Urteil des OVG Schleswig-Holstein vom 15.03.2017

OVG Schleswig-Holstein: örtliche zuständigkeit, gewöhnlicher aufenthalt, stadt, jugendhilfe, geburt, behörde, begriff, schwangerschaft, jugendamt, kreis

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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
für das Land Schleswig-
Holstein 2. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 LB 22/10
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 19 Abs 1 S 3 SGB 8, §
86b Abs 1 S 1 SGB 8, § 89d
Abs 3 S 1 SGB 8, § 86b Abs
1 S 2 SGB 8, § 86b Abs 2
SGB 8
Jugendhilfe bei Einreise aus dem Ausland
Leitsatz
Reist jemand, der zuvor in Deutschland keinen gewöhnlichen Aufenthalt mehr hatte,
aus dem Ausland ein und sucht unmittelbar eine gemeinsame Wohnform i.S.v. § 19
SGB VIII auf, so ist für die Hilfe der örtliche Träger zuständig, in dessen Bereich sich der
Leistungsempfänger bei Beginn der Hilfe tatsächlich aufhält.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das angefochtene Urteil geändert.
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 22.09.2008 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 05.11.2008 verpflichtet, der Klägerin Hilfe nach § 19
SGB VIII für den Zeitraum vom 04.08.2008 bis zum 13.03.2009 zu bewilligen und
die für diesen Zeitraum entstandenen Kosten für die Klägerin und ihren Sohn in
Höhe von 33.381,26 € zu übernehmen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge. Gerichtskosten
(Gebühren und Auslagen) werden nicht erhoben.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Dem Beklagten wird nachgelassen, die vorläufige Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abzuwenden, wenn nicht
die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Übernahme der Kosten für die Betreuung der
Klägerin und ihren Sohn in einer gemeinsamen Wohnform im Sinne von § 19 SGB
VIII.
Die Klägerin wurde am ... in ... in Polen geboren und kam im Jahr 1990 mit ihrer
Familie nach Deutschland. Sie hat die deutsche Staatsangehörigkeit. Die Klägerin
lebte bis Anfang 2007 in .... Danach hatte sie keinen festen Wohnsitz und hielt sich
an unterschiedlichen Orten in Deutschland sowie bei einer Bekannten in der
Schweiz auf.
Per eMail vom 04. Juni 2008 wandte die Klägerin sich unter dem Betreff
„Findelbaby“ an den SterniPark e. V. in Satrup (Kreis Schleswig-Flensburg) und
suchte um Hilfe nach. Sie sei ungewollt schwanger und strebe eine anonyme
Geburt an. Mitte Juni fuhr sie dann von der Schweiz aus nach Satrup und wurde
vom SterniPark e.V. aufgenommen.
Mit Schreiben vom 02.07.2008 wandte sich die Klägerin an das Jugendamt der
Stadt ... und beantragte dort für sich „ eine Unterbringung im Sternipark/Satrup
nach § 19 SGB VIII.“ Dieser Antrag der Klägerin wurde mit Schreiben vom
03.07.2008 des SterniPark e. V. unter Hinweis auf die Notlage der Klägerin
weitergeleitet. Beigefügt war ein Situationsbericht der Mutter-Kind-Einrichtung
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weitergeleitet. Beigefügt war ein Situationsbericht der Mutter-Kind-Einrichtung
SterniPark vom 02.07.2008 mit Angaben zur Vorgeschichte der Klägerin, dem
Schwangerschaftsverlauf und der derzeitigen Lebenssituation sowie der
Perspektive der Klägerin. Danach benötigte die Klägerin pädagogische Begleitung
und Unterstützung bei der Vorbereitung auf die Geburt ihres Kindes. Des Weiteren
sei es notwendig, eine Perspektive für die Klägerin und ihr Kind aufzubauen. Eine
aus der Ambivalenz resultierende Persönlichkeitsstörung solle sozialpädagogisch
und psychiatrisch aufgearbeitet werden. Die Stadt ... traf keine förmliche
Entscheidung, sondern teilte der Klägerin mit Schreiben vom 30.07.2008 mit, dass
aus dortiger Sicht der Beklagte für die Gewährung von Hilfen zuständig sei und
riet, einen entsprechenden Antrag bei dem Beklagten zu stellen.
Am ... 2008 wurde der Sohn der Klägerin geboren.
Mit Telefax vom 06.08.2008 wurde das ursprünglich an das Jugendamt der Stadt ...
gerichtete Schreiben der Klägerin vom 02.07.2008 nunmehr erstmals dem
Beklagten übermittelt. Gleichzeitig wandte sich der SterniPark e. V. mit Schreiben
vom 06.08.2008 an den Beklagten und beantragte für die Klägerin Bewilligung von
Hilfen nach § 19 SGB VIII. Mit Schreiben der Einrichtung vom 07.08.2008 wurden
Angaben über den tatsächlichen Aufenthalt der Klägerin bis zur Aufnahme in
Satrup unterbreitet. Mit einem beigefügten Schreiben vom 07.08.2008 teilte die
Klägerin dem Beklagten mit, sie habe ihren Lebensmittelpunkt stets in ... gehabt
und habe im letzten Jahr drei Besuche in der Schweiz gemacht. Sie habe sich
nirgendwo anders aufgehalten und habe sich ohne Umwege oder Aufenthalte in
anderen Städten auf direktem Wege von dem Besuch in der Schweiz in die Mutter-
Kind-Einrichtung in Satrup begeben.
