Urteil des OVG Schleswig-Holstein vom 14.03.2017

OVG Schleswig-Holstein: wiedereinsetzung in den vorigen stand, gesetzliche frist, verschulden, fristablauf, zeiterfassung, zustellung, zivilprozessrecht, gerät, absender, sorgfalt

1
2
3
4
5
Gericht:
Oberverwaltungsgericht
für das Land Schleswig-
Holstein 2. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 LA 24/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 57 Abs 2 VwGO, § 60
VwGO
Fristeinhaltung bei Rechtsmitteleinlegung mittels Telefax
zwei Minuten vor Fristablauf
Leitsatz
Bei dem Absenden eines sechsseitigen Telefax um 23.58 Uhr und damit zwei Minuten
vor Fristablauf kann ein Rechtsmittelführer nicht begründet darauf vertrauen, dass die
Übertragung bis vor 0.00 Uhr beendet werden würde. Daher kann keine
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen unverschuldeter Fristversäumung
gewährt werden.
Tenor
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des
Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts – 1. Kammer – vom 25. Januar 2010
wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
98.084,82 €
Euro
Gründe
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unzulässig.
Die Klägerin hat den Antrag auf Zulassung der Berufung nicht in der in § 124 a
Abs. 4 Satz 4 VwGO vorgeschriebenen Frist von zwei Monaten nach Zustellung des
erstinstanzlichen Urteils begründet. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand liegen nicht vor.
Die Urteilszustellung erfolgte am 02.02.2010. Eine nach Monaten bemessene Frist,
wie die Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung, endet mit
dem Ablauf des Tages, der dem Tag entspricht, in den das Ereignis der Zustellung
des Urteils fällt (§ 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 222 Abs. 1, Abs. 2 ZPO, 187 Abs. 1,
188 Abs. 2 BGB). Die Frist endet mit Ablauf dieses Tages, also um 24.00 Uhr. Im
vorliegenden Fall lief die Frist deshalb am Dienstag, den 06.04.2010 um 24.00 Uhr
ab.
Das Telefax des Bevollmächtigten der Klägerin mit der
Berufungszulassungsbegründung ging jedoch erst am 07.04.2010 um 0.00 Uhr
und damit nicht vor Beginn des Folgetages vollständig bei Gericht ein (vgl. hierzu
BGH, Beschluss vom 08.05.2007 - VI ZB 74/06 -, NJW 2007, 2045 f. - m.w.N.).
Auf die von dem Empfangsgerät beim Schleswig-Holsteinischen
Oberverwaltungsgericht festgehaltene Empfangszeit kommt es auch allein an,
nicht hingegen auf die Absenderzeile des Bevollmächtigten der Klägerin mit der
(noch auf Winterzeit eingestellten) Zeitangabe 22.58 Uhr auf den ersten drei und
22.59 Uhr auf den weiteren drei gesendeten Seiten. Verwendet - wie hier - der
Empfänger ein Telefaxgerät, dessen Systemzeit manuell eingestellt wird, muss die
betreffende Zeitangabe nicht der exakten physikalischen Zeit entsprechen. Eine
mögliche Ungenauigkeit der Zeiterfassung bei manueller Einstellung ist dem
Absender nicht zugute zu halten (BFH Beschluss vom 19.12.2007 - VII B 111/07 -
6
7
9
10
11
Absender nicht zugute zu halten (BFH Beschluss vom 19.12.2007 - VII B 111/07 -
juris). Das Gericht hat sich zudem persönlich davon überzeugt, dass die
Zeitangabe des Faxgeräts um weniger als eine Minute von der physikalisch
exakten Zeit abweicht. Dabei geht das Gerät nach, d.h. bei korrekter
Zeiterfassung wäre die Begründung vollständig erst um 0.01 Uhr eingegangen.
Dem am 20.04.2010 und damit vor Ablauf der Zweiwochenfrist des § 60 Abs. 2
VwGO gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen
Versäumung der Frist für die Zulassungsbegründung nach § 124 a Abs. 4 S. 4
VwGO ist der Erfolg zu versagen. Die für die Gewährung der Wiedereinsetzung
nach § 60 VwGO erforderlichen Voraussetzungen liegen nicht vor. Nach Abs. 1
dieser Vorschrift ist einem Antragsteller Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu
gewähren, wenn er ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist
einzuhalten. Dabei ist das Verschulden des Bevollmächtigten gemäß § 173 VwGO
i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO dem Beteiligten zuzurechnen.
Nach diesen Vorschriften kann dem Kläger keine Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand wegen Versäumung der in Rede stehenden Begründungsfrist gewährt
werden, weil sein Prozessbevollmächtigter die Frist nach § 124 a Abs. 4 S. 4 VwGO
schuldhaft im Sinne des § 60 Abs. 1 VwGO versäumt hat. Ein Verschulden des
Bevollmächtigten (Rechtsanwaltes) ist gegeben, wenn dieser die übliche Sorgfalt
außer Acht gelassen hat, die für einen gewissenhaften und sachgemäß
prozessführenden Rechtsanwalt geboten und die ihm nach den gesamten
Umständen des konkreten Einzelfalles zumutbar gewesen ist (vgl. Redeker / von
Oertzen, VwGO, 14. Aufl. 2004, § 60 Rn. 3). Auch wenn die Anforderungen nicht
überspannt werden dürfen und der Bevollmächtigte bestehende Fristen voll
ausschöpfen darf, so muss er jedoch bei sehr später Einlegung des Rechtsmittels
die Fristwahrung besonders sichern. Er muss so rechtzeitig mit der Übermittlung
beginnen, dass unter normalen Umständen mit ihrem Abschluss vor 0.00 Uhr zu
rechnen ist (BVerfG, Beschluss vom 01.08.1996 - 1 BvR 121/95 -, NJW 1996, 2857
m.w.N.; BGH, Beschlüsse vom 01.02.2001 - V ZB 33/00 -, NJW-RR 2001, 916; vom
17.05.2004 – II ZB 22/03 -, NJW 2004, 2525).
Letzteres ist hier indes nicht geschehen. Bei dem Absenden eines sechsseitigen
Telefax nach eidesstattlicher Versicherung des Prozessbevollmächtigten um 23.58
Uhr und damit zwei Minuten vor Fristablauf konnte dieser nicht begründet darauf
vertrauen, dass die Übertragung bis vor 0.00 Uhr beendet werden würde. Dabei
legte er nämlich zunächst ungeprüft zugrunde, dass die Zeit auf dem
Absendergerät mit der Zeit auf dem gerichtlichen Empfangsgerät sekundengenau
übereinstimmt. Schon bei reibungsloser Übertragung konnte der Bevollmächtigte
zudem - mangels Kenntnis von der Leistungsfähigkeit des Empfangsgeräts - nicht
davon ausgehen, dass der Schriftsatz in einer Geschwindigkeit von wesentlich
weniger als 30 Sekunden pro Seite übertragen wird (vgl. BGH, Urteil vom
25.11.2004 - VII ZR 320/03 -, NJW 2005, 678 f.)
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des
Streitwertes beruht auf § 52 Abs. 3 GKG.
Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 S. 5, 66 Abs.
3 S. 3 GKG).