Urteil des SozG Aachen vom 02.02.2007

SozG Aachen: aufschiebende wirkung, wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, vollmacht, fremder, vollziehung, rechtsberatung, vertretung, anforderung, vorverfahren, unterkunftskosten

Sozialgericht Aachen, S 20 SO 5/07 ER
Datum:
02.02.2007
Gericht:
Sozialgericht Aachen
Spruchkörper:
20. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
S 20 SO 5/07 ER
Sachgebiet:
Sozialhilfe
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des
Widerspruchs vom 11.01.2007 gegen den Bescheid des Antraggegners
vom 22.12.2006 wird abgelehnt. 2. Die Kosten des Verfahrens trägt der
Antragsteller. 3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetz
Gründe:
1
I.
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Der Antragsteller (Ast.) wehrt sich gegen seine Zurückweisung als Bevollmächtigter
gemäß § 13 Abs. 5 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X).
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Der 1968 geborene Ast. betreibt unter dem Namen E. ein Unternehmen, das - nach
eigenen Angaben in Kooperation mit Rechtsanwälten und anderen Volljuristen -
"Soziale Dienstleistungen" zur Verfügung stellt.
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Mit Schreiben vom 12.10.2006 wandte sich der Ast. in der Angelegenheit einer
Sozialhilfeempfängerin an den Antragsgegner (Ag.). In der Sache ging es um die
sozialhilferechtliche (Un-)Angemessenheit der Unterkunftskosten nach einer
Mieterhöhung. Der Ast. legte unter dem Briefkopf "E - Soziale Dienstleistungen" - ein
Schriftstück vor, durch das die Sozialhilfeempfängerin "X.O. oder einem seiner
Mitarbeiter/Partner" Vollmacht erteilte 1.zur Vertretung in außergerichtlichen Verfahren
und Verhandlungen gegenüber Behörden (z.B. § 13 SGB X, einschließlich der
Geltendmachung von Kostenerstattungen im Vorverfahren, z.B. § 63 SGB X), Banken
sowie auch Krankenkassen, Ärzten und medizinischen Ein- richtungen aller Art
(einschließlich der Erklärung der Entbindung von der ärztlichen Schweige- pflicht und
der Anforderung der Krankenunterlagen), Vermietern und bei außergerichtlichen
Verhandlungen aller Art auch mit Versicherungen (insbesondere in Unfallsachen zur
Geltendmachung von Ansprüchen gegen Schädiger, Fahrzeughalter und deren
Versicherer ohne Entgegennahme von Geldern), 2.zur Akteneinsicht (einschließlich der
Entbindung von der amtlichen Sicherungspflicht und Schweigepflicht) und Anforderung
und Entgegennahme von Bescheiden und anderen Dokumenten, 3.zur Begründung und
Aufhebung von Vertragsverhältnissen und zur Abgabe von einseitigen
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Willenserklärungen (z.B. Kündigungen), sowie der Durchsetzung von
Patientenverfügungen, 4.zur kostenlosen Vertretung bei der Führung von Prozessen vor
Zivilgerichten (Amtsgerichten), Verwaltungsgerichten und Sozialgerichten soweit keine
Anwaltszulassung erforderlich ist einschließlich der Befugnis zur Erhebung und
Zurücknahme von Widerklagen, 5.zum kostenlosen Beistand in Strafsachen und
Bußgeldsachen (§§ 302, 0374 StPO) einschließlich der Vorverfahren, zur Stellung von
Strafanzeigen und anderen nach der Strafprozessordnung zulässigen Anträgen soweit
keine anwaltliche Zulassung erforderlich ist. Die Vollmacht gilt für alle Instanzen und
erstreckt sich auch auf Neben- und Folgeverfahren aller Art. Sie umfasst auch die
Befugnis, die Vollmacht ganz oder teilweise auf andere zu übertragen (Untervollmacht),
Rechtsmittel einzulegen, zurückzunehmen oder auf sie zu verzichten, den Rechtsstreit
oder außergerichtliche Verhandlungen durch Vergleich, Verzicht oder Anerkenntnis zu
erledigen. Sie erstreckt sich nicht darauf, Geld, Wertsachen und Urkunden,
insbesondere auch den Streitgegenstand und die von dem Gegner, von der
Juzstizkasse oder von sonstigen Stellen zu erstattenden Beiträge entgegenzunehmen."
Durch Bescheid vom 22.12.2006 wies der Ag. den Ast. - gestützt auf § 13 Abs. 5 SGB X
- als Bevollmächtigten zurück, da er geschäftsmäßig fremde Rechtsangelegenheiten
besorge, ohne dazu befugt zu sein. Einschlägig hinsichtlich der Besorgung fremder
Rechtsangelegenheiten sei das Rechtsberatungsgesetz (RBerG). Die Tatsache, dass
der Ast. E. als Gewerbe angemeldet habe, belege die Geschäftsmäßigkeit seines
Handelns. Die Gewerbeanmeldung stelle jedoch keine Erlaubnis im Sinne des § 1 Abs.
1 RBerG dar. Er gehöre weder zu dem Personenkreis des § 1 Abs. 1 RBerG noch falle
er unter die Ausnahmetatbestände der §§ 3, 7 RBerG. Im selben Bescheid vom
22.12.2006 ordnete der Ag. die sofortige Vollziehung dieses Bescheides an. Er
begründete dies damit, die Vorschriften des RBerG dienten dem Schutz der
Allgemeinheit sowie der bevollmächtigenden Personen insoweit, als die
Rechtssuchenden vor der Gefahr bewahrt werden sollen, die Erledigung ihrer
Rechtsangelegenheiten Personen zu überlassen, die nicht über für die
ordnungsgemäße Erledigung erforderliche Sachkunde verfügen. Auch solle die
reibungslose Abwicklung des Rechtsverkehrs mit Gerichten und Behörden
gewährleistet werden. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruches und mit der
Ausnutzung weiterer Rechtsmittel verbundenen Zeitverzögerungen seien auch deshalb
nicht hinnehmbar, weil nur durch eine sofortige Unterbingung der unbefugten
Tätigkeiten weitere zu befürchtende ordnungswidrige Handlungen i.S.v. § 8 RBerG
vermieden werden könnten. Aus diesen Gründen überwiege das öffentliche Interesse an
der sofortigen Vollziehung der Zurückweisung dem Interesse an der aufschiebenden
Wirkung des Widerspruchs.
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Dagegen hat der Ast. am 15.01.2007 Widerspruch eingelegt und zugleich beantragt, die
aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederherzustellen.
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Der Ast. hat diesen Antrag zuständigkeitshalber an das Sozialgericht weitergeleitet.
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Der Ast. hat klargestellt, dass er eine - grundsätzliche - Entscheidung durch das Gericht
wünscht. Er meint, seine Tätigkeit sei keine unbefugte geschäftsmäßige Besorgung
fremder Rechtsangelegenheiten. Die erteilte Vollmacht sei nicht seine Arbeitsgrundlage.
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Der Antragsteller beantragt,
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die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 11.01.2007 gegen den Bescheid
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des Antragsgegners vom 22.12.2006 anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Er meint, der Hinweis des Ast. auf juristische Kooperationspartner sei nicht geeignet, die
Befugnisse eines nichtanwaltlichen Beraters zu erweitern. Das Handeln des Ast. gehe
über die soziale Unterstützung mit dem Ziel der Überwindung von Zugangsschwellen
weit hinaus. Es sei als Rechtsbesorgung zu bezeichnen, da es auch die Würdigung und
Bewertung getroffener und zutreffender Entscheidungen beinhalte. Dazu sei auch die
Vollmacht erteilt. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei zum Schutz der Klientin
vorgenommen worden, um weiteres tätigwerden unverzüglich zu unterbinden, da nicht
akzeptabel sei, die Erledigung von Rechtsangelegenheiten Personen zu überlassen,
die nicht über die erforderliche Sachkunde verfügten.
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II.
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Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist zulässig.
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Gemäß § 86a Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat ein Widerspruch grundsätzlich
aufschiebende Wirkung. Die aufschiebende Wirkung entfällt jedoch in den Fällen des §
86a Abs. 2 SGG. Vorliegend ist die aufschiebende Wirkung entfallen, weil der Ag. im
Bescheid vom 22.12.2006 die sofortige Vollziehung des Zurückweisungsbescheides mit
schriftlicher Begründung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung
angeordnet hat (§ 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG). Soweit sich der Ag. dabei auf die
unzutreffende Rechtsgrundlage des § 80 Abs. 2 Nr. 4 Verwaltungsgerichtsordnung
(VwGO) gestützt hat, ist dies unschädlich. Nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das
Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen ein Widerspruch keine aufschiebende
Wirkung hat, die auf- schiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Ein solcher
Antrag ist - wie hier - schon vor Klageerhebung zulässig. Der Antrag auf Anordnung
("Wiederherstellung") der aufschiebenden Wirkung ist jedoch unbegründet. Es bestehen
keine ernsthaften Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Zurückweisungsbescheides.
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Nach § 13 Abs. 5 Satz 1 SGB X sind Bevollmächtige und Beistände zurückzuweisen,
wenn sie geschäftsmäßig fremde Rechtsangelegenheiten besorgen, ohne dazu befugt
zu sein. Befugt im Sinne des Satzes 1 sind auch die in § 73 Abs. 6 Satz 3 SGG
bezeichneten Personen, sofern sie Kraft Satzung oder Vollmacht zur Vertretung im
Verwaltungs- verfahren ermächtigt sind (Satz 2). Der Ast. ist keine der in § 73 Abs. 6
Satz 3 SGG bezeichneten Personen. Er ist auch sonst nicht befugt, geschäftsmäßig
fremde Rechtsangelegenheiten zu besorgen. Nach § 1 Abs. 1 RBerG darf die
Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten, einschließlich der Rechtsberatung und der
Einziehung fremder oder zu Einziehungszwecken abgetretener Forderungen,
geschäftsmäßig - ohne Unterschied zwischen haupt- und nebenberuflicher oder
entgeltlicher oder unentgeldlicher Tätigkeit - nur von Personen betrieben werden, denen
dazu von der zuständigen Behörde die Erlaubnis erteilt ist. Eine solche behördliche
Erlaubnis zur Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten nach dem RBerG besitzt der
Kläger nicht. Er gehört zu keinem der in § 1 Abs. 1 Satz 2 RBerG aufgezählten
Personen. Der Ast. betreibt auch keine zugelassene Rechtsberatung oder eine sonst
ausnahmsweise ohne Erlaubnis zulässiger Tätigkeit im Sinne der §§ 3-7 RBerG.
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Soweit sich der Ast. darauf beruft, Rechtsberatung im Sinne des RBerG erfolge
ausschließlich durch seine Kooperationspartner, ist dies durch die für die Beurteilung
der Sach- und Rechtslage allein maßgebliche Vollmacht nicht gedeckt. Zum einen
werden dort die Partner und deren rechtlicher Status nicht namentlich erwähnt; zum
anderen ist die Vollmacht ausdrücklich und namentlich auch auf den Ast. ausgestellt.
Diese Vollmacht berechtigt zu Tätigkeiten, die Rechtsanwälten zustehen oder
Personen, die erlaubte Rechtsberatung betreiben dürfen.
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Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in den vergangen Jahren mehrfach
entschieden, dass der Erlaubnisvorbehalt für die Besorgung fremder Rechtsange-
legenheiten gemäß § 1 Abs. 1 RBerG grundsätzlich verfassungsgemäß ist. Das RBerG
dient dem Schutz der Rechtsuchenden und der geordneten Rechtspflege; zur
Erreichung dieser Zwecke ist es erforderlich und angemessen. Soweit das BVerfG
durch Beschlüsse vom 29.07.2004 und 16.02.2006 entschieden hat, dass der Begriff der
Geschäftsmäßigkeit unter Abwägung der Schutzzwecke des RBerG einerseits und des
Grundrechts der allgemeinen Handlungsfreiheit andererseits eine Auslegung erfordern
könne, die die unentgeltliche Rechtsbesorgung durch einen berufserfahrenen Juristen
nicht erfasse (BVerfG, Beschluss vom 29.07.2004 - 1 BvR 737/00 = NJW 2004, 2662;
Beschluss vom 16.02.2006 - 2 BvR 951/04 = FamRZ 2006, 539), kann der Ast. hieraus
nicht ableiten, dass seine Tätigkeit eine befugte geschäftsmäßige Besorgung fremder
Rechtsangelegenheiten ist. Das BVerfG hat den Grundsatz aufgestellt, zur Abgrenzung
erlaubsfreier Geschäftsversorgung von erlaubnispflichtiger Rechtsbesorgung sei auf
den Kern und den Schwerpunkt der Tätigkeit abzustellen, weil eine Besorgung
wirtschaftlicher Belange vielfach auch mit rechtlichen Vorgaben verknüpft ist. Es sei
daher stets zu fragen, ob die Tätigkeit überwiegend auf wirtschaftlichem Gebiet liege
und die Wahrnehmung wirtschaftlicher Belange bezwecke oder ob die rechtliche Seite
der Anlegenheit im Vordergrund stehe und es wesentlich um die Klärung rechtlicher
Verhältnisse gehe (BVerfG, Beschluss vom 27.09.2002 - 1 BvR 2251/01 = NJW 2002,
3531). Bei der Tätigkeit des Ast. in der hier zugrunde liegenden Angelegenheit der
Sozialhilfeempfängerin steht die rechtliche Seite der Angelegenheit im Vordergrund. Es
geht um die Frage der Angemessenheit bzw. Unangemessenheit der Unterkunftskosten,
die Umstände einer Mieterhöhung und die Frage, ob ein Umzug sozialhilferechtlich
gefordert werden kann oder nicht. Dies sind zu allererst rechtliche Fragestellungen aus
dem Sozialhilferecht, die nicht unerhebliche Rechtskunde erfordern.
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Soweit sich der Kläger auch auf den Gesetzentwurf eines
Rechtsdienstleistungsgesetzes bezieht, führte dies zu keiner anderen Beurteilung der
Sach- und Rechtslage, da dieses Gesetz noch nicht in Kraft ist.
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Schließlich führt auch eine gebotene Interessenabwägung nicht zu dem Ergebnis, dass
Interessen des Ast. an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung das öffentliche
Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegen. Wirtschaftliche Interessen kann der
Ast. nicht ins Feld führen, da er seine Tätigkeit nach eigenen Angaben ausschließlich
unentgeltlich ausübt.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 161
Abs. 1, 162 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf § 197a Abs.
1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 3 Abs. 1, 52 Abs. 1 und 2 Gerichtskostengesetz - GKG. Da es
sich um ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes handelt, ist es sachgerecht und
angemessen, nur die Häfte des Regelstreitwerts von 5.000,00 EUR, also 2.500,00 EUR
zu Grunde zu legen.
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