Urteil des SozG Berlin vom 31.03.2017

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Gericht:
SG Berlin 104.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
S 104 AS 4329/07 ER
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 22 Abs 5 SGB 2, Art 1 GG, §
86b Abs 2 SGG
Darlehensweise Übernahme von Energieschulden
Leitsatz
1) Durch die Sperrung der Stromversorgung ist ein menschenwürdiges Dasein in Sinne von
Art 1 GG nicht mehr möglich.
2) Die faktische Unbewohnbarkeit einer Wohnung infolge eingetretener Sperrung der
Energiezufuhr stellt eine dem Verlust der Unterkunft vergleichbare Notlage dar.
Tenor
104AS559273AS432907Gerichtsbescheidpc4008Urteil:Die Antragsgegnerin wird im
Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin 514,56 Euro auf
Darlehensbasis zu gewähren.
Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin die außergerichtlichen Kosten des
Verfahrens zu erstatten.
Der Antragstellerin wird mit Wirkung ab dem 20. Februar 2007 für das Verfahren vor dem
Sozialgericht Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt M R beigeordnet.
Gründe
Der (sinngemäße) Antrag der Antragstellerin, die Antragsgegnerin im Wege der
einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihre bei der V E Berlin AG & Co KG (V)
bestehenden Energieschulden auf Darlehensbasis zu übernehmen, hat Erfolg.
Der zulässige Antrag ist begründet.
Für die von der Antragstellerin begehrte Regelungsanordnung (§ 86 b Abs. 2 Satz 2
Sozialgerichtsgesetz -SGG-) besteht bereits ein Anordnungsanspruch.
Der Anspruch auf Übernahme der Energieschulden i.H.v. 514,56 Euro (vgl. telefonische
Auskunft der V vom 14. März 2007) ergibt sich aus § 22 Abs. 5 Sozialgesetzbuch -
Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II).
Nach dieser Vorschrift können, sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht
werden, auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft
oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen
übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst
Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Geldleistungen sollen als Darlehen erbracht
werden.
Zur Auffassung der Kammer kommt zur Behebung einer mit dem Verlust der Unterkunft
vergleichbaren Notlage insbesondere auch die Übernahme von
Energiekostenrückständen in Betracht. Die faktische Unbewohnbarkeit einer Wohnung
infolge eingetretener Sperrung der Energiezufuhr steht nämlich dem Verlust der
Unterkunft gleich (vgl. Berlit in; Münder, Sozialgesetzbuch II, 2. Auflage, § 22, Rdnr. 116;
LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. Juni 2006 -L 25 B 459/06 AS-).
Auch im Fall der Klägerin führt die am 21. Februar 2007 eingetretene Stromsperre zu
einer Notlage, die mit dem Verlust der Unterkunft i.S.d. § 22 Abs. 5 SGB II verglichen
werden kann. Denn hierdurch ist es ihr etwa nicht mehr möglich, warmes Wasser zu
bereiten (Duschen etc.), einen Kühlschrank zu betreiben, ihren Elektroherd zu benutzen
(Kochen), die elektrischen Haushalts- und Rundfunkgeräte zu benutzen sowie nach
Einbruch der Dunkelheit über elektrisches Licht zu verfügen. Mit der Sperrung des
Stroms geht damit zur Einschätzung der Kammer ein Zustand einher, der mit einem
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Stroms geht damit zur Einschätzung der Kammer ein Zustand einher, der mit einem
menschenwürdigen Dasein i.S.d. Artikel 1 Grundgesetz nicht mehr vereinbar ist.
Die Antragsgegnerin ist auch verpflichtet, die bei der Antragstellerin bestehenden
Stromschulden zu übernehmen. Zwar sieht die Regelung des § 22 Abs. 5 Satz 1 ein
Ermessen der Antragsgegnerin vor, dieses ist im vorliegenden Fall in Anbetracht der
Wertigkeit der bedrohten Rechtsgüter auf Null reduziert (vgl. auch Satz 2 der Regelung
des § 22 Abs. 5 SGB II, wonach bei einer entsprechenden Notlage die Schulden
übernommen werden sollen, wenn dies - wie im Fall der Antragstellerin - gerechtfertigt
und notwendig ist).
Die Kosten für die Wiederinstandsetzung des Stromanschlusses i.H.v. 51,11 Euro (vgl.
telefonische Auskunft der V vom 14. März 2007) werden vom Antrag nicht erfasst, denn
es handelt sich insoweit nicht um Energiekostenrückstände.
Des Weiteren besteht auch ein Anordnungsgrund.
Der Erlass der einstweiligen Anordnung erscheint nötig, um wesentliche Nachteile auf
Seiten der Antragstellerin abzuwenden. Der Antragstellerin ist es insbesondere nicht
zuzumuten, während der Dauer des noch anhängigen Widerspruchsverfahrens in Bezug
auf den Bescheid der Antragsgegnerin vom 11. Januar 2007 bzw. eines sich ggf.
anschließenden Klageverfahrens in menschenunwürdigen Verhältnissen zu verbringen.
Aus Sicht der Kammer besteht auch keine andere Möglichkeit die bestehende Notlage
abzuwenden. Insoweit hat der Bevollmächtigte der Antragstellerin anwaltlich versichert,
dass ein Angebot der Antragstellerin gegenüber der V, die bestehenden
Energieschulden mit monatlichen Raten i.H.v. ca. 40,00 Euro abzuzahlen, ohne Reaktion
geblieben sei. Bereits dieses Angebot der Antragstellerin zeigt aber, dass die eigene
Übernahme der Kosten für die Wiederinbetriebnahme der Energiezufuhr von 51,11 Euro,
von ihr selbst getragen werden kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Die Entscheidung über die Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von
Rechtsanwalt M R beruht auf § 73 a SGG i.V.m. §§ 114 ff Zivilprozessordnung.
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