Urteil des OVG Saarland vom 20.08.2010

OVG Saarlouis: widerruf, neues recht, öffentliches interesse, altes recht, grundwasser, entschädigung, ermessensausübung, absicht, wiederaufnahme, gewässer

OVG Saarlouis Beschluß vom 20.8.2010, 1 A 214/10
ermessensfehlerfreier Widerruf eines alten Wasserrechts wegen dreijähriger Nichtausübung
aufgrund des bestehenden öffentlichen Interesses an der freien Verfügbarkeit des Wassers
Leitsätze
Das durch § 15 Abs. 4 S. 2 Nr. 1 WHG eröffnete Ermessen, ein altes Wasserrecht wegen
dreijähriger ununterbrochener Nichtausübung ohne Entschädigung zu widerrufen, ist mit
Blick auf das öffentliche Interesse an der freien Verfügbarkeit des Wassers für die
Allgemeinheit in dem Sinne intendiert, dass der Widerruf erfolgt, sofern nicht atypische
Umstände vorliegen.
Tenor
Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das aufgrund der mündlichen Verhandlung
vom 12. Mai 2010 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes - 5 K 611/09
- wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Zulassungsverfahrens fallen der Klägerin zur Last.
Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 5.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Mit Bescheid vom 4.6.2009 widerrief der Beklagte das zugunsten der Klägerin, die bis zum
31.12.2002 eine Brauerei betrieb, im Wasserbuch unter B 54 eingetragene „alte, nicht auf
besonderem Titel beruhende Recht, aus einem 70 m tiefen Bohrbrunnen … Grundwasser
bis zu 30 m³/Stunde zur Kühlwasserversorgung zutage zu fördern“. Dieses Recht war am
2.6.1966 um die widerrufliche Befugnis ergänzt worden, weitere 20 m³
Grundwasser/Stunde zu Kühlwasser- und Produktionszwecken zutage zu fördern, wobei
gleichzeitig die Gesamtmenge des geförderten Grundwassers auf 250.000 m³/Jahr
beschränkt wurde. Mit Bescheid vom 4.5.1995 wurde der Bescheid vom 2.6.1966
aufgehoben und die aufgrund des alten Rechts erlaubte Grundwasserfördermenge auf
100.000 m³/Jahr festgelegt.
Dem Widerruf vorausgegangen war eine Anfrage der Klägerin, ob mit der Einstellung des
Brauereibetriebes das Wasserentnahmerecht untergegangen sei oder auf unbestimmte
Zeit fortbestehe, und die wiederholte Ankündigung des Landesamtes für Umwelt- und
Arbeitsschutz, es werde dem Beklagten den Widerruf des Wasserrechts wegen
Nichtausübung vorschlagen; die Klägerin möge sich zu dieser Absicht äußern, was nicht
geschah. Der Widerruf wurde mit einem Hinweis auf § 15 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 WHG
begründet.
Die dagegen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 12.5.2010
abgewiesen: Die Voraussetzungen des verfassungsrechtlich unbedenklichen § 15 Abs. 4
Satz 2 Nr. 1 WHG für einen entschädigungslosen Widerruf eines alten Wasserrechts seien
erfüllt, weil das der Klägerin zustehende Recht mehr als drei Jahre ununterbrochen nicht
ausgeübt worden sei. Die Ermessensbetätigung, der eine ordnungsgemäße Anhörung
zugrunde liege, könne rechtlich nicht beanstandet werden, obwohl sie nicht näher
begründet worden sei, denn der behördliche Standpunkt in dieser Sache sei der Klägerin
aus der Vorkorrespondenz bekannt gewesen. Unter den gegebenen Umständen - seit
mehr als nunmehr sechs Jahren werde wegen Einstellung des Brauereibetriebs kein
Grundwasser mehr zutage gefördert - genüge die Absicht der Wasserbehörde, die
allgemeine öffentlich-rechtliche Benutzungsordnung für das Grundwasser
wiederherzustellen, für einen ermessensfehlerfreien Widerruf des privaten Wasserrechts.
Für das Bestehen einer ausnahmsweise beachtlichen gegenteiligen Interessenlage der
Klägerin sei nichts ersichtlich und auch nichts vorgetragen.
