Urteil des OVG Saarland vom 09.02.2004

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OVG Saarlouis Beschluß vom 9.2.2004, 3 Q 16/03
Einschulung behinderter Schüler; Regelschule - Sonderschule
Leitsätze
1. Die Einschulung behinderter Schüler - integrativ - in die Regelschule oder - nichtintegrativ
- in die Sonderschule richtet sich primär nach Art und Ausmaß der Behinderung mit dem
Ziel der bestmöglichen Schulbildung.
2. Eine "flächendeckende" Einschränkung von körperlicher und geistiger
Leistungserbringung mit blockierender Haltung in der Großgruppe spricht konkret für die
Einschulung in eine Schule für Körperbehinderte, Zwei Lernbehinderte, in der speziell
geschulte Lehrkräfte auf die rasche körperliche Erschöpfbarkeit der Schüler Rücksicht
nehmen und die geistigen Leistungen individuell so fördern, wie es in der Grundschule als
Regelschule mit großen Klassen nicht möglich ist.
Tenor
Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des
Saarlandes vom 14.3.2003 - 1 K 123/02 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Antragsverfahrens tragen die Kläger.
Der Streitwert wird auf 4.000,-- Euro festgesetzt.
Gründe
Das Verwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 14.3.2003 - 1 K 123/02 - die Klage der
Kläger gegen die Einschulung ihres 1994 geborenen Sohnes durch Einschulungsverfügung
vom 2.8.2002 in die Schule für Körperbehinderte, Zweig für Lernbehinderte, statt nach
dem Wunsch der Eltern in die Regelschule abgewiesen. Dagegen richtet sich der Antrag auf
Zulassung der Berufung, der auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 II
Nr. 1 VwGO) und einen Verfahrensmangel (§ 124 II Nr. 5 VwGO) in Form mangelnder
Sachaufklärung durch ein weiteres neutrales Gutachten gestützt ist.
Der Zulassungsantrag ist unbegründet, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe
nicht vorliegen.
Das Urteil des Verwaltungsgerichts unterliegt keinen ernstlichen Zweifeln. Die auf § 6 II des
Schulpflichtgesetzes hier noch in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 7.6.2000
(Amtsbl. S. 1018) - derzeit gültig in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 9.7.2003
(Amtsbl. S. 1990) - gestützte Entscheidung über die Einschulung des Sohnes der Kläger in
die Schule für Körperbehinderte, Zweig für Lernbehinderte, ist auch nach der
Rechtsauffassung des Senats rechtmäßig, da sie der schweren körperlichen Behinderung
und der Lernbehinderung des Sohnes pädagogisch besser gerecht wird als die Einschulung
in die Grundschule als Regelschule und ihm damit bessere Bildungschancen gibt.
Die Anforderungen sowohl an die Gesetzgebung zur integrierten oder nichtintegrierten
Einschulung behinderter Menschen als auch die Kriterien für die Einzelfallentscheidung der
Einschulung sind im Wesentlichen durch die Verfassungsrechtsprechung vorgegeben.
Besonders eingehend BVerfG, Beschluss vom 8.10.1997, - 1 BvR
9/97 - BVerfGE 96, 288, sowie bei Juris, betreffend die Überweisung
eines behinderten Schülers gegen den Wunsch der Eltern in die
Sonderschule bei sonderpädagogischem Förderbedarf in den meisten
Unterrichtsfächern.
Nach Artikel 3 III 2 GG darf niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Nach
dem Willen des Grundgesetzgebers sollen damit Ausgrenzungen von behinderten
Menschen verhindert oder überwunden werden.
BVerfG, Beschluss vom 8.10.1997 - 1 BvR 9/97 -, S. 9 des Juris-
Ausdrucks, unter Rückgriff auf die BTDrucks. 12/8165, S. 28.
