Urteil des SozG Altenburg vom 17.01.2007

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Sozialgericht Altenburg
Urteil vom 17.01.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Altenburg S 8 BL 1045/06
Thüringer Landessozialgericht L 5 BL 100/07
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Umstritten ist die Rechtmäßigkeit eines Bescheides, mit dem die Bewilligung von Blindengeld nach dem Thüringer
Blindengeldgesetz (ThürBliGG) aufgehoben und die Zahlung des Blindengeldes mit Wirkung ab 01.01.2006 eingestellt
wurde.
Der Kläger bezog Blindengeld nach dem ThürBliGG. Die Leistung wurde zuletzt durch Bescheid vom 21.03.2005 in
Höhe von 400,00 EUR monatlich bewilligt. Am 23.12.2005 beschloss der Thüringer Landtag das
Haushaltsbegleitgesetz 2006/2007, mit dessen Artikel 14 das ThürBliGG geändert wurde. Das Änderungsgesetz
wurde am 30.12.2005 im Gesetz- und Verordnungsblatt des Freistaates Thüringen veröffentlicht. Nach der ab
01.01.2006 geltenden Neuregelung erhält nur noch derjenige Blindengeld, der das 27. Lebensjahr noch nicht vollendet
hat. Mit Informationsschreiben vom 27.12.2005 informierte der Beklagte den Kläger über die geänderte Gesetzeslage.
Gleichzeitig wies er darauf hin, dass alle Blinden dem Grunde nach Anspruch auf Blindenhilfe nach § 72 des Zwölften
Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) hätten, die Gewährung der Blindenhilfe jedoch im Gegensatz zum
Landesblindengeld einkommens- und vermögensabhängig erfolge. Mit Bescheid vom 31.12.2005 hob der Beklagte
den Bescheid vom 21.03.2005 nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) auf und
stellte die Zahlung des Blindengeldes ab 01.01.2006 ein. Er nahm Bezug auf das übersandte Informationsschreiben
und die ausführliche Berichterstattung in der Presse über die beabsichtigten Gesetzesänderungen. Der Kläger habe
deshalb gewusst, dass der zuerkannte Anspruch auf Blindengeld ab dem 01.01.2006 nicht mehr gegeben sei. Er habe
weder auf den Fortbestand der alten Rechtslage noch auf die Bestandskraft des Ausgangsbescheides vertrauen
können. Eine Anhörung sei gemäß § 24 Abs. 2 Nr. 4 SGB X nicht erforderlich.
In seinem Widerspruch trug der Kläger vor, die Einstellung des Blindengeldes verstoße gegen die Thüringer
Verfassung und das Grundgesetz (GG) sowie gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes. Das Blindengeld werde
benötigt, um den erheblichen blindheitsbedingten Mehraufwand wenigstens einigermaßen zu decken. Im Vertrauen
darauf, dass das Blindengeld auch weiterhin einkommens- und vermögensunabhängig gewährt werde, habe der Kläger
Vermögensdispositionen hinsichtlich seiner Altersversorgung getroffen. Mit dem Wegfall des einkommens- und
vermögensunabhängigen Blindengeldes werde er künftig daran gehindert, gleichberechtigt am gesellschaftlichen
Leben teilzunehmen. Der Wegfall stelle außerdem eine erhebliche Verletzung der Menschenwürde dar. Die Aufhebung
des Bescheides über die Gewährung von Blindengeld ab dem 01.01.2006 sei auch deshalb nicht zulässig, weil der
Aufhebungsbescheid erst am 02.01.2006 zugegangen sei. Die noch im Jahre 2005 zugesandte Information über die
bevorstehende Änderung könne den Bescheid nicht ersetzen. Mit Widerspruchsbescheid vom 21.03.2006 bestätigte
der Beklagte seine Ausgangsentscheidung.
