf die Gewährung eines Darlehens für eine Mietkaution
keine entsprechende Anwendung.
Dass § 22 Absatz 3 SGB II keine Regelung zur vorzeitigen Darlehenstilgung enthält, bedeutet nicht, dass der
Leistungsträger darauf zu verweisen ist, abzuwarten bis der Hilfebedürftige wieder aus der angemieteten Wohnung
auszieht und der Rückzahlungsanspruch gegen den Vermieter fällig wird, um dann von dem Hilfebedüftigen das
Darlehen zurückzufordern (so aber Lang/Link in Eicher/Spellbrink SGB II § 22 RdNr. 92a). Sofern der
Darlehensnehmer zu diesem Zeitpunkt noch Leistungen nach dem SGB II bezeiht, erscheint dieser
Rückforderungsanspruch sehr schwer realisierbar.
Zudem sind die Regelungen des SGB II, auch wenn in der Praxis andere Ergebnisse erzielt werden, darauf
ausgerichtet, durch gezielte Arbeitsförderungsmaßnahmen den Zeitraum des Leistungsbezuges nach dem SGB II
möglichst kurz zu halten. Daher geht der Gesetzgeber davon aus, dass der Darlehnsnehmer in der Regel keine
Leistungen nach dem SGB II mehr bezieht, wenn das Mietverhältnis endet. Dass der Leistungsträger dann in diesen
Fällen regelmäßig nachzufragen hätte, ob das Mietverhältnis gekündigt und die Mietkaution ausgezahlt worden ist, um
dann seinen Rückforderungsanspruch geltend zu machen, erscheint als äußerst unökonomisch und von Gesetzgeber
so nicht beabsichtigt.
Aufgrund dieser Erwägungen ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Leistungsträger mit dem Hilfebedüftigen
freiwillige Vereinbarungen zur Darlehensrückzahlung trifft, ohne dass der Zweck des § 22 Absatz 3 SGB II verfehlt
werden würden. Die Vorschrift zur Übernahme der Kosten für eine Mietkaution soll verhindern, dass der Hilfebedürftige
keine Wohnung anmieten kann, weil ihm der Betrag für die Kaution als für ihn großen Einmalbetrag mit zur Verfügung
steht. Es soll eine gegenwärtige Notlage überbrückt werden, ohne insoweit eine langfristige Bindung des
Leistungsträgers zu begründen.
Eine Tilgungsmöglichkeit des Leistungsträgers besteht darin, dass der Hilfebedürftige seinen Anspruch auf
Kautionsrückzahlung gegen seinen Vermieter an den Leistungsträger abtritt. Dadurch wird jedoch nicht verhindert,
dass der Leistungsträger die Beendigung des Mietverhältnisses abwarten muss. Hinzu kommt, dass die Höhe des
daraus resultierenden Rückzahlungsanspruches davon abhängt, dass der Hilfebedürftige sich mietvertragskonform
verhält, da der Rückzahlungsanspruch bzgl. der Mietkaution nur dann in voller Höhe besteht.
Daher ist es sachgerecht und nicht unverhältnismäßig, dass das Darlehen vorzeitig durch Einhaltung eines Teiles der
gewährten laufenden Leistungen getilgt wird, wenn sich der Hilfebedürftige damit einverstanden erklärt. Dem
Hilfebedüftigen steht nach Beendigung des Mietverhältnisses auf diese Weise der vollständige
Rückzahlungsanspruch gegen den Vermieter incl. der Zinsen zu.
Dass sich der Leistungsträger gleichzeitig den Rückzahlungsanspruch gegen den Vermieter abtreten lässt, stellt zwar
zunächst eine doppelte Sicherung dar. Die Abtretung ist jedoch - wie bereits ausgeführt- kein gleich geeignetes
Sicherungsmittel, um das gewährte Darlehen im gesamten Umfang zurückzuerhalten.
Die gleichzeitige Abtretung des Kautionsrückzahlungsanspruches neben der vorzeitigen Tilgung durch Einbehaltung
gewährter laufender Leistungen führt nicht dazu, dass der Verzicht unwirksam wäre. Vielmehr ist die
Abtretungsvereinbarung in der Weise zu regeln, dass der Anspruch auf Kautionsrückzahlung aus abgetretenem Recht
nur der in Höhe besteht, in der das Darlehen noch nicht vorzeitig getilgt worden ist. Nach vollständiger Tilgung stünde
dann der Beklagten kein Anspruch auf Mietkautionsrückzahlung mehr zu. Die Überprüfung der Abtretungsvereinbarung
zwischen den Beteiligten war jedoch nicht Gegenstand dieses Rechtsstreites.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Berufung war gemäß § 144 Absatz 2 Nr. 1 SGG zuzulassen.
Rechtsmittelbelehrung:
E.