Urteil des SozG Aachen vom 25.01.2011

SozG Aachen: letztwillige verfügung, testament, kostenbeitrag, sozialhilfe, verwaltung, zuwendung, wohnheim, einkommensgrenze, tod, senkung

Sozialgericht Aachen
Urteil vom 25.01.2011 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Aachen S 20 SO 71/10
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 9 SO 162/11
Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Festsetzung eines (weiteren) Kostenbeitrags von monatlich 76,69 EUR als Eigenanteil
des Klägers zur gewährten Sozialhilfe ab 01.02.2009.
Der am 00.00.0000 geborene Kläger ist von Geburt an geistig behindert. Er ist als Schwerbehinderter anerkannt nach
einem Grad der Behinderung von 100 (Merkzeichen B, G, H, RF). Er bezieht seit 01.02.1998 eine
Erwerbsminderungsrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Er ist in einer Behindertenwerkstatt der Caritas
beschäftigt. Seit ca. sechs Jahren lebt er in einem Wohnheim der Lebenshilfe e.V ... Bis zum Umzug in das Heim
wurde er zuhause von seiner Mutter betreut. Diese hatte in einem notariell beurkundeten Testament vom 19.01.1999
ihre Tochter N. - die Schwester und gerichtlich bestellte Betreuerin des Klägers - zur Alleinerbin eingesetzt und
folgendes Vermächtnis angeordnet: "Meinem Sohn X.T., geboren am 00.00.0000, vermache in einen Betrag, der 1/5
des Verkehrswertes des mir gehörenden 1/2 Mieteigentumsanteils des Hausgrundbesitzes Wilhelmstraße 10
entspricht. Maßgebend ist der Verkehrswert des Grundbesitzes zum Zeitpunkt meines Todes ... Der so errechnete
Betrag ist dann an meinen Sohn X. in monatlichen Raten von 150,00 DM, i. W. einhundertfünfzig Deutsche Mark zu
zahlen. Der Betrag ist fällig und zu zahlen monatlich im voraus bis zum 05. eines jeden Monats, erstmals nach Ablauf
von zwei Monaten nach meinem Tode ... Bei der Zuwendung an meinen Sohn X. habe ich insbesondere
berücksichtigt, daß ich mein Kind, das heute dreiundvierzig Jahre alt ist, von Anfang an alleine versorgt und gepflegt
habe. Weiterhin liegt der vermachte Betrag über einem Pflichtteilsanspruch meines Sohnes X."
Der Beklagte trägt seit 01.02.2005 die Kosten der Heimunterbringung und -betreuung aus Mitteln der Sozialhilfe durch
Eingliederungshilfe und Hilfe zum Lebensunterhalt. Durch bestandskräftigen Bescheid vom 25.09.2006 setzte er einen
Kostenbeitrag des Klägers an der Sozialhilfe in Höhe der vollen Rente fest.
Am 03.12.2008 verstarb die Mutter des Klägers. Aus dem Wert des Nachlasses errechnete sich ein - über dem
Pflichtteil liegender - Vermächtniswert von 7.509,66 EUR. Der Kläger nahm das Vermächtnis durch seinen gerichtlich
bestellten Ergänzungsbetreuer an.
Nach Anhörung des Klägers setzte der Beklagte durch Bescheid vom 11.11.2009 einen weiteren Kostenbeitrag des
Klägers an der Sozialhilfe in Höhe von monatlich 76,69 EUR ab 01.02.2009 fest mit der Begründung, es handele sich
bei diesem Zahlbetrag aus dem Vermächtnis um einzusetzenden Einkommen.
Dagegen legte der Kläger am 29.11.2009 Widerspruch ein mit der Begründung, der Beklagte habe einen "Freibetrag"
sowie die entstandenen Kosten des Ergänzungsbetreuers nicht berücksichtigt.
Auf Anfrage des Beklagten teilte das Amtsgericht Aachen mit, eine Vergütungsfestsetzung in das Vermögen des
Betreuten habe seit 01.02.2009 nicht stattgefunden. Am 22.12.2009 stellte der Ergänzungsbetreuer des Klägers
diesem für seine Tätigkeit 874,65 EUR in Rechnung, die dieser bezahlte.
Der Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 26.05.2010 zurück. Er vertrat die Auffassung,
seine Forderung auf den Kostenbeitrag des Klägers an der Sozialhilfe gehe der Forderung des Ergänzungsbetreuers
vor, da die Festsetzung zeitlich vor der Rechnungslegung erfolgt sei. Ein Einkommensfreibetrag sei nicht zu
berücksichtigen. Einkommen sei bis zur maßgeblichen Einkommensgrenze unbedingt, darüber hinaus im Rahmen des
Zumutbaren einzusetzen. Da der Kläger zum Personenkreis der Leistungsberechtigten nach § 19 Abs. 3 Zwölftes
Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) gehöre, sei er verpflichtet und es sei ihm auch zuzumuten, das Renten- und das
Vermächtniseinkommen voll einzusetzen.
Dagegen hat der Kläger am 24.06.2010 Klage erhoben. Er vertritt die Auffassung, das testamentarische Vermächtnis
sei im Rahmen eines so genannten Behindertentestamentes ausgestaltet worden; die Zuwendung habe dem
Schonvermögen unterfallen sollen. Bei dem Behindertentestament entstünden für den Beklagten keine
überleitungsfähigen Ansprüche; als Testamentsvollstreckerin sei die Schwester des Klägers eingesetzt; gemäß §
2214 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) sei dem Beklagten der Zugriff auf Nachlassgegenstände verwehrt. Nach § 2216
Abs. 2 BGB sei die Testamentsvollstreckerin angewiesen, dem Kläger Sonderleistungen zukommen zu lassen, die
unter das Schonvermögen fielen. Dies sei auch gerechtfertigt; die Mutter habe den Kläger 50 Jahre gepflegt; dadurch
seien in dieser Zeit keine Heimkosten angefallen. Der Vermächtnisbetrag werde zielgerichtet für Lebensunterhalt und
die Teilnahme des Klägers am gesellschaftlichen Leben eingesetzt. Im Notargespräch anlässlich des 1999 verfassten
Testamentes sei es ausdrücklich Wunsch der Mutter des Klägers gewesen, dass die Schwester den zugewendeten
monatlichen Betrag ausschließlich für die persönlichen Belange des Klägers verwendet; die Mutter habe im
Notartermin wörtlich und ausdrücklich Beispiele genannt, wie Städte-Meer-Tagesreisen, kulturell-musikalische
Veranstaltungen, Zoo- und Restaurantbesuche. Zudem habe die Schwester Gegenstände für die Hobbys des Klägers
kaufen sollen; schließlich - so habe es die Mutter im Notartermin genannt - sei das Geld zu verwenden für "spontane
genussvolle Wünsche, Eis essen oder Cola trinken bzw. Pizza oder Pommes auf der Hand". Der Kläger meint, dass
jedenfalls bei der Berechnung des Kostenbeitrags die Kosten für die Ergänzungsbetreuung in Höhe von 874,65 EUR
zu berücksichtigen seien.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 11.11.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26.05.2010
aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, die Anordnung von Testamentsvollstreckung sei unerheblich, da die Verwendung des Geldes
testamentarisch nicht festgelegt sei; eine Forderung als Kostenbeitrag sei daher grundsätzlich möglich; der
schriftsätzlich mitgeteilte Wille der Erblasserin sei im Testament nicht zum Ausdruck gekommen. Der Hinweis des
Klägers, die Vermächtniszahlungen würden zur Sicherstellung seines Lebensunterhalts und der Teilnahme am
gesellschaftlichen Leben verwandt, sei nicht nachvollziehbar, da der Kläger im Wohnheim der Lebenshilfe e. V.
vollstationär lebe und der genannte Lebensunterhalt dort sichergestellt werde. Auch ein Freizeitprogramm werde durch
die Einrichtung angeboten; wie andere Bewohner erhalte der Kläger auch einen monatlichen Barbetrag; darüber hinaus
stehe im Einkommen aus der Werkstatttätigkeit sowie Urlaubs- und Weihnachtsgeld zur Verfügung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten
gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen den Kläger betreffenden
Verwaltungsakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Der Kläger wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)
beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Zurecht hat der Beklagte im Hinblick auf die Zahlungen, die der Kläger seit
01.02.2009 von seiner Schwester in Erfüllung des Vermächtnisses aus dem notariellen Testament der Mutter vom
19.01.1999 in Höhe von 76,69 EUR - das entspricht dem im Testament festgesetzten Betrag von 150,00 DM - erhält,
diesen Betrag als Kostenbeitrag an der ihm gewährten Sozialhilfe festgesetzt.
Mit dem Kostenbeitrag wird nicht der Einsatz von Vermögen, bei dem die Regelungen über das Schonvermögen zu
beachten wären, sondern von Einkommen verlangt. Sozialhilferechtlich ist Einkommen alles das, was jemand in der
Bedarfszeit wertmäßig dazu erhält, und Vermögen das, was er in der Bedarfszeit bereits hat (sog. Zuflusstheorie;
BVerwG, Urteil vom 18.02.1999 - 5 C 35/97 = BVerwGE 108, 286). Der Wert des Vermächtnisses zugunsten des
Klägers aus dem Testament seiner Mutter vom 19.01.1999 beträgt 7.509,66 EUR; der Einsatz dieses
Vermögenswertes wird jedoch vom Beklagten nicht verlangt. Bei dem aus dem Vermögensstamm regelmäßig
gezahlten Betrag von 76,69 EUR handelt es sich um Monat für Monat zufließendes Einkommen. Zurecht fordert der
Beklagte nur den Einsatz dieses Einkommens zur Senkung der Sozialhilfekosten. Einen dem Einsatz entzogenen
Einkommensfreibetrag gibt es nicht.
Rechtsgrundlage des Einkommenseinsatzes sind die §§ 19 Abs. 3, 87, 88 Abs. 1 Satz 2, 92, 92a SGB XII. Danach
ist ein Einkommenseinsatz nicht nur bis zur Einkommensgrenze (vgl. § 85 SGB XII), sondern auch darüber hinaus
zumutbar. Dies wird dem Grunde nach auch vom Kläger nicht bestritten; der Beklagte hat die rechtlichen Grundlagen
im Widerspruchsbescheid ausführlich und zutreffend dargelegt und die einzusetzenden Kostenbeiträge errechnet. Die
Kammer folgt insoweit der Begründung des Widerspruchsbescheides und sieht deshalb insoweit von einer weiteren
Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 136 Abs. 3 SGG).
Die wesentliche vom Kläger zur Klärung durch das Gericht gestellte Frage ist, ob der im Testament vom 19.01.1999
durch die Mutter des Klägers diesem als monatliche Zuwendung nach ihrem Tod vermachte Betrag von 76,69 EUR
zur Senkung der Sozialhilfekosten einzusetzen ist. Diese Frage ist zu bejahen.
Allerdings ist in der zivil-, verwaltungs- und auch sozialgerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass es nicht
zwingend sittenwidrig, vielmehr von der Testierfreiheit gedeckt sein kann, wenn Eltern ihren behinderten Kindern
etwas vermachen, was dem Zugriff des Sozialhilfeträgers entzogen bleiben soll. Diese Rechtsprechung betrifft jedoch
entweder den Einsatz von Vermögen oder eine bestimmte Erbenstellung des behinderten Kindes (Vor-, Nacherbe)
oder Nachlassgegenstände, die der Verwaltung eines Testamentsvollstreckers unterliegen, oder Verwendungszwecke,
die im Testament festgelegt sind (vgl. dazu z. B. BGH, Urteile vom 21.03.1990 - IV ZR 169/89 - und vom 20.10.1993 -
IV ZR 231/92; OVG Sachsen, Beschluss vom 02.05.1997 - 2 S 682/96; VG Frankfurt, Urteil vom 13.12.2002 - 7 E
5266/00; VG Saarland, Urteil vom 21.01.2005 - 4 K 156/03; OVG Saarland, Urteil vom 17.03.2006 - 3 R 2/05; LSG
Baden-Württemberg, Beschluss vom 09.10.2007 - L 7 AS 3528/07 ER-B; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss
vom 29.09.2009 - L 8 SO 177/09 B ER).
Wie bereits dargelegt, geht es im vorliegenden Fall nicht um den Einsatz von Vermögen. Auch ist der Kläger nicht
Erbe, sondern Vermächtnisnehmer, weshalb die Vorschrift des § 2211 Abs. 1 BGB, die einen der Verwaltung eines
Testamentsvollstreckers unterliegenden Nachlassgegenstand der Verfügungsbefugnis des Erben entzieht, ebenso
wenig einschlägig ist wie die vom Kläger für sein Begehren in Anspruch genommene Vorschrift des § 2214 BGB.
Auch auf § 2216 Abs. 2 Satz 1 BGB kann sich der Kläger nicht mit Erfolg berufen. Nach dieser Vorschrift sind
Anordnungen, die der Erblasser für die Verwaltung durch letztwillige Verfügung getroffen hat, von dem
Testamentsvollstrecker zu befolgen. Anders als in den von der zitierten Rechtsprechung zum sog.
Behindertentestament ergangenen Entscheidungen enthält das notariell beurkundete Testament vom 19.01.1999
keine bestimmten Zwecke, zu denen der monatliche Zahlbetrag von 76,69 EUR verwendet werden soll. Die vom
Kläger wiedergegebenen Willensbekundungen seiner Mutter anlässlich des Notartermins zur Beurkundung des
Testaments im Jahre 1999 sind keine Anordnungen, die die Erblasserin für die Verwaltung des Nachlasses "durch
letztwillige Verfügung" getroffen hat und die deshalb gemäß § 2216 Abs. 2 Satz 1 vom Testamentsvollstrecker zu
befolgen wären. Eine letztwillige Verfügung oder Testament (vgl. § 1937 BGB) unterliegt einem strengen Formzwang.
Es kann nur zur Niederschrift eines Notars oder durch eine eigenhändig geschriebene und unterschriebene Erklärung
errichtet werden (§§ 2231, 2232, 2247 Abs. 1 BGB). Eine letztwillige Verfügung im Sinne von § 2216 Abs. 2 Satz 1
BGB ist das notarielle Testament vom 19.01.1999. Darin kommt als letzter Wille der Mutter des Klägers zum
Ausdruck, dass von einem nach bestimmten Vorgaben errechneten Vermächtnisbetrag an den Kläger erstmals nach
Ablauf von zwei Monaten nach dem Tod der Erblasserin "in monatlichen Raten von 150,-DM, i. W. einhundertfünfzig
Deutsche Mark zu zahlen" sind, in Euro umgerechnet mithin 76,69 EUR. Weitergehende Anordnungen, insbesondere
solche, wie sie die Mutter im Notartermin mündlich zum Ausdruck gebracht haben soll, sind nicht "letztwillige
Verfügung" geworden. Die in dem notariellen Testament als Vermächtnis zugunsten des Klägers allein getroffene
Anordnung an die Testamentsvollstreckerin, dem Kläger monatlich 76,69 EUR zu zahlen, wird von ihr befolgt, wie es
§ 2216 Abs. 2 Satz 1 BGB verlangt. Dies greift der Beklagte auch nicht an, im Gegenteil: er würde darauf bestehen,
dass diese Anordnung ausgeführt wird, wenn die Testamentsvollstreckerin dies unterließe. Mit den monatlichen
Zahlungen aus dem errechneten Vermächtnisstock erhält der Kläger monatliche Einnahmen vom 76,69 EUR. Dieses
Geld steht ihm zur freien Verfügung; es ist nicht aufgrund letztwilliger Verfügung zweckgebunden zu verwenden. Im
Hinblick darauf ist dieses Einkommen sozialhilferechtlich nicht geschützt und vom Beklagten zurecht durch die
angefochtene Bescheide als weiterer Kostenbeitrag des Klägers an der ihm gewährten Sozialhilfe festgesetzt worden.
Soweit der Kläger die Berücksichtigung der Kosten des Ergänzungsbetreuers bei der Festsetzung des Kostenbeitrags
verlangt, kann er auch insoweit mit der Klage keinen Erfolg haben. Die Forderung des Ergänzungsbetreuers in Höhe
von 874,65 EUR ist erst nach Festsetzung des Kostenbeitrags in Rechnung gestellt und sodann von der Schwester
und Betreuerin des Klägers beglichen worden. Selbst wenn diese Ausgabe zugunsten des Klägers zu berücksichtigen
wäre, führte dies allenfalls dazu, dass sich der Wert des Vermächtnisses von 7.509,66 EUR um 874,65 EUR auf
6.635,01 EUR vermindern würde. Dies hätte zur Folge, dass der Kostenbeitrag nicht für fast 98 Monate (7.509,66:
76,69 = 97,9), sondern nur für knapp 87 Monate (6.635,01: 76,69 = 86,5), also bis längstens April 2016 gefordert
werden könnte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.