Urteil des SozG Aachen vom 22.03.2007

SozG Aachen: aufschiebende wirkung, zumutbare arbeit, praktikum, anfechtungsklage, eingliederung, sanktion, ausbildung, vergütung, unternehmen, busfahrer

Sozialgericht Aachen, S 9 AS 32/07 ER
Datum:
22.03.2007
Gericht:
Sozialgericht Aachen
Spruchkörper:
9. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
S 9 AS 32/07 ER
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
1. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom
03.01.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom
13.02.2007 wird angeordnet. 2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten.
Gründe:
1
I.
2
Der Antragsteller ist 1968 geboren, hat 1992 i. J. ein Geographiestudium abgeschlossen
und war bis 2000 Zivilbeamter beim j. Militär. In Deutschland führte er seit 2001
verschiedenste Helfertätigkeiten aus. Er steht im laufenden Leistungsbezug nach dem
SGB II und hat am 12.07.2006 im Rahmen einer Förderung durch die Antragsgegnerin
den Busführerschein erworben.
3
Mit den im Hauptsacheverfahren klageweise angefochtenen Bescheiden senkte die
Antragsgegnerin die Regelleistung des Klägers unter Wegfall des Zuschlages nach §
24 SGB II um 30 % ab, weil der Antragsteller trotz Belehrung über die Rechtsfolgen
Anlass für den Abbruch einer zumutbaren Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit (so
der Bescheid) bzw. einer Arbeitsgelegenheit in Form eines Praktikums (so der
Widerspruchsbescheid) gegeben habe. Das dem Antragsteller mit Aussicht auf
Festanstellung angebotene Praktikum als Busfahrer bei der Firma T. GmbH vom 07.09.
bis 31.12.2006 habe der Antragsteller ohne wichtigen Grund nicht zu Ende geführt. Der
Arbeitgeber habe das Praktikum abgebrochen, nachdem der Antragsteller am
22.12.2006 absprachewidrig zu einem Dienst nicht angetreten sei (Bescheid vom
03.01.2007, Widerspruchsbescheid vom 13.02.2007).
4
Mit Bescheid vom 25.01.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom
12.02.2007 setzte die Beklagte, wiederum unter Wegfall des Zuschlages nach § 24 SGB
II, eine Absenkung der Regelleistung "um weitere 30 %" fest, gestützt auf einen anderen
Sachverhalt, der Gegenstand des Parallelverfahrens S 9 AS 30/07 ER ist. Beide
Sanktionen beginnen mit dem 01.02.2007. Klage-Hauptsacheverfahren sind jeweils
anhängig.
5
Zum Abbruch der Maßnahme teilte der Arbeitgeber mit Schreiben vom 28.12.2006 mit,
der Antragsteller weise während des Praktikums Fehlzeiten von 5 bis 6 Wochen aus,
die private Gründe, z.B. fehlende Fahrgelegenheit, hätten. Eingeteilte
Nachmittagstouren seien nur widerwillig gefahren worden, weil der Antragsteller sonst
seine Frau und Tochter nicht habe abholen können. Am Freitag dem 22.12.2006 habe
der Antragsteller nach einem Behördengang um 16:00 Uhr zum Dienst erscheinen
sollen, sei aber nicht gekommen. Solche Mitarbeiter könne das Unternehmen nicht
brauchen.
6
Das Unternehmen T. beschäftigte aktenkundig mindestens 7 Praktikanten, von denen
drei eine Festanstellung zum 01.01.2007 erhalten haben. Für den Fall der Einstellung
des Antragstellers hatte die Antragsgegnerin einen sechsmonatigen
Lohnkostenzuschuss angeboten. Außerdem finanzierte die Antragsgegnerin dem
Kläger darlehensweise einen gebrauchten PKW, damit dieser den Arbeitsplatz
erreichen kann.
7
Der Antragsteller trägt vor, er habe die Maßnahme weder abgebrochen, noch Anlass
dazu gegeben. Er habe die Fahrerlaubnis zur Personenbeförderung erworben und am
06.09.2006 ein bis 31.12.2006 befristetes Praktikum mit dem Ziel einer Festanstellung
ab 01.01.2007 bei dem Reisebusunternehmen T. übernommen. Er sei wie eine
Vollzeitkraft eingesetzt worden, habe aber keine Vergütung erhalten. Montags bis
freitags sei er selbst gefahren, samstags habe er einen anderen Fahrer begleitet um
neue Touren zu erlernen. An einzelnen Tagen sei er von morgens 4:00 Uhr bis abends
9:00 Uhr unterwegs gewesen.
