Urteil des SozG Aachen vom 01.03.2011

SozG Aachen: trägt der Kläger. Der Streitwert wird auf 7.750,00 EUR festgesetzt., aufschiebende wirkung, aussetzung, vollziehung, öffentliche urkunde, die post, vwvg, zwangsgeld, enkelin

Sozialgericht Aachen
Urteil vom 01.03.2011 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Aachen S 20 SO 109/10
Die Klage wird abgewiesen. Die Kosten des Verfahrens -mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der
Beigeladenen - trägt der Kläger. Der Streitwert wird auf 7.750,00 EUR festgesetzt.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger gem. § 117 Abs. 1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) zur
Auskunft über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse verpflichtet ist, des Weiteren über die Rechtmäßigkeit
der Androhung eines Zwangsgeldes in Höhe von 250,00 EUR sowie über die Aussetzung des
Verwaltungszwangsverfahrens.
Der Kläger ist der Ehemann der Beigeladenen zu 1), die eine Tochter des am 00.00.0000 geborenen Beigeladenen zu
2) ist. Dieser erhält vom Beklagten seit dem 01.11.2009 Hilfe zum Lebensunterhalt sowie Hilfe zur Pflege in einer
stationären Einrichtung nach dem SGB XII in Höhe von monatlich ca. 1.000,00 EUR (November 2009: 997,12 EUR
einschließlich eines Barbetrages von 96,93 EUR). Durch bestandskräftigen Bescheid vom 06.11.2009 zeigte der
Beklagte der Beigeladenen zu 1) die Überleitung eines (möglicherweise bestehenden) Unterhaltsanspruchs des
Beigeladenen zu 2) gegen sie an und ersuchte die Beigeladene zu 1), Auskünfte über ihre Einkommens- und
Vermögensverhältnisse zu erteilen, u.a. durch Vorlage von Einkommensbescheinigungen der letzten zwölf Monate,
des letzten Einkommensteuerbescheides und weiterer Beweisurkunden. Diesem Auskunftsersuchen kam die
Beigeladene zu 1) nicht nach. Der Beklagte hat in diesem Zusammenhang eine Stufenklage gegen die Beigeladene zu
1) auf Auskunft und ggf. Zahlung beim Amtsgericht E. erhoben (23 F 187/10); in diesem Verfahren soll zur Klärung der
Unterhaltspflicht Beweis erhoben werden; eine rechtskräftige Entscheidung ist noch nicht ergangen.
Durch Bescheid vom 10.06.2010, zugestellt am 11.06.2010, forderte der Beklagte auch den Kläger unter Hinweis auf
§ 17 Abs. 1 SGB XII zur Erteilung von Auskünften über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse zur Klärung der
Unterhaltsfähigkeit seiner Ehefrau, der Beigeladenen zu 1) auf; er sollte eine ausgefüllte Erklärung, die dem
Aufforderungsbescheid beigefügt war, zurücksenden und die Einkommensbescheinigungen der letzten zwölf Monate,
den letzten Einkommensteuerbescheid sowie Nachweise über ggf. zu zahlende Beiträge zur privaten
Krankenversicherung und Altersvorsorge, über die Unterkunftskosten und über ggf. bestehende Schuldverpflichtungen
vorlegen, des Weiteren - falls er selbstständig ist - die Gewinn- und Verlustrechnungen, Steuererklärungen und
Steuerbescheide über die letzten 3 Jahre. Zur Vorlage der genannten Unterlagen setzte der Beklagte eine Frist von
zwei Wochen nach Zugang des Bescheides. Zugleich ordnete er die sofortige Vollziehung gem. § 86a Abs. 2 Nr. 5
Sozialgerichtsgesetz (SGG) unter Hinweis auf das überwiegende öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung
an. Den dagegen am 12.07.2010 eingelegten Widerspruch wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom
28.07.2010 zurück.
Da der Kläger dem Auskunftsersuchen nicht innerhalb der im Bescheid vom 10.06.2010 gesetzten Frist nachkam,
wiederholte der Beklagte durch Bescheid vom 25.06.2010 das Auskunftsersuchen, setzte eine Nachfrist von einer
Woche und drohte für den Fall, dass dem Ersuchen nicht fristgerecht oder nicht ausreichend nachgekommen werde,
ein Zwangsgeld von 250,00 EUR an. Den dagegen am 08.07.2010 eingelegten Widerspruch wies der Beklagte durch
Widerspruchsbescheid vom 27.07.2010 zurück.