Eine Definition der Benachteiligung Behinderter enthält nunmehr - bezogen auf das
saarländische Recht - § 3 II des Saarländischen Behindertengleichstellungsgesetzes vom
26.11.2003 (Amtsbl. S. 2987) mit folgendem Wortlaut:
Eine Benachteiligung liegt vor, wenn Menschen mit und ohne
Behinderung ohne zwingenden Grund unterschiedlich behandelt
werden und dadurch behinderte Menschen in der gleichberechtigten
Teilhabe am Leben in der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar
beeinträchtigt werden.
Im Schulwesen liegt die in Betracht kommende Benachteiligung darin, dass behinderten
Menschen die Teilhabe an den Bildungschancen genommen wird. Aus der
Grundgesetzbestimmung folgt, dass der Staat und die Schulgesetzgeber der Länder für
behinderte Schüler eine besondere Verantwortung tragen; der Staat muss geeignete
schulische Einrichtungen bereithalten, die Art und Intensität der Behinderung sowie den
Anforderungen der Schulart Rechnung tragen.
BVerfG, Beschluss vom 8.10.1997 - 1 BvR 9/97 -, S. 10 des Juris-
Ausdrucks.
Bei der Entscheidung über integrierten Unterricht kann der Gesetzgeber, wie das
Verwaltungsgericht bereits zutreffend hervorgehoben hat (S. 9 des Urteils), im Rahmen
seiner Entscheidungsfreiheit primär auf pädagogische und sekundär auf organisatorische,
personelle und finanzielle Gründe abstellen.
BVerfG, Beschluss vom 8.10.1997 - 1 BvR 9/97 -, S. 10 des Juris-
Ausdrucks.
Ein vorrangiger Anspruch auf integrative Beschulung lässt sich dem Verfassungsrecht nicht
entnehmen.
BVerfG, Beschluss vom 8.10.1997 - 1 BvR 9/97 -, S. 13 des Juris-
Ausdrucks unter Billigung einer niedersächsischen Regelung, die
keinen Integrationsvorrang einräumt.
Das saarländische Schulrecht entspricht den dargelegten verfassungsrechtlichen
Anforderungen. Grundlage der Einschulungsentscheidung ist der festzustellende
sonderpädagogische Förderungsbedarf in Form der Beeinträchtigung der Bildungs-,
Entwicklungs- und Lernmöglichkeiten.
§ 4 II Schulordnungsgesetz hier in der Fassung des Gesetzes vom
7.6.2000 (Amtsbl. S. 1018) und nunmehr in der insoweit
unveränderten Fassung des Gesetzes vom 9.7.2003 (Amtsbl. S.
1990); zur Feststellung der sonderpädagogischen
Förderungsbedürftigkeit § 6 II Schulpflichtgesetz sowie §§ 5, 7 der
Schulpflichtverordnung in der Fassung der Änderungsverordnung vom
21.11.2000 (Amtsbl. S. 2035).
Schulorganisatorisch umfaßt der Unterrichtsauftrag der Schulen in der Regelform
grundsätzlich auch die Schüler mit sonderpädagogischem Förderungsbedarf (§ 4 I 1
Schulordnungsgesetz). Nach § 4 III Schulordnungsgesetz dienen der Unterrichtung und
Erziehung von Schülern mit sonderpädagogischem Förderungsbedarf verschiedene
Unterrichtsformen ohne dass ein Vorrang bestimmt ist. Dementsprechend bestimmt § 6 I
Schulpflichtgesetz:
Schüler mit sonderpädagogischem Förderungsbedarf sind zum
Besuch des gemeinsamen Unterrichts von Behinderten und
Nichtbehinderten, für sie geeigneter besonderen Schulen für
behinderte (Sonderschulen) oder des für sie geeigneten
Sonderunterrichts verpflichtet.
Ein Vorrang der Integration vor der Nichtintegration wird vom Schulgesetzgeber wie
dargelegt nicht geregelt, stattdessen ergeht nach § 6 II Schulpflichtgesetz eine
Einzelfallentscheidung. Die Einzelfallentscheidung erfolgt nach § 9 I 1 der
Integrationsverordnung hier in der Fassung der Verordnung vom 21.11.2000 (Amtsbl. S.
