Urteil des OVG Saarland vom 08.05.2006

OVG Saarlouis: kosovo, behandlung, auflage, asyl, vertretener, beteiligter, diagnose, form, simulation, einverständnis

OVG Saarlouis Beschluß vom 8.5.2006, 3 Q 18/06
Aufklärungsrüge als geltend gemachter Berufungszulassungsgrund in einem Verfahren, in
dem Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 AufenthaltsG begehrt wird.
Leitsätze
a) Nach wohl überwiegender Auffassung in der Rechtsprechung stellt eine mangelnde
Sachaufklärung keinen Verfahrensfehler im Verständnis von § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG dar
(in entschiedenen Verfahren offen gelassen).
b) Hat der Kläger, ein Kosovo-Albaner, der Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7
AufenthaltsG wegen einer angeblichen im Kosovo nicht behandelbaren post-traumatischen
Belastungsstörung begehrt, sich nach Kenntniserlangung von einem vom Gericht
eingeholten Sachverständigengutachten, in dem ihm mangelnde Glaubhaftigkeit der
geltend gemachten Beschwerden vorgehalten wird, darauf beschränkt, eine fachärztliche
und eine psychologische Bescheinigung vorzulegen, die sich nicht im Einzelnen mit den
Gründen auseinandersetzen, die den Gutachter zu seiner Beurteilung veranlasst haben,
und im Übrigen auf weitere mündliche Verhandlung verzichtet, so musste sich dem
Verwaltungsgericht eine weitere Beweiserhebung jedenfalls dann nicht aufdrängen, wenn
sich die Beurteilung des Gutachters mit seinem eigenen persönlichen und durch die
Würdigung des Gesamtvorbringens des Klägers gewonnenen Eindruck mangelnder
Glaubwürdigkeit deckte.
Tenor
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des
Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 24. August 2005 – 10 K 317/03.A – wird
zurückgewiesen.
Die außergerichtlichen Kosten des gerichtskostenfreien Berufungszulassungsverfahrens hat
der Kläger zu tragen.
Gründe
Dem Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil vom 24.8.2005, mit
dem es das Verwaltungsgericht abgelehnt hat, die Beklagte zur Feststellung von
Abschiebungshindernissen gemäß § 60 Abs. 7 AufenthaltsG zu verpflichten, kann nicht
entsprochen werden.
Der Kläger, der serbisch-montenegrinischer Staatsangehöriger albanischer
Volkszugehörigkeit aus dem Kosovo ist, hat, soweit hier wesentlich, im erstinstanzlichen
Verfahren unter Vorlage von allgemeinärztlichen, fachärztlichen und psychologischen
Attesten geltend gemacht, er leide an einer schweren posttraumatischen
Belastungsstörung, die in seinem Heimatland nicht angemessen behandelt werden könne.
Das Verwaltungsgericht hat dieses Vorbringen zum Anlass genommen, nach näherer
Maßgabe seines aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 23.3.2005 erlassenen
Beweisbeschlusses Beweis über den psychischen Gesundheitszustand des Klägers zu
erheben. Der mit der Erstattung des Gutachtens beauftragte Sachverständige Dr. med.
Dipl. Psych. H., ist zusammenfassend zu dem Ergebnis gelangt, die von ihm am 3.5.2005
durchgeführte Untersuchung habe aufgrund von ihm festgestellter ausgeprägter
Aggravations- und Simulationsneigung des Klägers keinen eindeutigen positiven Nachweis
einer schweren psychischen Erkrankung erbracht. Die Umstände, aus denen der
Sachverständige auf ein Aggravations- und Simulationsverhalten des Klägers geschlossen
hat, sind in dem Gutachten im Einzelnen dargelegt. Der Kläger, dem das Gutachten zur
Äußerung übersandt worden war, hat daraufhin eine Stellungnahme des ihn behandelnden
Facharztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie P., Saarbrücken, vom
24.6.2005 und eine psychologische Bescheinigung der ihn behandelnden
Diplompsychologin, psychologische Psychotherapeutin J. vom V. e.V vom 20.6.2005
eingereicht, in denen die von ihm behauptete Erkrankung bestätigt wird. Auf die
Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung hat der Kläger verzichtet.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch im Einverständnis mit den Beteiligten ohne
mündliche Verhandlung ergangenes Urteil vom 24.8.2005 abgewiesen. Es hat, soweit hier
wesentlich, ausgeführt, die Voraussetzungen für die Feststellungen von
Abschiebungshindernissen gemäß § 60 Abs. 7 AufenthaltsG in Bezug auf die behaupteten
psychischen Erkrankungen des Klägers seien nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme in
Anbetracht der gutachterlichen Feststellungen des Sachverständigen Dr. med., Dipl. Psych.