Am 16.07.2010 beantragte der Kläger die Aussetzung des Verfahrens bis zum Abschluss des
Familiengerichtsverfahrens gegen die Beigeladene zu 1).
Der Beklagte lehnte den Aussetzungsantrag durch Bescheid vom 19.07.2010 ab.
Dagegen legte der Kläger am 21.07.2010 Widerspruch ein: im familiengerichtlichen Verfahren gegen die Beigeladene
zu 1), in dem der Beklagte Auskunfts- und Unterhaltsansprüche geltend mache, werde sich ergeben, dass keine
Unterhaltsansprüche gegen die Beigeladene zu 1) bestehen, insbesondere auch keine Taschengeldansprüche; das
weitere Beharren auf Auskunft und die Anwendung des Verwaltungszwangs sei daher vorgreiflich, unverhältnismäßig
und verletze den Kläger in seinen Rechten.
Der Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 22.07.2010 zurück: auch wenn der Kläger
gegenüber seinem Schwiegervater nicht unterhaltspflichtig sei, bestehe dennoch ihm gegenüber gem. § 117 Abs.1
SGB XII ein gesetzlich normierter Auskunftsanspruch. Da er bisher jegliche Zusammenarbeit verweigert habe,
müssten die erforderlichen Auskünfte über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse auf diesem Weg eingeholt
und - falls erforderlich - auch erzwungen werden. Aufgrund der bisherigen massiven Verweigerungshaltung stehe zu
befürchten, dass seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse und die seiner unterhaltspflichtigen Ehefrau im
anhängigen Zivilprozessverfahren nicht vollständig überprüft werden und somit auch mögliche Unterhaltsforderungen
nicht in vollem Umfang geltend gemacht und anschließend durchgesetzt werden könnten. Da jedoch u.a. auch ein
Unterhaltsanspruch aus dem "Taschengeldanspruch", den seine Ehefrau ihm gegenüber haben könne, zu prüfen sei,
könne auf die Offenlegung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse auch des nicht unterhaltspflichtigen
Ehegatten nicht verzichtet werden. Zur Bemessung dieses Taschengeldanspruches sei die Kenntnis über die
Einkommens- und Vermögensverhältnisse zwingend erforderlich. Im gesamten Auskunftsverfahren gehe es darum,
den Nachrang der Sozialhilfe (§ 2 Abs. 1 SGB XII) wieder herzustellen. Da die bisher gezahlten Leistungen aus
Steuermitteln finanziert werden, sei es für den Sozialhilfeträger sehr wichtig, jeden möglichen Unterhaltsanspruch zu
realisieren, um die öffentliche Hand nicht mehr und nicht länger als unbedingt erforderlich in Anspruch zu nehmen.
Auch in diesem Fall sei daher die Anordnung der sofortigen Vollziehung angemessen und auch erforderlich. Ein
milderes Mittel sei nicht verfügbar, da er die Auskunftserteilung verweigere. Im öffentlich-rechtlichen
Auskunftsverfahren stünden zur Durchsetzung des Auskunftsanspruchs nach § 117 Abs. 1 SGB XII lediglich die
Mittel des Verwaltungszwangs zur Verfügung.
Ausweislich der anwaltlichen Empfangsbekenntnisse wurden der Widerspruchsbescheid vom 22.07.2010 am
06.08.2010, die beiden anderen Widerspruchsbescheide vom 27.07. und 28.07.2010 am 03.08.2010 zugestellt.
