Urteil des SozG Berlin vom 22.02.2011

SozG Berlin: motiv, unbeteiligter dritter, anschlag, körperliche unversehrtheit, arbeitsunfall, unfallversicherung, anzeige, scheidung, fahren, polizei

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Gericht:
SG Berlin 25.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
S 25 U 406/10
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 8 Abs 1 S 1 SGB 7
Gesetzliche Unfallversicherung - Arbeitsunfall - sachlicher
Zusammenhang - tätlicher Angriff am Arbeitsplatz -
persönliches und berufsbezogenes Tatmotiv des Angreifers -
Ungewissheit - objektive Beweislast des
Unfallversicherungsträgers - Amokfahrt
Leitsatz
1. Die Versagung des Unfallversicherungsschutzes kommt nur dann in Betracht, wenn eine
Versicherte einem gegen ihre Person geplanten Anschlag zum Opfer gefallen ist und alle
möglichen Tatmotive des Täters ausschließlich im Zusammenhang mit dem persönlichen
Bereich der Versicherten und dortigen Auseinandersetzungen zu suchen sind, so dass ein
betriebsbezogenes Motiv fehlt.
2. Die Ungewißheit darüber, aus welchen Motiven heraus die Versicherte, die sich in ihrer
Arbeitsstätte befand, angefahren und erheblich verletzt wurde, geht zu Lasten des des
beklagten Unfallversicherungsträgers, wenn dieser einen Zusammenhang mit der
versicherten Tätigkeit widerlegen und beweisen will, dass ausschließlich persönliche Tatmotive
die Tat begründeten.
Tenor
Der Bescheid der Beklagten vom 14. Dezember 2009 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 29. April 2010 wird aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass das Ereignis vom 13. November 2009 einen Arbeitsunfall im
Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung darstellt.
Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand
Streitig zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung eines Ereignisses vom 13.
November 2009 als Arbeitsunfall.
Die Klägerin befand sich am 13. November 2009 bei ihrer Arbeit an einem Blumenstand,
als ihr geschiedener Ehemann mit einem geliehenen Kleintransporter in das Geschäft
hinein fuhr und sie schwer verletzte.
Mit Bescheid vom 14. Dezember 2009 lehnte die Beklagte eine Anerkennung dieses
Vorfalls als Arbeitsunfall ab. Aus den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft habe sich
ergeben, dass es sich bei der Tat des geschiedenen Ehemannes der Klägerin um eine
solche aus persönlichen Motiven – persönliche Rache und Suizidversuch – gehandelt
habe, die nicht in ursächlichem Zusammenhang mit ihrer geschäftlichen Tätigkeit
gestanden habe. Es bestehe dann eine widerlegbare Rechtsvermutung, dass der
zeitliche und örtliche Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit gegenüber der
überragenden Bedeutung des rechtlich wesentlichen persönlichen Motivs zurücktrete.
Das heiße, die Tat sei nur gelegentlich der versicherten Tätigkeit erfolgt und es bestehe
deshalb kein Versicherungsschutz.
Diese Rechtsvermutung sei hier nicht widerlegt. Aus der Aussage des Lebensgefährten
der Klägerin gegenüber der Polizei ergebe sich, dass der Täter die Klägerin bereits früher
terrorisiert und ihr Drohbriefe geschrieben habe. Die Klägerin selbst habe bei der
Befragung im Krankenhaus angegeben, dass der Täter ihre Lebensumstände und auch
ihre Wohnung nach der Scheidung gekannt habe. Daher sei davon auszugehen, dass der
Täter den Anschlag auch bei anderer Gelegenheit und in anderer Weise hätte verüben
können.
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Hiergegen legte die Klägerin über ihren Verfahrensbevollmächtigten mit am 23.