8
Am Freitag, 22.12.2006, habe er, nachdem er am Vortag von 6 - 18:00 Uhr gearbeitet
habe, einen freien Tag für Behördengänge erbeten und erhalten. Um 15:00 Uhr an
diesem Tage habe dann der Arbeitgeber telefonisch ohne Angabe von Gründen
mitgeteilt, er brauche nicht mehr zu kommen (spätere Angabe zum Zeitpunkt: Am
24.12.).
9
Der Antragsteller beantragt,
10
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 03.01.2007 in der
Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13.02.2007 anzuordnen.
11
Die Antragsgegnerin beantragt,
12
den Antrag abzulehnen.
13
Das Praktikum sei dem Antragsteller im Laufe des Leistungsbezuges angeboten
worden. Die in Aussicht gestellte Festeinstellung sei wegen des Verhaltens des
Antragstellers unterblieben. Ein Praktikum sei immer vollzeitig und arbeitsnah, der
Antragsteller sei während des Praktikums in Strecken- und Tarifkunde, sowie in die
Betriebsabläufe und den Fahrdienst eingewiesen worden. Er habe von der
Antragsgegnerin Fahrtkosten und 100,00 Euro Vergütung erhalten. Diese
Verfahrensweise sei üblich. Der Arbeitgeber habe Unzuverlässigkeit des Klägers als
Beendigungsgrund angegeben, auf die Angaben des Arbeitgebers müsse sich die
Antragsgegnerin verlassen. Der Arbeitgeber habe drei ähnliche Praktikanten fest
eingestellt. Ein weiteres ähnliches Praktikum des Antragstellers sei inzwischen am
unmotivierten Verhalten des Antragstellers gescheitert. Die aktuelle Arbeitgeberin habe
14
gebeten, man solle ihr um Gottes willen nicht noch einmal den Antragsteller schicken,
der habe überhaupt keine Lust. Der Antragsteller sei immer unzuverlässiger geworden,
seit ihm die Antragsgegnerin den PKW finanziert habe.
II.
15
Der zulässige Antrag ist begründet. Nach § 86 b Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht auf
Antrag in Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende
Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Gemäß § 86
a Abs. 2 Nr. 4 SGG entfällt die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und
Anfechtungsklage in den durch Bundesgesetz vorgeschriebenen Fällen. Gemäß § 39
SGB II haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der
über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entscheidet, keine
aufschiebende Wirkung. Dies ist vorliegend bei den vom Antragsteller angegriffenen
Bescheiden der Fall, weil sie unmittelbar auf die dem Antragsteller von der
Antragsgegnerin bewilligten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes
einwirken.
16
Bei der im Rahmen des § 86 b Abs. 1 SGG gebotenen Interessenabwägung überwiegt
das Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines
Widerspruchs gegenüber dem öffentlichen Interesse an der alsbaldigen Vollziehung der
Bescheide. Nach summarischer Prüfung der Rechtslage ergeben sich nämlich
ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide.
17
Was den Widerspruchsbescheid angeht, so stützt die Antragsgegnerin ihre
Entscheidung auf § 31 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c SGB II (wie sich aus der Verwendung des
Begriffes "Arbeitsgelegenheit" ergibt), wonach die Absenkung des Regelsatzes um 30
% unter Wegfall des Zuschlages nach § 24 SGB II vorzunehmen ist, wenn der
Hilfebedürftige sich trotz Belehrung über die Rechtsfolgen weigert, eine zumutbare
Arbeit, Ausbildung, Arbeitsgelegenheit, ein zumutbares Angebot nach § 15 a oder eine
sonstige in der Eingliederungsvereinbarung vereinbarte Maßnahme aufzunehmen oder
fortzuführen. Der Ausgangsbescheid zog hingegen noch § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II
heran, wonach dieselben Rechtsfolgen eintreten, wenn der erwerbsfähige
Hilfebedürftige trotz Belehrung über die Rechtsfolgen eine zumutbare Maßnahme zur
Eingliederung in Arbeit abgebrochen oder Anlass für den Abbruch gegeben hat.