Dieses Urteil ist der Klägerin am 26.5.2010 zugestellt worden. Sie hat am 24.6.2010 um
die Zulassung der Berufung nachgesucht und diesen Antrag mit am 26.7.2010
eingegangenem Schriftsatz näher begründet.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist zwar zulässig, aber nicht begründet. Entgegen
der Ansicht der Klägerin begründet das, was sie in ihrem Schriftsatz vom 26.7.2010
vorgebracht hat und vom Senat allein zu prüfen ist (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO), keine
ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr.
1 VwGO), ohne dass für diese Feststellung eine rechtlich und/oder tatsächlich besonders
schwierige Frage beantwortet werden muss (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Mit den Rügen
der Klägerin werden nämlich keine gewichtigen Gesichtspunkte aufgezeigt, die nach
summarischer Prüfung dafür sprechen, das Verwaltungsgericht habe falsch entschieden
zum Verständnis des Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel vgl.
Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl., § 124 Rdnr. 7.
a) Die Klägerin vertritt - wie schon erstinstanzlich - die Ansicht, das widerrufene Recht sei
im Verständnis des § 15 Abs. 1 WHG - seit dem 1.3.2010 sachgleich: § 20 Abs. 1 WHG
Fassung 2009 - in Verbindung mit den §§ 142 ff. SWG kein altes, sondern ein unter der
Geltung des Wasserhaushaltsgesetzes, nämlich erstmals am 4.5.1995 erteiltes und damit
im Rechtssinne neues Recht, weshalb die auf alte Rechte beschränkte Widerrufsbefugnis
nach § 15 Abs. 4 WHG - inzwischen: § 20 Abs. 2 Fassung 2009 - fallbezogen unanwendbar
sei. Das ist, wie bereits das Verwaltungsgericht dargelegt hat, unzutreffend.
Die Beteiligten stimmen darin überein, dass der Klägerin seit alters her das Recht zustand,
aus einem auf der Parzelle Nr. .../18 in der Flur 29 der Gemarkung St. niedergebrachten,
70 m tiefen Bohrbrunnen Grundwasser zutage zu fördern, dass es sich dabei um ein altes
Recht handelte und dass dieses am 28.4.1964 mit der Maßgabe im Wasserbuch
eingetragen wurde, dass die Förderung maximal 30 m³/Stunde betragen darf und das
Wasser der Kühlwasserversorgung des Brauereibetriebes dient. Daran knüpfte der
Bescheid vom 2.6.1966 an, in dem das ausdrücklich so bezeichnete „alte Recht“ um die
widerrufliche Befugnis erweitert wurde, weitere 20 m³ Grundwasser/Stunde zu
Kühlwasser- und Produktionszwecken zutage zu fördern, und die Gesamtfördermenge auf
250.000 m³/Jahr beschränkt wurde. Sowohl in dem Bescheid vom 2.6.1966 als auch in
der diesen Bescheid im Wasserbuch umsetzenden Eintragung ist eindeutig von zwei
Wasserrechten unterschiedlicher rechtlicher Qualität nebeneinander die Rede. Diese
Zweiteilung wurde im Bescheid vom 4.5.1995 konsequent fortgesetzt. Unter Nr. 1 wird
das alte Recht, Grundwasser im Umfang von 30 m³/Stunde zu Kühlwasserzwecken zutage
zu fördern, bestätigt und die Gesamtfördermenge neu auf höchstens 100.000 m³/Jahr
festgesetzt; unter Nr. 2 wird die widerrufliche Befugnis vom 2.6.1966 zur Förderung von
weiteren 20 m³ Grundwasser/Stunde zu Kühlwasser- und Produktionszwecken ersatzlos
aufgehoben. Deutlich wird die Trennung in zwei Rechte unterschiedlicher rechtlicher
Qualität auch in der Begründung des Bescheides vom 4.5.1995 auf Seite 4 Abs. 2 und 6
herausgearbeitet. Sie wird dann wiederum folgerichtig durch Eintragungen im Wasserbuch
umgesetzt. Wie bei diesen Gegebenheiten in Anwendung allgemeiner
Auslegungsgrundsätze (§ 133 BGB analog) infolge der ergangenen Bescheide - ob diese zu
Recht ergangen sind, interessiert in diesem Zusammenhang nicht - das alte Recht
untergegangen und in ein neues Recht, nämlich die widerrufliche Befugnis vom 2.6.1966,
die im Übrigen durch den in Bestandskraft erwachsenen Bescheid vom 4.5.1995 ersatzlos
aufgehoben wurde, übergeleitet worden sein soll, ist nicht nachvollziehbar.
