Urteil des SozG Berlin vom 02.04.2017

SozG Berlin: befreiung von der versicherungspflicht, zuschuss, private krankenversicherung, erlass, darlehen, hauptsache, krankheit, mitgliedschaft, rentner, link

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Gericht:
SG Berlin 96.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
S 96 AS 9757/05 ER
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 26 Abs 2 SGB 2, § 8 Abs 1 Nr 1
Buchst a SGB 5
Grundsicherung für Arbeitsuchende - Arbeitslosengeld II -
Zuschuss zur privaten Krankenversicherung
Leitsatz
1) Ein Anspruch auf Zuschüsse zur privaten Krankenversicherung gemäß § 26 Abs 2 SGB 2
setzt eine Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung
nach § 8 Abs 1 Nr 1 Buchst a SGB 5 voraus.
2) Der Antrag auf Zahlung von Zuschüssen zur privaten Krankenversicherung enthält nicht
zugleich einen Antrag auf Befreiung der von Versicherungspflicht.
3) Der Zuschuss zur privaten Krankenversicherung ist nach § 26 Abs 2 SGB 2 auf die Höhe
des Betrages begrenzt, der ohne die Befreiung von der Versicherungspflicht in der
gesetzlichen Krankenversicherung oder in der sozialen Pflegeversicherung zu zahlen wäre.
Tenor
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 13. Oktober 2005 wird
abgelehnt.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I. Der Antragsteller begehrt die Gewährung höherer Zuschüsse zur privaten
Krankenversicherung.
Der Antragsteller erhält vom Antragsgegner laufende Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhaltes, darunter einen Zuschuss zur privaten Krankenversicherung in Höhe
von 139,87 Euro monatlich.
Gegen den Bewilligungsbescheid wandte sich der Antragsteller unter anderem mit der
Begründung, er begehre die Übernahme des vollen Beitrags zur Krankenversicherung in
Höhe von 240,71 Euro monatlich.
Mit seinem am 13. Oktober 2005 bei dem Sozialgericht gestellten Antrag auf Erlass
einer einstweiligen Anordnung verfolgt der Antragsteller dieses Begehren weiter.
Der Antragsteller beantragt,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, einen höheren
Monatsbeitrag für die Krankenversicherung zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt schriftlich,
den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zurückzuweisen.
Er bezieht sich dazu auf die Begründung seines am 14. Oktober 2005 erlassenen
Widerspruchsbescheides, worin ausgeführt wird, dass kein Anspruch auf einen höheren
Zuschuss besteht.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte
Bezug genommen, welche vorgelegen hat.
II. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat in der Sache keinen Erfolg.
Es kann dahingestellt bleiben, ob der Antragsteller für den Antrag noch ein
Rechtsschutzbedürfnis hat, da bis zum Tag der Entscheidung des Gerichts offenbar
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Rechtsschutzbedürfnis hat, da bis zum Tag der Entscheidung des Gerichts offenbar
keine Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 14. Oktober 2005 beim Sozialgericht
erhoben wurde und diese nunmehr unter Umständen verfristet wäre. Das Gericht hat
keine Feststellungen darüber getroffen, ob die Klagefrist wegen verspäteter Zustellung
des Widerspruchsbescheides noch offen ist oder der Antragsteller unter Umständen
bereits beim Antragsgegner einen Antrag auf Überprüfung der (bestandskräftigen)
Entscheidung nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) gestellt hat.
Der Antragsteller hat nämlich unabhängig von der Zulässigkeit des Antrags keinen
Anspruch auf Erlass der begehrten Anordnung.
Ein Anspruch auf Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges
Rechtsverhältnis ist nur gegeben, wenn eine solche Regelung zur Abwendung
wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dazu muss der Antragsteller gemäß § 86 b
Absatz 2 Satz 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 920 Absatz 2
Zivilprozessordnung (ZPO) einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund
glaubhaft machen. Vom Bestehen eines Anordnungsanspruchs ist auszugehen, wenn
nach (summarischer) Prüfung die Hauptsache Erfolgsaussicht hat. Ein Anordnungsgrund
liegt vor, wenn dem Antragsteller unter Abwägung seiner sowie der Interessen Dritter
und des öffentlichen Interesses nicht zumutbar ist, die Hauptsacheentscheidung
abzuwarten.
Nach Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache ist nach Ansicht der Kammer kein
Anordnungsanspruch des Antragstellers gegeben.
1. Einen Anspruch auf einen höheren Zuschuss zu den Beiträgen der privaten
Krankenversicherung hat der Antragsteller bereits deshalb nicht, weil er gesetzlich
krankenversichert sein dürfte. Nach Ansicht des Gerichts dürfte er daher überhaupt
keinen Anspruch auf Zuschüsse (und damit auch nicht auf höhere Zuschüsse) zur
privaten Krankenversicherung haben.
Nach § 26 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) erhalten Bezieher von
Arbeitslosengeld II, die von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und
Pflegeversicherung befreit sind einen Zuschuss zu den Beiträgen der privaten Kranken-
bzw. Pflegeversicherung.
Der Antragsteller wurde - nach Bezug von Sozialhilfe im Jahr 2004 - mit Inkrafttreten des
SGB II am 1. Januar 2005 gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB
V) versicherungspflichtig in der gesetzlichen Krankenversicherung. Von dieser
Versicherungspflicht hätte der Antragsteller sich zwar nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 a SGB V
befreien lassen können, ein solcher Befreiungsantrag bzw. eine Befreiungsentscheidung
der gesetzlichen Krankenkasse liegt jedoch nach Lage der Akten nicht vor. Insbesondere
kann entgegen der bisherigen Ansicht des Antragsgegners nach Überzeugung des
Gerichts der Antrag des Antragstellers auf Zahlung von Zuschüssen zur privaten
Krankenversicherung nicht zugleich als Befreiungsantrag von der Versicherungspflicht
angesehen werden (vgl. zum Ganzen das ausführliche gerichtliche Schreiben vom 9.
