Urteil des OVG Saarland vom 02.02.2011

OVG Saarlouis: richteramt, härtefall, belastung, verfügung, grundpflicht, amtsperiode, gewährleistung, lohnfortzahlung, pflege, kündigung

OVG Saarlouis Beschluß vom 2.2.2011, 1 F 6/11
Entbindung eines ehrenamtlichen Verwaltungsrichters
Leitsätze
1. Dass die zum ehrenamtlichen Verwaltungsrichter gewählte Person der Aufnahme ihres
Namens in die entsprechende Vorschlagsliste nicht zugestimmt hat und die Annahme der
Wahl ablehnt, rechtfertigt es nicht, sie von ihrem Richteramt zu entbinden; das Amt eines
ehrenamtlichen Verwaltungsrichters ist ein Ehrenamt, zu dessen Übernahme und
Ausübung der Gewählte - vor-behaltlich allein seiner Entbindung nach Maßgabe der im
Gesetz abschließend aufgeführten Gründe durch das Oberverwaltungsgericht - verpflichtet
ist.
2. Die Anwendungsbereiche des § 23 II VwGO und § 24 II VwGO unterscheiden sich
danach, wann der besondere Härtefall eingetreten ist; § 23 II VwGO erfasst die Härtefälle,
die bereits bei der Wahl der ehrenamtlichen Verwaltungsrichter bestanden, § 24 II VwGO
später eingetretene Härtefälle.
3. Ein besonderer Härtefall im Sinne der §§ 23 II, 24 II VwGO liegt vor, wenn unter
Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des gesetzlichen Richters
sowie vor dem Hintergrund der gesetzlichen Grundpflicht der Übernahme des Amtes eines
ehrenamtlichen Verwaltungsrichters die Ausübung dieses Amtes im Einzelfall für den
Betreffenden zu unzumutbaren Belastungen führen würde.
Tenor
Der Antrag der ehrenamtlichen Richterin am Verwaltungsgericht A., A-Straße, A-Stadt, sie
von ihrem Richteramt zu entbinden, wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Die am … 1955 geborene Antragstellerin wurde erstmals für die Amtsperiode von 2005
bis 2010 zur ehrenamtlichen Richterin am Verwaltungsgericht des Saarlandes gewählt. In
dieser Zeit wurde sie zu elf Sitzungen geladen, wobei sie in drei Fällen verhindert war. Ende
des vergangenen Jahres wurde sie wiedergewählt.
Mit an den Präsidenten des Verwaltungsgerichts gerichtetem Schreiben vom 3.1.2011 hat
die Antragstellerin ihre Entbindung von dem Richteramt beantragt. Sie hat beanstandet,
vor ihrer Aufnahme in die Vorschlagsliste für ehrenamtliche Richter sei sie nicht um ihre
Zustimmung gebeten worden. Sie wolle nicht länger ehrenamtliche Richterin sein, und
zwar mit Blick auf ihre Tätigkeit als Aushilfe in einer Bäckerei - sie fahre vormittags
Backwaren aus - sowie wegen ihrer verstärkten Inanspruchnahme durch die vor allem
psychisch belastende Betreuung ihrer 77 Jahre alten, am Tourette-Syndrom leidenden
Mutter. Dieses Vorbringen hat die Antragstellerin auf Aufforderung des Senats in einem
Schreiben vom 17.1.2011 konkretisiert.
Der Präsident des Verwaltungsgerichts hat den Vorgang, ohne selbst zur Sache Stellung zu
nehmen, dem Oberverwaltungsgericht vorgelegt.
II.
Über den Antrag der Antragstellerin, sie von ihrem Amt als ehrenamtliche
Verwaltungsrichterin zu entbinden, hat das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes zu
entscheiden (§ 24 Abs. 3 und 4 VwGO).
