Urteil des SozG Aurich vom 22.10.2008

SozG Aurich: widerspruchsverfahren, satzung, begriff, beitrag, verwaltungskosten, deckung, beratung, form, entstehung, verbindlichkeit

Sozialgericht Aurich
Urteil vom 22.10.2008 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Aurich S 6 R 70/06 ZVW
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Höhe der nach einem erfolgreichen Widerspruchsverfahren zu erstattenden außergerichtlichen Kosten.
Die Klägerin wurde in einem bei der Beklagten anhängigen Widerspruchsverfahren unter Vorlage einer schriftlichen
Vollmacht vom Sozialverband VdK G. e.V. (im Folgenden: VdK) vertreten. Mit Bescheid vom 07.01.2002 half die
Beklagte dem Widerspruch ab und erklärte sich bereit, der Klägerin die durch das Widerspruchsverfahren
entstandenen notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Mit Schreiben vom 11.01.2002 machte die Klägerin unter
Hinweis auf § 2 einer am 01.01.2001 in Kraft getretenen "Richtlinie über die Erhebung von Pauschbeträgen",
beschlossen vom Landesverbandsvorstand des VdK aufgrund von § 6 Abs. 4 der Satzung, die Erstattung von Kosten
in Höhe von 46,02 EUR (= 90,00 DM) geltend. Danach haben Mitglieder für ein vom VdK in ihrem Auftrag
durchgeführtes Widerspruchsverfahren zur Deckung der Verwaltungskosten des Verbandes einen Pauschbetrag an
den Landesverband in Höhe von 90,00 DM zu entrichten. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 01.02.2002 setzte
die Beklagte die der Klägerin zu erstattenden Kosten unter Bezugnahme auf einen Beschluss der 76. Konferenz der
Minister und Senatoren für Arbeit und Soziales der Länder vom September 1999 auf 17,90 EUR (= 35,00 DM) fest.
Der hiergegen erhobene Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 03.07.2002). Zur Begründung führte
die Beklagte aus, sie habe mit den sozialpolitischen Verbänden, zu denen auch der VdK gehöre, eine pauschale
Regelung zur Kostenerstattung nach § 63 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Verwaltungsverfahren – (SGB X)
vereinbart. Nach dieser Regelung erstatte sie – die Beklagte – an den VdK für die erfolgreiche Vertretung eines
Mitglieds im Widerspruchsverfahren ab dem 01.01.2000 einen Pauschbetrag von 35,00 DM. Eine darüber
hinausgehende Zahlung würde dem Gleichbehandlungsgrundsatz widersprechen.
Mit ihrer am 23.07.2002 erhobenen Klage macht die Klägerin geltend, die von ihr an den VdK zu zahlende Pauschale
sei durch die Beklagte in voller Höhe gemäß § 63 SGB X zu erstatten. Bei der im Rahmen der Satzungsautonomie
des VdK rechtmäßig festgelegten Kostenpauschale handele es sich um einen zusätzlichen Mitgliedsbeitrag und nicht
um ein Entgelt für die von den Mitarbeitern des Verbandes aufgewendete Arbeitszeit. Mit dem Pauschalbetrag
beteiligten sich die im Rechtsbehelfsverfahren vertretenen Mitglieder an den Aufwendungen zur Deckung der
Generalunkosten und Verwaltungskosten. Die Pauschale betrage auch nur etwa 20 % der durchschnittlichen
Mittelgebühr nach der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung. Dieser Vergleich mache deutlich, dass Zeit- und
Arbeitskosten der Angestellten des Verbandes nicht abgegolten würden. So werde die Pauschale denn auch bei