Dezember 2009 bei der Beklagten eingegangenem Schreiben Widerspruch ein. Der
Vorfall habe in erster Linie dem Suizid des geschiedenen Ehemannes der Klägerin
dienen sollen. Er habe sich eher zufällig im Bereich des Blumengeschäftes ereignet. Eine
gezielte Tötungsabsicht von Dritten habe nicht bestanden. Auch Rache sei
auszuschließen, da seit längerer Zeit kein Kontakt mehr zwischen ihr und ihrem
geschiedenen Ehemann bestanden habe.
Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 29.
April 2010, dem Verfahrensbevollmächtigten der Klägerin zugegangen am 4. Mai 2010,
zurück. Die vorliegenden Unterlagen der Polizei bestätigten, dass es sich bei dem Vorfall
um einen aus der privaten Sphäre kommenden Konflikt mit dem ehemaligen Ehemann
der Klägerin gehandelt habe. Auch die Erstangaben des Täters ließen eine gezielte
Tötungsabsicht erkennen. Er sei davon ausgegangen, die Klägerin in dem
Blumengeschäft zu treffen. Unter dem Eindruck einer vorhergehenden Tat am gleichen
Tage, bei der der Täter seine aktuelle Ehefrau quälte und habe töten wollen, sei davon
auszugehen, dass der Fahrt in den Laden eine gezielte Tötungsabsicht aus niederen
Beweggründen zugrunde gelegen habe. Die Fahrt in den Blumenstand könne nicht als
eher zufällig dargestellt werden.
Am 3. Juni 2010 erhob die Klägerin über ihren Prozessbevollmächtigten Klage vor dem
Sozialgericht Berlin. Die Behauptungen der Beklagten, ihr früherer Ehemann sei in
gezielter Tötungsabsicht aus niederen Beweggründen in den Blumenstand gefahren,
könne weder aus der Akte, noch aus den sonstigen Umständen nachvollzogen werden.
Bei ihren Äußerungen bzw. denjenigen ihres Lebensgefährten zu früheren Drohungen
und Strafanzeigen handele es sich um acht Jahre alte Vorfälle, die sich im Zuge des
Scheidungsverfahrens ereignet hätten. Seither habe es weder schriftlichen, noch
persönlichen Kontakt zu ihrem früheren Ehemann gegeben. Dieser habe zudem in
seiner Beschuldigtenvernehmung vom 14. November 2009 angegeben, es sei seine
ausschließliche Absicht gewesen, sich umzubringen. Ursprünglich habe er mit seinem
Wagen vor einen Baum fahren wollen, habe sich dann jedoch offenbar in einem
psychischen Ausnahmezustand entschlossen, in den Blumenladen zu fahren. Motiv
seines Suizidversuchs sei gewesen, sich der Strafverfolgung wegen der Folterungen
seiner derzeitigen Ehefrau zu entziehen. Ihr Leben – dasjenige der Klägerin – habe in
seinen Überlegungen keine Rolle gespielt. Seine Suizidabsicht habe er dann während der
Untersuchungshaft in die Tat umgesetzt. Schließlich habe der Schädiger aus dem Winkel
der Zufahrt des Lastkraftwagens auf den Blumenstand nicht erkennen können, ob sich
dort überhaupt jemand aufgehalten habe. Opfer hätte auch ein völlig unbeteiligter
Dritter werden können.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,
den Bescheid der Beklagten vom 14. Dezember 2009 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 29. April 2010 aufzuheben und
festzustellen, dass das Ereignis vom 13. November 2009 einen Arbeitsunfall im
Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung darstellt.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist sie im Wesentlichen auf ihre Ausführungen in den
angefochtenen Bescheiden.
Die Kammer hat im Termin zur Erörterung des Sachverhalts mit den Beteiligten am 21.
Februar 2011 den derzeitigen Lebensgefährten der Klägerin, R K, als Zeugen
vernommen. Zudem hatte die Klägerin selbst zu den Umständen des
streitgegenständlichen Ereignisses vorgetragen.
