Urteil des SozG Berlin vom 02.04.2017

SozG Berlin: gemeinsames konto, haushalt, zusammenleben, eigentum, erlass, adresse, link, unabhängigkeit, sammlung, quelle

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Gericht:
SG Berlin 104.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
S 104 AS 7372/06 ER
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 7 Abs 3 Buchst a SGB 2, § 7
Abs 3 Nr 3 Buchst c SGB 2
Grundsicherung für Arbeitsuchende; Arbeitslosengeld II;
Bedarfsgemeinschaft; Vorliegen einer eheähnlichen
Gemeinschaft; Bewohnung eines im gemeinsamen Eigentum
stehenden Hauses
Leitsatz
Ausreichende Anhaltspunkte für ein "Zusammenleben im gemeinsamen Haushalt" liegen
nicht vor, wenn eine Antragstellerin mit dem früheren Partner zwar unter derselben Adresse
(des in gemeinsamen Eigentum stehenden Hauses), aber in wirtschaftlich von einander
abgetrennten Wohnungen lebt. "Wirtschaftliche Selbständigkeit" kommt auch dadurch zum
Ausdruck, dass kein gemeinsames Konto geführt wird.
Tenor
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verurteilt, den
Antragstellern vorläufig für die Zeit vom 17. August 2006 bis zum 31. Januar 2007
Arbeitslosengeld II in Höhe von 965,10 Euro monatlich zu gewähren.
Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat den Antragstellern 4/5 der außergerichtlichen Kosten des
Verfahrens zu erstatten.
Gründe
Der (sinngemäße) Antrag der Antragsteller, die Antragsgegnerin im Wege der
einstweiligen Anordnung zu verurteilen, ihnen für die Monate ab August 2006
Arbeitslosengeld II (Alg II) zu gewähren, hat überwiegend Erfolg.
Soweit die Antragsteller die Gewährung von Alg II für die Zeit vom 1. August 2006 bis
zum 16. August 2006, also für die Zeit vor der Antragstellung bei Gericht am 17. August
2006, geltend machen, besteht für die von ihnen begehrte Regelungsanordnung (§ 86 b
Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) zumindest kein Anordnungsgrund. Denn den
Antragstellern ist es in den in der Vergangenheit liegenden Zeiträumen offensichtlich
gelungen, mit den ihnen zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln, ihren Bedarf zu
sichern. Insoweit erscheint der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht nötig, um
wesentliche Nachteile abzuwenden (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
Sozialgerichtsgesetz, 8. Auflage, § 86 b, Rdnr. 28).
Im Übrigen ist der Antrag zulässig und begründet.
Insoweit besteht ein für den Erlass der erstrebten Regelungsanordnung erforderlicher
Anordnungsanspruch. Nach der im vorläufigen Rechtsschutz-Verfahren allein gebotenen
- und möglichen - summarischen Prüfung haben die Antragsteller einen monatlichen
Anspruch auf Alg II i.H.v. 965,10 Euro. Dieser setzt sich aus Leistungen für Unterkunft
und Heizung gemäß § 22 Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB
II) i.H.v. 427,10 Euro (Bruttowarmmiete in Höhe von 440,00 Euro abzüglich einer
Warmwasserpauschale i.H.v. 12,90 Euro gemäß Anlage 2 zum Rundschreiben I Nr.
7/2003 der Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz vom 3.
Juni 2003), der Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gemäß § 20 Abs. 1
und Abs. 2 SGB II i.H.v. 221,00 Euro (Regelleistung i.H.v. 345,00 Euro abzüglich des
anzurechnenden und gem. § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-V von 30,00 Euro bereinigten
Kindergeldes i.H.v. 124,00 Euro), dem Sozialgeld für die minderjährige Antragstellerin zu
2. gemäß § 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 SGB II i.H.v. 276,00 Euro (die Antragstellerin zu 2. ist
am 9. Juli 1996 14 Jahre alt geworden) sowie dem auch bislang von der Antragsgegnerin
gewährten Mehrbedarf für Alleinerziehende nach § 21 Abs. 3 Nr. 2 SGB II i.H.v. 41,00
Euro zusammen.