H. nicht erfüllt. Das Verwaltungsgericht hat sich dabei nicht nur mit den gutachterlichen
Aussagen des von ihm beauftragten Sachverständigen, sondern auch mit den vom Kläger
erhobenen Einwendungen gegen das Ergebnis der Begutachtung und mit den in diesem
Zusammenhang vorgelegten fachärztlichen und psychologischen Stellungnahmen
auseinandergesetzt. Es hat den letztgenannten Bescheinigungen dabei keine
durchgreifende Bedeutung beigemessen und im wesentlichen ausgeführt, sie setzten sich
nicht mit den von dem Sachverständigen in seinem Gutachten im einzelnen
dokumentierten Aspekten auseinander, aus denen dieser auf eine Aggravations- und
Simulationsneigung des Klägers geschlossen habe. Im Übrigen ist das Verwaltungsgericht
zu dem Ergebnis gelangt, die Einschätzung des Gutachters decke sich mit derjenigen, die
es selbst aufgrund seines persönlichen Eindruckes von dem Kläger und der Würdigung
seines Gesamtvorbringens gewonnen habe. In diesem Zusammenhang verweist es auf an
anderer Stelle des Urteils (siehe Seite 5 des Entscheidungsabdruckes) dargelegte Zweifel
an der Glaubhaftigkeit des Vorbringens (betreffend das „Verfolgungsschicksal“ des
Klägers).
Mit der Begründung seines Zulassungsantrages, die den Umfang der gerichtlichen
Nachprüfung in dem vorliegenden Zulassungsverfahren begrenzt, gibt der Kläger
auszugsweise das Gutachten des Sachverständigen Dr. med., Dipl. Psych. H wieder, führt
aus, das Verwaltungsgericht habe sich die negativen Einschätzungen des Sachverständigen
nahezu vollständig zu eigen gemacht, und rügt, das Gericht habe es versäumt, Beweis
durch Einholung eines weiteren Gutachtens zu erheben. Eine solche Beweisaufnahme habe
sich vor allem durch die von ihm vorgelegten Stellungnahmen zu dem Gutachten des
gerichtlich beauftragten Sachverständigen geradezu aufgedrängt, die in dem Urteil nur kurz
Erwähnung gefunden hätten. Diese Stellungnahmen, die sich sehr ausführlich mit den
negativen gutachterlichen Äußerungen befasst hätten und auch im Einzelnen
Begründungen für das Verhalten des Klägers geliefert hätten, hätten dem
Verwaltungsgericht Anlass geben müssen, ein weiteres Obergutachten einzuholen oder
den Sachverständigen in einer mündlichen Verhandlung zu hören. In Anbetracht der
fachärztlichen und psychologischen Stellungnahmen, die den negativen Feststellungen des
gerichtlich beauftragten Sachverständigen zuwiderliefen, müsse bezweifelt werden, ob das
eingeholte Gutachten dem Gericht die hinreichende Sachkunde vermittelt habe.
Dieses Vorbringen, mit dem der Kläger der Sache nach einen Verfahrensfehler in Form
einer Verletzung der gerichtlichen Sachaufklärungspflicht rügt, rechtfertigt die erstrebte
Rechtsmittelzulassung nicht.
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass nach wohl überwiegender Auffassung in der
Rechtsprechung eine mangelhafte Sachaufklärung keinen Verfahrensfehler im Verständnis
von § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG darstellt, der zur Berufungszulassung in Verfahren der
vorliegenden Art führt, da eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht nicht zu den in § 138
VwGO bezeichneten – qualifizierten - Verfahrensmängeln gehört
vgl. die Rechtsprechungsnachweise bei Marx, AsylVfG, 6. Auflage 2005, § 78 Rdnr. 1045.
Aber auch wenn demgegenüber der Ansicht zu folgen sein sollte, einer zu Unrecht
unterlassenen Sachaufklärung könne unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung rechtlichen
Gehörs (§ 138 Nr. 3 VwGO) – ausnahmsweise - Relevanz für die Entscheidung über die
Zulassung der Berufung zukommen
vgl. Marx, a.a.O., § 78 Rdnr. 1048 ff.,
so ist ein solcher Sachverhalt vorliegend nicht gegeben.
Im Ansatz ist davon auszugehen, dass – was auch der Kläger nicht verkennt – ein
Verwaltungsgericht die ihm gemäß § 86 Abs. 1 VwGO obliegende Sachaufklärungspflicht
dann nicht verletzt, wenn es von der Durchführung einer Beweisaufnahme absieht, die ein
anwaltlich vertretener Beteiligter nicht beantragt hat
vgl. zum Beispiel BVerwG, Beschluss vom 10.10.2001 – 9 BN 2/01 – NVwZ – RR 2002,
140.
In einem solchen Fall muss sich dem Verwaltungsgericht eine weitere Aufklärung des
Sachverhalts in der Regel nicht aufdrängen. Einen Antrag auf Erhebung weiterer Beweise
hat der Kläger nach Kenntniserlangung von dem vom Gericht eingeholten
Sachverständigengutachten nicht gestellt. Er hat nach Äußerung zu dem Gutachten und
Vorlage der fachärztlichen Stellungnahme vom 24.6.2005 sowie der psychologischen
Bescheinigung vom 20.6.2005 mit Schriftsatz vom 7.7.2005 auf die Durchführung einer
weiteren mündlichen Verhandlung verzichtet.
Die Durchführung einer weiteren Beweiserhebung musste sich dem Verwaltungsgericht
entgegen der Ansicht des Klägers auch nicht aufdrängen. Der vom Gericht beauftragte
Sachverständige hat in seinem Gutachten im Einzelnen die Umstände dokumentiert, aus
denen er den Schluss gezogen hat, der Kläger habe sich bei der Untersuchung wenig
glaubwürdig sowie durchgängig aggravierend verhalten und nicht vorhandene
Krankheitssymptome simuliert. Er hat zur Begründung seiner Beurteilung unter anderem
angeführt, der Kläger verfüge über eine gut ausgebildete Muskulatur sowie
Hornhautbildung im Bereich der Innenhände, was nicht mit seiner Bekundung zu
vereinbaren sei, er habe sich – krankheitsbedingt – seit drei Jahren nicht mehr körperlich
betätigt. Der Sachverständige hat ferner auf mit der behaupteten schweren depressiven
Erkrankung nicht zu vereinbarende Diskrepanzen zwischen Gestik und Mimik und auf eine
mit einer angeblichen schweren depressiven Hemmung nicht in Einklang zu bringende
gesteigerte Sprechgeschwindigkeit sowie auf die zum Ausdruck gebrachte motorische
Anspannung durch gleichzeitiges Anspannen von Agonisten und Antagonisten der Arme bei
auffallend entspannter Nacken- und Rückenmuskulatur hingewiesen. Mit diesen von dem
Sachverständigen detailliert aufgeführten Umständen setzt sich der den Kläger
behandelnde Arzt P. in seiner Stellungnahme vom 24.6.2005 – worauf das
Verwaltungsgericht in nicht zu beanstandender Weise abgestellt hat – nicht im Einzelnen
auseinander, sondern hält den gutachterlichen Feststellungen eher allgemein entgegen, im
Rahmen seiner längeren Behandlung des Klägers habe er zu keinem Zeitpunkt auch nur
andeutungsweise den Eindruck gewonnen, dass dieser verdeutlichendes oder gar
konfabulatorisches Verhalten gezeigt habe. Einen Anhaltspunkt für die Glaubhaftigkeit des
Klägers sieht er außerdem in der relativ regelmäßigen Wahrnehmung der
Konsultationstermine in der Zeit von September 2003 bis Juni 2005. Die Diplompsychologin
J. legt in der psychologischen Bescheinigung vom 20.6.2005 zwar ausführlich die
Umstände dar, die sie zur Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung bewogen
haben, geht jedoch weder auf das Gutachten des vom Gericht beauftragten
Sachverständigen ein geschweige denn auf die Frage der Glaubhaftigkeit des Vorbringens
des Klägers mit Blick auf die in diesem Zusammenhang in dem Gutachten dokumentierten
Aspekte. Die Richtigkeit der detaillierten Feststellungen des vom Gericht beauftragten
Sachverständigen ist danach durch die vom Kläger vorgelegten fachärztlichen und
psychologischen Stellungnahmen nicht substantiiert in Frage gestellt worden, wobei im
Übrigen die Wahrnehmungen des Sachverständigen, auf die er seine Beurteilung gestützt
hat – unter anderem gut ausgeprägte Muskulatur mit Hornhautbildung im Bereich der
Innenhände, obwohl angeblich krankheitsbedingt seit drei Jahren keine körperliche
Betätigung mehr möglich gewesen sein soll, Diskrepanzen zwischen Gestik und Mimik, mit
schwer depressiver Hemmung nicht zu vereinbarende gesteigerte Sprechgeschwindigkeit
sowie zum Ausdruck gebrachte motorische Anspannungen durch Anspannung von
Agonisten und Antagonisten der Arme bei gleichzeitig entspannter Nacken- und
Rückenmuskulatur -, ersichtlich nicht durch den Umstand beeinflusst sind, dass die
Untersuchung des Klägers durch den Sachverständigen „lediglich“ rund drei Stunden
gedauert hat, während die fachärztliche und psychologische Behandlung des Klägers sich
über deutlich längere Zeiträume erstrecken.
Im Übrigen ist zum inhaltlichen Aussagewert der von dem Kläger vorgelegten fachärztlichen
Stellungnahme und der psychologischen Bescheinigung hinsichtlich der Verifizierbarkeit des
behaupteten traumatisierenden Geschehensablaufs anzumerken, dass Mediziner und
Psychologen von ihrem therapeutischen Ansatz her zur Aufrechterhaltung einer
Vertrauensgrundlage zu dem Behandelten – bis auf die Fälle erkennbarer Simulation –
gehalten sind, die Tatsachenangaben des Behandelten nicht hinsichtlich ihres
Wahrheitsgehaltes in Frage zu stellen, wohingegen die mit Asyl- und
Abschiebungsschutzbegehren befassten Verwaltungsgerichte ganz zentral die Frage nach
der Glaubhaftigkeit und dem Wahrheitsgehalt des von dem Schutzsuchenden zur Stützung
seines Begehrens im gerichtlichen Verfahren unterbreiteten konkreten Sachverhaltes zu
beantworten haben
so OVG des Saarlandes, Beschluss vom 21.9.2005 – 2 Q 18/05 -.
Da das Verwaltungsgericht zudem die Feststellungen des Gutachters durch seine eigene
Einschätzung der Glaubhaftigkeit des Klägers bestätigt sah, die es aufgrund des
persönlichen Eindruckes und seiner Würdigung des Gesamtvorbringens des Klägers
gewonnen hat, hat es einleuchtend und nachvollziehbar dem Gutachten des von ihm
beauftragten Sachverständigen den Vorzug gegeben und von der Durchführung einer
weiteren – nicht ausdrücklich beantragten – Beweiserhebung abgesehen. Eine solche
Beweiserhebung musste sich ihm bei den dargelegten Gegebenheiten nicht aufdrängen.
Von einer weiteren Begründung des Nichtzulassungsbeschlusses wird abgesehen (§ 78
Abs. 5 Satz 1 AsylVfG).
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 2 VwGO, 83 b AsylVfG.
Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.