Die Gerichts- und Verwaltungsakten haben vorgelegen und waren Gegenstand der
Entscheidung. Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten sowie des übrigen
Sach- und Streitstandes wird auf sie Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Kammer konnte gemäß § 124 Absatz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche
Verhandlung durch Urteil entscheiden. Die Beteiligten haben sich damit einverstanden
erklärt.
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Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig. Das Feststellungsinteresse ergibt
sich aus einer entsprechenden Anwendung von § 55 Absatz 1 Nr. 3 SGG.
Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 14. Dezember 2009 in
der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29. April 2010 ist rechtswidrig und
verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Das Ereignis vom 13. November 2009 stellt einen Arbeitsunfall im Sinne der
gesetzlichen Unfallversicherung dar.
Arbeitsunfälle sind nach § 8 Absatz 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII)
Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB
VII begründenden Tätigkeit.
Die Klägerin war als Unternehmerin gemäß § 3 Absatz 1 Nr. 1 in Verbindung mit der
Satzung der Beklagten versichert und befand sich zum Zeitpunkt des streitigen Vorfalls
an ihrer Arbeitsstätte, wo sie mit der Anfertigung eines Blumengestecks befasst war.
Somit stand sie grundsätzlich unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.
Dieser Unfallversicherungsschutz entfällt nicht schon deshalb, weil die Klägerin einem
gegen ihre Person gerichteten Anschlag zum Opfer gefallen ist. Die Kammer erachtet
die vorliegende Fallkonstellation, bei der die Klägerin an ihrer Betriebsstätte Opfer einer
Amokfahrt wurde, mit derjenigen eines Überfalls für vergleichbar. In beiden
Fallkonstellationen liegt ein Angriff auf die körperliche Unversehrtheit des bzw. der
Versicherten vor.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts kommt es bei der Frage,
ob ein Überfall als Arbeitsunfall anzusehen ist, in der Regel entscheidend auf die
Beweggründe des Angreifers an (BSG Urteil vom 30. Juni 1998, Az. B 2 U 27/97 R, zitiert
nach Juris; BSG Urteil vom 29. April 1980, Az. 2 RU 95/79, BSGE 50, 100, 104; BSG Urteil
vom 29. Mai 1962, Az. 2 RU 170/59, BSGE 17, 75, 77; BSG Urteil vom 2. Juni 1959, Az. 2
RU 221/56, BSGE 10, 56, 60; BSG Urteil vom 10. Dezember 1957, Az. 2 RU 270/55,
BSGE 6, 164, 167; so auch: Hessisches Landessozialgericht Urteil vom 12. Februar 2008,
Az. L 3 U 82/06, zitiert nach Juris; Sächsisches Landessozialgericht Urteil vom 22. Juni
2006, Az. L 2 U 146/03, zitiert nach Juris; Sächsisches Landessozialgericht Urteil vom 10.
Juli 2003, Az. L 2 U 97/01, zitiert nach Juris).
Die maßgebliche Bedeutung der Beweggründe des Angreifers führt jedoch nicht dazu,
dass es unbedingt eines nachgewiesenen betriebsbezogenen Tatmotivs bedarf, um den
inneren Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und der versicherten Tätigkeit
herzustellen. Dieser Zusammenhang ist nämlich nach der Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts von vornherein grundsätzlich gegeben, sofern sich der Versicherte
in seiner Arbeitsstätte befunden hat, wo im fraglichen Zeitpunkt eine zur Gewalttat
entschlossene Person seiner habhaft werden kann. Dieser Zusammenhang verliert nur
dann an Bedeutung, wenn die Beweggründe des Angreifers dem persönlichen Bereich
der Beteiligten zuzurechnen sind. Dann bedeutet das Antreffen des Versicherten an der
Arbeitsstätte oft nur eine von vielen Gelegenheiten für den Angreifer, die verfeindete
Person zu überfallen, die ihm genauso gut zu anderer Zeit an anderer Stelle erreichbar
gewesen wäre. Mit der Erwägung, dass in diesen Fällen die betriebsfremden
Beziehungen zwischen Täter und Versichertem vorherrschen und den Zusammenhang
des Überfalls mit der versicherten Tätigkeit als rechtlich unwesentlich zurückdrängen,
rechtfertigt sich in solchen Fällen die Versagung des Unfallversicherungsschutzes (BSG
Urteil vom 30. Juni 1998, Az. B 2 U 27/97, zitiert nach Juris; BSG Urteil vom 29. Mai 1962,
Az. 2 RU 95/79, BSGE 17, 75, 77 m. w. N.; Hessisches Landessozialgericht Urteil vom 12.