Dagegen hat der Kläger am 03.09.2010 Klage erhoben. Er ist der Auffassung, er sei erkennbar nicht
unterhaltspflichtig, weil auch seine Ehefrau gegenüber ihrem Vater nicht unterhaltsverpflichtet sei. Der Beklagte
mache Unterhaltsansprüche des Beigeladenen zu 2) geltend. Dieser habe sich jedoch vorsätzlich sittenwidrig
verhalten, es sei zu vereinzelten Versuchen sexuellen Missbrauchs gegenüber seiner Tochter schon in den 1970´er
Jahren gekommen. Später habe der Beigeladene zu 2) seine damals elfjährige Enkelin sexuell missbraucht. Dadurch
sei es zu einer völligen Entfremdung zwischen dem Beigeladenen zu 2) und der Beigeladenen zu 1) gekommen. Die
Enkelin habe aufgrund des sexuellen Missbrauchs Depressionen und ein postraumatisches Belastungssyndrom
erlitten und habe sich in psychotherapeutischer Behandlung begeben müssen. Auch die Beigeladene zu 1) leide noch
heute stark unter den Übergriffen des Beigeladenen zu 2). Der Kläger hat die Aussetzung des sozialgerichtlichen
Verfahrens bis zum rechtskräftigen Abschluss des familiengerichtlichen Verfahrens beantragt, da in absehbarer Zeit
mit einer Entscheidung des Familiengerichts zu rechnen sei; da dieses Verfahren vorgreiflich sei, lägen die
Voraussetzungen zur Aussetzung des Verfahrens vor.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 10.06.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28.07.2010, den Bescheid vom
25.06.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27.07.2010 und den Bescheid vom 19.07.2010 in der
Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.07.2010 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält die Klage wegen Versäumung der Klagefrist bereits für unzulässig. Zwar seien die Originale der drei
Widerspruchsbescheide gegen Empfangsbekenntnis am 03.08. bzw. 06.08.2010 zugestellt worden; die
Widerspruchsbescheide vom 27. und 28.07.2010 seien jedoch "per Telefax am 28.07.2010 vorab zugestellt" worden.
Unabhängig davon hält der Beklagte die Klage für unbegründet. Die Beigeladene zu 1) sei als Verwandte in gerader
Linie gem. § 1601 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ihrem Vater - dem Beigeladenen zu 2) - gegenüber
unterhaltspflichtig. Die im unterhaltsrechtlichen Klageverfahren beim Amtsgericht vorgetragenen "Härtetatbestände"
seien bis jetzt unbewiesen; die vorgelegten ärztlichen Atteste seien als Beweis für das Vorliegen einer schweren
persönlichen Verfehlung des hilfeberechtigten Beigeladenen zu 2) nicht geeignet. Die Ehefrau des Beigeladenen zu 2)
habe im Rahmen einer persönlichen Vorsprache beim Sozialamt ausgesagt, dass ihr von sexuellen Übergriffen nichts
bekannt sei; es habe vielmehr bis zum Sommer 2009 u.a. noch gemeinsame Besuche beim Hilfeberechtigten im
Krankenhaus gegeben; auch Familienfeste seien bis in die jüngste Vergangenheit gemeinsam gefeiert worden. Auf die
Auskunftserteilung des Klägers und Ehegatten der Beigeladenen zu 1) könne nicht verzichtet werden, da diese
Auskünfte zur Berechnung der unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit benötigt würden; ihm gegenüber bestehe in
zivilrechtlicher Hinsicht keinerlei Auskunftsanspruch. Würde das Auskunftsverfahren gegen ihn erst nach Abschluss
des zivilrechtlichen Verfahrens durchgeführt werden, könnte es unweigerlich zu weiteren für die Allgemeinheit nicht
mehr tragbaren Zeitverzögerungen kommen. Die Beklagte ist deshalb auch mit einer Aussetzung des
(sozialgerichtlichen) Verfahrens nach § 114 SGG nicht einverstanden.
Die Beigeladenen haben keine eigenen Anträge gestellt.
Die Betreuerin und Ehefrau des Beigeladenen zu 2) hat mitgeteilt, selbst zu den behaupteten Übergriffen ihres
Mannes gegenüber seinen Töchtern nichts sagen zu können, da diese aus der Zeit, bevor sie ihn kennenlernte,
stammten. Die angeblichen Übergriffe würden zwar in ihre gemeinsame Zeit fallen, jedoch sei ihr keine auffällige
Situation bekannt. Die Enkelin habe sie oft besucht und sich freundlich gezeigt. Ihr Mann - der Beigeladene zu 2) -
könne zu den Vorwürfen nichts sagen, da er in einem gesundheitlich kritischen Zustand und sehr häufig geistig
verwirrt sei. Die Betreuerin des Beigeladenen zu 2) hat diverse Unterlagen, speziell einen Vermerk über ein Gespräch
mit dem Sozialamt vorgelegt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten
gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen den Kläger betreffenden
Verwaltungsakte der Beklagten und der beigezogenen Akte S 19 SO 132/09 ER und S 20 SO 19/10, die Gegenstand
der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig.