2035) und derzeit in der Fassung der Änderungsverordnung vom 4.7.2003 (Amtsbl. S.
1910) unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkte, wenn gewährleistet ist, dass die
Schüler in der Schule der Regelform die erforderliche sonderpädagogische Förderung
erhalten (§ 1 I Integrationsverordnung). Ausgehend von der Rechtslage im saarländischen
Schulrecht, dass Integration und Nichtintegration gleichrangig nebeneinander stehen und
unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkte zu entscheiden ist, gewinnen die materiellen
Kriterien für diese Entscheidung besondere Bedeutung.
Das Bundesverfassungsgericht hat nicht nur die Anforderungen an den Gesetzgeber,
sondern auch die Kriterien für die Einzelfallentscheidung der Schule verfassungsrechtlich
vorgezeichnet.
BVerfG, Beschluss vom 8.10.1997 - 1 BvR 9/97 -, BVerfGE 96, 288,
zu den Anforderungen an den Gesetzgeber S. 10 des Juris-Ausdrucks
und zu den Anforderungen an die Einzelfallentscheidung S. 11 des
Juris-Ausdrucks.
Die Entscheidung der Schule fordert eine Gesamtbetrachtung im Einzelfall unter
Berücksichtigung von Art und Schwere der jeweiligen Behinderung.
BVerfG, Beschluss vom 8.10.1997 - 1 BvR 9/97 - S. 11 des Juris-
Ausdrucks.
Das primär vom Bundesverfassungsgericht hervorgehobene Kriterium ist also Art und
Schwere der jeweiligen Behinderung, die im Wesentlichen für die bestmögliche Bildung
maßgeblich ist. Nach der dargelegten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sind
bei dieser materiellen Betrachtung die Vor- und Nachteile der integrativen Erziehung und
der Sonderschulerziehung gegenüberzustellen. Ausschlaggebend als Maßstab sind nicht nur
die Chancen der Ausbildung, sondern auch die Belastungen sind zu würdigen, und zwar mit
Blick auf das behinderte Kind selbst, auf Mitschüler und Lehrpersonal.
BVerfG, Beschluss vom 8.10.1997 - 1 BvR 9/97 -, S. 11 des Juris-
Ausdrucks.
Schließlich - und damit sekundär - ist zu berücksichtigen, dass staatliche Maßnahmen zum
Ausgleich einer Behinderung nur nach Maßgabe des finanziell, personell, sachlich und
organisatorisch Möglichen verlangt und gewährt werden können.
BVerfG, Beschluss vom 8.10.1997 - 1 BvR 9/97 -, S. 11 des Juris-
Ausdrucks.
Diese sekundären Gesichtspunkte sind im vorliegenden Fall nicht einschlägig.
Vor diesem verfassungsrechtlichen Hintergrund ist § 9 I der Integrationsverordnung mit
dem Merkmal der Berücksichtigung aller Gesichtspunkte verfassungskonform und
hinreichend bestimmt dahingehend auszulegen, dass primär die bestmögliche Bildung nach
Art und Umfang der Behinderung und sekundär die organisatorischen und finanziellen
Gesichtspunkte gemeint sind.
Die vom Bundesverfassungsgericht verlangte Berücksichtigung sowohl der Chancen als
auch der Belastungen kommt darin zum Ausdruck, dass § 1 I der Integrationsverordnung
verlangt, dass die sonderpädagogische Förderung in der Schule der Regelform
gewährleistet ist. Dieser Gewährleistungsmaßstab statt etwa eines Möglichkeitsmaßstabs
führt zu dem Ergebnis, dass nach pädagogischen Gesichtspunkten eine möglichst
realitätsgerechte Entscheidung über die Integration oder die Nichtintegration getroffen
werden soll. Geringe Chancen bei größeren Belastungen führen nach dem
Gewährleistungsmaßstab nicht schon zu einem Integrationsversuch, wie es hier die Kläger
befürworten.