18
Keine dieser beiden Ermächtigungsgrundlagen trägt indes den Eingriff der
Antragsgegnerin.
19
Es fehlt bereits an der erforderlichen Rechtsfolgenbelehrung. Hinsichtlich möglicher
Sanktionen im Zusammenhang mit dem Praktikum findet sich in den Akten der
Antragsgegnerin keine Rechtsfolgenbelehrung, es ist auch insoweit keine
Eingliederungsvereinbarung dokumentiert. Im Zusammenhang mit der Finanzierung des
PKW ist zwar der Text des § 31 SGB II wiedergegeben, jedoch hat die
Rechtsfolgenbelehrung jeweils mit Bezug auf den konkreten Fall zu erfolgen (LSG
Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 01.09.2006, L 8 AS 315/06 ER). Daran fehlt es
hier.
20
Es kommt hinzu, dass die Sanktion jedenfalls nicht auf § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Buchst. c
SGB II gestützt werden konnte, da keiner der dort angesprochenen Tatbestände
(zumutbare Arbeit, Ausbildung, Arbeitsgelegenheit oder sonstige Maßnahme) vorliegt.
21
Der Angabe des Klägers, er habe im Wesentlichen wie ein regulärer Busfahrer
gearbeitet, ist die Antragsgegnerin nicht ernsthaft entgegengetreten. Übereinstimmend
gehen dabei beide Beteiligten von einem anfänglichen Einarbeitungsbedarf beim
Antragsteller aus, dem, wie bei jedem Wechsel eines Busfahrers von einem
Verkehrsunternehmen zum nächsten, zunächst Strecken- und Tarifkenntnisse fehlten,
die ihm im Rahmen betrieblicher Einweisung zu vermitteln waren. Eine solche
Einarbeitung kann im Rahmen eines Probearbeitsverhältnisses (Arbeitsvertrag mit
Probezeit) oder einer befristeten Beschäftigung stattfinden. Dann ist sie aber zu
entlohnen. Unentgeltliche Arbeit ist nicht zumutbar (Rixen in Eicher/Spellbrink, SGB II,
Rdnr. 90 zu § 10).
22
Der Antragsteller hat auch nicht an einer Ausbildung teilgenommen, da nach der
Gestaltung des Sachverhaltes die Vermittlung beruflicher Qualifikation weder im
Vordergrund stand, noch überhaupt die Antragsgegnerin erkennbar interessierte, denn
über die Angaben des Arbeitgebers hinaus, er vermittele Strecken- und Tarifkenntnisse,
fand eine Nachprüfung oder eine Formulierung von Anforderungen durch die
Antragsgegnerin nicht statt. Vielmehr kam es allein auf den angestrebten
Vermittlungserfolg an.
23
Es wurde auch keine Arbeitsgelegenheit geschaffen. Mit dem von der Antragsgegnerin
gebrauchten Begriff "Arbeitsgelegenheit" können nur solche nach § 16 Abs. 3 SGB II
gemeint sein. Solche Arbeitsgelegenheiten können in Arbeitsverhältnissen geschaffen
werden (Satz 1), oder als im öffentlichen Interesse liegende zusätzliche Arbeiten (Satz
2). In Arbeitsgelegenheiten in Arbeitsverhältnissen ist Lohndumping untersagt (Rixen,
a.a.O.), es handelt sich um reguläre, entlohnte Beschäftigungsverhältnisse (Münder,
SGB II, 2. Aufl., Rdnr. 34 und 35 zu § 16). Sie sind zudem wettbewerbsneutral zu
schaffen (Münder a.a.O., Rdnr. 35), was im vorliegenden Falle ersichtlich nicht zutrifft,
denn der Kläger ist regulär Bus gefahren und hat in dieser Zeit einen
arbeitsmarktgängigen Arbeitsplatz zu wettbewerbsverzerrenden Bedingungen besetzt
gehalten. Da der Kläger auf einem regulären Arbeitsplatz eingesetzt war, handelt es
sich auch nicht um zusätzliche Arbeit in öffentlich-rechtlichen Arbeitsgelegenheiten, so
dass auch eine Sanktionierung über §§ 31 Abs. 1 S. 1 Ziff. 1 Buchst. d, 16 Abs. 3 S. 2
SGB II nicht in Betracht kommt.
24
Da hinsichtlich des Praktikums nach Aktenlage auch eine Eingliederungsvereinbarung
nicht geschlossen wurde, kann Grund für eine Sanktion auch nicht sein, dass der Kläger
nicht an einer "sonstigen vereinbarten Maßnahme" teilgenommen hätte, so dass keiner
der Tatbestände der von der Antragsgegnerin im Widerspruchsbescheid in Anspruch
genommenen Ermächtigungsnorm hier eingreift.
25
Damit trägt die von der Antragsgegnerin gegebene Begründung die Sanktion nicht. Nur
ergänzend wird darauf hingewiesen, dass auch der im Ausgangsbescheid noch
angenommene Abbruch einer zumutbaren Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit (§ 31
Abs. 1 S. 1 Ziff. 2 SGB II) die Sanktionsentscheidung der Antragsgegnerin nicht trägt.
Denn in Betracht kommt insoweit nur eine nach § 16 Abs. 1 und 2 zulässige Maßnahme
(Rixen, a.a.O., Rdnr. 20 zu § 31). Das durchgeführte Praktikum lässt sich unter den dort
genannten Förderinstrumenten am ehesten als Maßnahme zur Verbesserung der
Eingliederungsaussichten einordnen, mit der Folge, dass dann aber die in § 49 SGB III
vorgesehene Regeldauer von 8 Wochen zu beachten gewesen wäre, für deren
mögliche Verlängerung hier Anhaltspunkte fehlen. Im übrigen wäre auch die
26
Höchstförderdauer von 12 Wochen bereits am 30.11.2006, also drei Wochen vor
Abbruch des Praktikums, abgelaufen gewesen. Der vorliegende Fall zeigt die
Sinnhaftigkeit der Begrenzung der Förderungshöchstdauer, denn drei Praktika der hier
streitigen Art vernichten einen regulären Arbeitsplatz für ein Jahr. Das Busunternehmen
hat sieben Praktikanten beschäftigt und hiervon drei fest eingestellt. Es ist demnach um
28 Monatsgehälter entlastet worden und hat hierdurch einen erheblichen
Wettbewerbsvorteil erlangt.
Offen bleiben kann vor diesem Hintergrund, ob eine Weigerung des Antragstellers, das
Praktikum fortzuführen, angenommen werden kann und hinreichend belegt ist. Zweifel
bestehen angesichts der unkonkreten Vorwürfe des Arbeitgebers, der als einzigen
greifbaren Vorwurf neben einer offenbar allgemein vom Arbeitgeber empfundenen, aber
nicht belegten Unlust des Antragstellers, den Nichtantritt zur Arbeit am 22.12.2006
benennt. Dieser ist jedoch bestritten und es gibt keinen Grundsatz des im
Widerspruchsbescheid angedeuteten Inhaltes, dass den Angaben des Arbeitgebers
stets zu glauben sei. In diesem Zusammenhang ist zumindest interessant, dass der
nach eigenen Angaben so unzufriedene Arbeitgeber sich noch am 02.12.2006 um eine
Verlängerung des Praktikums mit dem Antragsteller bemüht hat.
27
Die Kammer verkennt nicht, dass die Antragsgegnerin sich nach Kräften bemüht hat,
den Antragsteller in ein Arbeitsverhältnis zu bringen, in dem er sich und seine Familie
angemessen ernähren kann. Sie hat dabei mehr Anstrengungen unternommen, als der
Antragsteller erwarten durfte. Das Gericht erkennt dieses Bemühen ausdrücklich an und
verkennt auch nicht, dass nach dem bekannt gewordenen Sachverhalt dies beim
Antragsteller evtl. nicht in gleicher Weise der Fall ist. Dennoch muss vom Einzelfall
losgelöst Wettbewerbsneutralität und Verhältnismäßigkeit gewahrt werden, um
Verzerrungen auf dem Gesamtarbeitsmarkt zu vermeiden.
28
Die in diesem Beschluss angeordnete aufschiebende Wirkung erfasst nur die Klage
gegen den Bescheid vom 03.01.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom
14.02.2007. Dies wird betont, weil der Wegfall des Zuschlages nach § 24 SGB II nicht
nur in diesen Bescheiden angeordnet ist, sondern auch im Bescheid vom 25.01.2007 in
der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.02.2007. Die Anordnung des
Wegfalls des Zuschlages nach § 24 SGB II durch die letztgenannten Bescheide wird
durch diesen Beschluss nicht berührt.
29
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.
30