Urteil des SozG Altenburg vom 29.07.2005

SozG Altenburg: gesellschaft mit beschränkter haftung, eintrag im handelsregister, zugehörigkeit, geschäftsführer, ingenieur, industrie, ddr, architekt, verordnung, techniker

Sozialgericht Altenburg
Urteil vom 29.07.2005 (rechtskräftig)
Sozialgericht Altenburg S 19 RA 2174/02
Thüringer Landessozialgericht L 3 R 655/05
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Gegenstand des Verfahrens ist die Frage, ob der Kläger in der Zeit vom 15. Januar 1969 bis zum 30. Juni 1990
faktisch der Zusatzversorgung der technischen Intelligenz angehört hat.
Der am 25. Januar 1944 geborene Kläger schloss die Ausbildung zum Bauingenieur im Januar 1969 erfolgreich ab.
Zunächst (ab 15. Januar 1969) war er Sachbearbeiter im VEB Wohnbaukombinat (WBK) G., ab Januar 1971 wurde er
hier Bauingenieur / Technologie, ab 1974 Abteilungsleiter und ab 1. Januar 1977 technischer Leiter; ab Januar 1981
war er Betriebsteilleiter bzw. Betriebsleiter Projektierung. Nachdem ihm die Beschäftigten der Projektierungsabteilung
auf einer Versammlung im Mai 1990 ihr Vertrauen ausgesprochen hatte, fungierte er als Geschäftsführer der zu dieser
Zeit noch in Gründung befindlichen Fa. Hochbauprojektierung Architekten und Ingenieure G. GmbH, die aus dem VEB
WBK "ausgegründet" werden sollte. Nach dem Geschäftsführervertrag, der nach Angaben des Klägers erst im Juli
1990 unterzeichnet worden ist, ist als Beginn der Tätigkeit als Geschäftsführer der Fa. H. GmbH der 22. Juni 1990
vereinbart worden. Entsprechend dem Eintrag im Handelsregister beim damaligen Kreisgericht G. Stadt (HR B 10/122)
wurde die Fa. H. G. Architekten- und Ingenieur-Gesellschaft mit beschränkter Haftung am 28. Juni 1990 in das
Handelsregister eingetragen. Die Umwandlungserklärung datiert vom 22. Juni 1990; danach sollte der VEB
Wohnbaukombinat "G." G. in zwei GmbH umgewandelt werden, nämlich die Fa. O. Ostthüringer Bauunternehmen
GmbH und die Fa. H. G. Architekten- und Ingenieurgesellschaft mbH. Die Eintragungen der Fa. O. GmbH in das
Handelsregister erfolgte allerdings (erst) am 25. Juli 1990 (Amtsgericht Gera HR B 0310).
Der Kläger beantragte die Feststellung von Versorgungsanwartschaften am 7.6.2002.
Mit Bescheid vom 30.07.2002 lehnte die Beklagte die Feststellung mit der Begrünung ab, der Kläger sei nicht im
Geltungsbereich der Zusatzversorgung der technischen Intelligenz tätig gewesen.
Den dagegen am 23. August 2002 (Posteingangsdatum) eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit
Widerspruchsbescheid vom 30.10.2002 zurück.
Dagegen wendet sich der Kläger mit der am 27. November 2002 zu Protokoll des Sozialgerichts erhobenen Klage.
Der Kläger ist der Auffassung, dass er wenigstens bis zum 25. Juli 1990, somit auch am 30. Juni 1990 in einem
volkseigenen Produktionsbetrieb des Bauwesens ingenieurtechnisch, nämlich als Leiter des Projektierungsbetriebes
tätig war und damit die Voraussetzungen für die Anerkennung der faktischen Zugehörigkeit zur Zusatzversorgung der
technischen Intelligenz erfülle.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 30. Juli 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Oktober 2002 abzuändern und die
Beklagte zu verurteilen, für die Zeit vom 15. Januar 1969 bis 30. Juni 1990 die Zugehörigkeit zum
Zusatzversorgungs¬system 1 der Anlage 1 zum AAÜG festzustellen, die während dessen erzielten Entgelte und
sonstigen Sachverhalte zu ermitteln, mit Bescheid festzustellen und dem Rentenversicherungsträger zu übermitteln.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist sie auf die Ausführungen im angegriffenen Widerspruchsbescheid, insbesondere betont sie,
der Kläger sei am 30. Juni 1990 nicht mehr in einem volkseigenen Produktionsbetrieb des Bauwesens tätig gewesen.
