Urteil des SozG Berlin vom 14.03.2017

SozG Berlin: alleinerziehende mutter, wohnung, unbestimmter rechtsbegriff, senkung, unterkunftskosten, heizung, schulweg, schule, miete, wohnraum

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Gericht:
SG Berlin 94.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
S 94 AS 7628/06 ER
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 22 Abs 1 SGB 2
Grundsicherung für Arbeitsuchende - unangemessene Kosten
für Unterkunft und Heizung - erhebliche Überschreitung -
Aufforderung zur Senkung - allein erziehende Mutter
Leitsatz
Auch eine allein erziehende Hilfebedürftige ist verpflichtet, sich nach Aufforderung durch den
Grundsicherungsträger um eine Senkung unangemessener Unterkunftskosten zu bemühen.
Der Einwand, es sei schwierig, eine Wohnung zu finden und dass die Kinder der Antragstellerin
die Schule besuchen und den Schulweg zu Fuß zurücklegen könnten, reicht zur Begründung
des Weiterzahlungsanspruchs nicht aus.
Gründe
I.
Die Antragsteller begehren im Wege einstweiligen Rechtsschutzes die Übernahme der
vollen Mietkosten durch den Antragsgegner.
Die 1976 geborene Antragstellerin zu 1) und ihre 1994 und 1995 geborenen Kinder, die
Antragsteller zu 2) und 3) bewohnen eine Vier-Zimmer-Wohnung mit einer Wohnfläche
von 101,88 qm. Die Gesamtmiete beläuft sich ab April 2005 auf 761,07 Euro monatlich,
seit dem 1. Dezember 2005 auf 783,54 Euro.
Sie beziehen seit Januar 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes vom
Antragsgegner. Bis einschließlich August 2006 erhielten sie die Kosten für Unterkunft
und Heizung in voller Höhe.
Auf die Anhörung des Antragsgegners wegen der nicht angemessenen Kosten der
Unterkunft teilte die Antragstellerin zu 1) im Februar 2006 mit, sie bitte davon
abzusehen, die Wohnungskosten zu senken, da sie alleinerziehende Mutter sei. Mit
Bescheid vom 27. Februar 2006 teilte der Antragsgegner mit, die Kosten der Wohnung
würden die Angemessenheitsgrenze monatlich um 241,54 Euro übersteigen, so dass
diese auf Dauer nicht übernommen werden könnten. Auch unter Berücksichtigung, dass
die Antragstellerin zu 1) alleinerziehend mit zwei Kindern sei, müsste sie aus
wirtschaftlichen Aspekten die Aufwendungen durch Untervermietung, Eigenbeteiligung
oder Wohnungswechsel senken. Die tatsächlichen Aufwendungen würden für einen
Zeitraum von etwa sechs Monaten übernommen werden könnten, danach könne nur
noch die angemessenen Kosten in Höhe von 542,- Euro monatlich anerkannt werden.
Bemühungen um die Senkung der Unterkunftskosten seien in geeigneter Weise
nachzuweisen.
Hiergegen erhob die Antragstellerin zu 1) Widerspruch. Die Antragsteller zu 2) und 3)
gingen zur Schule, die zu Fuß von der Wohnung zu erreichen sei, was auf den sicheren
Schulweg zurückzuführen sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 9. März 2006 wies der
Antragsgegner den Widerspruch als unbegründet zurück. Gegenwärtig würden die
Unterkunftskosten rechtsfehlerfrei in voller Höhe gewährt.
Mit Bescheid vom 17. August 2006 bewilligte der Antragsteller Leistungen zur Sicherung
des Lebensunterhaltes in der Zeit vom 1. September 2006 bis zum 28. Februar 2007.
Für Unterkunft und Heizung monatlich 542,- Euro. Die Antragstellerin zu 1) erhob gegen
die Höhe der Unterkunftskosten Widerspruch. Sie suche nach einer angemessenen
Wohnung, habe aber noch nichts gefunden. zudem sei sie der Ansicht, dass Maßnahmen
zur Senkung der Wohnungskosten in ihrem Fall nicht ergriffen werden dürften, da sie
alleinerziehende Mutter sei.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist am 25. August 2006 beim
Sozialgericht Berlin eingegangen. Die Antragstellerin zu 1) macht geltend, es sei
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Sozialgericht Berlin eingegangen. Die Antragstellerin zu 1) macht geltend, es sei
schwierig, eine Wohnung zu finden, da für die meisten Wohnungen Provision und auch
Abstand verlangt würde, die vom Antragsgegner nicht übernommen würde.
Die Antragstellerin beantragt,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten,
umgehend die volle Miete für die bisherige Wohnung zu übernehmen, solange, bis sie
eine angemessene Wohnung gefunden habe.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Er wendet ein, die Antragstellerin habe sich innerhalb der Sechsmonatsfrist nicht um
angemessenen Wohnraum bemüht. Die Antragstellerin habe Bemühungen in keiner
Weise nachgewiesen. Das Ermessen, von Kostensenkungsmaßnahmen abzusehen, sei
vorliegend ausgeübt worden. Da die tatsächlichen die angemessenen Kosten um mehr
als 240,- Euro übersteigen würden, sei die Entscheidung vom 27. Februar 2006 bereits
aus wirtschaftlichen Gründen zu treffen. Darüber hinaus seien die Kinder der
Antragstellerin 10 und 12 Jahre alt und so selbständig, dass ein Umzug auch im Hinblick
auf soziale Bindungen und das soziale Umfeld zugemutet werden könne.
Mit Widerspruchsbescheid vom 31. August 2006 hat der Antragsgegner den Widerspruch
gegen den Bescheid vom 17. August 2006 als unbegründet zurückgewiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die Leistungsakte des
Antragsgegners Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung ist zulässig, aber nicht begründet.
Nach § 86b Absatz 2 Sozialgerichtsgesetz kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag
eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr
besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung
eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte.
Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug
auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung
wesentlicher Nachteile nötig erscheint.
Entsprechend § 920 Absatz 2 Zivilprozessordnung, der nach § 86b Absatz 2 Satz 4
Sozialgerichtsgesetz Anwendung findet, sind Anordnungsanspruch und
Anordnungsgrund glaubhaft zu machen. Von einem Anordnungsanspruch ist
auszugehen, wenn nach summarischer Prüfung die Hauptsache Erfolgsaussicht hat. Ein
Anordnungsgrund liegt vor, wenn dem Antragsteller unter Abwägung seiner sowie der
Interessen Dritter und des öffentlichen Interesses nicht zumutbar ist, die
Hauptsacheentscheidung abzuwarten. Nur in besonderen Ausnahmefällen ist darüber
hinaus die Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung zulässig.
Vorliegend fehlt es an einem Anordnungsanspruch. Die Antragsteller haben nur
Anspruch auf Übernahme der bewilligten Kosten der Unterkunft in Höhe von 542,- Euro,
nicht aber auf die hier im einstweiligen Rechtsschutzverfahren begehrte Übernahme der
gesamten Miete in Höhe von 783,54 Euro.
Nach § 22 Absatz 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch werden Leistungen für Unterkunft
und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese
angemessen sind. Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft den der Besonderheit
des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf der
Bedarfsgemeinschaft so lange zu berücksichtigen, wie es der Bedarfsgemeinschaft nicht
möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, der Vermieten oder
auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs
Monate.
Die für die Wohnung der Antragsteller zu zahlende Miete übersteigt die
Angemessenheitsgrenze. Nach der Ausführungsvorschrift zur Ermittlung angemessener
Kosten der Wohnung gemäß § 22 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (AV Wohnen) vom 7.
Juni 2005 (Amtsblatt von Berlin, S. 3743), die der Antragsgegner zur Ermittlung der
Angemessenheitsgrenze heranzieht, gilt als Richtwert für einen 3-Personen-Haushalt
eine Bruttowarmmiete von bis zu 542,- Euro. Zwar ist die AV Wohnen für das Gericht
nicht verbindlich, der Begriff der Angemessenheit unterliegt als unbestimmter
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nicht verbindlich, der Begriff der Angemessenheit unterliegt als unbestimmter
Rechtsbegriff der vollen richterlichen Überprüfung. Gegen die Heranziehung der AV
Wohnen zur Ermittlung der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung hat die
Kammer jedoch keine Bedenken (für Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz auch das
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13. Juli 2006, Az L 10 B 552/06
AS ER oder Beschluss vom 4. Mai 2006, Az. L 5 B 1401/05 AS ER, Fundstelle juris).
Vorliegend sind weder Umstände vorgetragen noch ersichtlich, nach denen es den
Antragstellern unmöglich oder nicht zuzumuten ist, die Wohnungskosten zu senken.
Entgegen der Auffassung des Antragsgegners ist dessen Entscheidung, von
Kostensenkungsmaßnahmen im Einzelfall abzusehen, keine Ermessensentscheidung,
sondern diese unterliegt ebenfalls voller richterlicher Überprüfbarkeit. Gleichwohl sind die
vom Antragsgegner angestellten und mitgeteilten Erwägungen aus Sicht der Kammer
inhaltlich beanstandungsfrei.
Zur Überzeugung der Kammer ist gegenwärtig ausreichend Wohnraum zu den von der
AV-Wohnen als angemessen bewerteten Mieten vorhanden und den Antragstellern auch
zugänglich. Spätestens seit der Anhörung im Februar 2006 sind die Antragsteller über
die Notwendigkeit der Senkung der Unterkunftskosten in Kenntnis gesetzt.
Anstrengungen hierzu sind in keiner Form nachgewiesen oder auch nur behauptet,
obgleich der Antragsgegner hierzu ausdrücklich aufgefordert hat. Der Einwand der
Antragstellerin, es sei schwierig, eine Wohnung zu finden, reicht zur Begründung des
Weiterzahlungsanspruchs nicht aus. Wohnungsangebote, auf die sich die Antragstellerin
beworben hat, liegen nicht vor, eine Prüfung des Antragsgegners, ob ggf. auch Kaution
bzw. Provision übernommen werden kann, konnte bislang nicht erfolgen.
Die von der Antragstellerin zu 1) vorgetragenen Gründe rechtfertigen auch aus Sicht der
Kammer nicht die erhebliche Überschreitung der Angemessenheitsgrenze, zudem auf
unabsehbare Zeit. Insbesondere die Tatsache, dass die Antragsteller zu 2) und 3) die
Schule besuchen und den Schulweg zu Fuß zurücklegen können, steht der Senkung der
Umzugskosten durch die Antragsteller nicht entgegen. Ein Umzug ist auch den
Antragstellern zu 2) und 3) zumutbar.
Die Kostenentscheidung folgt aus der analogen Anwendung des § 193
Sozialgerichtsgesetz. Sie orientiert sich am Ausgang der Sachentscheidung.
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