Im praktischen Ergebnis spricht vor allem ein eingrenzbarer sonderpädagogischer
Förderungsbedarf für eine Integration in der Regelschule und ein "flächendeckender"
sonderpädagogischer Förderungsbedarf für praktisch alle Schulfächer für eine bessere
Schulbildung in der Sonderschule.
Zu dem Gesichtspunkt des erheblichen sonderpädagogischen
Förderbedarfs in den meisten Schulfächern als Grundlage für die
Entscheidung zu Gunsten einer Sonderschulbildung BVerfG,
Beschluss vom 8.10.1997 - 1 BvR 9/97 -, Seite 13 und 6 des Juris-
Ausdrucks; und sinngemäß Beschluss des Senats vom 29.10.2003 -
3 W 32/03 -, Seite 5 des amtlichen Umdrucks, zu praktisch
flächendeckenden Förderbedarf in den Fächern Deutsch,
Mathematik, Französisch, Biologie und Erdkunde auf der Grundlage
eines Unverständnisses von Sachverhalten.
Ausgehend von diesen Rechtsprechungsgrundsätzen erweist sich im konkreten Fall die
Einschulung in die Schule für Körperbehinderte (§ 4 IV Nr. 5 Schulordnungsgesetz), Zweig
für Lernbehinderte (vgl. § 4 IV Nr. 6 Schulordnungsgesetz), als der Behinderung adäquat
und unter pädagogischen Gesichtspunkten im Sinne einer besseren realen Bildungschance
als vorzugswürdig gegenüber dem Versuch einer Integration in die Regelschule.
Das Grundleiden des Sohnes besteht in der angeborenen Fehlbildung von Rückenmark und
Wirbelsäule in Form der Krankheit Spina bifida, die im Übrigen auch bei der
Beschwerdeführerin im Fall der zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
vorlag.
Zum Grundleiden des Klägers Gutachten des Gesundheitsamtes des
Landkreises Saarlouis durch die Kinderärztin Dr. W. vom 28.5.2002,
Behördenakte Blatt 54/53; zu demselben Grundleiden der
Beschwerdeführerin in dem dargelegten verfassungsrechtlich
entschiedenen Fall BVerfG, Beschluss vom 8.10.1997 - 1 BvR 9/97 -,
Seite 6 des Juris-Ausdrucks.
Nach dem von den Klägern nicht angegriffenen Gutachten der Kinderärztin Dr. W. des
Gesundheitsamtes Saarlouis (Seite 2) besteht aus kinderärztlicher und schulärztlicher Sicht
für die Einschulung ein hoher Förderbedarf für den Bereich Körperbehinderung und
Lernbehinderung/Grenze geistige Behinderung mit Notwendigkeit von individuellem
langsamen Förderangebot. Der Verbindung von körperlicher Behinderung und
Lernbehinderung entspricht die hier erfolgte Einschulung in die Schule für Körperbehinderte,
Zweig für Lernbehinderte, am besten. Wie sich aus einem neueren Gutachten des
Gesundheitsamtes des Stadtverbandes Saarbrücken vom 12.3.2003 ergibt (VG-Akte Blatt
44), fühlt sich der Sohn der Kläger zwischenzeitlich nach dem Eindruck der Gutachterin in
der Körperbehindertenschule wohl, wird von seinen Klassenkameraden gut angenommen,
kann sich mit Hilfe seines Rollstuhls selbstständig fortbewegen und bedarf bei den anderen
Verrichtungen des täglichen Lebens der Hilfestellung, braucht im kognitiven Bereich und
dem Bereich der Gedächtnisleistung individuelle Betreuung und profitiert in der
Sonderschule durch das Lernen in der Kleingruppe und angeleitet durch Pädagogen, die
spezielle Erfahrung im Umgang mit behinderten Kindern haben und es gewohnt sind, auf
die rasche Ermüdbarkeit der Kinder Rücksicht zu nehmen. Bezogen auf die Regelschule hat
die Kinderärztin Dr. W. in ihrem Gutachten vom 28.5.2002 (Seite 2/3) einen Experten für
die Erkrankung Spina bifida zu Rate gezogen mit dem mitgeteilten Ergebnis, dass
versuchte Integrationsmaßnahmen bei ähnlich schweren Erkrankungsformen in der Regel
zur Isolation des behinderten Kindes im Klassenverband der Regelschule und zum Abbruch
des Integrationsversuchs geführt haben. Die Kinderärztin Dr. W. kommt in ihrem
Gutachten (Seite 2) aus kinderärztlicher Sicht zu der Beurteilung, eine kleine Klasse einer
Schule für Körperbehinderte würde den geeigneten Rahmen der schulischen Förderung für
das Kind darstellen; die Zuweisung des Kindes in eine Sonderschule für Körperbehinderte
sei aus medizinischen Gründen sinnvoll (Seite 3 des Gutachtens). Die Kläger berufen sich
zu ihren Gunsten auf die nachfolgende Beurteilung des Elternwunschs durch die
Kinderärztin Dr. W.. Mit Blick auf den als unumstößlich angesehenen Wunsch der Familie
hält die Sachverständige eine erfolgreiche schulische Integration letztlich doch für nicht
ausgeschlossen (Seite 6), allerdings unter Übernahme der vollen Eigenverantwortung der
Eltern für mögliche medizinische Komplikationen (Seite 4 des Gutachtens). Die Beurteilung
des Elternwunschs durch die Sachverständige widerspricht dem rechtlichen Maßstab, dass
nach der Verfassungsrechtsprechung die Schulbehörde letztverantwortlich für die
Integrationsentscheidung bleibt und mithin nicht die Eltern letztverantwortlich sind.
BVerfG, Beschluss vom 28.10.1997 - 1 BvR 9/97 -, Seite 12 des
Juris-Ausdrucks.
Im Sinne des dargelegten Gewährleistungsmaßstabes des § 1 I der Integrationsverordnung
ist nach der Beurteilung der Sachlage durch die Gutachterin die erforderliche
sonderpädagogische Förderung in der Schule für Körperbehinderte gewährleistet, in der
Schule der Regelform dagegen nicht gewährleistet, sondern nur nicht ausgeschlossen. Bei
Beachtung der geltenden rechtlichen Maßstäbe spricht das von den Klägern für ihre
Auffassung herangezogene Gutachten des Landkreises Saarlouis durch die Kinderärztin Dr.
W. vom 28.5.2002 mithin in Wirklichkeit für die Zuweisung zur Schule für Körperbehinderte
und gerade nicht für eine Gewährleistung des sonderpädagogischen Förderbedarfs in der
Regelschule.
Zum Vorzug der Schule für Körperbehinderte kommt auch das vom Verwaltungsgericht in
erster Linie herangezogene von den Klägern angegriffene sonderpädagogische Gutachten
der Sonderschullehrerin M. vom 6.6.2002 (Behördenakte Blatt 73). Die Gutachterin hat
sich durch die im Gutachten inhaltlich wiedergegebenen Gespräche mit der tätig
gewordenen Krankengymnastin, dem Logopäden, der Erzieherin der Kindergartengruppe
und der Leiterin des Regelkindergartens sowie der Integrationspädagogin auf einer
empirisch umfangreichen Grundlage ein sorgfältiges Bild über die bisherige Integration
verschafft. Insbesondere nach dem Bericht der Integrationspädagogin hat der Sohn der
Kläger im Kindergarten Anforderungen aller Art sofort abgeblockt und sich gegen das
Arbeiten nach Regeln und Anweisungen gesperrt (Seite 6 des Gutachtens). Der IQ-Wert
liegt nach zwei verschiedenen Testverfahren unter 60 (Seite 8 des Gutachtens). Unter
Zugrundelegung der starken körperlichen Behinderung, der eingeschränkten Intelligenz und
des blockierenden Verhaltens kommt die Gutachterin zum Ergebnis (Seite 10 des
Gutachtens), es liege ein sonderpädagogischer Förderbedarf im Sinne einer
Körperbehinderung und im Sinne einer Lernbehinderung mit der Tendenz in Richtung einer
geistigen Behinderung vor. Mit dieser sachlichen Grundbeurteilung des
sonderpädagogischen Förderbedarfs deckt sich das ausführliche pädagogische Gutachten
vom 6.6.2002 mit dem ebenfalls ausführlichen kinderärztlichen Gutachten der Kinderärztin
Dr. W. (Seite 2), die wie dargelegt ebenfalls einen hohen Förderbedarf für den Bereich
Körperbehinderung und Lernbehinderung/Grenze geistige Behinderung bejaht. Die beiden
eingehenden medizinischen und pädagogischen Gutachten kommen mithin in ihrer
tragenden Beurteilung - was nach Kenntnis des Senats in vergleichbaren Fällen nicht
selbstverständlich ist - im Wesentlichen zu derselben Beurteilung des sonderpädagogischen
Förderbedarfs.
In den Schlussfolgerungen unterscheiden sich zwar die beiden Gutachten. Das
sonderpädagogische Gutachten hält die integrative Unterrichtung an der Regelschule für
nicht empfehlenswert und nicht sinnvoll (Seite 10 des Gutachtens); das medizinische
Gutachten enthält zunächst als sinnvolle Empfehlung die Zuweisung des Kindes in eine
Sonderschule für Körperbehinderte (Seite 3 des Gutachtens), würdigt aber den
feststehenden Elternwunsch auf Integration dann dahingehend, eine Integration sei bei
voller Eigenverantwortung der Eltern nicht auszuschließen (Seite 4 und 6 des Gutachtens).
Berichtigt man allein den darin angelegten rechtlichen Maßstab, führt dies zum Vorzug der
Sonderschule. Bezogen hier auf das zweitinstanzliche Verfahren hat der Senat keinen Anlaß
für die Einholung eines Obergutachtens, wenn vorhandene Gutachten ungeachtet von
Meinungsverschiedenheiten in den wesentlichen Fragen übereinstimmen.
BVerwG, Urteil vom 23.5.1989 - BVerwG 7 C 2.87 -, BVerwGE 82,
76 - 90.
Die Angriffe im Zulassungsvorbringen (Seite 3) gegen das sonderpädagogische Gutachten
überzeugen nicht, da sie nur abstrakt auf die Ablehnung der Integrationsmaßnahme
abstellen mit der Begründung, dass die Sonderschullehrerin dem Beklagten unterstellt und
fraglich sei, ob alleine die Qualifikation als Sonderschullehrerin zu dem Gutachten befähige.
Angesichts des gründlichen und empirisch durch Heranziehung aller in Betracht
kommenden Informationsquellen fundierten sonderpädagogischen Gutachtens sind diese
nur abstrakten Angriffe ohne Überzeugungskraft. Bei einer abstrakten Betrachtung muss
auch gesehen werden, dass in dem vom Bundesverfassungsgericht entschieden
niedersächsischen Fall ebenfalls das Beratungsgutachten einer Sonderschullehrkraft
Verfahrensgrundlage war und das Bundesverfassungsgericht gerade dieses Verfahren als
weitgehende Objektivierung der behördlichen Entscheidungsfindung ansieht.
BVerfG, Beschluss vom 8.10.1997 - 1 BvR 9/97 -, Seite 6 und 11
des Juris-Ausdrucks.
Soweit sich die Kläger im Zulassungsverfahren auf die bereits in den Behördenunterlagen
(Seite 92) enthaltene Stellungnahme der Kinderärztin K. vom 15.7.2002 stützen, besteht
ebenfalls keine Veranlassung zur Einholung eines Obergutachtens. Die Kinderärztin
empfiehlt in ihrer kurzen Beurteilung eine Einschulung in die Regelschule, geht aber von
dem im sonderpädagogischen Gutachten fundiert widerlegten Sachverhalt aus, der Sohn
habe den Regelkindergarten ohne jegliche Probleme besucht. Dem ist entgegenzuhalten,
dass die im Kindergarten tätige Integrationspädagogin auf Grund des blockierenden
Verhaltens und des Mittelpunktstrebens des Sohns eine integrative Unterrichtung in einer
Regelschule nicht für vorstellbar hält (Seite 6 des sonderpädagogischen Gutachtens). Die
im sonderpädagogischen Bedarf übereinstimmenden Feststellungen des medizinischen und
des sonderpädagogischen ausführlichen Gutachtens sind von den Klägern weder durch das
Attest der Kinderärztin K. vom 15.7.2002 noch in anderer Weise konkret erschüttert
worden.
Vielmehr spricht gerade umgekehrt die neue Stellungnahme des Gesundheitsamtes des
Stadtverbandes - der vom Beklagten nicht abhängig ist - vom 12.3.2003 (VG-Akte Blatt
47) als Indiz dafür, dass die Beurteilung des sonderpädagogischen Förderungsbedarfs
durch das medizinische und das sonderpädagogische Gutachten durchaus zutreffend ist,
denn der inzwischen in der Körperbehindertenschule eingeschulte Sohn der Kläger fühlt sich
nach dem Eindruck der Gutachterin dort wohl und profitiert von dem Lernen in der
Kleingruppe, angeleitet durch Pädagogen, die spezielle Erfahrung im Umgang mit
behinderten Kindern haben und die es gewohnt sind, auf die rasche Ermüdbarkeit der
Kinder Rücksicht zu nehmen. Konkret ist dieses Gutachten nicht angegriffen.
Bei einer Gesamtwürdigung der Chancen und Belastungen steht nach der Ansicht des
Senats fest, dass der Sohn der Kläger die seiner Körperbehinderung und Lernbehinderung
entsprechende adäquate Schulbildung in der Schule für Körperbehinderte, Zweig für
Lernbehinderte, erhält und deutlich geringere Bildungschancen in der Regelschule hätte. Da
diese Gesamtwürdigung auf der Einschätzung von insgesamt drei überzeugenden
Gutachten beruht, die konkret und substanziiert mit einer Auseinandersetzung im Einzelnen
nicht angegriffen sind, besteht vernünftigerweise kein Bedarf für ein weiteres
Sachverständigengutachten zur abschließenden Entscheidung des Falles.
Für den gerügten Verfahrensfehler der mangelnden Sachaufklärung (§§ 124 II Nr. 5, 86
VwGO) kommt es auf den Rechtsstandpunkt des Verwaltungsgerichts an. Da der
Rechtsstandpunkt des Verwaltungsgerichts und der des Senats übereinstimmen, hatte
auch das Verwaltungsgericht keinen Anlass zur Einholung eines weiteren
Sachverständigengutachtens. Einen ausdrücklichen Beweisantrag hat der anwaltlich
vertretene Kläger in der Sitzung des Verwaltungsgerichts vom 14.3.2003 ausweislich des
Protokolls (VG-Akte Blatt 47 ff.) nicht gestellt. Bezogen auf ein zusätzliches Gutachten hält
auch das Bundesverwaltungsgericht einer vergleichbaren Sachaufklärungsrüge entgegen,
die dortigen Kläger hätten den Aufklärungsbedarf in der mündlichen Verhandlung offenbar
nicht anders gesehen als das Gericht, weil sie keine Beweisanträge gestellt hatten.
BVerwG, Urteil vom 23.5.1989 - BVerwG 7 C 2.87 -, BVerwGE 82,
76 - 90; ebenso im Sinne eines fehlenden Beweisantrags als Indiz
gegen weiteren Aufklärungsbedarf Bader u.a., VwGO, 2. Auflage
2002, § 86 Rdnr. 22.
Mithin bleibt auch die Verfahrensrüge nach § 124 II Nr. 5 VwGO erfolglos.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 II VwGO.
Die Streitwertentscheidung folgt aus den §§ 13, 14, 25 GKG unter Mitberücksichtigung von
Nr. 37.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVBl. 1996, 605.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.