Über die Zugehörigkeit des Klägers zu einem Versorgungssystem i. S. des AAÜG ist bis zum 30. Juni 1990 keine
positive Entscheidung ergangen; er war bis zu diesem Zeitpunkt auch in kein Zusatz- oder Sonderversorgungssystem
einbezogen worden oder ihm beigetreten.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Gerichts- und Verwaltungsakte und die Sitzungsniederschrift vom 29.
Juli 2005 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgerecht vor dem örtlich zuständigen Sozialgericht erhoben
worden.
Die Klage ist unbegründet.
Die angegriffenen Bescheide sind rechtmäßig, sie verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung der faktischen Zugehörigkeit zur Zusatzversorgung zu einem
Zusatzversorgungssystem in der Zeit vom 15. Januar 1969 bis zum 30. Juni 1990, weil das Anspruchs- und
Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG), das allein die Anspruchsgrundlage für den Feststellungsanspruch sein
könnte, hier schon nicht anwendbar ist.
Voraussetzung für den Anspruch auf die Feststellung von Arbeitsentgelten und sonstigen Sachverhalten nach dem
AAÜG ist nämlich, dass dieses Gesetz überhaupt auf ein Beschäftigungsverhältnis angewendet werden kann. Diese
Frage ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes vom Versorgungsträger und nachfolgend der
Sozialgerichtsbarkeit in einem ersten Prüfungsschritt zu klären.
Die Anwendbarkeit des AAÜG ist nach § 1 des Gesetzes gegeben bei Personen, die bei Inkrafttreten dieses
Gesetzes, nämlich am 1. August 1991 Versorgungsansprüche oder –anwartschaften auf Grund der Zugehörigkeit zu
einem Versorgungssystem besaßen, weil sie am 3. Oktober 1990 bereits in ein Versorgungssystem tatsächlich
einbezogen waren oder danach wegen der Aufhebung rechtswidriger Verwaltungsakte der ehemaligen DDR wieder
einbezogen wurden oder vor der Schließung der Versorgungssysteme zum 1. Juli 1990 einbezogen waren, aber auf
Grund von Regelungen der Versorgungssysteme wieder ausgeschieden waren. Diese gesetzlich normierten
Fallgestaltungen sind dadurch gekennzeichnet, dass zu irgendeinem Zeitpunkt vor Schließung der
Versorgungssysteme eine positive Entscheidung über die Zugehörigkeit zu einem solchen System getroffen worden
war.
Der zuständige 4. Senat des Bundessozialgerichtes hat darüber hinaus im Anwendungsbereich des AAÜG im Wege
einer verfassungskonform ausweitenden Auslegung des Gesetzes dahingehend erweitert, dass auch Personen, die
zwar keine positive Versorgungszusage bis zur Schließung der Systeme, also am 30. Juni 1990 erhalten hatten, aber
nach der zu diesem Termin gegebenen Sachlage auf Grund der zu diesem Termin zu Bundesrecht gewordenen
zwingenden Bestimmungen der Versorgungssysteme einen Anspruch auf die Einbeziehung oder eine
Versorgungszusage am 1. Juli gehabt hätten, auch ohne positive Versorgungszusage hinsichtlich der Frage der
Zugehörigkeit zum Versorgungssystem so zu behandeln sind wie tatsächlich Einbezogene, wobei diese Feststellung
allerdings keine Entscheidung über eine tatsächliche Leistungsberechtigung aus einem Versorgungssystem bedeutet.
