Urteil des SozG Braunschweig vom 23.02.2010

SozG Braunschweig: wichtiger grund, grobe fahrlässigkeit, erbschaft, wohnung, verbrauch, subjektiv, sanktion, grundstück, trennung, darlehen

Sozialgericht Braunschweig
Urteil vom 23.02.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Braunschweig S 25 AS 1128/08
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Feststellung eines Ersatzanspruches.
Der Kläger bezog von der Beklagten seit Januar 2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem
Sozialgesetzbuch – Zweites Buch (SGB II). Zusammen mit seinem Vater waren der Kläger und sein Bruder nach dem
Tod der Mutter im Jahr 2003 Eigentümer eines Grundstückes mit einem Einfamilienhaus. In diesem Haus wohnte der
Kläger nach Trennung von seiner Ehefrau zunächst.
Am 26.04.2006 verstarb der Vater des Klägers. Er beerbte diesen zusammen mit seinem Bruder. Die Erbschaft
bestand aus dem weiteren Miteigentumsanteil an dem bebauten Grundstück.
Der Kläger teilte der Beklagten am 10.07.2006 mit, dass der Hausbesitzer verstorben sei, das Haus verkauft werde
und er eine neue Wohnung brauche. Am 11.07.2006 stellte der Kläger einen Folgeantrag und gab an, dass sich an
seinen Vermögensverhältnissen nichts geändert habe.
Der Kläger zog zum 01.09.2006 um und erhielt von der Beklagten darlehnsweise die Übernahme der Umzugskosten.
Mit Bescheid vom 18.10.2006 bewilligte die Beklagte dem Kläger laufende Leistungen für Oktober 2006 bis Januar
2007 darlehensweise, da das Vermögen des Klägers nicht sofort verwertbar sei.
Das Grundstück mit dem Haus wurde für 90.000,00 EUR im Dezember 2006 verkauft. Der Kläger und sein Bruder
vereinbarten, dass der Kläger davon 41.500,00 EUR und sein Bruder 48.500,00 EUR erhalten sollen. Am 09.02.2007
floss dem Kläger der Erlös von 41.500,00 EUR auf sein Girokonto zu. Dieses teilte der Kläger der Beklagten nicht mit.
Von Februar bis Anfang April bezog der Kläger von der Beklagten keine Leistungen. Von der Erbschaft bestritt der
Kläger in dieser Zeit seinen Lebensunterhalt, er renovierte und richtete seine Wohnung ein und tätigte sonstige
Anschaffungen für insgesamt ca. 9.100 EUR. Für Wohnkosten der eigenen Wohnung und noch ausstehende Kosten
für das verkaufte Haus zahlte er insgesamt ca. 2.500,00 EUR. Lebensmittel, die er im Supermarkt erwarb, zahlte er
unbar und gab in den zwei Monaten dafür ca. 315,00 EUR aus. Einen Betrag von rund 26.000 EUR verwendete er, um
bestehenden Schulden zurück zu zahlen. Das Darlehen, das die Beklagte ihm gewährt hatte, zahlte er nicht zurück.
Von seinem Girokonto hob er darüber hinaus einzelne Beträge in einer Gesamtsumme von ungefähr 3.100,00 EUR ab.
Am 02.04.2007 stellte der Kläger bei der Beklagten einen neuen Leistungsantrag. Zu diesem Zeitpunkt verfügte er auf
seinem Girokonto noch über einen Betrag von ca. 40,00 EUR.
Den neuen Leistungsantrag lehnte sie zunächst mit Bescheid vom 14.05.2007 ab. Der Kläger legte am 07.06.2007
Widerspruch gegen Ablehnungsbescheid ein. Die Beklagte zahlte dem Kläger 09.07.2007 diverse Barbeträge von
insgesamt 2.933,64 EUR aus, hob mit Bescheiden vom 13.07.2007 den Ablehnungsbescheid auf und gewährte
Leistungen vom 02.04. bis 30.09.2007 incl. eines befristeten Zuschlages wegen vorherigem Bezug von
Arbeitslosengeld von monatlich 80,00 EUR.
Mit Schreiben vom 13.07.2007 hörte die Beklagte den Kläger bzgl. der Verhängung einer Sanktion an, da sie ihm
vorwarf, absichtlich seine Hilfebedürftigkeit herbeigeführt zu haben. Zum anderen beabsichtigte sie, Ersatzansprüche
gegen den Kläger geltend zu machen, da er vorsätzlich oder grob fahrlässig seine Hilfebedürftigkeit herbeigeführt
habe.
Die Beklagte senkte mit Bescheid vom 30.07.2007 die Regelleistung des Klägers für September bis November um
monatlich 104,00 EUR ab. In dem Bescheid wird weiter ausgeführt, dass während dieser Zeit kein Anspruch auf den
befristeten Zuschlag besteht.
Mit Bescheid ebenfalls vom 30.07.2007 stellte die Beklagte fest, dass der Kläger grundsätzlich zu Ersatz der
gezahlten Leistungen verpflichtet sei. Umfang und Höhe der zu ersetzenden Leistungen sollten in einem gesonderten
Bescheid mitgeteilt werden.
Der Kläger legte gegen beide Bescheide Widerspruch ein.
Den Widerspruch bzgl. der Sanktion wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11.09.2007 zurück. Dagegen
erhob der Kläger in einem anderen Verfahren Klage.
Den Widerspruch bzgl. des Ersatzanspruches wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23.04.2008 zurück.
Dagegen hat der Kläger am 16.05.2008 Klage erhoben.
Zur Begründung trägt er vor, die getilgten Verbindlichkeiten stünden zum Teil im Zusammenhang mit der Trennung
von seiner Ehefrau. Er habe sich Geld leihen müssen, um sich eine neue Existenz aufbauen zu können. Zunächst
habe er Einrichtungsgegenstände aus dem geerbten Haus mitgenommen. Insbesondere die Elektrogeräte seien sehr
alt gewesen und dann kaputt gegangen. Er habe dann Geräte der Klasse "A" angeschafft. Die Anschaffung eines
neuen Computers sollte auch zum Aufbau einer beruflichen Existenz dienen. Er habe zwar noch keine konkreten
beruflichen Pläne gehabt, habe aber versucht, einen neuen Arbeitsplatz zu finden und sich beworben. Aufgrund seines
Alters sei dieses jedoch schwierig gewesen und habe nicht geklappt.
Er habe einen teueren Computer angeschafft, da dieser schneller sei. Sein Hobby sei es, Fotos bzw. Dias auf DVD zu
überspielen. Dafür benötige er diesen Rechner. Sein alter Rechner, der noch funktionstüchtig gewesen sein, habe
dafür nicht ausgereicht. Für seinen alten Computer habe er sich aber dann noch einen neuen Monitor gekauft, da der
Alte kein gutes Bild mehr abgab.
Von dem angehobenen Bargeld habe er u.a. Kosten für Fahrten mit einem Großraumtaxi bezahlt, um Möbel zu
transportieren. Dieses sei billiger gewesen, als eine Anlieferung durch das Möbelgeschäft. Auch habe er seiner
Tochter Geld für die Anschaffung eines Schlafzimmerschrankes gegeben, da sie selbst kein Geld gehabt habe.
Er habe sich keine Gedanken darüber gemacht, wie er zukünftig seinen Lebensunterhalt bestreiten solle, wenn er
keinen neuen Arbeitsplatz finde. Er habe nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig seine Hilfebedürftigkeit ohne wichtigen
Grund herbeigeführt. Ein wichtiger Grund sei die Tilgung eigener Verbindlichkeiten und Anschaffung notweniger
Anschaffungen.
Der Kläger beantragt: den Bescheid vom 30.07.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.04.2008
aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält ihre Entscheidung für rechtmäßig. Die Feststellung eines Ersatzanspruches dem Grunde nach sei zulässig.
Zur Durchsetzung des Anspruches sei noch ein Leistungsbescheid erforderlich. Dieser sei noch nicht ergangen,
könne noch bis zum 31.12.2010 ergehen.
Wegen des weiteren Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen ergänzend Bezug
genommen auf die Prozessakte des Klageverfahrens sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand
der Entscheidungsfindung waren.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.
Der Bescheid 30.07.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.04.2008 ist rechtmäßig, verletzt den Kläger
nicht in seinen Rechten verletzt und war daher gemäß § 131 Absatz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) nicht
aufzuheben.
Ermächtigungsgrundlage für den Erlass des Bescheides vom 30.07.2007 über die Feststellung eines
Ersatzanspruches ist § 34 Absatz 1 Nr. 1 SGB II. Danach ist derjenige, der nach Vollendung des 18. Lebensjahres
vorsätzlich oder grob fahrlässig die Voraussetzungen für seine Hilfebedüftigkeit ohne wichtigen Grund herbeigeführt
hat, zum Ersatz der deswegen gezahlten Leistungen verpflichtet.
Es ist zulässig, die Ersatzpflicht zunächst nur dem Grunde nach festzustellen (Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom
05.05.1983, 5 C 112/81, zit. nach juris). Dieser Bescheid hat jedoch nicht die Wirkung eines Leistungsbescheides
(Schoch in LPK-SGB II, 3. Auflage 2009, § 34 Rn 31). Die Beklagte stellt mit dem Bescheid vom 30.07.2007 lediglich
die Ersatzpflicht des Klägers fest. Zahlungsansprüche macht sie daraus nicht geltend. Ein weiterer Leistungsbescheid
ist bisher nicht ergangen.
Der Kläger hat dadurch, dass er seine gesamte Erbschaft in Höhe von 41.500,00 EUR innerhalb von 2 Monaten
verbraucht hat, die Voraussetzungen für seine Hilfebedüftigkeit herbeigeführt, da er nach dem Verbrauch nicht mehr in
der Lage war, seinen Lebensunterhalt aus eigenen Kräften und Mitteln i. S. d. § 9 Absatz 1 SGB II zu sichern. Über
eine weitere finanzielle Absicherung verfügte der Kläger nicht. Einen neuen Arbeitsplatz fand er nicht. Der Verbrauch
des Geldes war auch kausal für die Herbeiführung der Hilfebedüftigkeit.
Das Verhalten des Klägers ist als mindestens grob fahrlässig zu bewerten. Grob fahrlässig handelt, wer die in Verkehr
erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt. Bei der Feststellung der groben Fahrlässigkeit kommt es
auf die persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit, das Einsichtsvermögen und Verhalten des Leistungsempfängers sowie
auf die besonderen Umstände des Falles an (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff). Grobe Fahrlässigkeit setzt hiernach
eine Sorgfaltspflichtverletzung ungewöhnlich hohen Ausmaßes, d. h. eine besonders grobe und auch subjektiv
schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung voraus, die das gewöhnliche Maß der Fahrlässigkeit erheblich
übersteigt. Subjektiv schlechthin unentschuldbar ist ein Verhalten, wenn schon einfachste, ganz naheliegende
Überlegungen nicht angestellt werden, wenn nicht beachtet wird, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss
(Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 13.12.1972, 7 RKg 9/69; Urteil vom 31.08.1976, 7 RAr 112/74; Urteil vom
11.06.1987, 7 R Ar 105/85, zit. nach juris).
Der Kläger wollte zunächst seine Schulden begleichen. Des Weiteren kam es ihm darauf an, seine Wohnung nach
seinen Vorstellungen zu renovieren, verschiedene Haushaltsgeräte und diverse weitere technische Geräte, die seinen
Ansprüchen genügten, anzuschaffen. Dass er durch dieses Verhalten wieder hilfebedürftig im Sinne des SGB II
werden wird, ist besonders naheliegend und hätte jedem einleuchten müssen. Auch der Kläger ging davon aus, dass
die Chancen, zeitnah einen neuen Arbeitsplatz zu finden, äußerst gering waren. Eine weitere finanzielle Absicherung
stand ihm nicht zur Verfügung. Dass er sich keine Gedanken darüber gemacht haben will, wer nach Verbrauch der
Erbschaft seinen Lebensunterhalt sichern wird, stellt eine Sorgfaltspflichtverletzung ungewöhnlich hohen Ausmaßes
dar. Dieses Verhalten ist auch subjektiv unter Berücksichtigung der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, sowie
des Einsichtsvermögen und Verhalten des Klägers unentschuldbar.
Auch liegt kein wichtiger Grund vor, der dieses Verhalten des Klägers rechtfertigt. Er hat objektiv sozialrechtswidrig
gehandelt. Da der Kläger ohne seine Erbschaft nicht in der Lage war, selbst für seinen Lebensunterhalt zu sorgen und
ein neuer Arbeitsplatz nicht in Aussicht war und auch nicht davon auszugehen war, dass der Kläger in zeitlich
überschaubarer Zukunft einen neuen Arbeitsplatz finden wird, ist es als sozialrechtswidrig anzusehen, dass der Kläger
innerhalb der kurzen Zeit von nur zwei Monaten Schulden in Höhe von ca. 26.000,00 EUR zurückzahlt. Hinzu kommt,
dass der Kläger nur "private" Schulden beglich. Das Darlehen, das ihm die Beklagte gewährt hatte, zahlte er dagegen
nicht zurück.
Ebenso ist es sozialrechtwidrig, dass der Kläger seine Wohnung nach seinen Vorstellungen renoviert und einrichtet
ohne auf die begrenzten eigenen finanziellen Möglichkeiten zu achten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtsmittelbelehrung:
D.