Am 11.04.2006 hat der Kläger Klage erhoben. Über seinen Bevollmächtigten trägt er vor, der Kläger habe mit
Bescheid des FDGB-Kreisvorstandes G. vom 05.02.1988 Blindengeld bewilligt bekommen. Im Einigungsvertrag
zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland sei von einer Eigentumsgarantie ausgegangen worden. Es sei
daher nicht nachvollziehbar, dass der Kläger nun durch eine landesrechtliche Regelung ab 01.01.2006 gar keine
Leistungen mehr erhalten solle.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 31.12.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21./24.03.2006 aufzuheben und dem
Kläger Blindengeld über den 31.12.2005 hinaus in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er bezieht sich auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide und ist der Ansicht, bei der Zahlung des
Landesblindengeldes handele es sich um eine freiwillige Leistung des Freistaates Thüringen, die aufgrund der
Haushaltslage nicht mehr gewährt werden könne. Ein Bestandsschutz für die Zahlung eines bestimmten Geldbetrages
aus der Zeit der DDR sei im Einigungsvertrag nicht festgeschrieben worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Akte des Beklagten,
die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die angefochtenen Bescheide des Beklagten sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Zu
Recht hat der Beklagte den Bescheid vom 21.03.2005 mit Wirkung ab 01.01.2006 aufgehoben und die Zahlung des
Blindengeldes auf der Grundlage des ThürBliGG eingestellt.
Nach § 1 Satz 1 ThürBliGG in der ab 01.01.2006 geltenden Fassung erhält grundsätzlich nur noch derjenige
Blindengeld, der das 27. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Unter Berücksichtigung der gesetzlichen Neuregelung
hat der Kläger ab 01.01.2006 keinen Anspruch mehr auf Blindengeld. Der Beklagte war deshalb berechtigt, den
bewilligenden Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben. Entgegen der
Auffassung des Bevollmächtigten des Klägers kann sich der Kläger nicht auf die Bestandskraft eines in der
ehemaligen DDR erlassenen Bescheides über die Gewährung von Blindengeld berufen. Selbst wenn die
landesrechtliche Blindengeldregelung als übergeleitetes Recht der DDR anzusehen wäre, ist die Anwendbarkeit der
Aufhebungsvorschriften des SGB X nicht ausgeschlossen. Nach Art. 19 Satz 1 des Einigungsvertrages bleiben vor
dem Wirksamwerden des Beitritts ergangene Verwaltungsakte der DDR grundsätzlich wirksam. Diese können nach
Satz 2 dieser Vorschrift nur aufgehoben werden, wenn sie mit rechtsstaatlichen Grundsätzen oder mit den
Regelungen des Einigungsvertrages unvereinbar sind; unberührt bleiben daneben nach Satz 3 auch die Vorschriften
über die Bestandskraft von Verwaltungsakten. Als Rechtsgrundlage für die Durchbrechung der grundsätzlichen
Bestandskraft von Verwaltungsakten der früheren DDR und damit als Rechtsgrundlage des Aufhebungsbescheides
des Beklagten kommen somit die §§ 45 und 48 SGB X in Betracht (vgl. BSG, Urteil vom 18.03.1997 – 2 RU 19/96;
Urteil vom 11.05.1995 – 2 RU 24/94; Urteil vom 11.09.2001 – B 2 U 32/00 R – JURIS). Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB
X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder
rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Der
Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit der
Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass
der sich aus dem Verwaltungsakt ergebene Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise
weggefallen ist (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X). Die genannten Voraussetzungen liegen vor, weil durch die
Gesetzesänderung eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Eine Aufhebung des Bewilligungsbescheides mit
Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse war zulässig, weil der Kläger wusste oder hätte wissen
müssen, dass der gesetzliche Anspruch ab 01.01.2006 weggefallen war. Die Kenntnis des Klägers ergibt sich aus
dem Informationsschreiben vom 27.12.2005, in dem ausführlich über die neue Rechtslage informiert wurde. Aus dem
Widerspruchsschreiben des Klägers ergibt sich, dass er dieses Informationsschreiben erhalten hat. Der Beklagte
durfte die Bewilligungsentscheidung mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufheben, ohne dass
er Ermessen auszuüben hatte. Anhaltspunkte für das Vorliegen eines atypischen Falles liegen nicht vor. Es ist nicht
erkennbar, dass die Umstände des Falles im Hinblick auf die mit der rückwirkenden Aufhebung verbundenen
Nachteile von den Normalfällen der Tatbestände der Nrn. 1 – 4 des § 48 Abs. 1 SGB X so signifikant abweichen, dass
der Kläger in besondere Bedrängnis geraten würde (vgl. BSGE 59, 116) oder dass eine Erstattungspflicht eine
besondere Härte bedeutete, die den Betroffenen in untypischer Weise stärker belastet als im Normalfall (vgl. BSG
SozR 5870, § 2 Nr. 30). Eine Erstattungspflicht besteht nicht. Besondere Härten werden darüber hinaus durch die
bedürftigkeitsabhängig gewährte Blindenhilfe nach § 72 SGB XII vermieden.