Diese fiktive Zugehörigkeit zur Zusatzversorgung setzt für die hier in Betracht kommende Zusatzversorgung der
technischen Intelligenz nach der hierzu ergangenen Verordnung vom 17. August 1950 und der Zweiten
Durchführungsbestimmung vom 24. Mai 1951 voraus, dass in der Person des betreffenden Versicherten drei
Umstände am 30. Juni 1990 gleichzeitig kumulativ vorgelegen hatten:
1. die Berechtigung zur Führung der Berufsbezeichnung als Ingenieur oder Techniker bzw. Architekt oder Statiker, 2.
die Ausübung produktionstechnischer Tätigkeiten als Ingenieur, Techniker, Architekt, Statiker oder Konstrukteur, 3.
die Ausübung dieser Tätigkeit in einem volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens.
Vergleiche beispielhaft Urteil des Bundessozialgerichts vom 31. Juli 2002 (Az.: B 4 RA 62/01 R).
Der Kläger hat den Ausbildungsabschluss eines Bauingenieurs. Er war als Bauingenieur in der Bauprojektierung tätig,
allerdings am 30. Juni 1990 nicht mehr in einem volkseigenen Baubetrieb.
Soweit der Kläger der Ansicht ist, er sei auch noch am 30. Juni 1990 in einem volkseigenen Produktionsbetrieb des
Bauwesens, nämlich dem VEB Wohnbaukombinat G. tätig gewesen, kann ihm die Kammer aus folgenden Gründen
nicht folgen: Der Kläger war offensichtlich ab Anfang Juni 1990, spätestens aber ab dem 22. Juni 1990, nämlich mit
dem Wirksamwerden des Geschäftsführervertrages mit der Fa. H. Architekten- und Ingenieur-Gesellschaft mbH i. G.
arbeitsrechtlich nicht mehr Beschäftigter des VEB WBK. Nach dem Geschäftsführervertrag ist der Vertragsbeginn
ausdrücklich auf den 22. Juni 1990 terminiert worden. Die Bestellung zum Geschäftsführer der GmbH (zu dieser Zeit
noch GmbH i. Gr.) ist nach § 1 Ziffer 1 dieses Vertrages ebenfalls auf den 22. Juni 1990 terminiert worden, dabei
handelt es sich um den spätesten Zeitpunkt, zu dem die spätere Fa. H. Architekten- und Ingenieurgesellschaft mbH in
ihr Gründungsstadium eingetreten ist. Nach § 1 Ziffer 5 des Geschäftsführer-Anstellungsvertrages war der Kläger ab
diesem Datum verpflichtet gewesen, als bestellter Geschäftsführer seine Arbeitskraft ausschließlich der Gesellschaft
zu widmen; jede anderweitige Tätigkeit im beruflichen Bereich bedurfte der Zustimmung der Gesellschaft bzw. des
Aufsichtsrates. Diese vertraglichen Absprachen, die nicht ohne das Zutun des Klägers wirksam werden konnten,
lassen sich nicht anders verstehen, als dass er tatsächlich spätestens ab dem 22. Juni 1990 ausschließlich für die
damals noch im Gründungsstadium befindliche H. Architekten- und Ingenieur-Gesellschaft mbH als Geschäftsführer
tätig zu sein hatte und deshalb nicht mehr als Betriebsteilleiter einer Projektierungsabteilung des VEB
Wohnbaukombinat G. fungieren konnte, die im Übrigen weitgehend in die GmbH i. Gr. überführt worden war.
Im Übrigen spricht für die Tatsache, dass der Kläger am 30. Juni 1990 nicht mehr Beschäftigter des VEB
Wohnbaukombinates war auch der Umstand, dass die Fa. H. Ingenieur-Gesellschaft mbH schon am 28. Juni 1990 in
das Handelsregister beim damaligen Kreisgericht Gera eingetragen worden ist.
Ob damit bereits der VEB WBK nach § 7 Verordnung zur Umwandlung von volkseigenen Kombinaten, Betrieben und
Einrichtungen in Kapitalgesellschaften vom 1. März 1990 erloschen war, kann an dieser Stelle dahin stehen, denn
unabhängig davon, ob mit dieser
Eintragung oder erst mit der Handelsregister-Eintragung des weiteren Betriebes (Fa. O. GmbH) am 25. Juli 1990, der
nach der Umwandlungserklärung vom 22. Juni 1990 offenbar zeitgleich aus dem VEB WBK hervorgehen sollte, hat
der Kläger, wie bereits ausgeführt, jedenfalls nach dem Geschäftsführeranstellungsvertrag ab dem 22. Juni 1990
ausschließlich für die GmbH i. Gr. gearbeitet, so dass es hier nicht auf die Frage ankommt, wann der VEB
Wohnbaukombinat nach der o. g. Umwandlungsverordnung rechtlich erloschen war.