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Bei der Berechnung des Alg II-Anspruchs der Antragsteller ist auch nicht das Einkommen
und Vermögen des M Sch (S.) zu berücksichtigen (§ 12 SGB II), denn zwischen den
Antragstellern und dem S. besteht keine Bedarfsgemeinschaft. Zur
Bedarfsgemeinschaft gehört nach § 7 Abs. 3 Nr. 3 c SGB II i.d.F. ab 1. August 2006
(Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20. Juli 2006)
auch eine Person, die mit dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in einem gemeinsamen
Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille
anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und für einander einzustehen.
Nach § 7 Abs. 3 a SGB II wird ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu
tragen und füreinander einzustehen vermutet, wenn die Partner 1. länger als ein Jahr
zusammenleben, 2. mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben, 3. Kinder oder
Angehörige im Haushalt versorgen oder 4. befugt sind, über Einkommen oder Vermögen
des anderen zu verfügen.
Diese Voraussetzungen einer so genannten eheähnlichen Gemeinschaft liegen indes im
vorliegenden Fall - nach summarischer Prüfung - nicht vor. Denn zwischen den
Antragstellern und dem S. besteht schon kein „Zusammenleben in einem
gemeinsamen Haushalt“ im Sinne dieser Vorschriften. Die Antragsteller und der S.
leben zwar unter derselben Adresse - Bn.weg - aber in unterschiedlichen, wirtschaftlich
von einander abgetrennten Wohnungen. Zu diesem Ergebnis kam auch der von der
Antragsgegnerin veranlasste Hausbesuch vom 20. Juli 2006, wobei ausweislich des
Aktenvermerks der Antragsgegnerin vom 24. Juli 2006 auch der Schluss gezogen wurde,
der entsprechende Prüfbericht rechtfertige nicht die Annahme einer eheähnlichen
Gemeinschaft. Des Weiteren ist die ursprünglich zwischen der Antragstellerin zu 1. und
dem S. bestehende Ehe inzwischen längst geschieden worden; die Antragstellerin zu 1.
war zwischenzeitlich wieder mit einem anderen Mann verheiratet. Schließlich kommt die
wirtschaftliche Selbständigkeit der Antragsteller auch dadurch zum Ausdruck, dass sie
und der S. kein gemeinsames Konto führen.
Gegen die wirtschaftliche Selbständigkeit der Antragsteller spricht auch nicht der
Umstand, dass die Antragstellerin zu 1. und der S. gemeinsam Fördermittel für das
(noch) im gemeinsamen Eigentum stehende Haus im Bweg beantragt haben, zumal
sich die Antragstellerin zu 1. ausweislich des notariellen Kaufvertrags vom 13. Juni 2005
zur Übereignung ihres Miteigentumsanteils an den S. verpflichtet hat, der nunmehr allein
die monatlich anfallenden Zins- und Tilgungsraten trägt. Insofern ist es auch
nachvollziehbar, dass der S. die Erdgeschosswohnung des Hauses ab 1. Januar 2006 an
die Antragstellerin vermietet hat. Auch hierdurch wird die wirtschaftliche Selbständigkeit
und Unabhängigkeit der Antragsteller im Verhältnis zu dem S. unterstrichen.
Des Weiteren besteht auch ein Anordnungsgrund.
Der Erlass der einstweiligen Anordnung erscheint nötig, um wesentliche Nachteile auf
Seiten der Antragsteller abzuwenden. Denn die Zahlung eines monatlichen Betrages
von 965,10 Euro ist erforderlich, um die existentielle Grundsicherung der Antragsteller zu
gewährleisten.
Entsprechend dem vorläufigen Charakter einer einstweiligen Anordnung hat die Kammer
ihre Entscheidung entsprechend § 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II auf einen Zeitraum von sechs
Monaten begrenzt.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
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