aufwendigen Verfahren nicht erhöht, während ein Rechtsanwalt dann die Höchstgebühr verlangen könne. Da die
Grenze der Angemessenheit erst erreicht sei, wenn eine Art Gebührensystem eingeführt werde oder eine auch nur
ansatzweise erkennbare Gewinnerzielungsabsicht des Verbandes bestehe, müsse im vorliegenden Falle von einer
angemessenen Kostenpauschale ausgegangen werden. Unter den Begriff "Gebühren" im Sinne des § 63 Abs. 2 SGB
X seien auch Aufwandspauschalen zu fassen, die der sonstige Bevollmächtigte fordere. Denn in § 63 Abs. 2 SGB X
habe der Gesetzgeber den Begriff des sonstigen Bevollmächtigten mit dem des Rechtsanwaltes gleichgestellt und zu
dem Begriff der "Gebühren" in Beziehung gesetzt. Sofern tatsächlich nur die "gesetzlichen Gebühren" hätten erfasst
sein sollen, wäre auch dieselbe Formulierung wie in § 91 Zivilprozessordnung (ZPO) gewählt worden. Die von der
Beklagten erwähnte Vereinbarung über die Kostenerstattung im Vorverfahren und im Verfahren vor den
Sozialgerichten habe der VdK in der vorliegenden Form nicht unterschrieben.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 01.02.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
03.07.2002 zu verurteilen, den Betrag der für das Widerspruchsverfahren zu erstattenden Aufwendungen auf 46,02
EUR (= 90,00 DM) festzusetzen und diese zu verurteilen, einen weiteren Geldbetrag in Höhe von 28,12 EUR (= 55,00
DM) zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die angefochtenen Bescheide für zutreffend und hält an ihrer Rechtsauffassung auch unter Berücksichtigung
der Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) vom 29.03.2007 (Az.: B 9a SB 2/05 R, 3/05 R und 6/05 R) fest.
Mit Gerichtsbescheid vom 27.10.2004 ist die Klage abgewiesen worden. Auf die Sprungrevision der Klägerin hat das
BSG mit Urteil vom 16.03.2006 (Az.: B 4 RA 59/04 R) den Gerichtsbescheid wegen eines Verfahrensfehlers
aufgehoben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das erkennende Gericht
zurückverwiesen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungs- und Prozessakten verwiesen, die
Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Die angefochtenen Bescheide sind im Ergebnis rechtlich nicht zu beanstanden. Eine über den von der Beklagten
festgesetzten Betrag hinausgehende Kostenerstattung steht der Klägerin nicht zu.
Die Klägerin kann ihren Erstattungsanspruch hinsichtlich des geltend gemachten Pauschbetrags nicht bereits aus der
in dem bestandskräftigen Abhilfebescheid vom 07.01.2002 getroffenen Kostenentscheidung herleiten. Denn hierbei
handelt es sich ausdrücklich lediglich um eine Kostengrundentscheidung.
Als Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Pauschbetrag kommt danach lediglich § 63 SGB X in Betracht.
Unter Aufgabe der im Gerichtsbescheid vom 27.10.2004 vertretenen Rechtsauffassung geht das Gericht nunmehr
davon aus, dass die Kosten der Arbeit eines Bevollmächtigten, der – wie hier – nicht aufgrund einer gesetzlichen
Gebührenordnung abrechnen kann, nach § 63 Abs. 1 S. 1 SGB X unter den dort genannten Voraussetzungen
erstattungsfähig sind. Insoweit folgt das Gericht der Rechtsprechung des 9a. Senats des BSG (aaO.).