Das Bundessozialgericht hat in zahlreichen Entscheidungen seit 9./10. April 2002 die Maßgeblichkeit der Tätigkeit im
Geltungsbereich eines Versorgungssystems genau am 30. Juni 1990 hervorgehoben, wenn es nicht irgendwann vor
diesem Termin zu einer tatsächlichen - wenn auch möglicher Weise nur vorübergehenden - Zugehörigkeit zu einem
Versorgungssystem gekommen war (vgl. BSG-Urteil vom 10. April 2002, Az.: B 4 RA 32/01 R, BSG-Urteil vom 6. Mai
2004, Az.: B 4 RA 55/03 R, BSG-Urteil vom 29. April 2004, Az.: B 4 RA 12/04 R und BSG-Urteil vom 10. Februar
2005, Az.: B 4 RA 48/04 R) – wofür es hier keinen Anhaltspunkt gibt.
Im Hinblick auf diese ständige Rechtsprechung ist an der Maßgeblichkeit des 30. Juni 1990 als dem Termin, zu dem
die Voraussetzungen für die Annahme einer faktischen Zugehörigkeit zur Zusatzversorgung mindestens erfüllt sein
müssen, um überhaupt zu einer Anwendbarkeit des AAÜG zu kommen, nicht mehr zu bezweifeln.
Aus welchen Gründen am Stichtag die Beschäftigung nicht mehr in einem volkseigenen Produktionsbetrieb der
Industrie oder des Bauwesens ausgeführt wurde, ist nicht entscheidend, entscheidend ist die Tatsache an sich. Es
kommt also nicht darauf an, ob dem Kläger der Wechsel des Arbeitgebers zum 22. Juni 1990 oder spätestens zum
28. Juni 1990 seinerzeit bewusst war und ob er eine Vorstellung über die versorgungsrechtlichen Auswirkungen nach
der aktuellen Rechtsprechung des 4. Senates des BSG hatte, entscheidend ist allein, dass der Kläger nach der
objektiven Sachlage am 30. Juni 1990 keine Tätigkeit mehr in einem volkseigenen Produktionsbetrieb des Bauwesens
tatsächlich ausgeübt hat.
Der Kläger hatte wegen der Geschäftsführer-Tätigkeit für die Fa. H. Architekten- und Ingenieur-Gesellschaft mbH am
30. Juni 1990 zu diesem Zeitpunkt jedenfalls keinen Anspruch auf die Erteilung einer Versorgungszusage gehabt, was
nicht ausschließt, dass er auf Grund einer Einzelfallentscheidung eine Zuerkennung der Versorgung hätte erhalten
können. Eine
solche Einzelfallentscheidung war nur bis zur Schließung der Systeme möglich und ist nicht von der Beklagten
nachzuholen.
Die Gleichstellung des Klägers mit Personen, die noch am 30. Juni 1990 in einem Produktionsbetrieb der Industrie
oder des Bauwesens tätig waren, ist von Verfassungswegen nicht geboten.
Der Bundesgesetzgeber durfte an die im Zeitpunkt der Wiedervereinigung vorgefundenen Ausgestaltungen der
Versorgungssysteme in der DDR sowie an die zu diesem Zeitpunkt bestehende versorgungsrechtliche Lage der
Betroffenen anknüpfen, ohne damit gegen das verfassungsrechtliche Willkürgebot zu verstoßen, denn Artikel 3 Abs. 1
und 3 Grundgesetz gebieten nicht, von jenen zu "sekundärem Bundesrecht" gewordenen Regelungen der
Versorgungssysteme sowie den historischen Tatsachen, aus denen sich Unterschiede ergeben, abzusehen und sie
gewissermaßen rückwirkend auszugleichen (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 4. August 2004, 1 BvR
1557/01).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.