Februar 2008, Az. L 3 U 82/06, zitiert nach Juris; Sächsisches Landessozialgericht Urteil
vom 22. Juni 2006, Az. L 2 U 146/03, zitiert nach Juris; Sächsisches Landessozialgericht
Urteil vom 10. Juli 2003, Az. L 2 U 97/01, zitiert nach Juris, Landessozialgericht Berlin-
Brandenburg, Urteil vom 25. November 2008, Az. L 31 U 394/08, zitiert nach Juris).
Die Versagung des Versicherungsschutzes kommt dann in Betracht, wenn der bzw. die
Versicherte einem gegen seine Person gerichteten geplanten Anschlag zum Opfer
gefallen ist und alle möglichen Tatmotive des Täters ausschließlich im Zusammenhang
mit dem persönlichen Bereich des Versicherten und dortigen Auseinandersetzungen zu
suchen sind, so dass ein betriebsbezogenes Motiv fehlt.
Eine solche Eingrenzung der denkbaren Tatmotive ist im vorliegenden Fall aber gerade
nicht möglich.
Zwar sprechen einerseits einige Umstände für ein persönliches Motiv des Täters: Dem
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Zwar sprechen einerseits einige Umstände für ein persönliches Motiv des Täters: Dem
Täter waren der aktuelle Wohnort seiner geschiedenen Ehefrau und ihre
Lebensumstände bekannt. Zudem hatte er, bevor er in den Blumenstand der Klägerin
fuhr, am selben Tage seine zweite Ehefrau, die gleichfalls von den Philippinen stammt,
mit einem Messer attackiert. Vor diesem Hintergrund ist es denkbar, dass ein erneuter
Beziehungskonflikt zwischen dem Täter und seiner jetzigen Ehefrau Anlass auch für die
hier streitgegenständliche Tat war. Für ein persönliches Motiv des Täters mag auch
sprechen, dass der derzeitige Lebensgefährte der Klägerin, der Zeuge K, gegenüber den
ihn vernehmenden Polizeibeamten am 13. November 2009 geäußert hatte, der Täter
habe die Klägerin bereits seit Jahren durch Drohbriefe terrorisiert.
Andererseits bestehen jedoch ebenfalls Anhaltspunkte, die gegen ein persönliches Motiv
des Anschlags vom 13. November 2009 sprechen: Wie die Klägerin und ihr
Lebensgefährte, der Zeuge R K, im Erörterungstermin bestätigten, bestand nach der
Scheidung der Klägerin von ihrem früheren Ehemann im Jahr 2003 kein Kontakt mehr
zwischen beiden. Gestützt werden diese Angaben auch durch den in den Akten
befindlichen Bericht der Reha-Beratung der Beklagten vom 4. Dezember 2009. Danach
hatte der Täter nach der Scheidung auch zu den gemeinsamen Kindern mit der Klägerin
keinerlei Kontakt mehr.
Darüber hinaus gibt es auch Anhaltspunkte, die für ein berufsbezogenes Motiv des
Anschlags vom 13. November 2009 sprechen: Der Täter hatte vor seiner Scheidung
einen weiteren Blumenstand in der Nähe des Standes der Klägerin betrieben. Nach der
Trennung führte lediglich die Klägerin ihren Blumenstand weiter, ihr ehemaliger Ehemann
musste den seinen aufgeben. Er selbst lebte - soweit aus den Akten ersichtlich - lediglich
von einer kleinen Rente. Der derzeitige Lebensgefährte der Klägerin, der Zeuge K, gab
gegenüber dem ihn vernehmenden Polizeibeamten am 13. November 2009 an, der
Täter habe „vermutlich nicht damit leben können, dass seine Ex-Frau gutes Geld
verdiene und er selbst nur von Hartz IV lebe“. Diese Aussage konnte er in dem
Erörterungstermin zwar nicht bestätigen. Die Kammer misst den zeitnahen und
spontanen Angaben des Zeugen gegenüber dem vernehmenden Polizeibeamten – am
Tag der Tat selbst – jedoch besondere Bedeutung zu. Zudem wurde die Richtigkeit
dieser Angaben durch den Zeugen K auch nicht ausdrücklich in Abrede gestellt – er
erinnerte sich nur nicht mehr. Vor diesem Hintergrund liegt es im Bereich des Möglichen,
dass das Motiv des Täters für die Fahrt in den Blumenstand der Klägerin auch Neid auf
ihren relativen wirtschaftlichen Erfolg war. Eine solche Missgunst des Täters als Motiv
seiner Tat erscheint insbesondere vor dem Hintergrund denkbar, dass er zur Zeit seiner
Partnerschaft mit der Klägerin gleichfalls einen Blumenstand in der Nähe betrieben
hatte, diesen dann aber im Zuge der Trennung aufgeben musste.
Weiterhin spricht für ein berufsbezogenes Motiv, dass es im Jahr 2002 zu einem
Diebstahl des ehemaligen Ehemannes der Klägerin in deren Blumenstand kam. Der
Täter wollte die Klägerin also wirtschaftlich schädigen. Diese hatte seinerzeit auch die Tat
gegenüber der Polizei angezeigt. In diesem Zusammenhang sagte der Zeuge K am 13.
November 2009 gegenüber dem ihn vernehmenden Polizeibeamten aus, dass der
ehemalige Ehemann der Klägerin ihr diese Anzeige nie verziehen habe. Zwar äußerte die
Klägerin selbst im Erörterungstermin, dass sie nicht davon ausgehe, dass ihr ehemaliger
Ehemann ihr diese Anzeige nachhaltig verübelt habe. Allerdings bleibt auch diese
Annahme spekulativ. Möglich erscheint, dass der Täter der Klägerin die damalige
polizeiliche Anzeige nachtrug. Der Täter hatte nämlich auch seinerseits der Klägerin mit
Anzeigen gedroht – etwa gegenüber dem Finanzamt, wie sich aus der Befragung des
Herrn K durch den Polizeibeamten KOK L am 13. November 2009 ergibt. Möglicherweise
hat sich der Groll des Täters über die polizeiliche Anzeige zusammen mit dem Neid auf
den weiterhin erfolgreich betriebenen Blumenstand zu einer Gemütslage verdichtet hat,
die mitentscheidend war für den Anschlag auf den Blumenstand.
Schließlich muss in Überlegungen zur Motivlage auch der Umstand einbezogen werden,
dass durch den Anschlag vom 13. November 2009 die Grundlage der wirtschaftlichen
Existenz der Klägerin vernichtet wurde. Indem der Täter in den Blumenstand raste,
verwüstete und zerstörte er diesen. Dieses Taterfolges konnte er sich gewiss sein – nicht
hingegen konnte er mit Sicherheit davon ausgehen, dass durch den Anschlag die
Klägerin schwer verletzt oder gar getötet werden würde. Zwar gab er in seiner
polizeilichen Vernehmung an, die Klägerin sei jeden Tag in dem Blumenstand gewesen.
Zugleich gestand er jedoch, sich nicht vergewissert zu haben, ob sich jemand in dem
Blumenstand befand oder nicht. Auch habe er keine Person wahrnehmen können, als er
in den Blumenstand raste. Die Klägerin selbst und der Zeuge K bestätigten in dem
Erörterungstermin, dass es wegen eines Rundum-Schutzes mit Plexiglas nicht möglich
gewesen sei, den Blumenstand von außen einzusehen.
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Vor diesem Hintergrund konnte – aus der Sicht des Täters – nur eine völlige Zerstörung
des Blumenstandes als gesicherter Taterfolg gelten, nicht jedoch, dass zugleich auch die
Klägerin schwer verletzt oder gar getötet werden würde. Es bleibt die denkbare
Möglichkeit, dass es dem Täter zuvörderst darauf ankam, die Klägerin ihrer
wirtschaftlichen Existenz zu berauben, dass aber die Vernichtung ihrer physischen
Existenz nur als „Nebenfolge“ einkalkuliert wurde. Selbst wenn man von einer
Tötungsabsicht des Täters ausgeht, bleibt jedoch – angesichts der gleichzeitigen und
gezielten Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz der Klägerin – die Möglichkeit eines
berufsbezogenen Motivs für den Tötungsversuch.
Der Täter hat sich während der Untersuchungshaft das Leben genommen, so dass eine
Befragung seiner Person zu den Motiven der Tat ausscheidet. Gegenüber den
Polizeibeamten am Tatort erklärte er spontan, er habe sich durch den Unfall das Leben
nehmen wollen. Entsprechendes gab er auch in seiner polizeilichen
Beschuldigtenvernehmung am 14. November 2009 an. Hier äußerte er sogar, den
Transporter gemietet zu haben, um in Suizidabsicht gegen einen Baum zu fahren. Auf
die Frage hin, wann er sich entschlossen habe, in den Blumenladen zu fahren, gab er an,
dies könne er nicht sagen. Ebenso wenig machte er Angaben dazu, ob er seine frühere
Ehefrau habe töten oder verletzen wollen.
Im Ergebnis dieser Ansatzpunkte ergibt sich kein konkretes Tatmotiv. Ein ursächlicher
Zusammenhang zwischen der – insbesondere im Vergleich zum Täter – wirtschaftlich
erfolgreichen Tätigkeit der Klägerin als Floristin und der Fahrt des Täters in den
Blumenstand ist aber jedenfalls denkbar, so dass – wenn die Klägerin nicht erfolgreich
weiterhin Blumen an einem eigenen Stand verkauft hätte – auch ein Anschlag auf ihre
Person entfallen wäre.
Nach alledem ergaben sich für die Kammer Hinweise sowohl auf eine Beziehungstat als
auch auf eine Tat im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit der Klägerin. Für
keine dieser beiden Alternativen haben sich letztlich ganz konkrete Hinweise oder gar
Beweise ergeben. Es kann aber gerade nicht davon ausgegangen werden, dass alle
möglichen Tatmotive ausschließlich im Zusammenhang mit dem rein persönlichen
Bereich der Klägerin zu suchen sind. Das letztendliche Motiv der Tat bleibt damit
ungeklärt.
Die Ungewissheit darüber, aus welchen Motiven heraus die Klägerin erheblich verletzt
wurde, geht zulasten der Beklagten, denn sie trägt bei der gegebenen Sachlage die
objektive Beweislast. Da die Klägerin sich vorliegend in ihrer Arbeitsstätte befunden hat,
als sie angefahren wurde, obliegt es der Beklagten - will sie den Zusammenhang mit der
versicherten Tätigkeit widerlegen - zu beweisen, dass ausschließlich persönliche
Tatmotive die Tat begründeten. Nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast geht
die Nichterweislichkeit einer Tatsache zulasten desjenigen, der daraus ein Recht
herleiten will. Dies ist vorliegend die Beklagte, da ausschließlich persönliche Tatmotive
nicht nachweisbar sind (vgl. auch Hessisches Landessozialgericht Urteil vom 12. Februar
2008, L 3 U 82/06, zitiert nach Juris; Sächsisches Landessozialgericht Urteil vom 22. Juni
2006, Az. L 2 U 146/03, zitiert nach Juris, Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil
vom 25. November 2008, Az. L 31 U 394/08, zitiert nach Juris).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der
Hauptsache.
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