November 2005).
2. Einen Anspruch auf einen höheren Zuschuss zu den Beiträgen der gesetzlichen
Krankenversicherung hat der Antragsteller zudem deshalb nicht, weil ein solcher
Anspruch nach den Regelungen des SGB II nicht besteht.
Hierzu hat das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg in einem Verfahren eines
anderen Antragstellers gegen das JobCenter Friedrichshain-Kreuzberg mit Beschluss
vom 30. September 2005 (Az.: L 10 B 1044/05 AS ER) ausgeführt:
„Nach § 26 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II erhalten Bezieher von Arbeitslosengeld II (Alg II),
die nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a Sozialgesetzbuch 5. Buch (SGB V) von der
Versicherungspflicht (zur gesetzlichen Krankenversicherung) befreit sind, einen
Zuschuss zu den Beiträgen, die für die Dauer des Leistungsbezuges (von Alg II) für eine
Versicherung gegen Krankheit an ein privates Krankenversicherungsunternehmen
gezahlt werden. Entsprechendes gilt nach § 26 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB II für Beiträge zu
einer privaten Pflegeversicherung bei Befreiung von der Versicherungspflicht auch in
diesem Versicherungszweig. Der so begründete Anspruch, der hier für den Antragsteller
besteht, da er Alg II bezieht und von der Versicherungspflicht zur Kranken- und
Pflegeversicherung befreit ist, wird – wie bereits aus dem Begriff „Zuschuss“ deutlich
wird - nicht uneingeschränkt und in jedem Falle (oder auch nur regelmäßig) in Höhe des
tatsächlichen Beitragsaufwandes zu den privaten Versicherungen gewährt. Er ist
vielmehr nach § 26 Abs. 2 Satz 2 SGB II „auf die Höhe des Betrages begrenzt, der ohne
die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung oder
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die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung oder
in der sozialen Pflegeversicherung zu zahlen wäre“. Dieser Grenzbetrag ergibt sich hier –
nach näherer Maßgabe des § 26 Abs. 2 Satz 3 SGB II, §§ 246, 232 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
SGB V, §§ 55 Abs. 1, 57 Sozialgesetzbuch 11. Buch (SGB XI) - mit 139,87 € monatlich,
wobei Berechnungsfehler vom Antragsteller nicht geltend gemacht werden und auch für
den Senat nicht ersichtlich sind. Mit der bewilligten Leistung erhält der Antragsteller
damit die ihm gesetzlich zustehende Leistung.
Dass § 26 Abs. 2 SGB II eine vollständige Übernahme der Kosten der privaten
Versicherung nicht vorsieht, begegnet keinen, insbesondere keinen
verfassungsrechtlichen Bedenken. Das SGB II gewährleistet eine jedenfalls
angemessene Grundsicherung im Bereich der Vorsorge gegen Krankheit und das Risiko
der Pflegebedürftigkeit durch die jedem Regelleistungsbezieher eröffnete Mitgliedschaft
in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung. Sofern ein zuvor privat versichert
gewesener Alg II-Bezieher an dieser Art des Versicherungsschutzes festhalten will,
bedarf es eines besonderen Willensentschlusses (Befreiungsantrag), dessen gesetzlich
und (versicherungs-)vertraglich bestimmte leistungs- und beitragsrechtliche Folgen er
zuvor abwägen kann. Dabei besteht kein Rechtssatz, der den Gesetzgeber verpflichten
würde, im Rahmen einer steuerfinanzierten Grundsicherungsleistung eine
beitragsneutrale Wahl zu ermöglichen. Dass bei einer Wahl der privaten Versicherung
„nur“ ein Zuschuss in Höhe des Beitragsaufwandes zur gesetzlichen
Krankenversicherung beansprucht werden kann - der privat Versicherte also dem
gesetzlich Versicherten gleich behandelt wird - gilt im Übrigen nicht nur im Bereich des
SGB II, sondern ebenfalls für die Krankenversicherung der Rentner, § 106
Sozialgesetzbuch 6. Buch (SGB VI).
Dieser Rechtsprechung des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg schließt sich die
Kammer an. Ein Anspruch des Antragstellers auf höhere Zuschüsse zu seiner privaten
Krankenversicherung besteht daher nicht.
Der Antragsteller kann auch nicht - wie er dies mehrfach mündlich vorgetragen hat - ein
Darlehen nach § 23 SGB II über den Differenzbetrag erhalten.
Nach § 23 SGB II kann der Antragsgegner ein Darlehen gewähren, wenn ein im Einzelfall
von der Regelleistung umfasster Bedarf nicht gedeckt werden kann. Die Gewährung von
Darlehen kommt daher nur bei solchen Bedarfen in Betracht, die grundsätzlich von der
Regelleistung des § 20 SGB II in Höhe von 345 Euro umfasst sind. Hierzu zählt die private
Krankenversicherung jedoch nicht, da diese gerade nicht aus dem Regelsatz gezahlt
werden muss, sondern ein Zuschuss nach § 26 SGB II zu gewähren ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung des § 193 SGG und folgt
dem Ausgang des Verfahrens.
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