Urteil des SozG Braunschweig vom 27.05.2009

SozG Braunschweig: rückforderung, aufrechnung, verwaltungsakt, unrichtigkeit, behörde, rentner, krankenversicherung, zukunft, gegenforderung, erlass

Sozialgericht Braunschweig
Urteil vom 27.05.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Braunschweig S 36 R 517/08
Der Bescheid vom 02.01.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.07.2008 wird insoweit aufgehoben, als
ein Rückforderungsbetrag von 5.449,20 EUR festgesetzt und die Aufrechnung gegen laufende Rentenzahlungen
erklärt wird. Der Bescheid vom 03.01.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.07.2008 wird insoweit
aufgehoben, als die Einbehaltung eines Betrages von monatlich 100,00 EUR erklärt wird. Die Beklagte hat
notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Rückzahlung von überzahlten Rentenleistungen für den Zeitraum vom 01.04.2002 bis
31.12.2007 und die Aufrechnung dieser Forderung gegen laufende Rentenzahlungen.
Mit Bescheid vom 11.01.1999 gewährte die Beklagte dem Kläger eine Rente ab dem 01.03.1999 und bewilligte als
Zusatzleistung einen Beitragszuschuss zu den Aufwendungen für die freiwillige Krankenversicherung.
Ab dem 01.04.2002 war der Kläger in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung pflichtversichert. Dieses
teilte die Krankenversicherung des Klägers am 06.11.2007 der Beklagten mit.
Mit Schreiben vom 16.11.2007 hörte die Beklagte den Kläger hinsichtlich einer beabsichtigten Rückforderung von
geleisteten Zuschüssen in Höhe von 2.632,47 EUR und rückständigen Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung
in Höhe von 2.816,73 EUR, sowie einer Aufrechnung gegen laufende Rentenzahlungen an.
Mit Datum vom 02.01.2008 erließ die Beklagte einen Bescheid mit folgendem Tenor:
"Der Bescheid vom 11.01.1999 über die Gewährung des Beitragszuschusses wird mit Wirkung vom 01.01.2008 an
aufgehoben; der für die Zeit vom 01.04.2002 bis 31.12.2007 überzahlte Beitragszuschuss in Höhe von 2632,47 EUR
und rückständige Beitragsanteil zur Kranken- und Pflegeversicherung der Rentner in Höhe von 2816,73 EUR sind zu
erstatten, §§48, 50 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch -SGB X-.
Die mit Bescheid vom 08.06.2000 bewilligte Altersrente wird für die Zeit ab 01.01.2008 neu berechnet.
Der zu erstattende Betrag in Höhe von 5449,20 EUR wird vom nächstmöglichen Zeitpunkt an gegen die weiterhin zu
zahlende Rente in 54 monatlichen Teilbeträgen á 100,00 EUR und einem Restbetrag von 49,20 EUR aufgerechnet, §
51 SGB I."
Mit Bescheid vom 03.01.2008 bewilligte die Beklagte dem Kläger eine monatliche Rente von netto 476,63 EUR ab
dem 01.02.2008 und erklärte die Einbehaltung von monatlich 100,00 EUR, so dass ein Auszahlungsbetrag von 376,63
EUR festgesetzt wurde.
Die Widersprüche des Klägers vom 30.01.2008 blieben erfolglos. Die Beklagte wies sie mit Widerspruchsbescheid
vom 10.07.2008 zurück.
Am 30.07.2008 hat der Kläger Klage erhoben.
Zur Begründung trägt er vor, die Klage richte sich gegen die Erstattungsforderung, die Aufrechnung und den Einbehalt
des Betrages von monatlich 100,00 EUR. Sie richte sich nicht gegen die Neuberechnung der Rente im Bescheid vom
03.01.2008, soweit der Einbehalt nicht betroffen ist.
Den Kläger treffe keine besonders schwere Sorgfaltspflichtverletzung, die eine Aufhebung rechtfertige. Alters- und
krankheitsbedingt könne bei ihm das notwendige subjektive Element, das bei einem grob-fahrlässigen Verhalten
vorliegen müsse, nicht festgestellt werden. Seit einem Unfall leide er an einem Schädel-Hirn-Trauma, was zu einer
Minderung der kognitiven Funktionen geführt habe. Auch habe er mehrere Schlaganfälle mit hirnorganischen
Beeinträchtigungen erlitten.
Der Kläger beantragt,
1. den Bescheid der Beklagten vom 02.01.2008 über die Erstattung des Beitragszuschusses von 2.632,47 EUR und
des rückständigen Beitragsanteils zur Kranken- und Pflegeversicherung für Rentner von 2.816,73 EUR in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 10.07.2008 aufzuheben,
2. den Bescheid vom 03.01.2008 über die Neuberechnung der Versichertenrente aus der Rentenversicherung in
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.07.2008 insoweit aufzuheben, als die Beklagte in diesem Bescheid zu
Aufrechnungszwecken wegen der im Klageantrag zu 1 bezeichneten Erstattungsansprüche einen monatlichen
Einbehalt von 100,00 EUR vornimmt.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Dazu trägt sie vor, der Bescheid vom 02.01.2008 sei hinreichend bestimmt, da sich nach Auslegung des gesamten
Verwaltungsaktes ergebe, dass der Bescheid vom 11.01.1999 auch mit Wirkung für die Vergangenheit aufgehoben
werden sollte. Das habe der Kläger erkennen können, auch bereits durch das Anhörungsschreiben vom 16.11.2007. In
der Begründung des Bescheides sei festgestellt worden, dass die Voraussetzungen für eine Aufhebung mit Wirkung
für die Vergangenheit vorliegen. Auch aus der Berechnung des Rückforderungsbetrages ergebe sich, dass der
Bescheid ab Änderung der Verhältnisse aufzuheben war. Der Kläger sei ebenfalls davon ausgegangen. Im
Widerspruchsbescheid werde dann eine ausführlichere Begründung abgegeben.
Auch bestehe gemäß § 38 SGB X die Möglichkeit, den Bescheid zu korrigieren. Bei dem falschen Wirkdatum handele
es sich um eine offenbare Unrichtigkeit. Durch ein mechanisches Versehen sei angegeben worden, dass der
Rentenbescheid lediglich mit Wirkung vom 01.01.2008 aufgehoben werde.
Durch gerichtliche Verfügung vom 09.04.2009 sind die Beteiligten zum Erlass eines Gerichtsbescheides angehört
worden.
Wegen des weiteren Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen ergänzend Bezug
genommen auf die Prozessakte des Klageverfahrens sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand
der Entscheidungsfindung waren.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die Bescheide vom 02.01.2008 und 03.01.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.07.2008 sind im
aufgehobenen Umgang rechtwidrig, der Kläger dadurch in eigenen Recht verletzt und waren insoweit gemäß § 54
Absatz 1 des Sozialgerichtsgesetztes (SGG) aufzuheben.
Die Festsetzung eines Rückforderungsbetrages von insgesamt 5.449,20 EUR ist rechtswidrig, da die
Voraussetzungen für eine Rückforderung nicht vorliegen. Gemäß § 50 des Sozialgesetzbuches – Zehntes Buch –
(SGB X) sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist.
Der Rentenbescheid vom 11.01.1999 wurde mit Bescheid vom 02.01.2008 lediglich mit Wirkung vom 01.01.2008
aufgehoben. Die Beklagte hat jedoch Leistungen für den Zeitraum vom 01.04.2002 bis 31.12.2007 zurückgefordert.
Für diesen Zeitraum hat sie den Bescheid vom 11.01.1999 nicht aufgehoben.
Gemäß § 33 Absatz 1 SGB X muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Das Erfordernis der
hinreichender Bestimmtheit bezieht sich auf den Verwaltungsakt als Regelung und damit auf den Verfügungssatz des
Verwaltungsaktes (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 23.02.1989, 11/7 RAr 103/87, SozR 1500 § 55 Nr 35 S 39).
Aus dem Verfügungssatz muss für den Adressaten klar und unzweideutig erkennbar sein, was die Behörde will. Ist
der Verwaltungsakt aus seinem Verfügungssatz heraus nicht ausreichend bestimmt, kann der Regelungsgehalt durch
Auslegung des gesamten Verwaltungsaktes, insbesondere unter Heranziehung der Begründung ermittelt werden
(BSG, Urteil vom 29.01.1997, 11 RAr 43/96, NZS 1997, 488). Unklarheiten gehen zu Lasten der Behörde (BSG, Urteil
vom 14.08.1996, 13 RJ 9/95, SozR 3-1200 § 42 Nr 6; Urteil vom 19.03.1974, 7 RAr 45/72, BSGE 37, 155, 160).
Die Entscheidung über die Aufhebung des Bescheides vom 11.01.1999 mit Wirkung zum 01.01.2008 ist hinreichend
bestimmt. Eine ergänzende, weitergehende Auslegung dieser Entscheidung dahingehend, dass auch eine Aufhebung
mit Wirkung vom 01.04.2002 vorliegt, verbietet sich, da der Wortlaut eindeutig ist. Eine Auslegung kommt immer nur
dann in Betracht, wenn der Wortlaut des Verfügungssatzes missverständlich ist und sich eine eindeutige Regelung
ohne Hinzuziehung weiterer Umstände nicht feststellen lässt. Eine Auslegung entgegen dem eindeutigen Wortlaut ist
dagegen unzulässig. Dabei ist unerheblich, ob der Kläger davon ausgehen konnte, dass die Beklagte den Bescheid
vom 11.01.1999 auch für die Vergangenheit aufheben wollte. Die Beklagte hat dieses eindeutig nicht getan.