Abgesehen davon wäre der Klägerin unter Zugrundelegung ihres abweichenden
Standpunktes nicht entscheidend geholfen. Zwar wäre dann § 15 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 WHG
unanwendbar. § 12 Abs. 2 Nr. 1 2. Alt. WHG - inzwischen: § 18 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 1. Alt.
WHG Fassung 2009 - enthält aber eine mit § 15 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 WHG sachgleiche
Regelung über den entschädigungslosen Widerruf einer wasserrechtlichen Bewilligung
wegen dreijähriger ununterbrochener Nichtausübung.
b) Die tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Widerruf des alten Rechts sind erfüllt.
Von dem Grundwasserförderrecht wird nämlich seit der Einstellung des Brauereibetriebes
Ende Dezember 2002 kein Gebrauch mehr gemacht. Damit stand es seit Anfang 2006 im
Ermessen des Beklagten, das alte Recht zu widerrufen. Seines Ermessensspielraums war
sich der Beklagte bewusst, wie die Betonung des Wortes „kann“ im Bescheid vom
3.6.2009 (S. 2 Abs. 5) belegt
ebenso die Klageerwiderung vom 12.2.2010, S. 3 Abs. 2 in
Verbindung mit S. 2 Abs. 5.
Richtig ist allerdings die Kritik der Klägerin, dass in dem angefochtenen Verwaltungsakt -
entgegen § 39 Abs. 1 Satz 3 SVwVfG - nicht die Gesichtspunkte mitgeteilt sind, von denen
die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist. Das war allerdings, wie
bereits das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, unter den Umständen des
konkreten Falles auch nicht erforderlich, weil das durch § 15 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 WHG
eröffnete Ermessen in dem Sinne „intendiert“ war, dass für den Regelfall einer langjährigen
oder gar endgültigen Nichtausübung eines alten Rechts dessen Widerruf zu erfolgen hat. In
solchen Fällen müssen die für die dahin gehende Ermessensbetätigung sprechenden
Gesichtspunkte im Bescheid nicht ausdrücklich hervorgehoben werden, sondern genügt es,
wenn auf solche Gründe eingegangen wird, die nach Auffassung des Rechtsinhabers -
ausnahmsweise - gegen einen Widerruf, also gegen ein Vorgehen entsprechend der Regel,
sprechen
zum intendierten Ermessen vgl. ausführlich Kopp/Schenke, a.a.O., §
114 Rdnr. 21 b, und Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl., § 39 Rdnr.
29, jew. m.z.N..
Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Beschluss vom 29.11.1993 - 7 B 114/93 -
NVwZ 1994, 783 = BayVBl. 1994, 667, zum Gesichtspunkt der rechtmäßigen
Ermessensausübung im Rahmen des § 15 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 WHG folgendes ausgeführt:
„Soweit die Beschwerde ein hinreichendes öffentliches Interesse am
Widerruf des umstrittenen Staurechts bezweifelt, verkennt sie den
Sinn und Zweck der Widerrufsvorschrift des § 15 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1
WHG. Mit ihr soll die Wasserbehörde in die Lage versetzt werden,
den Wasserschatz, an dem ein nutzlos gewordenes Recht eines
Privaten besteht, durch Beseitigung dieses Rechts wieder
uneingeschränkt für die Allgemeinheit verfügbar zu machen und so
für eine möglichst zweckmäßige Ausnutzung dieses Schatzes zu
sorgen … Ein konkretes öffentliches Interesse am Widerruf ist mithin
für die Anwendung der Vorschrift nicht erforderlich; es genügt die
Absicht, die allgemeine öffentlich-rechtliche Benutzungsordnung für
das betreffende Gewässer wiederherzustellen.“
Weiter heißt es dort, dass die Behörde nur dann Veranlassung gehabt hätte, ihre
Ermessensbetätigung näher zu begründen, wenn „in absehbarer Zeit … mit einer
Wiederaufnahme der Stromproduktion durch den Kläger zu rechnen (gewesen wäre); nur
unter dieser Voraussetzung hätte der Beklagte trotz der langjährigen Nichtausübung der
Benutzung im Sinne des § 15 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 WHG ein berechtigtes Interesse des
Klägers am Fortbestand seines Staurechts anerkennen und im Hinblick darauf vom
Widerruf des Rechts absehen können“. Abschließend führt das Bundesverwaltungsgericht
aus, dass „die Wasserbehörde beim Widerruf eines alten Rechts nach § 15 Abs. 4 Satz 2
Nr. 1 WHG keine Erwägungen zur Entschädigung des Betroffenen anstellen muss, weil das
Gesetz für diese Fälle mangels eines schutzwürdigen Vertrauens des Rechtsinhabers in
den Fortbestand des aufgehobenen Rechts die Gewährung einer Entschädigung
ausdrücklich ausschließt“.