Insbesondere ist die Klagefrist gewahrt. Gemäß § 87 Abs. 1 Satz 1 SGG ist die Klage binnen eines Monats nach
Bekanntgabe des Verwaltungsakts zu erheben. Hat ein Vorverfahren stattgefunden, so beginnt die Frist mit der
Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides (§ 87 Abs. 2 SGG). Ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch
die Post übermittelt wird, gilt am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben (§ 37 Abs. 2 Satz 1
Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X). Entscheidet sich jedoch die Behörde für eine förmliche Zustellung, wie im
vorliegenden Fall mittels Empfangsbekenntnis, so erbringt das datierte und unterschriebene Empfangsbekenntnis als
öffentliche Urkunde Beweis für die Entgegennahme des darin bezeichneten Schriftstücks als zugestellt und für den
Zeitpunkt dieser Entgegennahme. Der Gegenbeweis ist zwar zulässig, jedoch nur geführt, wenn die vom
Empfangsbekenntnis ausgehende Beweiswirkung vollständig entkräftet und jede Möglichkeit ausgeschlossen ist,
dass die Angaben des Empfangsbekenntnisses richtig sind (BSG, Urteil vom 21.12.2009 - B 14 AS 63/08 R). Im
vorliegenden Fall ist der Gegenbeweis für die Unrichtigkeit der Empfangsbekenntnisse in dem dargelegten Umfang
nicht erbracht. Die Zustellung der drei Widerspruchsbescheide erfolgte ausweislich der anwaltlichen
Empfangsbekenntnisse am 03.08. bzw. 06.08.2010. Insofern ist die am 03.09.2010 beim Sozialgericht eingegangene
Klage fristgerecht erhoben.
Auskunftsersuchen
Das Auskunftsverlangen des Beklagten ist rechtmäßig.
Nach § 117 Abs. 1 Satz 1 SGB XII haben alle potenziell Unterhaltspflichtigen, also insbesondere Verwandte in
gerader Linie (vgl. nur Wahrendorf in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010, § 117 Rn 9) und deren nicht getrennt
lebenden Ehegatten dem Träger der Sozialhilfe über ihre Einkommen- und Vermögensverhältnisse Auskunft zu geben,
soweit die Durchführung des SGB XII es erfordert. Die Verpflichtung dieser Personen zur Auskunft ist ebenso wenig
wie bei der Überleitung von Ansprüchen gem. § 93 SGB XII davon abhängig, ob im konkreten Fall ein
Unterhaltsanspruch besteht. Erst nach erfolgter Auskunft kann sich der Sozialhilfeträger einen Überblick verschaffen,
ob und in welchem Umfang er dem Nachranggrundsatz des Sozialhilferechts durch die Inanspruchnahme eines Dritten
wiederherstellen kann. Der Zweck der Vorschrift ermöglicht es, alle Personen als Unterhaltspflichtige im Sinne der
sozialhilferechtlichen Vorschriften anzusehen, die als Unterhaltsschuldner in Betracht kommen und nicht
offensichtlich (sog. Negativevidenz) ausscheiden. Die vom Auskunftsverpflichteten erhobenen Einwände gegen die
Unterhaltsverpflichtung betreffen die einzelfallbezogene Entscheidung des maßgeblichen Unterhalts. Sie bleiben einer
Klärung der Zivilgerichte vorbehalten (Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010, § 117 Rn. 12 m.w.N.
der Rspr. des BVerwG; LSG NRW, Urteil vom 16.04.2008 - L 12 SO 4/07, vom 14.09.2009 - L 20 SO 96/08 und vom
01.09.2010 - L 12 SO 61/09; Beschl. vom 19.04.2010 - L 20 SO 77/10 B ER). Ein solcher Fall liegt hier vor. Der
(mögliche) Unterhaltsanspruch des Hilfebedürftigen als Vater der Beigeladenen zu 1) gegen diese ist infolge der seit
01.11.2009 gewährten Hilfe zur Pflege gem. § 94 Abs. 1 Satz 1 SGB XII - zugleich mit dem unterhaltsrechtlichen
Auskunftsanspruch - auf den Hilfe leistenden Beklagten übergegangen. Ein Fall von Negativevidenz liegt nicht vor (so
ebenfalls: LSG NRW, Beschluss vom 21.04.2010 - L 20 SO 42/10 B ER). Als Ehemann der (möglicherweise)
unterhaltspflichtigen Beigeladenen zu 1), der von dieser nicht getrennt lebt, ist er wie diese zur Auskunft gem. § 117
Abs. 1 verpflichtet. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Auskunftspflicht gem. § 117 Abs. 1 SGB XII bestehen
nicht (vgl. LSG NRW, Urteil vom 09.06.2008 - L 20 SO 36/07).
Zwangsgeld
Gemäß § 66 Abs. 3 SGB X i.V.m. § 55 Abs. 1 Verwaltungsvollstreckungsgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen
(VwVG NRW) kann ein Verwaltungsakt, der auf Vornahme einer Handlung - hier: Erteilung einer Auskunft und Vorlage
von Unterlagen - gerichtet ist, mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden, wenn er unanfechtbar ist oder wenn ein
Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung hat. Der Widerspruch des Klägers gegen das Auskunftsverlangen vom
10.06.2010 hat gem. § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG keine aufschiebende Wirkung, weil der Beklagte die sofortige
Vollziehung des Bescheides angeordnet hat. Diese Anordnung ist nicht zu beanstanden. Denn bei der Anordnung der
sofortigen Vollziehung eines offensichtlich rechtmäßigen Auskunftsverlangens nach § 117 SGB XII kann im Rahmen
der gerichtlichen Prüfung bereits der Nachranggrundsatz der Sozialhilfe (§ 2 SGB XII) ein ausreichendes
Vollziehungsinteresse begründen. Ein besonderes Vollziehungsinteresse ist vorliegend schon deshalb zu bejahen,
weil allein eine zeitnahe Geltendmachung ggf. übergegangener Unterhaltsansprüche den Nachrang der dem
Beigeladenen zu 2) erbrachten Sozialhilfeleistungen sicherstellt. Die fiskalischen Interessen des Leistungsträgers sind
bei der gebotenen Abwägung zu berücksichtigen (Keller in: Meyer-Ladewig, SGG, 9. Aufl., § 86 a Rn. 20 m.w.N.).
Dabei reicht vorliegend die bloße Verwirklichung des Nachranggrundsatzes ohne weitere Anhaltspunkte für eine
spätere Vereitelung der Durchsetzung eines Unterhaltsanspruchs schon aus, weil dem Kläger aufgrund der gerichtlich
festgestellten Rechtmäßigkeit des Auskunftsverlangens kein Nachteil droht, der sein Aussetzungsinteresse zu
rechtfertigen vermag (Hessisches LSG, Beschluss vom 29.12.2008, L 7 SO 62/08 B ER). Dies gilt umso mehr, als
dem Auskunftspflichtigen kein irreversibler Nachteil droht, wenn er seiner Auskunftspflicht nachkommt, denn eine
Leistungspflicht gegenüber dem Sozialhilfeträger ist hiermit naheliegenderweise noch nicht verbunden und erhobene
Daten lassen sich wieder löschen.
Als Zwangsmittel kommt ein Zwangsgeld von 10,00 EUR bis 100.000,00 EUR in Betracht (§§ 57 Abs. 1 Nr. 2, 60 Abs.
1 VwVG NRW). Bei der Festsetzung eines Zwangsgeldes von 250,00 EUR hat der Beklagte sowohl den
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (§ 58 VwVG NRW) beachtet als auch in pflichtgemäßer Weise das ihr eingeräumte
Ermessen (vgl. § 55 Abs. 1 VwVG NRW: "kann") ausgeübt. Dies ergibt sich insbesondere aus den ausführlichen
Darlegungen im Widerspruchsbescheid vom 27.07.2010. Die Androhung von Zwangsmitteln (hier zunächst:
Zwangsgeld) dient allein dazu, im Fall einer (weiteren) Verweigerungshaltung des Klägers der vom Gesetz
vorgesehenen Auskunftspflicht zur Durchsetzung zu verhelfen (LSG NRW, Beschluss vom 19.04.2010 - L 20 SO
77/10 B ER).
Aussetzung des Verwaltungszwangsverfahrens
Gemäß § 86a Abs. 3 Satz 1 SGG kann u.a. in einem Fall der Anordnung der sofortigen Vollziehung (§ 86a Abs. 2 Nr.
5 SGG) die Stelle, die den Verwaltungsakt erlassen ober die über den Widerspruch zu entscheiden hat, die sofortige
Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen. Da - wie zuvor dargelegt - das Auskunftsersuchen und die Anordnung der
sofortigen Vollziehung rechtmäßig waren, ist die Entscheidung des Beklagten, das Verwaltungsverfahren in
entsprechender Anwendung von § 86a Abs. 3 Satz 1 SGG nicht auszusetzen, nicht zu beanstanden. Die
Entscheidung steht im Ermessen der Behörde ("kann"). Ermessensfehler liegen ersichtlich nicht vor. Der Beklagte hat
seine Erwägungen in den angefochtenen Bescheiden ausführlich und nachvollziehbar dargelegt.
Die Kammer hat dem Antrag des Klägers auf Aussetzung (des sozialgerichtlichen) Verfahrens gem. § 114 Abs. 1
SGG nicht entsprochen, weil sie eine Aussetzung nicht für sachdienlich hält. Die Entscheidung über einen
Aussetzungsantrag liegt im Ermessen des Gerichts. Die Entscheidung im Verfahren vor dem Amtsgericht E. (23 F
187/10) gegen die Beigeladene zu 1) ist nicht zwingend und in jeder Ausgestaltung vorgreiflich für die Entscheidung in
dem vorliegenden vom Kläger angestrengten sozialgerichtlichen Verfahren. Würde das Amtsgericht z.B. eine
Unterhaltspflicht der Beigeladenen zu 1) bejahen, aber eine Unterhaltsfähigkeit allein aufgrund der von dieser über ihre
Einkommens- und Vermögensverhältnisse erteilten Auskünfte verneinen, wäre damit noch nicht geklärt, ob und ggf. in
welcher Höhe sie gegen ihren Ehemann - den Kläger dieses Verfahrens - einen Anspruch auf "Ehegatten-
Taschengeld" hätte und ob sie aufgrund eines solchen Anspruchs ggf. in der Lage ist, Unterhalt für den Beigeladenen
zu 2) zugunsten des Beklagten aufzubringen. Dazu ist die Auskunft des Klägers über seine wirtschaftlichen
Verhältnisse notwendig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 1, 162 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertentscheidung folgt aus § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 39 Abs. 1, 52 Abs. 1 bis 3 GKG. Für das
Begehren auf Aufhebung a) des Auskunftsersuchens kommt regelmäßig ein Streitwert in Höhe des halben
Auffangwertes, mithin 2.500,00 EUR in Betracht (vgl. Streitwertkatalog für die Sozialgerichtsbarkeit [NZS 2009, 427
ff., 491 ff.] Abschnitt VII Nr. 2 unter Hinweis u.a. auf LSG NRW, Urteil vom 29.01.2007 - L 1 AS 12/06); b) der
Verwaltungsvollstreckungsbescheide ist der Betrag des angedrohten Zwangsgeldes; hier: 250,00 EUR maßgeblich
(LSG NRW, Urteil vom 01.09.2010 - L 12 SO 61/09); c) der Bescheide, durch die der Antrag auf Aussetzung des
Verwaltungszwangs- verfahrens abgelehnt worden ist, ist mangels konkreter Anhaltspunkte für die Bestimmung der
wirtschaftlichen Bedeutung der Sache für den Kläger (Dauer des Verwaltungsvollstreckungsverfahrens; Art und
Intensität weiterer Zwangsmittel) vom Regelstreitwert, also 5.000,00 EUR auszugehen.
Die Addition der Werte der drei Streitgegenstände (vgl. § 39 Abs. 1 GKG) ergibt den Gesamtstreitwert von 7.750,00
EUR.