Mit Schreiben vom 26.08.2008, von dem sowohl die Klägerin als auch die
Einrichtung jeweils eine Durchschrift erhielten, wandte sich der Beklagte an die
Stadt ... und bat um Entscheidung des von der Klägerin ursprünglich gestellten
Antrages. Die Stadt ... teilte dem Beklagten daraufhin mit, sie habe Ermittlungen
zum bisherigen Aufenthalt der Klägerin angestellt; diese seien hinsichtlich des
Aufenthaltes in ... unzutreffend. Für die Zeit ab Februar 2007 sei ein Aufenthalt der
Klägerin dort nicht mehr festzustellen. Die ursprünglichen Angaben der Klägerin,
wonach sie zuletzt ohne festen Wohnsitz gewesen sei und sich an wechselnden
Orten – auch wiederholt in der Schweiz – aufgehalten habe, dürften eher zutreffen.
Die Stadt ... verwies den Beklagten auf dessen eigene Zuständigkeit.
Unter Hinweis auf die Ermittlungen der Stadt ... zum tatsächlichen Aufenthalt der
Klägerin lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 22.09.2008 den Antrag der
Klägerin auf Gewährung von Leistungen nach § 19 SGB VIII ab. Den hiergegen am
16.10.2008 erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid
vom 05.11.2008 zurück. Zur Begründung führte er aus, dass ein gewöhnlicher
Aufenthalt vor Hilfebeginn nicht habe ermittelt werden können. Daher sei die
Regelung des § 86 b Abs. 2 SGB VIII anzuwenden und auf den tatsächlichen
Aufenthalt abzustellen. Es sei anerkannt, dass dem Beginn der Leistung
grundsätzlich nicht der tatsächliche Leistungsbeginn, sondern der Beginn des
Verwaltungsverfahrens zu Grunde gelegt werde. Die Klägerin habe sich die
Jugendhilfe selbst beschafft. Eine Zuständigkeitsprüfung habe aus diesem Grunde
nicht im Voraus durchgeführt werden können. Es komme folglich auf den Zeitpunkt
an, zu dem die beantragte Jugendhilfe gewährt worden wäre. Es sei daher zu
prüfen, welcher Jugendhilfeträger zum Zeitpunkt des Beginns der
Selbstbeschaffung zuständig gewesen wäre. Die Angaben der Klägerin dazu, wo
sie sich aufgehalten habe, seien zum Teil widersprüchlich. Ein tatsächlicher
Aufenthalt könne in der Schweiz, in ... oder auch in Köln gewesen sein. Für die
Prüfung seiner Zuständigkeit sei dies jedoch unerheblich, da die Klägerin weder
einen gewöhnlichen noch einen tatsächlichen Aufenthalt im Zuständigkeitsbereich
des Beklagten vor Beginn der Leistung gehabt habe. Auch ein vorläufiges
Tätigwerden nach § 86 d SGB VIII sei nicht möglich, da auch hierfür die
Zuständigkeit fehle.
Mit ihrer am 05.12.2008 bei Gericht eingegangenen Klage hat die Klägerin ihr
Anliegen weiter verfolgt und geltend gemacht, dass der Beklagte für die nach § 19
SGB VIII zu gewährende Hilfe zuständig sei. Da sie ohne Umwege von der Schweiz
direkt nach Satrup gefahren sei und von Satrup aus die Hilfe beantragt habe,
komme es auf ihren tatsächlichen Aufenthaltsort zum Zeitpunkt der
Antragstellung an. Sie habe sich zunächst nicht direkt an die Einrichtung in Satrup
gewandt, um Hilfen nach § 19 SGB VIII zu erhalten, sondern ursprünglich bei dem
dort ebenfalls angesiedelten Projekt Findelbaby um Hilfe für die anstehende
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dort ebenfalls angesiedelten Projekt Findelbaby um Hilfe für die anstehende
Geburt nachgesucht. Erst nach der Entbindung am 01.08.2008 habe sie für sich
die Entscheidung getroffen, in der Einrichtung zu verbleiben und eine
entsprechende Vereinbarung mit der Einrichtung zum 03.08.2008 geschlossen.
Die Hilfen, die sie danach in der Einrichtung in Satrup erhalten habe, seien
erforderlich gewesen, da sie mit ihrer Situation einer erst im sechsten Monat
bemerkten Schwangerschaft nicht fertig geworden sei. Nach ihrer Entlassung am
13.03.2009 aus der Einrichtung lebe sie nunmehr mit ihrem Kind in ... zusammen.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 22.09.2008 in Gestalt
des Widerspruchbescheides vom 05.11.2008 zu verpflichten, der Klägerin Hilfe
nach § 19 SGB VIII für den Zeitraum vom 04.08.2008 bis zum 13.03.2009 zu
bewilligen und die für diesen Zeitraum entstandenen Kosten für sich und ihren
Sohn in Höhe von 33.381,26 € zu übernehmen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat die angefochtenen Bescheide verteidigt. Ergänzend hat er vorgetragen,
dass es nicht möglich gewesen sei, den gewöhnlichen oder tatsächlichen
Aufenthalt der Klägerin vor Beginn der selbst beschafften Leistung zu ermitteln.
Der Schutz der Einrichtungsorte werde unterlaufen, wenn die Antragstellerin es
durch eine verspätete Antragsstellung in der Hand habe, zuvor einen neuen
tatsächlichen Aufenthalt und damit die Zuständigkeit des Trägers der Jugendhilfe
zu begründen, in dessen Bereich sich die Einrichtung befinde.
Durch Urteil vom 18. Januar 2010 – der Klägerin zugestellt am 18. Mai 2010 – hat
das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch
auf die begehrte Bewilligung von Hilfen gemäß § 19 SGB VIII und die Übernahme
der entstandenen Kosten in Höhe von 33.381,26 €. Zur Begründung hat das
Verwaltungsgericht auf die gerichtlicherseits geteilten Gründe des angefochtenen
Widerspruchbescheides sowie den Prozesskostenhilfebeschluss verwiesen und
ergänzend angeführt:
Es komme für die Zuständigkeit des Beklagten nicht auf die Verhältnisse zum
Zeitpunkt der Antragstellung mit Schreiben vom 02.07.2008 an. Zwar habe das
OVG Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 13.06.2002 (Az.: 12 A 3177/00) den
Begriff „vor Beginn der Leistungen“ gemäß § 86 b Abs. 1 SGB VIII mit dem
Zeitpunkt der Antragstellung definiert und damit den Beginn der Leistungen auf
den Zeitpunkt der Antragstellung vorverlagert. Die dortigen Überlegungen würden
jedoch nicht für Fälle gelten, in denen, wie hier, tatsächlich schon zu einem
früheren Zeitpunkt Leistungen in Anspruch genommen und der entsprechende
Bewilligungsantrag erst später gestellt worden sei. In diesen Fällen gebe es kein
vorgeschaltetes Verwaltungsverfahren einschließlich der Prüfung der örtlichen
Zuständigkeit der eingeschalteten Behörde, so dass es insofern auf den Zeitpunkt
ankomme, in dem die Hilfe gewährt worden sei. Es sei mithin der Jugendhilfeträger
zuständig, der zum Zeitpunkt des Beginns der Selbstbeschaffungörtlich zuständig
gewesen wäre. Insofern bestehe in den Fällen selbst beschaffter Leistungen auch
keine Veranlassung für eine Vorverlagerung des Zeitpunktes des
Leistungsbeginns. Vielmehr komme es auf den Zeitpunkt des Beginns der
Leistung an. Dies sei der 15.06.2008 gewesen.
Zu diesem Zeitpunkt habe die Klägerin weder einen gewöhnlichen Aufenthalt im
Sinne von § 30 Abs. 3 S. 2 SGB I noch im Bereich des Beklagten ihren
tatsächlichen Aufenthalt im Sinne von 86 b Abs. 2 SGB VIII gehabt. Zu Recht weise
der Beklagte darauf hin, dass das bloße Durchfahren seines
Zuständigkeitsbereiches, um in die Einrichtung in Satrup zu gelangen, keinen
tatsächlichen Aufenthalt im Sinne von § 86 b Abs. 2 SGB VIII im Bereich des
Beklagten vor Leistungsbeginn begründen könne. Da die Klägerin zuletzt ihren
gewöhnlichen Aufenthalt in der Schweiz gehabt und anschließend im Bundesgebiet
während der Fahrt nach Satrup keinen tatsächlichen Aufenthalt bis zur Aufnahme
in der Einrichtung begründet habe, bestehe für den Beklagten auch keine
Möglichkeit, die Klägerin an den für sie zuständigen Leistungsträger zu verweisen.
Denn ein solcher sei für den Beklagten weder zum Zeitpunkt der damaligen
Entscheidung ersichtlich gewesen, noch sei dieser heute für das Gericht ersichtlich.
Das würde insbesondere angesichts der widersprüchlichen Angaben der Klägerin
hinsichtlich ihrer Aufenthaltsorte vor ihren diversen Aufenthalten in der Schweiz
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hinsichtlich ihrer Aufenthaltsorte vor ihren diversen Aufenthalten in der Schweiz
gelten.
Eine andere rechtliche Beurteilung ergebe sich auch nicht daraus, dass die
Klägerin lediglich für die Zeit ab dem 04.08.2008 Kostenerstattung verlange. Denn
die eingeschränkte Antragstellung führe nicht dazu, dass die von der Klägerin
tatsächlich bereits ab dem 15.06.2008 in Anspruch genommenen Leistungen der
Einrichtung SterniPark bezüglich der Beurteilung der Frage, wann hier von einem
Leistungsbeginn auszugehen sei, außer Betracht bleiben könne. Entgegen der
Auffassung der Klägerin stellten auch die Leistungen ab der Aufnahme in die
Einrichtung bis zur Geburt des Kindes sehr wohl solche nach § 19 SGB VIII dar, so
dass es im Falle einer selbst beschafften Leistung mit nachträglicher
Antragstellung auf den tatsächlichen Leistungsbeginn ankomme. Eine rechtlich
erhebliche Zäsur zwischen der Betreuung der Klägerin bis zu ihrer stationären
Aufnahme zur Geburt des Kindes und der anschließenden Rückkehr in die
Einrichtung nach der Geburt des Kindes stelle die kurzzeitige Unterbrechung
jedenfalls nicht dar. Dies ergebe sich aus dem hier anwendbaren Rechtsgedanken
der §§ 86 Abs. 3 Satz 2 sowie 86 a Abs. 4 Satz 2 SGB VIII: Wenn bereits andere
vorangegangenen Hilfen oder Leistungen im Sinne von § 86 b Abs. 3 Satz 1 SGB
VIII bzw. deren kurzzeitige Unterbrechung den Zurechnungszusammenhang und
damit die örtliche Zuständigkeit nicht tangierten, dann müsse dies erst recht bei
kurzzeitigen Unterbrechungen innerhalb der gleichen Leistung, hier nach § 19 SGB
VIII gelten. Andernfalls hätte es ein Hilfebegehrender selbst in der Hand, durch
Beschränkung des Umfangs des geltend gemachten Anspruchs stets die örtliche
Zuständigkeit des für den Einrichtungsort zuständigen Jugendhilfeträgers
herbeizuführen; diese Möglichkeit – wolle man sie denn zulassen – widerspräche
dem Grundsatz des Schutzes der Einrichtungsorte.
Ein Anspruch der Klägerin ergebe sich auch nicht aus § 86 d SGB VIII, da sich auch
nach dieser Vorschrift keine von den obigen Überlegungen abweichende örtliche
Zuständigkeit des Beklagten ergebe.
Auf Antrag der Klägerin hat der Senat durch Beschluss vom 30. August 2010 die
Berufung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen.
Zur Begründung ihrer Berufung trägt die Klägerin vor, es solle nach den
Vorstellungen des Gesetzgebers ausgeschlossen sein, dass eine Klage mit der
Begründung, die angerufene Behörde sei unzuständig, abgewiesen werde. Der
Gesetzgeber sei der Auffassung gewesen, mit § 16 SGB I hier eine umfassende
Regelung zugunsten des Leistungssuchenden getroffen zu haben. Nach § 16 Abs.
2 SGB I sei nämlich die Suche des örtlich zuständigen Trägers vom
Leistungssuchenden auf die Behörde übertragen worden. Das Ganze sei
verbunden mit der Verpflichtung, dass die vor Ort in Anspruch genommene
Behörde im Vorwege die Leistungen zu erbringen habe, wenn diese dem Grunde
nach berechtigt sei, und sich dann diese Leistungen vom zuständigen Träger
erstatten zu lassen.
Die Stadt ... habe, wie es im Gesetz vorgeschrieben sei, die Frage der örtlichen
Zuständigkeit zeitnah recherchiert und dann den Antrag an den ihrer Ansicht nach
örtlich zuständigen Beklagten zur Entscheidung abgegeben. Es sei die
Verpflichtung des Beklagten gewesen, den örtlich zuständigen Leistungsträger zu
ermitteln, hierzu ggf. zu recherchieren, für die hierfür notwendige Zeit vorläufig die
Leistungen zu erbringen und sich diese von dem örtlich zuständigen Träger
erstatten zu lassen. Der Beklagte dürfe nicht mit dem Hinweis auf seine örtliche
Unzuständigkeit den Antrag der Klägerin zurückweisen, dies widerspreche eklatant
den Vorgaben des Gesetzgebers in § 16 Abs. 2 SGB I. Nach übereinstimmender
Auffassung in der Literatur umfasse die Weiterleitungspflicht einer unzuständigen
Stelle auch die Verpflichtung, ggf. Ermittlungen anzustellen, um die zuständige
Stelle herauszufinden. Das Verwaltungsgericht weiche in dem angefochtenen
Urteil auch von der übereinstimmenden obergerichtlichen und höchstrichterlichen
Rechtsprechung ab. So habe das Bundessozialgericht grundlegend die
Bestimmung des § 16 Abs. 2 SGB I in der Entscheidung vom 21.09.1983 (4 RJ
41/83) so ausgelegt, dass der Einzelne mit seinem Begehren nach Sozialleistung
nicht an Zuständigkeitsabgrenzungen innerhalb der gegliederten Sozialverwaltung
scheitern dürfe.
Da sie, die Klägerin, in dem Verfahren sämtliche Auskünfte über ihre Aufenthalte
vorgetragen gehabt habe, habe die Verpflichtung des Gerichts bestanden, einen
entsprechenden Hinweis zu geben und weitere Auskünfte zu verlangen, wenn die
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entsprechenden Hinweis zu geben und weitere Auskünfte zu verlangen, wenn die
Auskünfte für das Gericht nicht ausreichend gewesen sein sollten. Es sei aber nicht
ersichtlich, welche weiteren Auskünfte sie habe erteilen können, so dass es
lediglich um die Frage gegangen sei, anhand dieser Auskünfte den örtlich
zuständigen Träger zu ermitteln, ggf. durch Auslegung der Gesetze zu bestimmen,
da der hier zu entscheidende Sachverhalt gesetzlich möglicherweise nicht geregelt
sei. Nicht unberücksichtigt bleiben dürfe, dass die Stadt ... einen örtlich
zuständigen Leistungsträger ermittelt habe, nämlich den Beklagten.
Das Verwaltungsgericht widerspreche mit den Ausführungen, dass das bloße
Durchfahren des Zuständigkeitsbereiches des Beklagten noch keinen
tatsächlichen Aufenthalt begründe, der herrschenden Meinung der Literatur. Der
Begriff des tatsächlichen Aufenthaltes sei unabhängig davon, ob es sich um einen
ständigen, geplanten, rechtlich zulässigen usw. Aufenthalt handele, sondern auch
der vorübergehende, zufällige, ungeplante, unerlaubte Aufenthalt, die Durchreise
usw. werde vom Begriff des tatsächlichen Aufenthaltes erfasst.
Soweit die Rechtsprechung sich im Bereich des Sozialrechts mit dem Durchreisen
befasse, werde festgestellt, dass eine Durchreise nicht ausreichend zur
Begründung eines gewöhnlichen Aufenthaltes sei. Im Umkehrschluss ergebe sich
daraus, dass die wesentlich geringeren Anforderungen für einen tatsächlichen
Aufenthalt, bei der physischen Anwesenheit in einem Ort, so bei einer Durchreise,
sehr wohl erfüllt seien. In dem angefochtenen Urteil würden an den tatsächlichen
Aufenthalt die gleichen Anforderungen wie an den gewöhnlichen Aufenthalt
gestellt. Eine Auslegung des tatsächlichen Aufenthaltes in dem hier vorgetragenen
Sinn sei auch notwendig, um Menschen, die keinen gewöhnlichen Aufenthalt
hätten, nicht von der sozialen Sicherung auszuschließen. Das habe der
Gesetzgeber als Anlass für das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für
Arbeitssuchende in der Bundestagsdrucksache 16/1410 deutlich gemacht. Dort sei
ausgeführt, dass es Lebensumstände geben könne, in denen ein gewöhnlicher
Aufenthalt nicht feststellbar sei. Stelle man ausschließlich auf den gewöhnlichen
Aufenthalt ab, handele es sich insoweit um eine Regelungslücke, die geschlossen
werden müsse, um dem Gesetzeszweck Rechnung zu tragen und zu vermeiden,
dass Menschen allein aufgrund ihrer atypischen Lebensgewohnheiten aus dem
Grundsatz des Förderns und Forderns ausgeschlossen werden. Dort gehe es zwar
nicht um Jugendhilfe, gleichwohl seien die Ausführungen auch für die
Gesetzesauslegung um vorliegenden Fall von Bedeutung.
Der Lebenssituation der Klägerin, bei der ein gewöhnlicher Aufenthaltsort im Inland
nicht festzustellen sei, werde in dem angefochtenen Urteil keine Rechnung
getragen.
Auch das sächsische Landessozialgericht (L 3 AS 60/07) habe entschieden, dass
eine Antragsablehnung mit der Begründung der fehlenden örtlichen Zuständigkeit
rechtswidrig sei. Aus den Zuständigkeitsregelungen der §§ 86 bis 88 SGB VIII
ergebe sich nicht, dass der Antrag, abweichend von der Vorschrift des § 16 SGB I
beim jeweils zuständigen Träger zu stellen sei. Der gesamte Abschnitt grenze nur
die Zuständigkeiten zwischen den einzelnen Trägern ab.
Die Vorschrift des § 15 Abs. 2 SGB I sei in dem angefochtenen Urteil nicht
behandelt. Danach sei der Beklagte zur Auskunft verpflichtet gewesen, diese
Auskunftspflicht erstrecke sich auf die Benennung des für die Sozialleistung
zuständigen Leistungsträgers. Die Literatur sehe die Verpflichtung, den konkreten,
sachlich und örtlich zuständigen Leistungsträger mitsamt Anschrift zu benennen.
Sinn und Zweck dieser Vorschrift sei, dass damit der, der Sozialleistungen in
Anspruch nehmen wolle oder müsse, nicht von einer Stelle an die andere
verwiesen werde und durch die institutionelle Gliederung des
Sozialleistungssystems Nachteile erleide. Es seien ortsnahe Stellen nötig, die
einerseits engen Kontakt zum Bürger hätten, andererseits aber der Vielseitigkeit
der Aufgaben gewachsen seien, über alle sozialen Angelegenheiten Auskunft zu
geben.
In § 2 Abs. 2 SGB X sei eine Regelung getroffen, nach der in Fällen wie dem
Vorliegenden, die für die Behörden, die sich zuständig oder unzuständig hielten,
die Aufsichtsbehörden die Entscheidung gemeinsam träfen. Es hätten hier die
Aufsichtsbehörden für die Stadt ... und den Beklagten eine Entscheidung treffen
müssen.
Unterstelle man mit dem Verwaltungsgericht als Beginn der Leistung nach § 19
SGB VIII den 15. Juni 2008, sei der Beklagte nach den Bestimmungen des § 86 b
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SGB VIII den 15. Juni 2008, sei der Beklagte nach den Bestimmungen des § 86 b
SGB VIII als auch nach § 86 d SGB VIII für das vorläufige Tätigwerden örtlich
zuständig gewesen. Es käme auf den letzten tatsächlichen Aufenthalt vor dem
Betreten der Mutter-Kind-Einrichtung an, das wäre der letzte Teil der Durchreise,
dies sei das Gebiet des Beklagten. Tatsächlich aber sei der Aufenthalt der Klägerin
in Satrupholm in zwei höchst unterschiedliche Aufenthalte aufzuteilen. Sie, die
Klägerin, habe sich zunächst an den SterniPark in dessen Eigenschaft als
anerkannte Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle gewandt und hierzu die
Beratungsstelle in Satrupholm aufgesucht. Sie habe sich hier bis zur Entbindung in
der Notunterkunft für Frauen in Schwangerschaftskonflikten aufgehalten, die sie
bis zur Geburt des Kindes bezogen habe. Diese sei von der betreuten Wohnform
zu trennen. Im Rahmen dieser Beratung und Betreuung im Zuge eines
Schwangerschaftskonfliktes habe sie tatsächlichen, wenn nicht sogar gewöhnlichen
Aufenthalt in Satrupholm ... begründet.
Ob eine Leistung nach § 19 SGB in Anspruch genommen werden würde, sei zu
diesem Zeitpunkt keinesfalls klar gewesen. Es sei eher unwahrscheinlich gewesen,
weil sie, die Klägerin, damals ihr Kind nicht habe behalten wollen. Das
Verwaltungsgericht irre, wenn es eine intensive Betreuung im Rahmen der
Schwangerschaftskonfliktberatung, die der Gesetzgeber vorgeschrieben habe,
gleichsetze mit einer Betreuung nach § 19 SGB VIII. Es sei bis zur Geburt des
Kindes keine Vereinbarung zwischen der Klägerin und dem SterniPark e.V. über
Leistungen nach § 19 SGB VIII getroffen worden. Sie, die Klägerin, habe sich sowohl
bei der Antragstellung gegenüber der Stadt ... als auch gegenüber dem Beklagten
tatsächlich in der Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle aufgehalten.
Ferner ist die Klägerin der Auffassung, dass das Verwaltungsgericht ihre Rechte
sowohl aus Artikel 3 Abs. 1 als aus Artikel 19 Abs. 4 GG verletze, wenn es in dem
angefochtenen Urteil ausführe, dass für den Beklagten noch keine Möglichkeit
bestanden habe, die Klägerin an den für sie zuständigen Leistungsträger zu
verweisen, da die Klägerin zuletzt ihren gewöhnlich Aufenthalt in der Schweiz
gehabt und anschließend im Bundesgebiet keinen tatsächlichen Aufenthalt bis zur
Aufnahme in der Einrichtung begründet habe. Nach § 6 Abs. 1 SGB VIII könnten
Mütter, die ihren tatsächlich Aufenthalt im Inland hätten, Leistungen nach dem
SGB VIII beanspruchen. Sie, die Klägerin, sei deutsche Staatsangehörige, sie habe
sich zeitweise im Ausland aufgehalten, um sich dann in der Schwangerschaft
wieder auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu begeben. Danach sei
ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB VIII entstanden. Sie habe den gleichen
Anspruch wie jede Mutter, die sonst in der Bundesrepublik Deutschland lebe.
Durch die Entscheidung des Verwaltungsgerichts werde die Realisierung dieses
Anspruchs vereitelt und damit der Grundsatz, dass alle Menschen vor dem Gesetz
gleich seien, verletzt. Sie, die Klägerin, werde diskriminiert, weil sie vor dem Beginn
der Leistung im Ausland gelebt habe. Im Übrigen werde ihr auch der Rechtsweg
genommen, da es nach der Begründung des Verwaltungsgerichts in diesen Fällen
kein zuständiges Gericht geben könne. Verletzt werde auch der
Untersuchungsgrundsatz des § 86 Abs. 1 VwGO. Die Stadt ... habe eine
Zuständigkeitsprüfung vorgenommen. Sie, die Klägerin, habe über ihren
Aufenthalt seit Sommer 2007 Auskunft gegeben mit dem wohl unstrittigen
Ergebnis, dass sie vor der Aufnahme in die Mutter-Kindeinrichtung einen
gewöhnlichen Aufenthaltsort nicht gehabt habe. Das Gericht habe weitere
Anfragen nicht gestellt, Auflagen nicht gemacht, so dass davon auszugehen sei,
dass der Sachverhalt erschöpfend vorgetragen sei. Anhand des Sachvortrages
habe das Gericht den örtlich zuständigen Träger bestimmen oder benennen
können. Es hätte weiter zu berücksichtigen gehabt, dass der Beklagte nach den
Grundsätzen der vorläufigen Leistungsgewährung hätte tätig werden müssen. Dies
sei in dem Urteil überhaupt nicht angesprochen worden.
Weiter trägt die Klägerin vor, dass das Urteil ihr Grundrecht auf Schutz der Mutter
nach Art. 6 Abs. 4 GG übersehe und verletze. Das Mutterschaftsgebot verpflichte
zu einer mutterfreundlichen Auslegung des Gesetzes. Das Gebot werde verletzt,
wenn eine Schwangere auf die Suche nach dem zuständigen öffentlichen
Jugendhilfeträger geschickt werde. Das Gericht stelle den finanziellen Schutz des
Leistungsträgers, in dessen Bezirk sich soziale Einrichtungen und Häuser
befänden, oben an, ohne eine Abwägung der beiderseitigen Interessen auch nur
anzudenken. Nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts hätte eine Deutsche, die
im Ausland lebe und in Deutschland Sozialleistungen erhalten möchte, diesen
Anspruch auf Sozialleistungen nicht mehr, da eine örtliche Zuständigkeit nicht
ersichtlich sei. Sie erhielte auch keinen gerichtlichen Schutz mehr in dieser Frage,
da es bei fehlender örtlicher Zuständigkeit eines Leistungsträgers auch kein örtlich
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da es bei fehlender örtlicher Zuständigkeit eines Leistungsträgers auch kein örtlich
zuständiges Verwaltungsgericht mehr gäbe.
Dem Schutzauftrag aus Art. 6 Abs. 4 GG liege auch die Vorstellung zugrunde, dass
Mutterschaft und Kinderbetreuung Leistungen seien, die auch im Interesse der
Gemeinschaft lägen und deren Anerkennung verlange. Der Staat müsse
denjenigen Gefahren entgegentreten, die für das ungeborene Leben in den
gegenwärtigen und absehbaren realen Lebensverhältnissen der Frau und der
Familie begründet lägen und der Bereitschaft zum Austragen des Kindes
entgegenwirkten. Der hier streitbefangene Zeitraum, in dem sie, die Klägerin,
schwanger gewesen sei bzw. gerade entbunden habe bis zum Zeitpunkt der
Beendigung der Hilfe im Alter des Kindes von 7 Monaten, falle insgesamt unter
den Schutz des Art. 6 Abs. 4 GG. Nach dem BVerfG enthalte Art. 6 Abs. 4 GG eine
wertende Grundnorm, die auch bei schwieriger Haushaltslage zu beachten sei.
Mutterschaft stelle nicht nur eine Privatangelegenheit dar, sondern die Erfüllung
der mit ihr verbundenen Aufgaben liege im Interesse der Gemeinschaft. Die
Schutzpflicht des Staates verpflichte die staatliche Gewalt, Problemen und
Schwierigkeiten nachzugehen, die der Mutter während und nach der
Schwangerschaft erwachsen könnten.
Außerdem sei darauf hinzuweisen, dass die Hilfe, die sie erhalten habe, erfolgreich
gewesen sei. Es sei gelungen, einer Schwangeren, die sich in einer Notsituation
befunden habe, einen Weg für ein gemeinsames Leben mit ihrem Kind zu eröffnen,
das heute noch fortdauere. Sie sei wieder berufstätig und nehme mit
Unterstützung ihrer Familie die Aufgabe wahr, ihr Kind zu betreuen und mit dem
Kind zusammen zu leben. Ohne die erfolgreiche Hilfestellung wäre dieses Ergebnis
angesichts ihrer Verzweiflung nach Feststellung der ungewollten Schwangerschaft
nicht zu erzielen gewesen.
Die Klägerin beantragt,
unter Änderung des Urteils des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts
vom 18. Januar 2010 den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 22.
September 2008 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 05. November 2008 zu
verpflichten, der Klägerin Hilfe nach § 19 SGB VIII für den Zeitraum vom 04. August
2008 bis zum 13. März 2009 zu bewilligen und die für diesen Zeitraum
entstandenen Kosten für sich und ihren Sohn in Höhe von 33.381,26 € zu
übernehmen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung führt der Beklagte aus, das angefochtene Urteil sei nicht zu
beanstanden, soweit darin seine Zuständigkeit verneint werde. Maßgeblich für die
Zuständigkeit sei insoweit § 86 b SGB VIII. Zuständig sei danach derjenige
Leistungsträger, in dessen örtlichem Bereich die Klägerin „vor Beginn der
Leistung“ ihren gewöhnlichen oder ihren tatsächlichen Aufenthalt gehabt habe.
Der Begriff „der Beginn der Leistung“ beziehe sich auf das Vorfeld der
Leistungsgewährung. Dies solle nach dem Gesetzeszweck dem Schutz der
Einrichtungsorte dienen. Zu betrachten sei danach der Zeitpunkt, in dem sich die
Person darüber klar werde, dass sie Hilfe benötige und sich z. B. mit einer
Einrichtung in Verbindung setze. Diese Kontaktaufnahme sei vorliegend durch die
Mail der Klägerin vom 05.06.2008 an die Einrichtung SterniPark erfolgt. Zu diesem
Zeitpunkt habe sich die Klägerin überwiegend in der Schweiz sowie bei der Familie
... in ... aufgehalten.
Durch diese tatsächlichen Umstände werde seine, des Beklagten, Zuständigkeit
nicht begründet. Die Klägerin sei in den örtlichen Bereich des Beklagten gereist,
um dort sogleich die Hilfeleistung in Anspruch zu nehmen. Gerade dies begründe
jedoch keinen tatsächlichen Aufenthalt vor Beginn der Leistung im Sinne von § 86
SGB VIII; alles andere würde dem gesetzlichen Zweck des Schutzes der
Einrichtungsorte zuwiderlaufen.
Örtlich zuständig dürfte vielmehr der Kreis Borken sein, in dem die Gemeinde ...
liege. Hier habe sich die Klägerin nach ihrem Vortrag neben dem Aufenthalt in der
Schweiz aufgehalten, als sie zum SterniPark Kontakt aufgenommen habe. Auf den
Aufenthalt in der Schweiz komme es indes nicht an, da auf den Inlandsaufenthalt
abzustellen sei.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der
Beteiligten wird auf die Gerichtsakte einschließlich der beigezogenen
Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch gegen den
Beklagten auf Gewährung der beantragten Hilfe nach § 19 Abs. 1 SGB VIII. Daher
ist das Urteil des Verwaltungsgerichts zu ändern und der Beklagte unter
Aufhebung der angefochtenen Bescheide antragsgemäß zu verpflichten (§ 113
Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 19 Abs. 1 SGB VIII für die
Betreuung der Klägerin und ihres Sohnes in einer geeigneten Wohnform für die
Zeit vom 04. August 2008 bis 13. März 2009 vorlagen, wird auch vom Beklagten
nicht in Zweifel gezogen. Ebenso erhebt der Beklagte keine Bedenken gegen die
Betreuung durch den von der Klägerin selbst gewählten Einrichtungsträger sowie
dessen Rechnungsstellung für die erbrachten Leistungen. Darauf ist deswegen
nicht weiter einzugehen.
Der Beklagte ist auch der für die Übernahme des Leistungsentgelts örtlich
zuständige Träger der öffentlichen Jugendhilfe.
Die örtliche Zuständigkeit für Leistungen nach § 19 SGB VIII richtet sich
grundsätzlich nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 SGB VIII. Danach ist der örtliche Träger
zuständig, in dessen Bereich der Leistungsberechtigte vor Beginn der Leistung
seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Darauf kann hier nicht abgestellt werden, weil
die Klägerin sich jedenfalls seit Anfang 2007 an wechselnden Orten in Deutschland
und der Schweiz aufgehalten und keinen gewöhnlichen Aufenthalt i.S.v § 30 Abs. 3
Satz 2 SGB I hatte. Entgegen der Auffassung des Beklagten fehlt es an
Anhaltspunkten dafür, dass die Klägerin nach Aufgabe ihrer Wohnung in ... einen
gewöhnlichen Aufenthalt im Kreis Borken begründet haben könnte. Auch dort hielt
sie sich nur vorübergehend und besuchsweise auf. Daher richtet die örtliche
Zuständigkeit sich gemäß § 86 b Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 SGB VIII nach dem
tatsächlichen Aufenthalt der Klägerin vor Beginn der Leistung. Dies war im Bereich
des Beklagten.
Eine „Leistung“ i.S. der Bestimmungen zur örtlichen Zuständigkeit (§§ 86 ff. SGB
VIII) beginnt dann, wenn eine in § 2 Abs. 2 SGB VIII als „Leistung der Jugendhilfe“
definierte und damit von anderen Hilfen abgegrenzte Hilfemaßnahme eingeleitet
wird (vgl. Senatsurt. v. 14.07.2010 - 2 LB 10/10 - m.w.N.). Unbeschadet der Frage,
wie der Leistungsbeginn bei selbst beschafften Hilfen festzustellen ist, kann dieser
Zeitpunkt jedenfalls weder in der Kontaktaufnahme der Klägerin mit dem
SterniPark e. V. noch in dem erstmaligen Eintreffen in Satrup in den Einrichtungen
des Vereins gesehen werden. Wie die eMail vom 04. Juni 2008 zeigt, ging es der
Klägerin zunächst allein um eine Schwangerschaftskonfliktberatung im Rahmen
des Projektes „Findelbaby“. Die Schwangerschaftskonfliktberatung ist keine
Leistung der Jugendhilfe i.S.v § 2 Abs. 2 SGB VIII. Das Projekt wird zwar auch vom
SterniPark e. V. betreut. Doch geht es dabei nicht um die Betreuung einer
schwangeren Frau vor der Geburt i.S.v. § 19 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII, sondern es
stellt einen anderen Schwerpunkt von Leistungen und Hilfen dar, als das betreute
Wohnen in der Mutter-Kind-Einrichtung. Der Schwangeren wird die Möglichkeit einer
anonymen Geburt geboten und sie kann das Kind anschließend in Pflege geben
(vgl. www.sternipark.de/findelbaby/babyklappe) Die Kosten werden daher auch
nicht vom Jugendhilfeträger übernommen, sondern durch eine Stiftung und von
Spenden finanziert.
Die Leistung i.S.v. § 19 SGB VIII, um deren Kostentragung es hier geht, begann
daher erst nach Beendigung der Schwangerschaftskonfliktberatung. Zu welchem
Zeitpunkt dies der Fall war, ist ungeklärt. Es mag zwar sein, dass die Klägerin sich
bis zur Geburt ihres Kindes noch in der Konfliktberatungsstelle des Vereins aufhielt.
Da aber mit ihrem Schreiben an das Jugendamt der Stadt ... ein konkretes
Leistungsbegehren an einen Träger der öffentlichen Jugendhilfe herangetragen
wurde, begann die Leistung jedenfalls mit Eingang dieses Antrages bei der
Behörde Anfang Juli 2008 (vgl. zur Bedeutung der Antragstellung für den
Leistungsbeginn Senatsurt. v. 14.07.2010, aaO). Da die Klägerin sich aber schon in
der Einrichtung aufhielt und - ungeachtet der Rechnungsstellung erst für die Zeit
ab 04. August 2008 - nicht auszuschließen ist, dass eine Betreuung i.S.v. § 19 Abs.
1 Satz 3 SGB VIII schon vorher einsetzte, kommt auch ein früherer
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1 Satz 3 SGB VIII schon vorher einsetzte, kommt auch ein früherer
Leistungsbeginn in Betracht. Die Frage, wann genau der Beginn der Leistung hier
anzusetzen ist, bedarf jedoch keiner weiteren Klärung, weil in jedem Falle der
Beklagte der zuständige örtliche Träger ist.
Während der Schwangerschaftskonfliktberatung - also vor Beginn der Leistung -
hielt die Klägerin sich in Satrup und damit im Bereich des Beklagten tatsächlich
auf. Damit ist der Beklagte gemäß § 86 b Abs. 2 SGB VIII örtlich zuständiger Träger
der Jugendhilfe. Dem steht der vom Gesetz bezweckte Schutz der Einrichtungsorte
vor Überlastung nicht entgegen. Die Regelung des § 86 a Abs. 2 SGB VIII, die bei
Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit nach § 86 b Abs. 1 Satz 2 SGB VIII
entsprechend gilt, hebt auf den gewöhnlichen Aufenthalt vor Aufnahme in eine
Einrichtung ab und erfasst nicht den tatsächlichen Aufenthalt. Im Übrigen ist auch
nach § 86 a Abs. 2 SGB VIII nicht ausgeschlossen, dass der für den Bereich der
Einrichtung zuständige Träger die Leistung für den Bewohner einer Einrichtung zu
erbringen hat, wenn dieser zunächst im Umfeld einer Einrichtung einen (neuen)
gewöhnlichen Aufenthalt gewählt hatte und erst danach die Einrichtung aufsuchte.
Etwas anderes ergäbe sich auch nicht, wenn der Beginn der Leistung schon bei
Ankunft der Klägerin in Satrup zu sehen sein sollte. Auch dann hätte die Klägerin
sich unmittelbar zuvor im Bereich des Beklagten aufgehalten. Wenn jemand - wie
die Klägerin - aus dem Ausland in den Geltungsbereich des Gesetzes (§ 6 SGB VIII)
einreist und sich auf unmittelbarem Weg in eine Einrichtung begibt, bleibt als –
letzter - tatsächlicher Aufenthalt nur der Ort der Einrichtung selbst. Da der
tatsächliche Aufenthalt lediglich die physische Anwesenheit einer Person erfordert
und der Begriff – wie die Klägerin zutreffend geltend macht - auch die Durchreise
erfasst (vgl. Münder in: Münder/Meysen/Trenczek [Hrsg.], Frankfurter Kommentar
SGB VIII, 6. Aufl., § 6 Rn. 5), wechselt die - potentielle - örtliche Zuständigkeit für
eine nach Beendigung der Reise zu erbringende Leistung. Letztlich zuständig ist
dann der örtliche Träger der Jugendhilfe, in dessen Bereich der
Leistungsempfänger sich bei Beginn der Hilfe tatsächlich aufhält. Das kann in
Fällen der Selbstbeschaffung der örtliche Träger sein, in dessen Bereich die
Aufnahme in eine Einrichtung erfolgt. Der Schutz der Einrichtungsorte wird für
solche Fälle durch die Regelungen des § 89 d SGB VIII bewirkt. Danach sind Kosten,
die ein örtlicher Träger aufwendet, vom Land zu erstatten, wenn innerhalb eines
Monats nach der Einreise eines jungen Menschen oder Leistungsberechtigten nach
§ 19 Jugendhilfe gewährt wird und sich die örtliche Zuständigkeit nach dem
tatsächlichen Aufenthalt dieser Person richtet. Da die Klägerin im Ausland geboren
ist, wird das erstattungspflichtige Land gem. § 89 d Abs. 3 Satz 1 SGB VIII durch
das Bundesverwaltungsamt bestimmt. Ob der Durchsetzung eines solchen
Erstattungsanspruchs evtl. die Nichteinhaltung der Ausschlussfrist des § 111 Satz
1 SGB X entgegensteht (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 19.08.2010 – 5 C 14.09 -, juris),
ist für die vorliegende Klage unerheblich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und § 188 Satz 2 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2
VwGO, §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision wird nicht zugelassen, weil Zulassungsgründe gem. § 132 Abs. 2
VwGO nicht bestehen.