Das hält der Senat für überzeugend
ebenso HessVGH, Beschluss vom 13.10.1994 - 7 UE 1982/91 -,
juris; Czychowski/Reinhardt, WHG, 9. Aufl., § 12 Rdnrn. 6 und 6b;
Knopp in Sieder/Zeitler/Dahme, WHG - Stand: August 2008 -, § 12
Rdnr. 25; Dahme in Sieder/Zeitler/Dahme, a.a.O., § 15 Rdnr. 28, und
Pape in Landmann/Rohmer, Umweltrecht - Stand: September 2004 -
, Band III, § 15 WHG Rdnr. 87.
Davon ausgehend ist aber für den Regelfall die Ermessensausübung im Rahmen des § 15
Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 WHG in dem Sinne vorgegeben, dass der Widerruf erfolgt.
Anhaltspunkte dafür, dass der Streitfall atypisch gelagert wäre, sind weder ersichtlich noch
geltend gemacht. Vielmehr wird das alte Recht seit nunmehr rund 7 ½ Jahren nicht mehr
genutzt, und nichts spricht dafür, dass eine Wiederaufnahme der Grundwasserförderung
geplant ist. Der einzig konkrete Einwand, den die Klägerin - erstmals im Klageverfahren -
gegen den Widerruf vorgebracht hat, besteht in ihrer Sorge, nach Bestandskraft des
Widerrufsbescheides auf ihre Kosten das Bohrloch verfüllen zu müssen. Indes ist eine
dahingehende Anordnung nach § 145 in Verbindung mit § 21 SWG nicht zwangsläufige
Folge des Widerrufs, sondern setzt einen entsprechenden Bedarf voraus und steht im
Ermessen der Behörde. Außerdem zielt das durch § 15 Abs. 4 Satz 2 WHG eröffnete
Ermessen - wie bereits aufgezeigt - auf den (Grund-)Wasserschatz und dessen möglichst
uneingeschränkte Verfügbarkeit für die Allgemeinheit, nicht aber auf die technischen und
finanziellen Folgen bei Beendigung eines solchen Rechts.
Selbst wenn - abweichend von den vorstehenden Ausführungen - die Ermessensausübung
im Bescheid vom 4.6.2009 unzulänglich begründet gewesen sein sollte, würde das der
Klage im Übrigen inzwischen nicht mehr zum Erfolg verhelfen. Nach den §§ 45 Abs. 1 Nr.
2, Abs. 2 SVwVfG, 114 Satz 2 VwGO kann eine Verwaltungsbehörde die erforderliche
Begründung eines Verwaltungsaktes mit heilender Wirkung noch im
verwaltungsgerichtlichen Verfahren nachholen oder ergänzen
zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieser Regelungen
BVerwG, Urteil vom 5.5.1998 - 1 C 17/97 -, BVerwGE 106, 351,
und Beschluss vom 30.4.2010 - 9 B 42/10 -, NVwZ-RR 2010, 550;
zur Reichweite des § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 VwVfG Kopp/Ramsauer,
a.a.O., § 45 Rdnr. 18.
In der Klageerwiderung vom 12.2.2010 - S. 3 Abs. 2 in Verbindung mit S. 2 Abs. 5 - hat
aber der Beklagte die Erwägungen, aus denen heraus er sich in Ausübung seines
Ermessens für den Widerruf des der Klägerin zustehenden alten Rechts entschieden hat,
ausführlich offengelegt. Sie orientieren sich an dem bereits zitierten Beschluss des
Bundesverwaltungsgerichts vom 29.11.1993 und sind offensichtlich rechtsfehlerfrei.
Spätestens seither steht die Aussichtslosigkeit der Klage außer Frage.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung rechtfertigt sich aus den §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 2, 47 Abs. 1 und
3 GKG.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.