Ob im Hinblick auf die nach § 24 SGB X erforderliche Anhörung die Voraussetzungen des § 24 Abs. 2 Nr. 4 SGB X
erfüllt sind, kann dahinstehen, weil dem Kläger die entscheidungserheblichen Tatsachen in dem Ausgangsbescheid
mitgeteilt wurden und somit jedenfalls eine wirksame Nachholung der Anhörung erfolgte (§ 41 Abs. 2 SGB X).
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Einstellung des Blindengeldes nach dem ThürBliGG sind nicht ersichtlich.
Die Einstellung des Blindengeldes verletzt nicht die Menschwürde, Art. 1 GG. Der soziale Wert- und
Achtungsanspruch des Klägers, den Art. 1 GG schützt, wird bereits deshalb nicht verletzt, weil trotz der Einstellung
des Landesblindengeldes Blindenhilfe nach § 72 SGB XII beansprucht werden kann. Die Menschenwürde des Klägers
ist auch nicht dadurch betroffen, dass diese Leistung von seiner Bedürftigkeit abhängig ist.
Die Weitergewährung des Landesblindengeldes lässt sich nicht auf Art. 20 Abs. 1 GG stützen. Das sozialstaatliche
Gebot der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins ist nicht verletzt. Nach der Rechtsprechung des BVerfG
enthält der Sozialstaatsgrundsatz zwar den Auftrag der Fürsorge für Hilfebedürftige. Der Staat hat allerdings nur die
Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein seiner Bürger zu schaffen. Darüber hinaus liegt es
grundsätzlich in der Entscheidungsbefugnis des Gesetzgebers, auf welche Weise er seiner Verpflichtung nachkommt
und in welchem Umfang er unter Berücksichtigung der anderen Staatsaufgaben und der vorhandenen finanziellen
Mittel soziale Hilfeleistungen gewährleistet (BVerfGE 40, 121, 133; 82, 60 ff.). Unter Berücksichtigung des Anspruchs
auf Blindenhilfe nach § 72 SGB XII bei vorhandener Bedürftigkeit sind die durch Art. 20 Abs. 1 GG vorgegebenen
Mindestanforderungen für ein menschenwürdiges Dasein für blinde Menschen gewahrt. Ebenso wenig ist Art. 2 Abs. 2
Satz 1 GG verletzt. Denn Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG begründet keinen Anspruch auf eine bestimmte Versorgung durch
den Staat, die über das allgemeine Maß öffentlicher Fürsorge hinausgeht.
Art. 3 GG ist nicht betroffen. § 1 Satz 1 ThürBliGG in der ab 01.01.2006 geltenden Fassung verstößt nicht dadurch
gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, dass Blinde nach Vollendung des 27. Lebensjahres anders
behandelt werden als noch nicht 27-jährige Blinde. Der allgemeine Gleichheitssatz ist verletzt, wenn eine Gruppe von
Normadressaten im Vergleich zu einer anderen Gruppe anders behandelt wird, obgleich zwischen beiden keine
Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie eine Ungleichbehandlung rechtfertigen
könnten (BVerfG NJW 1983, 617). Eine Ungleichbehandlung von blinden Menschen, die das 27. Lebensjahr bereits
vollendet haben und jüngeren Blinden durch den Landesgesetzgeber ist wegen der bestehenden Unterschiede
zulässig. Das Blindengeld soll die durch die Blindheit entstehenden Mehraufwendungen ausgleichen. Mit Blindengeld
und Blindenhilfe soll nicht so sehr ein wirtschaftlicher Bedarf gesteuert werden, sondern das Blindengeld dient
vornehmlich als Mittel zur Befriedigung laufender blindheitsspezifischer, auch immaterieller Bedürfnisse des Blinden.
Mit der Zahlung des Blindengeldes beabsichtigt der Gesetzgeber, dem Blinden die Möglichkeit zu eröffnen, sich trotz
Blindheit mit seiner Umgebung vertraut zu machen, mit eigenen Mitteln Kontakt zur Umwelt zu pflegen und am
kulturellen Leben, aber auch am Arbeitsleben teilzunehmen (vgl. BVerwGE 32, 89, 91 f.). Im Hinblick auf die
Teilnahme am Arbeitsleben stellt die schulische und berufliche Ausbildung eine wesentliche Grundvoraussetzung dar.
Im Falle von Blinden und anderen behinderten Menschen kommt einer erfolgreichen Schul- und Berufsausbildung eine
besonders wichtige Bedeutung zu. Schulische und berufliche Grundausbildung sind in der überwiegenden Mehrzahl
der Fälle im Alter von etwa 27 Jahren abgeschlossen. Weil davon auszugehen ist, dass blindheitsbedingte
Mehraufwendungen in der Phase der schulischen Ausbildung und der beruflichen Erstausbildung in besonderem Maße
entstehen und die Ausbildungskosten gegenüber den Aufwendungen für die Teilnahme am kulturellen und sozialen
Leben ein höheres Gewicht haben, sind Blinde bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres überdurchschnittlich belastet.
Dieser Unterschied zwischen beiden Vergleichsgruppen stellt einen berücksichtigungsfähigen Grund für eine
Ungleichbehandlung dar.
Eine Verletzung des Gleichheitssatzes besteht auch nicht darin, dass blinde Menschen in anderen Bundesländern
möglicherweise günstiger behandelt werden. Der Gesetzgeber des Freistaates Thüringen hat das Blindengeld im
Rahmen seines grundgesetzlichen Kompetenzbereiches geregelt. Die getroffenen Regelungen gelten für alle
Normadressaten in gleicher Weise. Falls die Blindengeldvorschriften in anderen Bundesländern der Bundesrepublik
Deutschland günstiger sein sollten, konnten diese Bundesländer im Rahmen ihres Kompetenzbereichs eine andere
Regelung ohne Verletzung des Gleichheitssatzes finden, denn insoweit würde es sich um andere Normadressaten
(nämlich der jeweiligen Länder) handeln (vgl. Thüringer LSG vom 26.09.2002, L 5 BL 356/00 – JURIS).
Ebenso scheidet eine Verletzung des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG (Verbot der Benachteiligung Behinderter) aus. Es ist
nicht erkennbar, dass die Einstellung des Landesblindengeldes eine Benachteiligung wegen einer Behinderung
darstellt.
Dem Kläger steht kein auf Art. 14 GG gestützter Eigentumsanspruch auf Zahlung von Landesblindengeld zu. Es kann
dahinstehen, ob die Bewilligung von Landesblindengeld dem Eigentumsschutz des Art. 14 GG unterliegt. Selbst wenn
dies der Fall wäre, hätte der Gesetzgeber mit der Einstellung der Blindengeldzahlung seine Befugnis zur Inhalts- und
Schrankenbestimmung des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) nicht überschritten. Der Gesetzgeber hat die
Befugnis, in das Leistungsgefüge des Sozialrechts ordnend einzugreifen (vgl. BVerfG vom 14.03.1998, 1 BvL 6/92 –
JURIS). Eine Verletzung des Eigentumsrechts des Leistungsempfängers liegt nicht vor, wenn der Eingriff durch
Gründe des öffentlichen Interesses unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitgrundsatzes gerechtfertigt ist. Der
Wegfall des Landesblindengeldes für Personen ab 27 Jahre soll zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte
beitragen. Das Haushaltsbegleitgesetz 2006/2007, mit dem die Leistungseinschränkung beschlossen wurde, ist
geeignet und erforderlich, die Zielsetzung des Gesetzgebers zu erreichen. Das Ziel der Sanierung der Staatsfinanzen
durch Einsparungen auf der Ausgabenseite ist eine übergreifende legitime Aufgabe des Gesetzgebers zu Gunsten des
Staatsganzen (vgl. BVerfG, Urteil vom 30.09.1987, 2 BvR 933/82 – JURIS). Der Wegfall des Landesblindengeldes
stellt unter Berücksichtigung der verfolgten Gemeinwohlinteressen keine unverhältnismäßige Belastung des Klägers
dar. Die Belange des Klägers haben weniger Gewicht, weil seine Rechtsposition nicht auf Eigenleistungen beruht (vgl.
BVerfG vom 14.03.2001, 1 BvR 2402/97 – JURIS). Der Landesgesetzgeber konnte im Rahmen seines
Gestaltungsspielraumes auch deshalb dem Interesse an einer Sanierung der öffentlichen Haushalte den Vorzug
einräumen, weil der Kläger die durch seine Blindheit bedingten Mehraufwendungen durch eigene Einnahmen bzw.
Vermögen oder – im Falle der Bedürftigkeit – durch Blindenhilfe nach § 72 SGB XII abdecken kann (vgl. BVerfG
a.a.O.).
Auch unter Berücksichtigung des Art. 2 Abs. 1 GG ggf. in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip liegt keine
Verletzung der Verfassung vor, weil eine im öffentlichen Interesse liegende gesetzliche Regelung, die dem
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gerecht wird, Teil der verfassungsmäßigen Ordnung im Sinne der Schranken dieses
Gesetzes ist (vgl. BVerfG vom 14.03.2001, 1 BvR 2402/97 – JURIS).
Der Grundsatz des Vertrauensschutzes ist nicht verletzt. Das gilt unabhängig davon, ob das allgemeine
Rechtsstaatsprinzip als Grundlage schützenswerten Vertrauens herangezogen wird oder ob der
Vertrauensschutzgedanke aus Artikel 14 Abs. 1 GG abgeleitet wird, sofern dieser Prüfungsmaßstab zur Anwendung
käme. Die angegriffene Regelung wirkt für die Zukunft auf eine bereits bezogene gesetzliche Leistung ein und verkürzt
die Dauer ihrer Gewährung. Solche Eingriffe mit unechter Rückwirkung sind verfassungsrechtlich grundsätzlich
zulässig (BVerfG vom 14.03.2001, 1 BvR 2402/97 – JURIS). Die durch den Gesetzgeber getroffene Abwägung
zwischen den öffentlichen Belangen und den schützwürdigen Interessen des betroffenen Personenkreises ist
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Zwar ist das Vertrauen der Leistungsempfänger auf den unveränderten
Fortbestand einer über viele Jahre gewährten Rechtsposition grundsätzlich hoch einzuschätzen (BVerfG vom
24.03.1998, 1 BvL 6/92 – JURIS). Die Schutzwürdigkeit einer solcher Vertrauensposition endet jedoch regelmäßig
dann, wenn der Gesetzgeber eine Änderung beschlossen hat (a.a.O.). Darüber hinaus ist gerade in einer langfristig
bestehenden Rechtsposition von vornherein die Möglichkeit der Anpassung an geänderte Verhältnisse angelegt
(BVerfG vom 14.03.2001, 1 BvR 2407/97 – JURIS). Mit der Anpassung der Sozialausgaben an die geänderte
Haushaltslage verfolgt der Gesetzgeber wichtige Gemeinwohlinteressen. Ihm stand dabei eine weite
Gestaltungsfreiheit auch im Hinblick darauf zu, wie er die Auswirkungen der immer noch nicht vollständig bewältigten
Folgen der Wiedervereinigung und der seit Jahren schlechten Arbeitsmarktlage bewältigen musste (vgl. BVerfG
a.a.O.). Bei der zu treffenden Abwägung konnte er zur Vermeidung der Erhöhung der Neuverschuldung auch in
langfristig gewährte Rechtspositionen eingreifen.
Durch die Streichung des Blindengeldes für Personen ab dem 27. Lebensjahr ohne zeitliche Übergangsregelung hat
der Landesgesetzgeber die Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen nicht überschritten. Auch hinsichtlich der
Frage, ob der Gesetzgeber verfassungsrechtlich verpflichtet ist, eine schonende Übergangsregelung vorzusehen,
bedarf es grundsätzlich der Abwägung zwischen dem Ausmaß des Vertrauensschadens des Einzelnen und der
Bedeutung des gesetzlichen Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit (BVerfG vom 04.06.1985, 1 BvL 12/83 –
JURIS). Im Rahmen dieser Abwägung steht dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zur Verfügung. Dieser kann
von der sofortigen übergangslosen Inkraftsetzung des neuen Rechts bis zum ungeschmälerten Fortbestand bisher
begründeter, subjektiver Rechtspositionen reichen. Einer Nachprüfung durch die Gerichte unterliegt insoweit nur, ob
der Gesetzgeber bei der Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht sowie der
Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe unter Berücksichtigung aller Umstände die Grenze des Zumutbaren
überschritten hat (BVerfGE 43, 242, 288). Im Rahmen dieser Abwägung durfte zu Lasten der Blindengeldempfänger
berücksichtigt werden, dass das Landesblindengeld aus Steuermitteln finanziert wird. Die Eigenleistungsquote spielt
bei der Intensität des Grundrechtsschutzes eine wesentliche Rolle. Je geringer der Eigenleistungsanteil, desto
weniger ist der Anspruch im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung geschützt und desto eher sind
entgegenstehende öffentliche Interessen vorrangig (vgl. Stober, SGb 1989, 53; vgl. auch BVerfGE 69, 272, 301). Der
Gesetzgeber hat sich auch deshalb innerhalb des ihm zustehenden Abwägungsspielraums gehalten, weil mit der
Blindenhilfe nach § 72 SGB XII eine Leistung zur Verfügung steht, die im Falle der Bedürftigkeit den Zweck des
Landesblindengeldes erfüllt. Auch mit dem Härtefonds (§ 11 ThürBliGG i. V. m. der Verordnung vom 14.03.2006)
können Härten, die durch eine übergangslose Inkraftsetzung der Neuregelung entstehen, abgemildert werden.
Aus der Verfassung des Freistaats Thüringen ergibt sich gegenüber dem Grundgesetz kein weitergehender Schutz.
Das gilt auch für Art. 2 Abs. 4 Satz 1 der Verfassung des Freistaats Thüringen, wonach Menschen mit Behinderungen
unter dem besonderen Schutz des Freistaats stehen. Dieses Verfassungsgebot ist keine Grundlage für eine
Weitergewährung des Landesblindengeldes, weil durch § 72 SGB XII die Anforderungen der Art. 2 Abs. 4 Satz 1 der
Landesverfassung erfüllt werden.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.