Die Gründe, aus denen eine zum ehrenamtlichen Verwaltungsrichter gewählte Person von
ihrem Richteramt entbunden werden kann oder sogar muss, sind in der
Verwaltungsgerichtsordnung abschließend aufgeführt (§§ 20 bis 23, 24 VwGO). Der Fall,
dass die Person vor ihrer Aufnahme in die Vorschlagsliste, aus der die ehrenamtlichen
Verwaltungsrichter gewählt werden, nicht gefragt wurde, ob sie mit einer Bestellung
einverstanden ist oder nicht, und anschließend gewählt wird, gehört nicht zu den
Entbindungsgründen. Vielmehr ist die Zustimmung zur Aufnahme in die Vorschlagsliste
ebenso wenig vorgesehen wie eine Annahme der Wahl. Bei dem Amt des ehrenamtlichen
Verwaltungsrichters handelt es sich nämlich um ein Ehrenamt, zu dessen Übernahme und
Ausübung die Gewählten - vorbehaltlich allein der im Gesetz abschließend aufgeführten
Entbindungsgründe - verpflichtet sind
ebenso u.a. Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl., § 19 Rdnr. 3, und
Ziekow in Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl., § 29 Rdnr. 11.
Als Entbindungsgrund kommt vorliegend einzig § 23 Abs. 2 i.V.m. § 24 Abs. 4 VwGO in
Betracht. Danach kann „in besonderen Härtefällen“, die bereits bei der Wahl zum
ehrenamtlichen Verwaltungsrichter bestanden - für nachträglich eingetretene Härtefälle
greift § 24 Abs. 2 VwGO ein -
wie hier zur zeitlichen Abgrenzung der Anwendungsbereiche von § 23
Abs. 2 VwGO einerseits und § 24 Abs. 2 VwGO andererseits Funke-
Kaiser in Bader, VwGO, 5. Aufl., § 24 Rdnr. 8; Garloff in Posser/Wolff,
VwGO, § 24 Rdnr. 6; Geiger in Eyermann, VwGO, 13. Aufl., § 24
Rdnr.7; P. Stelkens/Panzer in Schoch/Schmidt/Aßmann/Pietzner,
VwGO - Stand: Mai 2010 -, § 23 Rdnr. 10 und § 24 Rdnr. 11, und
Wysk, VwGO, § 23 Rdnr. 8; teilweise abweichend Ziekow, a.a.O., §
23 Rdnr. 12; vgl. auch BFH, Beschluss vom 17.1.1989 - VII B 152/88
-, juris,
von der Übernahme des Richteramtes „befreit“ werden. Das Vorbringen der Antragstellerin
in ihren Schreiben vom 3. und 17.1.2011 belegt indes das Vorliegen eines „besonderen
Härtefalls“ im Sinne des § 23 Abs. 2 VwGO nicht.
Die genannte Vorschrift muss einerseits im Hinblick auf die verfassungsrechtliche
Gewährleistung des gesetzlichen Richters sowie vor dem Hintergrund der gesetzlichen
Grundpflicht der Übernahme der Funktion eines ehrenamtlichen Verwaltungsrichters eher
eng ausgelegt werden. Das gebietet zudem die Formulierung, wonach nicht bereits ein
Härtefall, sondern erst ein „besonderer“ Härtefall die Freistellung rechtfertigt. Andererseits
ist § 23 Abs. 2 VwGO Ausdruck des allgemein geltenden Grundsatzes der
Verhältnismäßigkeit. Nicht zu rechtfertigende und deshalb für den Betroffenen
unzumutbare Belastungen durch die Ausübung des Amtes eines ehrenamtlichen
Verwaltungsrichters sollen vermieden werden
allgemein zum Verständnis des § 23 Abs. 2 VwGO u.a. OVG
Greifswald, Beschluss vom 13.11.1997 - 2 P 10/97 -, NVwZ-RR
1998, 784; OVG Lüneburg, Beschluss vom 6.11.2003 - 2 PS 354/03
-, NVwZ-RR 2004, 84; OVG Magdeburg, Beschluss vom 3.3.2010 - 1
P 46/10 -, juris; Beschluss des Senats vom 31.8.2005 -1 T 7/05 -;
Funke-Kaiser, a.a.O., § 23 Rdnr. 7; P. Stelkens/Panzer, a.a.O., § 23
Rdnr. 9, und Ziekow, § 23 Rdnrn. 13 bis 15.
Davon ausgehend liegt hier kein Fall des § 23 Abs. 2 VwGO vor.