Nach § 63 Abs. 1 S. 1 SGB X ist die Beklagte verpflichtet, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung
notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Voraussetzung für eine Kostenerstattung ist danach die Rechtswirksamkeit
der Forderung des VdK gegen die Klägerin in Höhe von 90,00 DM (= 46,02 EUR). Denn wenn die Klägerin selbst nicht
verpflichtet wäre bzw. gewesen ist, diesen Betrag an den VdK zu zahlen, scheidet auch ein hierauf gerichteter
Kostenerstattungsanspruch von vornherein aus. In diesem Zusammenhang hat der 9a. Senat des BSG in seinen oben
genannten Urteilen (aaO., Rn. 58 u. 59) ausgeführt, dass der Anspruch auf Rechtsdienstleistungen und die damit
korrelierende Kostenerhebung in einer satzungsrechtlichen Regelung wurzeln müssten. Aus der satzungsrechtlichen
Grundlage müsse daher für Vereinsmitglieder wie auch Dritte klar und deutlich erkennbar sein, unter welchen
Voraussetzungen sowie in welcher Höhe die Forderung entstehe und ob das Vereinsmitglied sie ggfs. in dieser Höhe
auch endgültig trage. Ebenso wie die gesetzlichen Gebührenordnungen eine Grundlage dafür bildeten, dass die
Entstehung und Höhe einer Kostenforderung nachvollzogen werden könne und damit gleichzeitig die Notwendigkeit
der Kosten nachgewiesen sei, müssten auch die satzungsrechtlichen Regelungen Gewähr für eine solche
Nachvollziehbarkeit und Notwendigkeit bieten. Aus diesen Feststellungen folgt zwangsläufig, dass eine Regelung
unterhalb der Ebene des Satzungsrechts keine ausreichende Grundlage für einen Kostenerstattungsanspruch nach §
63 Abs. 1 SGB X bildet (so auch Sozialgericht Karlsruhe, Urteil vom 03.09.2008, Az.: S 8 SB 3610/07, veröffentlicht
in Juris).
Davon ausgehend kann von einer Rechtswirksamkeit der Forderung des VdK an die Klägerin nicht ausgegangen
werden. In dem insoweit einschlägigen § 6 Abs. 4 der Satzung des Sozialverbandes VdK Niedersachsen-Bremen e.V.
ist lediglich geregelt, dass die betroffenen Mitglieder zu den durch die Rechtsvertretung entstehenden Kosten einen
gesonderten Beitrag leisten. Dieser Beitrag wird durch Pauschbeträge erhoben, deren Höhe vom
Landesverbandsvorstand festzusetzen ist. Damit ist in der satzungsrechtlichen Grundlage weder geregelt, unter
welchen Voraussetzungen sowie in welcher Höhe die Forderung entsteht noch ob das Vereinsmitglied sie ggfs. in
dieser Höhe auch endgültig zu tragen hat. Diesbezügliche Regelungen finden sich vielmehr lediglich in der im
Widerspruchsverfahren vorgelegten Richtlinie über die Erhebung von Pauschbeträgen vom 07.11.2000, die offenbar
auf einen Beschluss des Landesverbandsvorstandes zurückgeht. Demgemäß hat der VdK in seinem für die Klägerin
gestellten Erstattungsantrag vom 11.01.2002 auch ausdrücklich ausgeführt, dass die Klägerin die Kostenpauschale
aufgrund dieser Richtlinien (nicht etwa aufgrund des § 6 Abs. 4 der Satzung) zu zahlen habe. Die in der Richtlinie
getroffenen Regelungen begründen indes aus den dargestellten Gründen keine rechtswirksame Forderung gegen die
Klägerin. Ein hierauf gerichteter Kostenerstattungsanspruch gegen die Beklagte scheidet danach aus. Nur ergänzend
ist daher anzumerken, dass es sich nach der in § 6 Abs. 4 der Satzung getroffenen Regelung und dem
Klagevorbringen bei dem Pauschbetrag um einen gesonderten Mitgliedsbeitrag handelt und nach § 7 Abs. 1 Satz 2
der Satzung über die Höhe der Mitgliedsbeiträge grundsätzlich der Landesverbandstag oder die
Landesverbandskonferenz entscheidet. Nur die Beschlüsse des Landesverbandstags als höchste Instanz des
Verbandes sind nach § 15 Abs. 1a) der Satzung für die Mitglieder des Landesverbandes bindend. Auch unter diesem
Blickwinkel bestehen gegen die Verbindlichkeit eines Beschlusses des Landesverbandsvorstandes über die Höhe des
zu entrichtenden Pauschbetrages für die Klägerin Bedenken.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Klägerin hat auch die ihr durch das
Revisionsverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen, da dieses lediglich im Sinne einer
Zurückverweisung Erfolg hatte und die Klägerin letztlich mit ihrem Klagebegehren gescheitert ist.
Bei nicht erreichter Berufungssumme (§ 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG) war die Berufung zuzulassen, da die Sache
weiterhin grundsätzliche Bedeutung hat (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG).