Urteil des SozG Aachen vom 24.02.2009

SozG Aachen: kreis, widerspruchsverfahren, hauptsache, beteiligter, vertretung, vorverfahren, aufwand, vollmacht, unterliegen, verwaltung

Sozialgericht Aachen, S 18 (16) SB 39/06
Datum:
24.02.2009
Gericht:
Sozialgericht Aachen
Spruchkörper:
18. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
S 18 (16) SB 39/06
Sachgebiet:
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Auf die Erinnerung des Beklagten vom 24.02.2009 wird der
Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle
vom 07.01.2009 geändert. Kostenschuldner ist der Kreis Düren. Im
Übrigen wird die Erinnerung zurückgewiesen.
Gründe:
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I. Streitig ist zum einen, wer richtiger Kostenschuldner ist und zum anderen die Höhe
von Verfahrens- und fiktiver Terminsgebühr.
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In dem zugrunde liegenden Verfahren klagte der Kläger gegen die Herabsetzung eines
GdB. Die Klage war gerichtet gegen das Land Nordrhein-Westfalen als damaligen
Träger der Versorgungsverwaltung (vertreten durch die Bezirksregierung Münster).
Nachdem der Kläger sich im Vorverfahren durch die Sozietät U. und Kollegen hatte
vertreten lassen, wechselte er während des Klageverfahrens den Bevollmächtigten. Das
Verfahren endete am 20.12.2007 durch schriftliche Annahme eines ebenfalls
schriftlichen Anerkenntnisses - auch hinsichtlich der Kosten.
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Mit Gesetz vom 30.10.2007 löste das Land Nordrhein-Westfalen die Versorgungsämter
mit Wirkung zum 01.01.2008 auf und übertrug die von diesen bis dahin
wahrgenommenen Aufgaben nach §§ 69, 145 SGB IX den Kreisen und kreisfreien
Städten. Mit Vereinbarung vom 02.01.2008 übertrug der Kreis Düren die Prozessführung
insbesondere in anhängigen Klageverfahren der Bezirksregierung Münster.
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Auf Antrag der Klägerin vom 21.04.2008 setzte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle
mit Beschluss vom 07.01.2009 die zu erstattenden Kosten in Höhe von 559,30 EUR
zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem
21.04.2008 fest. Dabei berücksichtigte er eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV-
RVG sowie eine (fiktive) Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV-RVG jeweils in Höhe der
Mittelgebühr. Der Beschluss ging der Bezirksergierung Münster am 29.01.2009 zu.
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Am 24.02.2009 hat die Bezirksregierung Münster Erinnerung gegen diesen Beschluss
eingelegt. Nach der Kommunalisierung der Versorgungsverwaltung bestehe kein
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Kostenanspruch gegenüber dem Land. Da auch im Vorverfahren eine anwaltliche
Vertretung erfolgt sei, komme als Verfahrensgebühr nur die Nr. 3103 VV-RVG in
Betracht. Hinsichtlich der Terminsgebühr seien die Kriterien des § 14 RVG einzeln zu
prüfen. Da Umfang und Schwierigkeit der Annahme eines Anerkenntnisses gleich "0"
seien, sei die Mittelgebühr um die Hälfte der Differenz von Mindest- und Mittelgebühr
abzusenken.
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat der Erinnerung nicht abgeholfen.
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II. Die zulässige Erinnerung ist im Hinblick auf die Kostenschuldnerschaft begründet, im
Hinblick auf die Gebührenhöhe unbegründet.
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Aufgrund der Kommunalisierung der Versorgungsverwaltung zum 01.01.2008 (vgl.
hierzu grundlegend Landessozialgericht - LSG - Nordrhein-Westfalen, Urteil vom
12.02.2008, L 6 SB 101/06; Urteil vom 05.03.2008, L 10 SB 40/06; Sozialgericht - SG -
Aachen, Urteil vom 11.02.2008, S 18 SB 187/06) ist die Kostenschuldnerschaft für das
bereits am 20.12.2007 abgeschlossene Verfahren auf den Kreis Düren übergegangen.
Damit war der Kreis Düren auch richtiger Beteiligter des Erinnerungsverfahrens auf
Beklagtenseite. Er wurde in diesem Verfahren wirksam durch die Bezirksregierung
Münster vertreten. Die durch die Bezirksregierung Münster am 15.07.2008 eingelegte
Erinnerung ist damit wirksam und innerhalb der Monatsfrist des § 197 Abs. 2 SGG
eingelegt worden.
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Das SG Dortmund hat allerdings mit Beschluss vom 15.07.2008 (S 7 SB 357/05)
entschieden, dass eine Kostentragungspflicht einer Kommune in vergleichbaren Fällen
deshalb ausscheide, weil das sog. Straffungsgesetz einen Übergang der Kostenlast aus
abgeschlossenen Verfahren nicht ausdrücklich vorsehe. Tatsächlich ist keine
ausdrückliche Regelung zum Übergang der Kostenlast ersichtlich. Das Zweite Gesetz
zur Straffung der Behördenstruktur in Nordrhein-Westfalen vom 30.10.2007 und
insbesondere das als dessen Art. 1 erlassene Gesetz zur Eingliederung der
Versorgungsämter in die allgemeine Verwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen
befasst sich ausdrücklich nur mit Fragen der Aufgabenübertragung u.a. nach den §§ 69,
145 SGB IX, mit personalrechtlichen Maßnahmen und mit Kostenfolgen (vgl. die
entsprechenden Überschriften im Gesetzestext). Der Abschnitt zu den Kostenfolgen
wiederum beschäftigt sich fast ausschließlich mit Personalkosten. Auch aus § 23 Abs. 4
und § 24 ergibt sich nichts anderes (vgl. hierzu die Begründung des Gesetzesentwurfs,
LT-Drs. 14/4342). Wenn im Haushaltsplan 2008 den Kommunen eine "im Rahmen der
den Kreisen und kreisfreien Städten. übertragenen Aufgaben in Versorgungs- und
Schwerbehindertenangelegenheiten zu verwenden(de)" Pauschale u.a. für "Kosten
nach dem Sozialgerichtsgesetz" gewährt wird (vgl. die Erläuterungen zu Titel 633 10,
Kapitel 11 320, Haushaltsplan NRW 2008), so lässt dies ebenfalls keinen Schluss auf
eine bewusste Übertragung auch der Kostenschuld aus in 2007 bereits
abgeschlossenen Verfahren auf die Kommunen durch den Landesgesetzgeber zu.
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Eine ausdrückliche Regelung zum Übergang der Kostenlast ist aber nicht erforderlich.
Denn das Zweite Gesetz zur Straffung der Behördenstruktur in Nordrhein-Westfalen vom
30.10.2007 verfolgt offensichtlich eine umfassende Aufgabenübertragung im Sinne
einer Funktionsnachfolge. Mangels gegenteiliger Regelung sind davon auch Folge- und
Begleitfragen wie die Kostentragung für abgeschlossene Klageverfahren und - daraus
folgend - die Zuständigkeit für Streitigkeiten hierüber erfasst (vgl. zum Fall eines
Rechtsstreits über die Kosten eines abgeschlossenen Vorverfahrens SG Aachen, Urteil
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vom 15.05.2008, S 18 SB 19/08).
Dem steht nicht entgegen, dass die Gebührenforderung gemäß § 8 Abs. 1 Satz 2, 2.Alt.
RVG mit Abschluss des Rechtszugs und damit hier vor dem Zeitpunkt der
Funktionsnachfolge fällig wurde. Denn dies bedeutet nicht, dass jene im Folgenden
nicht auf die Kommune übergehen konnte. Die Gebührenforderung wurde mit Fälligkeit
auch nicht eine "beliebige" Forderung gegen das damals beklagte Land. Sie war und
blieb vielmehr eine Gebührenforderung aus einem schwerbehindertenrechtlichen
Rechtsstreit. Unmittelbar wird die Kostentragungspflicht zwar durch die
Beteiligtenstellung im Verfahren (und ein zumindest teilweises Unterliegen) begründet.
Die Beteiligtenstellung im Verfahren resultiert aber aus der Zuständigkeit für die
Aufgabenwahrnehmung, die somit den eigentlichen Grund für die Kostentragung
darstellt. Geht die Zuständigkeit für die Aufgabenwahrnehmung dann im Rahmen einer
(als solchen umfassenden) Funktionsnachfolge über, so schlägt dies auf die Kostenlast
für abgeschlossene Verfahren durch. So wie die Kommunen ohne Weiteres
Verpflichtungen aus vor dem 01.01.2008 abgeschlossenen Klageverfahren umsetzen
müssen, so müssen sie aufgrund des Zusammenhangs von Aufgabenwahrnehmung
und Kostenschuldnerschaft auch die entsprechende Kostenlast übernehmen.
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Entsprechend ist die Kommune dann im Erinnerungsverfahren richtiger Beteiligter auf
Beklagtenseite. Gerade eine prozessuale Betrachtungsweise bestätigt dieses Ergebnis.
Denn untechnisch gesprochen wird das Verfahren zwar nicht in der Hauptsache, wohl
aber in einer Neben- bzw. Folgefrage, nämlich der der Kostenfestsetzung, weitergeführt.
Das Kostenfestsetzungsverfahren ist ein "Annex" zum Klageverfahren (vgl. Leitherer, in:
Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 197 Rdnr. 4). Wenn aber "das
Verfahren" weitergeführt wird, dann ist es naheliegend, dass eine zwischenzeitlich
erfolgte Funktionsnachfolge wie bei einer anhängigen Hauptsache zum
Beteiligtenwechsel führt.
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Der im Fall des Klägers danach ab dem 01.01.2008 zuständige Kreis Düren wurde im
Kostenfestsetzungs- und Erinnerungsverfahren zulässigerweise durch die
Bezirksregierung Münster aufgrund der Vereinbarung zwischen dem Kreis Düren und
der Bezirksregierung Münster vom 02.01.2008 vertreten. Gemäß § 1 Abs. 1 der
Vereinbarung bearbeitet die Bezirksregierung Münster all diejenigen Streitverfahren, in
denen der Ausgangsbescheid aus der Zeit vor dem 01.01.2008 stammt. Das war in dem
hier zugrunde liegenden Rechtsstreit der Fall. Die Vollmacht erstreckt sich gemäß § 2
Abs. 2 Nr. 4 auf "alle(r) Handlungen im Rahmen des Kostenausgleichsverfahrens".
Außerdem heißt es unter § 3 Abs. 4 ausdrücklich, dass die Bezirksregierung Münster
"für die Entscheidung dem Grunde und der Höhe nach im Zusammenhang mit der
Erstattung von Anwalts- und Gerichtskosten" zuständig ist. Aus der Vereinbarung kann
insgesamt gefolgert werden, dass - unter Beachtung der o.g. zeitlichen Zäsur - eine
umfassende Vertretung vereinbart worden ist.
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Das Rubrum war entsprechend von Amts wegen zu ändern (vgl. für den Fall einer
Funktionsnachfolge während eines anhängigen Klageverfahrens Leitherer, a.a.O., § 99
Rdnr. 6a).
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Wegen der des Weiteren streitigen Höhe von Verfahrens- und fiktiver Terminsgebühr
wird auf die zutreffenden Ausführungen im Kostenfestsetzungsbeschluss des
Urkundsbeamten der Geschäftsstelle Bezug genommen, denen sich die Kammer nach
eigener Prüfung anschließt. Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen.
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Die Verfahrensgebühr nach Ziffer 3103 VV-RVG setzt voraus, dass derselbe
Bevollmächtigte bereits im vorangegangenen Verwaltungs- bzw.
Widerspruchsverfahren tätig war. Denn Grund der Reduzierung des Gebührenrahmens
ist, dass ein Rechtsanwalt im Fall einer vorangegangenen Tätigkeit im Verwaltungs-
bzw. Widerspruchsverfahren aufgrund der dort erworbenen Sach- und Rechtskenntnis
im gerichtlichen Verfahren einen geringeren Aufwand hat (vgl. Straßfeld, SGb 11/2008,
S. 635, 637, rechte Spalte m.w.N.). Hier aber wurde der gegenwärtige Bevollmächtigte
erst im Laufe des Klageverfahrens mandatiert. Die vorherige Tätigkeit der Sozietät xxx
und Kollegen brachte ihm keine "Sach- und Rechtskenntnis".
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Eine Kürzung der fiktiven Terminsgebühr ist hier nicht angezeigt. Das LSG Nordrhein-
Westfalen hat in einem Beschluss vom 03.11.2008 (L 7 B 289/07 AS) ausgeführt: "
...dass der Normgeber mit der VV RVG Nr. 3106 Nr. 3 eine Regelung gerade für den Fall
geschaffen hat, dass "das Verfahren nach angenommenen Anerkenntnis ohne
mündliche Verhandlung endet". Er hat dabei nicht angeordnet, dass bei Vorliegen
dieser Voraussetzungen nur die Annahme einer Mindestgebühr (oder einer geringfügig
erhöhten Mindestgebühr) gerechtfertigt sei. Vielmehr hat der Normgeber hier einen
Gebührenrahmen von 20,00 Euro bis 380,00 Euro eröffnet. Der Umstand, dass eine
mündliche Verhandlung nicht stattgefunden hat, führt damit entgegen der
Rechtsauffassung der Beklagten nicht dazu, dass stets von der Mindestgebühr
auszugehen sei." Wenn der Beklagte hier vorträgt, er prüfe die Kriterien des § 14 RVG
und komme eben aufgrund der Tatsache, dass Umfang und Schwierigkeit der Annahme
eines Anerkenntnisses praktisch "0" seien, zu einer Reduzierung, so kommt dies einer
automatischen Reduzierung der fiktiven Terminsgebühr gleich und steht deshalb nicht
im Einklang mit dem erkennbaren gesetzgeberischen Willen. Die beiden Kriterien
Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit müssen deshalb - soweit sie allein
auf die Annahme des Anerkenntnisses bezogen werden - außen vor bleiben (vgl. hierzu
Straßfeld, SGb 12/2008, S. 705, 709, linke Spalte m.w.N.). Sonstige Anhaltspunkte für
eine Kürzung der fiktiven Terminsgebühr sind nicht ersichtlich.
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Der Beschluss ist endgültig (§ 197 Abs. 2 SGG).
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