Offenbleiben kann hier, ob ein juristischer Laie weiß, dass eine Rückforderung gemäß § 50 SGB X zwingend eine
vorherige Aufhebung eines Bewilligungsbescheides für den maßgeblichen Zeitraum voraussetzt. Es liegt allein im
Verantwortungsbereich der Beklagten, den Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Rente, der ihm mit Bescheid
vom 11.01.1999 eingeräumt wurde, in rechtlich korrekter Weise nachträglich wieder zu aufzuheben.
Auch ist es unerheblich, dass die Beklagte in der Begründung des Bescheides vom 02.01.2008 feststellt, dass (auch)
die Voraussetzungen für die Aufhebung ab dem Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse vorliegen, wenn sie sich im
Verfügungssatz unmissverständlich gegen eine Aufhebung für die Vergangenheit entscheidet.
Die Heranziehung der Begründung führt nicht dazu, dass der Verfügungssatz klar und verständlich wird, sondern
allenfalls dazu, dass die Regelung der Beklagten unklar wird. Diese Unklarheit geht zu Lasten der Beklagten mit dem
Ergebnis, dass eine Aufhebungsentscheidung für die Vergangenheit nicht getroffen wurde
Eine Erweiterung des Aufhebungszeitraumes auch für die Vergangenheit hat die Beklagte ebenfalls nicht im
Widerspruchsbescheid vom 10.07.2008 vorgenommen. Aus der Begründung des Widerspruchsbescheides lässt sich
nur entnehmen, dass die Beklagte davon ausging, bereits im Bescheid vom 02.01.2008 die Aufhebung des
Bewilligungsbescheides mit Wirkung ab Änderung der Verhältnisse geregelt zu haben. Eine erstmalige Aufhebung für
diesen Zeitraum lässt sich dem Widerspruchsbescheid jedoch nicht entnehmen.
Eine Korrektur des Verfügungssatzes im Bescheid vom 02.01.2008 gemäß § 38 SGB X kann ebenfalls nicht erfolgen,
da es sich nicht um eine offenbare Unrichtigkeit handelt. Eine Unrichtigkeit liegt dann vor, wenn es sich bei dem
Fehler um ein rein mechanisches Versehnen handelt. Es darf sich lediglich um ein Versehen im Ausdruck des Willens
der entscheidenden Behörde handeln, nicht jedoch um einen Fehler bei der Willensbildung (BSG, Urteil vom
31.05.1990, 8 RKn 22/88, BSGE 67, 70, 71).). Wenn nur die Möglichkeit besteht, dass der Fehler auf mangelhafter
Rechtsanwendung beruht, ist eine bloße Berichtigung ausgeschlossen (Bundesfinanzhof, Urteil vom 16.07.2003, X R
37/99, NVwZ-RR 2004, 529ff.). Ein rein mechanisches Versehen in der Formulierung "mit Wirkung vom 01.01.2008"
ist nicht erkennbar. Vielmehr besteht die Möglichkeit, dass die Beklagte einem Denkfehler unterlag oder ein Fehler in
der Rechtsanwendung vorliegt. Denn die Beklagte unterscheidet in dem Verfügungssatz eindeutig zwischen einer
Aufhebung des Rentenbescheides mit Wirkung vom 01.01.2008 und einer Rückforderung für den Zeitraum vom
01.04.2002 bis 31.12.2007. Offensichtlich war sie der Ansicht, dass allein die Geltendmachung eines
Rückforderungsanspruches für die Vergangenheit ausreichend ist, während eine Aufhebung des Rentenbescheides für
die Zukunft und gleichzeitiger Feststellung, dass die Rente ab dem 01.01.2008 neu berechnet wird, für notwendig
erachtet wurde, um die geänderten Versicherungsverhältnisse des Klägers in Zukunft korrekt zu berücksichtigen zu
können.
Da die Voraussetzungen für eine Rückforderung gemäß § 50 Absatz 1 SGB X nicht vorliegen und der Bescheid vom
02.01.2008 insoweit aufzuheben war, ist auch die Erklärung einer Aufrechnung gemäß § 51 SGB I rechtswidrig, da es
an einem Anspruch der Beklagten gegen den Kläger fehlt. Ebenso ist die Einbehaltung des Aufrechnungsbetrages von
monatlich 100,00 EUR im Bescheid vom 03.01.2008 mangels Gegenforderung und Aufrechnungsmöglichkeit der
Beklagten rechtswidrig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetztes.