Urteil des OVG Schleswig-Holstein vom 15.03.2017

OVG Schleswig-Holstein: aufrechnung, sicherheitsleistung, verjährung, vollstreckung, zink, wirtschaftlichkeit, einverständnis, beratung, datenschutz, rechtsnatur

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Gericht:
Oberverwaltungsgericht
für das Land Schleswig-
Holstein 2. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 LB 2/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 387 BGB, § 107 BSHG, §
389 BGB
Erstattung von Sozialhilfekosten; Aufrechnung
Leitsatz
Auch im Bereich der sozialhilferechtlichen Kostenerstattung ist das Institut der
Aufrechnung anwendbar.
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen
Verwaltungsgerichts vom 14. November 2005 teilweise geändert und erhält
folgende Fassung:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 17.208,05 Euro zu zahlen und diesen
Betrag ab Rechtshängigkeit mit vier Prozentpunkten über dem jeweiligen
Basiszinssatz zu verzinsen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens trägt die Klägerin zu 62 % und der
Beklagte zu 38 %.
Die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens trägt hinsichtlich des abgelehnten
Teiles der Beklagte.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.
Für die Klägerin ist das Urteil vorläufig vollstreckbar, für den Beklagten hinsichtlich
der Kostenentscheidung.
Dem Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in
Höhe von 20.000,-- Euro abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in
gleicher Höhe leistet.
Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in
Höhe der festzusetzenden Kosten abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vorher
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin fordert vom Beklagten die Erstattung weiterer Sozialhilfekosten, die
sie in der Zeit vom 01. September 1998 bis zum 31. Juli 2000 für Frau ….
aufgewendet hat. Nach längerer Korrespondenz hat die Klägerin am 27. Mai 2003
Klage erhoben und beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, für die an Frau ... in der Zeit vom 01. September
1998 bis 31. Juli 2000 geleistete Hilfe einen Betrag von weiteren 44.261,48 DM (=
22.630,54 Euro) zu erstatten.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Er hat den geltend gemachten Anspruch bezweifelt.
Das Verwaltungsgericht hat der Klage durch Einzelrichterurteil vom 14. November
2005 überwiegend stattgegeben.
Auf den Antrag des Beklagten hin hat der Senat die Berufung durch Beschluss
vom 16. Januar 2007 zum Teil zugelassen.
Der Beklagte trägt vor, dass er sich den überzeugenden Darlegungen des
Verwaltungsgerichts anschließe und an seinem Vortrag in der ersten Instanz daher
nicht mehr festhalte. In Höhe von 9.788,45 DM rechne er jedoch mit einem ihm
zustehenden Kostenerstattungsanspruch auf, der auf Grund des Umzuges vom
01. Januar 1998 aus dem Bereich der Klägerin zur Stadt Husum begründet sei.
Dieser Kostenerstattungsanspruch sei bei der Klägerin mit Schreiben vom 05.
Januar 1998 geltend gemacht worden. Eine eventuelle Verjährung dieser
Forderung stehe der Aufrechnung nicht entgegen.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil der 13. Kammer vom 14. November 2005 insoweit zu ändern, als
der Beklagte zu einer Erstattung in Höhe von mehr als 17.208,05 Euro (=
33.636,02 DM) verurteilt worden ist.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie akzeptiere die Aufrechnung nicht. Auf dem Gebiet des
Kostenerstattungsrechts sei eine Aufrechnung ausgeschlossen, da die
Rechtsnatur der öffentlich-rechtlichen Forderung ihr entgegenstehe.
Die Verwaltungsvorgänge der Beteiligten haben dem Gericht bei Beratung und
Entscheidung vorgelegen; wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des
Vortrags der Parteien im Übrigen wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Beklagten, über die im Einverständnis der Beteiligten gemäß §
101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann, ist
zulässig und im Rahmen der Zulassung auch begründet. Der Klägerin steht der
Beklagten gegenüber kein über den Betrag von 17.208,05 Euro hinausgehender
Kostenerstattungsanspruch zu, denn in Höhe von 5.004,76 Euro ist die geltend
gemachte Forderung durch Aufrechnung erloschen. Das Urteil des
Verwaltungsgerichts ist dementsprechend zu ändern
Dass das Rechtsinstitut der Aufrechnung auch im öffentlichen Recht Anwendung
findet, ist im juristischen Schrifttum und in der Rechtsprechung nahezu
unbestritten (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.02.1987 - 3 C 22.86 -, E 77, 19 = NJW 1987,
2530 = DÖV 1987, 821). Die Vorschriften über die Aufrechnung (§§ 387 ff. BGB)
gelten auch für das Recht des Sozialgesetzbuches, wie z.B. § 51 SGB-AT zeigt (vgl.
BSG, Urt. v. 28.11.1984 - 4 RJ 85/83 -, zitiert nach juris). Den Gründen, aus denen
heraus die Literatur (Schellhorn, BSHG; 16. Aufl., Rdnr. 18 zu § 111; Mergler/Zink,
Rdnr. 29 zu § 111 BSHG) und in einzelnen Fällen auch die Rechtsprechung (VG
Ansbach, GB v. 29.11.2001 - AN 14 K 96.01383 -), eine Aufrechnung für den
Bereich der sozialhilferechtlichen Erstattungsstreitigkeiten ablehnt, vermag der
Senat nicht zu folgen.
Besonderheiten der öffentlichen Verwaltung stehen dem Rechtsinstitut der
Aufrechnung nicht entgegen. Die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und
Sparsamkeit wie auch die der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit lassen es im
Gegenteil angezeigt sein, dass Forderungen möglichst zeitnah geltend gemacht
und beglichen werden.
Ein Ausschluss der Aufrechnung lässt sich weder aus § 112 BSHG a.F. noch aus §
111 SGB X herleiten. Wenn die Forderung, mit der aufgerechnet werden soll,
mangels Geltendmachung innerhalb der Ausschlussfrist erloschen ist, stellt sich
die Frage nach einer Aufrechnung nicht. Aus § 51 SGB-AT bzw. §§ 25 a, 29 a BSHG
a.F. lässt sich eher der Schluss auf eine grundsätzliche Statthaftigkeit der
Aufrechnung ziehen, da hier Sonderregelungen für den Fall getroffen worden sind,
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Aufrechnung ziehen, da hier Sonderregelungen für den Fall getroffen worden sind,
auf welchem Wege bei einer Aufrechnung zu Lasten eines Hilfeempfängers dessen
Hilfebedürftigkeit Berücksichtigung zu finden hat.
In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass sich alle Literaturstellen auf eine
Entscheidung der zentralen Spruchstelle vom 07. Februar 1985 - B 46/82 -
beziehen, die ihrerseits keine nachvollziehbare Begründung enthält. Dass weder
das SGB-AT noch die weiteren sozialrechtlichen Gesetze eine ausdrückliche
Ermächtigung für eine Aufrechnung auch unter Sozialleistungsträgern enthalten,
ist unschädlich, da das Rechtsinstitut der Aufrechnung im öffentlichen Recht
anerkannt ist. Es wäre aus rechtssystematischen Gründen auch nicht erklärbar
und ein Wertungswiderspruch, wenn das Rechtsinstitut der Aufrechnung in den
Leistungsbeziehungen zwischen Sozialleistungsträgern ausgeschlossen sein soll,
im Rechtsverhältnis zum schutzbedürftigen Hilfeempfänger jedoch modifiziert
Anwendung findet.
Hinsichtlich der Voraussetzungen und der Rechtswirkungen einer Aufrechnung im
öffentlichen Recht finden die Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches
entsprechende Anwendung. Nach § 387 BGB setzt die Aufrechnung voraus, dass
dem Schuldner einer Forderung eine gleichartige und fällige Gegenforderung
gegen seinen Gläubiger zusteht. Dies ist im vorliegenden Fall unbestritten. Die
Aufrechnung bewirkt gemäß § 389 BGB, dass die Forderungen, soweit sie sich
gedeckt haben, erloschen sind.
Der geltend gemachte Gegenanspruch, mit dem der Beklagte aufgerechnet hat,
war zum Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung zwar bereits verjährt. § 215 BGB
bestimmt jedoch ebenso wie sein Vorgänger (§ 390 Satz 2 BGB), dass die
Verjährung dann nicht ausgeschlossen ist, wenn die verjährte Forderung zu der
Zeit, zu welcher sie gegen die andere Forderung aufgerechnet werden konnte
(Aufrechnungslage), noch nicht verjährt war. Dies trifft hier zu.
Hinsichtlich des Anspruchs auf Verzinsung der ausgeurteilten Forderung ist zwar
darauf hinzuweisen, dass die aufrechterhaltene Entscheidung des
Verwaltungsgerichts im Ergebnis teilweise fehlerhaft ist. Die Forderung wäre nicht
mit vier Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz, sondern lediglich mit
vier vom Hundert für das Jahr zu verzinsen. Dies ergibt sich aus § 291 i. V. m. §
288 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. Die mit dem Gesetz zur Beschleunigung fälliger
Zahlungen vom 30. März 2000 (BGBl. I S. 330) vorgenommene Änderung des §
288 Abs. 1 BGB findet nach den Überleitungsvorschriften auf vor dem 01. Mai
2000 fällig gewordene Forderungen keine Anwendung (Art. 229 § 1 Abs. 1 Satz 3
EGBGB). Es fehlt daher an Rechtsgrundlagen für den dem Kläger zugesprochenen
höheren Zinsanspruch. Der Senat ist jedoch daran gehindert, das erstinstanzliche
Urteil zu korrigieren, da es insoweit nicht angefochten war.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und § 155 Abs. 1 Abs 1 VwGO.
Die Nebenentscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit haben ihre
Rechtsgrundlage in § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da hierfür Gründe i.S.v. § 132 Abs. 2 VwGO nicht
ersichtlich sind.