Die Antragstellerin hat vorgebracht, dass sie an den Werktagvormittagen im Rahmen einer
Teilzeitbeschäftigung auf 400 Euro-Basis frische Backwaren zu Firmen zwischen Bous und
Saarbrücken-Burbach transportiert. Nachmittags halte sie sich regelmäßig bei ihrer 77
Jahre alten Mutter auf, die ca. 3 km von der Wohnung der Antragstellerin entfernt in einem
eigenen Haus wohnt; ihre Mutter, der bisher keine Pflegestufe zuerkannt sei, leide an
einem Tourette-Syndrom, könne kein selbständiges Leben mehr führen und verlasse das
Haus nicht mehr; sie - die Antragstellerin - übernehme im Haushalt ihrer Mutter sämtliche
Hausarbeiten und zudem die notwendigen Erledigungen außerhalb des Hauses; außerdem
kümmere sie sich um den Garten und halte das gesamte Grundstück in Ordnung; Dritte
stünden insoweit kaum zur Verfügung. Insbesondere die psychische Belastung durch die
Betreuung ihrer Mutter wiege schwer. Dies genügt nicht, um das Vorliegen eines
„besonderen Härtefalls“ zu bejahen.
Mit Blick auf ihre Berufstätigkeit hat die Antragstellerin durch die Wahrnehmung ihres
Richteramtes keine Nachteile zu erwarten. Sie hat für die Zeit ihrer Richteramtstätigkeit
einen Freistellungsanspruch gegen ihren Arbeitgeber. Dieser hat ihr insoweit
Lohnfortzahlung zu gewähren, soweit die Entschädigung nach § 18 JVEG den
Verdienstausfall nicht abdeckt. Eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses wegen Übernahme
oder Ausübung des Richteramtes ist unzulässig (§ 45 Abs. 1 a DRiG).
Die Betreuung ihrer betagten und zudem kranken Mutter belastet die Antragstellerin
demgegenüber nachvollziehbar sicherlich erheblich, insbesondere im psychischen Bereich.
Indes ist klar zu sehen, dass die berufliche Inanspruchnahme der Antragstellerin regelmäßig
bereits gegen 11.00 Uhr endet und ihr daher erhebliche Zeit für die Betreuung ihrer Mutter
zur Verfügung steht. Demgegenüber fällt die voraussichtliche zeitliche Belastung der
Antragstellerin durch ihr Amt als ehrenamtliche Verwaltungsrichterin nicht sonderlich ins
Gewicht. Nach der gesetzlichen Regelung ist die Zahl der ehrenamtlichen Richter so zu
bestimmen, dass jeder einzelne von ihnen voraussichtlich zu maximal zwölf Sitzungen im
Jahr herangezogen wird (§ 27 VwGO). Tatsächlich wurde die Antragstellerin in der
abgelaufenen fünfjährigen Amtsperiode lediglich zu elf Sitzungen geladen, wobei sie dreimal
verhindert war. Vor diesem Hintergrund ist nicht annehmbar, dass die zu erwartende
künftige Belastung der Antragstellerin durch das Richteramt auch unter Berücksichtigung
ihrer Inanspruchnahme durch die Betreuung und Pflege ihrer Mutter zu unzumutbaren
Verhältnissen führen wird.
Sollte sich die Situation der Antragstellerin - sei es, dass ihre Mutter verstärkt auf ihre Hilfe
angewiesen ist, sei es, dass die Antragstellerin selbst infolge der Betreuung ihrer Mutter
erkrankt - wesentlich verschlechtern, steht es ihr frei, einen neuen Entbindungsantrag -
möglichst unter Vorlage ärztlicher Bescheinigungen - zu stellen. Hinzuweisen ist im
Weiteren darauf, dass die Antragstellerin im Falle einer nochmaligen Wahl zur
ehrenamtlichen Verwaltungsrichterin ein Ablehnungsrecht hätte, denn mehr als zwei
Amtsperioden als ehrenamtlicher Verwaltungsrichter mutet der Gesetzgeber niemandem
zu (§ 23 Abs. 1 Nr. 3 VwGO).
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.