Urteil des SozG Berlin vom 01.11.2010

SozG Berlin: verwirkung, vergütung, bauer, rechtssicherheit, meinung, bedürfnis, nachforderung, auflage, absendung

Sozialgericht Berlin
Beschluss vom 01.11.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 127 SF 407/10 E
Die Erinnerung vom 11. Januar 2010 gegen den Vergütungsfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin vom 30.
August 2007 (S 129 AS 1 .../07 ER) wird zurückgewiesen. Das Verfahren ist gebührenfrei, Kosten werden nicht
erstattet, § 56 Abs. 2 S. 2 und 3 RVG.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten über die Höhe der dem Erinnerungsgegner aus der Landeskasse zu gewährenden Vergütung.
Mit Beschluss vom 30. August 2007 setzte die Urkundsbeamtin gem. § 55 Abs. 1 S. 1 RVG die dem
Erinnerungsgegner (dem beigeordneten Rechtsanwalt) im Wege der PKH zu gewährende Vergütung auf 321,30 EUR
fest. Nachdem im Rahmen des Verfahrens nach § 59 RVG (Landeskassenübergang) aufgrund eines von dem
erstattungspflichtigen Jobcenter angestrengten Erinnerungsverfahrens der gegenüber der Landeskasse
erstattungspflichtige Betrag auf 113,05 EUR (1/2 von 226,10 EUR) reduziert wurde (Beschluss der 165. Kammer des
SG Berlin vom 4. Januar 2010, -S 165 SF 2501/09 E-), legte der Erinnerungsführer (die Landeskasse) am 11. Januar
2010 Erinnerung gegen den Vergütungsfestsetzungsbeschluss ein. Der Erinnerungsführer begehrt die Reduzierung der
Vergütung auf 226,10 EUR entsprechend dem Beschluss der 165. Kammer. Der Erinnerungsgegner macht Verwirkung
geltend.
II.
Die Erinnerung hat keinen Erfolg, weil das Recht zur Einlegung der Erinnerung zum Zeitpunkt der
Erinnerungseinlegung bereits verwirkt war. Zwar ist die Erinnerung nach § 56 RVG nicht befristet (allg. Meinung, z.B.
Schnapp, in: Schneider/Wolf, Anwaltskommentar zum RVG, 5. Auflage, § 56, Rn. 8; Hartung, in:
Hartung/Römermann/Schons, RVG, 2. Aufl., § 56 Rn. 12 m.w.N.). Dennoch wird überwiegend angenommen, dass das
Erinnerungsrecht verwirkt sein kann (Schnapp a.a.O; Hartung a.a.O.; zur Rechtslage unter Geltung der BRAGO vgl.
Riedel/Sußbauer, BRAGO, 8. Aufl., § 127 Rn. 48), um dem berechtigten Vertrauen auf den Bestand der
Vergütungsfestsetzung und den auch kostenmäßigen Abschluss der Sache Rechnung zu tragen. Umstritten ist aber,
ab welchem Zeitpunkt die Verwirkung des Erinnerungsrechts anzunehmen ist. Während teilweise auf die endgültige
Erledigung des Erstattungsverfahrens abgestellt wird, wobei die dafür zu bestimmende Frist von den Umständen des
Einzelfalls abhängen kann (OLG Hamm AnwBl. 1967, 204, zit. n. Riedel/Sußbauer a.a.O.), gehen andere Stimmen
davon aus, dass die Verwirkung nach einem Jahr seit der Festsetzung in Betracht kommen kann (LSG Celle, JurBüro
1999, 590). Die wohl überwiegende Meinung in Rechtsprechung und Literatur zieht den Rechtsgedanken des § 20
Abs. 1 S. 1 GKG (Nachforderung von Kosten wegen unrichtigen Ansatzes) heran und überträgt die darin geregelte
Frist auf die Erinnerung nach § 56 RVG (OLG Düsseldorf, JurBüro 1996, 144 = NJW-RR 1996, 441 m.w.N.; OLG
Zweibrücken, Beschl. v. 26. November 1999, -6 WF 104/99-, juris, jeweils unter Heranziehung des § 7 GKG a.F., der
Vorgängervorschrift des heutigen § 20 GKG; Schnapp a.a.O; Hartung a.a.O., Riedel/Sußbauer a.a.O.). Gemäß § 20
Abs. 1 S. 1 GKG dürfen Kosten nur nachgefordert werden, wenn der berechtigte Ansatz dem Zahlungspflichtigen vor
Ablauf des nächsten Kalenderjahres nach Absendung der den Rechtszug abschließenden Kostenrechnung mitgeteilt
worden ist. Übertragen auf § 56 RVG bedeutet dies, dass das Erinnerungsrecht der Staatskasse dann als verwirkt gilt,
wenn die Erinnerung nach Ablauf des auf den Festsetzungsbeschluss folgenden Kalenderjahres eingelegt worden ist.
Dieser Auffassung schließt sich die Kammer an (vgl. auch Beschluss vom 27. Oktober 2010, -S 127 SF 5311/10 E-).
Denn sie kann sich auf eine gesetzliche Grundlage stützen und stellt eine vom Einzelfall unabhängige, für alle
Beteiligten relativ einfach zu handhabende Regelung dar. Auf diesem Wege kann größtmögliche Rechtssicherheit für
alle Beteiligten erreicht werden.
Für den vorliegenden Fall hat dies zur Konsequenz, dass das Recht des Erinnerungsführers zur Einlegung der
Erinnerung gegen den Vergütungsfestsetzungsbeschluss vom 30. August 2007 mit Ablauf des 31. Dezember 2008 als
verwirkt gilt. Dass der Beschluss im Rahmen des Verfahrens nach § 59 RVG erst am 4. Januar 2010 erging, ändert
daran nichts. Denn der Erinnerungsgegner hatte von dem Verfahren keine Kenntnis, weshalb sein entsprechendes
Bedürfnis nach Rechtssicherheit weiter besteht und über die hier angenommene Verwirkung gewährleistet werden
kann und muss.
Die Beschwerde gegen diese Entscheidung ist nicht statthaft, Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss
vom 20.06.2008, L 1 B 60/08 SF AL (dokumentiert bei juris und www.sozialgerichtsbarkeit.de).