Urteil des OVG Rheinland-Pfalz vom 24.02.2011

OVG Koblenz: psychisch kranker, privates interesse, bebauungsplan, juristische person, materielles recht, medizinische betreuung, entwässerung, prozessstandschaft, behinderung, verein

OVG
Koblenz
24.02.2011
1 C 10276/11.OVG
Bauplanungsrecht, Normenkontrollrecht
Oberverwaltungsgericht
Rheinland-Pfalz
Zwischenurteil
Im Namen des Volkes
In dem Normenkontrollverfahren
der Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung e.V., Kreisvereinigung Cochem-Zell
- Antragstellerin -
Prozessbevollmächtigter: Kunz Rechtsanwälte, Mainzer Straße 108, 56068 Koblenz,
gegen
die Stadt Cochem, vertreten durch den Bürgermeister der Verbandsgemeinde Cochem, Ravenèstraße 61,
56812 Cochem,
- Antragsgegnerin -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Klinge - Hess, Rheinstraße 2 a, 56068 Koblenz,
beigeladen:
Landeskrankenhaus (AöR), vertreten durch den Geschäftsführer
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Jeromin & Kerkmann, Rennweg 72, 56626 Andernach,
wegen Bebauungsplan (Normenkontrolle)
hat der 1. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der mündlichen
Verhandlung vom 24. Februar 2011, an der teilgenommen haben
Vorsitzender Richter am Oberverwaltungsgericht Zimmer
Richter am Oberverwaltungsgericht Schneider
Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Berthold
für Recht erkannt:
Es wird festgestellt, dass der Normenkontrollantrag der Antragstellerin zulässig ist.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Antragstellerin wendet sich in dem vorliegenden Normenkontrollverfahren gegen den Bebauungsplan
„Bereich zwischen Fliegerkaserne und Wohnsiedlung L……-Straße“, den der Stadtrat der
Antragsgegnerin in seiner Sitzung am 26.03.2009 beschlossen hat. In dem Veröffentlichungsorgan der
Antragsgegnerin „Stadt- und Landbote“ (Ausgabe Nr. 20) ist der Bebauungsplan am 15.05.2009 öffentlich
bekannt gemacht worden und zum gleichen Zeitpunkt in Kraft getreten.
Der Plan sieht auf einer Fläche von etwa 2,28 ha (Flurstücke …/…. und …(….. tlw.) ein allgemeines
Wohngebiet (WA) vor, welches in die zwei Teilbereiche WA 1 und WA 2 untergliedert ist. Das Gebiet WA 1
soll der überwiegenden Wohnbebauung dienen, während im Gebiet WA 2 eine im Eigentum der
Beigeladenen zu errichtende Einrichtung für psychisch kranke Menschen vorgesehen ist, die nach dem
Anhörungsschreiben der Antragsgegnerin vom 30.06.2008 (Bl. 13 der Planaufstellungsakten – PA –) für
die Unterbringung und Betreuung von 25 Patienten ausgelegt sein soll. Einzelheiten der Planung werden
u.a. auf S. 16ff der Begründung (Bl. 29ff PA) beschrieben.
Die Antragstellerin ist Nutzungsberechtigte von Grundstücken im Ortsteil Brauheck (B……straße .. und ..),
die außerhalb des Bebauungsplans liegen. Sie betreibt in den dortigen Gebäuden seit 1988 das
Lebenshilfewohnheim für geistig Behinderte mit heute 13 Bewohnern.
Die Antragstellerin trägt zur Zulässigkeit ihres Antrags vor, ihre künftige Arbeit mit geistig Behinderten
werde durch die im Baugebiet WA 2 geplante Einrichtung für psychisch Kranke nachhaltig beeinträchtigt.
Es sei insbesondere mit sexuellen Übergriffen und anderen Grenzverletzungen seitens der dortigen
Bewohner zu rechnen. Diese Befürchtungen ergäben sich aus langjährigen Erfahrungswerten in der
Behindertenarbeit. So arbeiteten etwa die Bewohner ihrer Einrichtung tagsüber in der
Behindertenwerkstätte im Gewerbegebiet B……., wo es bereits mehrfach zu sexuellen Belästigungen
durch die dort ebenfalls teilweise beschäftigten psychisch Kranken gekommen sei. Die geistig
Behinderten könnten sich wegen ihrer mentalen Unterlegenheit gegen sexuell motivierte Übergriffe der
psychisch Kranken praktisch nicht wehren. Zum Beleg werde ein entsprechender Bericht aus dem
Handbuch „Werkstatt für Behinderte“ (WfB) 9/2000 der Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit
geistiger Behinderung verwiesen, in dem sexuelle Übergriffe auf Frauen mit geistiger Behinderung
eindringlich beschrieben worden seien. Dieser Bericht bestätige zugleich, dass es sich nicht um
Einzelfälle, sondern um ein typisches Phänomen handele. Während der Unterbringung psychisch Kranker
in Wohnungen der Siedlung L…….straße/R………-Straße in den vergangenen Jahren sei es ebenfalls
mehrfach zu sexuellen Belästigungen und Beleidigungen der geistig Behinderten, ihrer Betreuer und von
Nachbarn durch die psychisch Kranken gekommen, was durch benannte Zeugen bestätigt werden könne.
Bislang könnten die geistig Behinderten selbständig spazieren gehen, im nahen B……..-Center sowie
anderen Geschäften einkaufen sowie anderen Aktivitäten – wie im Kirchenchor und in Vereinen –
nachgehen. Dies sei künftig nicht mehr oder nur stark eingeschränkt möglich, wenn das Vorhaben der
Beigeladenen realisiert würde. Allein daraus sei auch die Antragsbefugnis gemäß § 47 Abs. 2 VwGO
begründet.
Der Normenkontrollantrag sei auch materiell begründet. Der angegriffene Bebauungsplan verstoße gegen
die bauplanungsrechtlichen Vorschriften der §§ 1 Abs. 3, 1 Abs. 7, 2 Abs. 3 und § 9 BauGB und sei daher
unwirksam.
Der Bebauungsplan verstoße bereits gegen das Gebot des § 1 Abs. 3 BauGB. Die Festsetzung eines
allgemeinen Wohngebietes (WA) stelle einen sogenannten „Etikettenschwindel“ dar. Allgemeine
Wohngebiete nach § 4 Abs. 1 BauNVO müssten vorwiegend dem Wohnen dienen und andere Nutzungen
dürften nicht überwiegen. Dies sei vorliegend nicht der Fall, weil lediglich die psychiatrische Fachklinik
realisiert werden solle, für die ein Klinikgebiet nach § 11 Abs. 2 BauNVO hätte festgesetzt werden müssen.
Es bestehe auch keine Realisierungsabsicht hinsichtlich des WA 1-Gebietes. Es sei nicht ersichtlich, dass
in einem Stadtteil von nicht einmal 1.000 Einwohnern ein Bedarf von 20 Bauplätzen bestehe, was nach
erfolgter Bebauung einem Einwohnerzuwachs von etwa 10 % entspreche. Es sei auszuschließen, dass
eine ausreichende Anzahl von Familien neben einem bestehenden sozialen Brennpunkt mit einem hohen
Migrantenanteil und neben einem Wohnheim für psychisch kranke Menschen Eigentum erwerben wolle.
Der angebliche Bedarf sei daher nur vorgeschoben, um ohne eine Änderung der
Flächennutzungsplanung ein Sonderbauvorhaben auf einer Wohnbaufläche ermöglichen zu können, was
den Vorwurf des Etikettenschwindels rechtfertige.
Das Wohngebiet WA 2 sei vielmehr der Sache nach ein Klinikgebiet im Sinne des § 11 Abs. 2 BauNVO,
welches nach der Bebauungsplanbegründung einen wohnähnlichen Charakter haben solle. Nach den
Baugenehmigungsunterlagen handele es sich jedoch nicht nur um ein Wohnheim, sondern um ein
Krankenhaus mit drei Stationen, die jeweils über ein Stationsbad und ein Dienstzimmer verfügten.
Günstigstenfalls könne es sich um eine Anlage für soziale und gesundheitliche Zwecke handeln. Die
Errichtung von Wohngebäuden sei hingegen durch die Festsetzung eines übergroßen Baufensters ohne
Innenerschließung und mit einer unzureichenden äußeren Erschließung über eine zu schmale
Erschließungsstraße ohne Wendehammer praktisch unmöglich gemacht worden. Auch von daher hätte
ein Sondergebiet festgesetzt werden müssen.
Selbst wenn eine Realisierungsabsicht hinsichtlich des WA 1-Gebietes bestünde, wäre der
Bebauungsplan gemäß § 1 Abs. 7 BauGB unwirksam, weil die Abwägungen in mehrfacher Hinsicht
fehlerhaft seien. Entgegen § 1 Abs. 6 Nr. 2 BauGB würden weder die Bevölkerungsentwicklung noch die
Wohnbedürfnisse berücksichtigt. Der Wohnflächenbedarf sei ungeachtet des Grundsatzes GA 1 in
Kapitel 2.1 des RROP Mittelrhein-Westerwald ausschließlich aus dem Flächennutzungsplan abgeleitet
worden. Vor allem aber sei der Belang der Schaffung und Erhaltung sozial stabiler Bewohnerstrukturen
nach § 1 Abs. 6 Nr. 2 BauGB fehlerhaft abgewogen worden. Es sei vor diesem Hintergrund nicht
nachvollziehbar, warum ein anerkanntermaßen bereits sozial instabiler Stadtteil mit nur 1.000 Einwohnern
noch zusätzlich mit einer Einrichtung für psychisch kranke Menschen belastet werden solle.
Darüber hinaus seien bei der Abwägung die Belange des § 1 Abs. 6 Nr. 9 BauGB sowie des § 1 Abs. 6
Nr. 7 BauGB nicht hinreichend berücksichtigt worden und seien die unzureichende äußere und innere
Erschließung des Gebiets über die I…………straße bzw. die vorgesehenen Planstraßen A bis C zu rügen.
Zudem gebe es erhebliche Ermittlungsdefizite im Sinne von § 2 Abs. 3 BauGB was den
Wohnflächenbedarf und die Entwässerung sowie den Ausbau der Immelmannstraße angehe. Ein
Entwässerungskonzept liege noch immer nicht vor.
Die Entwässerungsproblematik werde dementsprechend im Rahmen der Planung nicht gelöst, sondern
nur „weggewogen“.
Schließlich sei die Planung auch nicht mit den Grundsätzen der Raumordnung nach dem RROP
Mittelrhein-Westerwald zu vereinbaren was die Entwicklungschancen von Baugebieten, den Erhalt der
Wälder und die Anforderungen an den Klimaschutz betreffe. Zudem sei das Konzept der
Ausgleichsflächen für die 2,2 ha Wald nicht nachvollziehbar, was zu einer Abwägungsdisproportionalität
der Planung insgesamt führe.
Die Antragstellerin beantragt,
den Bebauungsplan der Antragsgegnerin „Bereich zwischen Fliegerkaserne und Wohnsiedlung L……
traße“ vom 26. März 2009 für unwirksam zu erklären.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Normenkontrollantrag zurückzuweisen.
Der Normenkontrollantrag sei schon mangels Antragsbefugnis der Antragstellerin unzulässig. Die
Antragstellerin sei insbesondere nicht antragsbefugt, weil sie fremde Rechte Dritter – nämlich der
Bewohner ihres Heimes – geltend mache, ohne hierzu etwa aufgrund eines Betreuungsverhältnisses
ermächtigt zu sein. Die Antragstellerin sei lediglich Mieterin baulicher Anlagen, in denen sie ihre
Einrichtung für geistig Behinderte betreibe, die etwa 100 bis 200 m außerhalb des Plangebiets liege. Zwar
sei ein Normenkontrollantrag auch seitens eines Mieters denkbar; dies setze allerdings voraus, dass
dieser durch den Bebauungsplan in einer Interessenssphäre betroffen werde, die als privates Interesse in
der Abwägung hätte berücksichtigt werden müssen.
Aus der Argumentation der Antragstellerin, ein Nebeneinander von geistig Behinderten und psychisch
Kranken würde zu erheblichen Spannungen führen, könne keine Antragsbefugnis begründet werden. Der
Bebauungsplan setze nämlich als Angebotsplanung ein allgemeines Wohngebiet fest, sodass mit einer
Unwirksamkeitserklärung auch diese Festsetzung aufgehoben würde. In Wahrheit begehre die
Antragstellerin aber die Aufhebung einer nicht existierenden Festsetzung für die Ansiedlung eines
Wohnheims für psychisch Kranke, sodass den Festsetzungen des Bebauungsplans allenfalls eine
mittelbare Einwirkung zukomme. Ob Beeinträchtigungen tatsächlich eintreten würden, lasse indessen erst
das konkrete Vorhaben erkennen. Sollte dies der Fall sein, stehe das Verfahren der Baugenehmigung zur
Verfügung, um auftretende Probleme zu bewältigen. Zudem seien die Befürchtungen der Antragstellerin
rein spekulativ, denn es könne davon ausgegangen werden, dass der Heimbetreiber des Wohnheimes für
psychisch Kranke die Wohnstätte ordnungsgemäß betreibe und durch ausgebildetes fachkundiges
Person beaufsichtigen werde. Ganz abgesehen davon sei dem Bebauungsplanrecht ein Milieuschutz
fremd.
Die Anträge seien darüber hinaus auch unbegründet. Der Bebauungsplan sei zunächst erforderlich im
Sinne von § 1 Abs. 3 BauGB, wobei zunächst das WA 2-Gebiet realisiert werde. Es sei jedoch eine
unrichtige Darstellung der Antragstellerseite, dass lediglich eine Wohnstätte für psychisch Kranke
realisiert werden solle. Es sei mehrfach erklärtes Ziel der Antragsgegnerin, dass in dem Bebauungsplan
ausgewiesene Wohngebiet WA 1 zu erschließen und Bauinteressenten zur Verfügung zu stellen.
Entsprechende Haushaltsmittel stünden bereit, die Entwässerung zur Straßenplanung sei erstellt. Auch
die Entwässerung des Wohngebietes WA 2 sei sichergestellt, während die Entwässerung des
Wohngebiets WA 1 aufgrund der notwendigen Herstellung eines Regenrückhaltebeckens außerhalb des
Planbereichs einer weiteren Genehmigung bedürfe.
Es liege auch kein Etikettenschwindel vor; die Antragsgegnerin habe ein Wohngebiet ausgewiesen und
beabsichtige dieses zu realisieren. Die geplante Einrichtung zum betreuten Langzeitwohnen für psychisch
kranke Menschen sei auch eine Wohnnutzung. Die Notwendigkeit von Betreuung und Pflege stehe einem
selbstbestimmten Wohnen nicht entgegen. Dafür reiche es aus, dass die für das Wohnen konstituierenden
Merkmale erfüllt seien. Dies sei auch dann der Fall, wenn bei den Bewohnern aufgrund ihrer Betreuungs-
und Pflegebedürftigkeit eine selbständige Haushaltsführung und Lebensgestaltung in den Hintergrund
trete oder sogar aufgegeben werde.
Eine ständige medizinische Versorgung wie in einem Krankenhaus finde nicht statt. Das Wohnheim
beschäftige auch keinen eigenen Arzt, da die medizinische Betreuung von externen Ärzten sichergestellt
werde. Die fachpsychiatrische Betreuung erfolge durch die Beigeladene, sofern von den Heimbewohnern
kein niedergelassener Arzt gewählt werde. Selbst wenn also der Planungswille dahin gegangen sei, im
Wohngebiet 2 eine Einrichtung für die Behandlung psychisch Kranker zu etablieren, so sei diesem
Planungswillen durch die Ausweisung eines allgemeinen Wohngebietes Rechnung getragen. Außerdem
sei die beabsichtigte Nutzung durch die Beigeladenen in einem allgemeinen Wohngebiet als Anlage für
gesundheitliche und/oder soziale Zwecke (§ 4 Nr. 2 Nr. 3 BauNVO) allgemein zulässig.
Die Beigeladene beantragt,
den Normenkontrollantrag zurückzuweisen.
Sie trägt zur Begründung im Wesentlichen vor:
Eine Antragsbefugnis der Antragstellerin bestehe mangels Verletzung eigener Rechte nicht. Allein durch
die Existenz des Wohnheims würden denknotwendig keine Rechte der Antragstellerin verletzt. Darüber
hinaus hätten nur die Bewohner selbst einen Abwehranspruch gegen die behaupteten Übergriffe durch
psychisch Kranke, nicht jedoch die Antragstellerin als eingetragener Verein und Betreiberin des
Lebenshilfewohnheims.
Der Normenkontrollantrag der Antragsteller sei jedoch in jeden Fall auch unbegründet. Die Planung sei
gemäß § 1 Abs. 3 BauGB erforderlich, wobei ein weites planerisches Ermessen zugrunde zu legen sei.
Das Negieren des Bedarfs seitens der Antragsteller gehe insoweit von falschen Tatsachen aus. Ziel der
Planung sei die Ausweisung der Flächen zur Bebauung gewesen und damit einem weiten Kreis der
Bevölkerung Bauland zur Eigentumsbildung zu verschaffen bzw. zur Eigentumsbildung zu verhelfen.
Sofern das Brauheck seitens der Antragsteller als Konfliktgebiet bezeichnet werde, sei gerade der
Bebauungsplan geeignet und erforderlich, diese angeblich negativen Zustände zu beseitigen.
Es handele sich auch nicht um einen sogenannten „Etikettenschwindel“, da angeblich ein Sondergebiet
nach § 11 Abs. 2 BauNVO hätte ausgewiesen werden müssen. Ein solcher Etikettenschwindel liege nur
vor, wenn eine tatsächlich nicht gewollte Gebietsart ausgewiesen werde, um so städtebaulich unzulässige
Zielkonflikte zu umgehen. Der Antragsteller verkenne jedoch, dass in einem allgemeinen Wohngebiet
nach § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO auch Anlagen für gesundheitliche Zwecke zulässig seien. Auch das im
Gebiet WA 2 zu verwirklichende Bauprojekt der Beigeladenen sei als Anlage für gesundheitliche Zwecke
nach dieser Vorschrift bzw. als Wohnanlage nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO zu qualifizieren. Bei der bereits
genehmigten Anlage handele es sich letztendlich um eine Kombination aus Wohnen und medizinischer
Betreuungsleistung, was auch aus dem Betriebskonzept der Rhein-Mosel-Fachklinik Andernach eindeutig
hervorgehe. Aus der Planbegründung (S. 8) folge auch, dass es sich keineswegs um einen
Krankenhauskomplex handele, der nach Auffassung des Antragstellers nur in einem Sondergebiet
zulässig wäre, sondern dass das Wohnen in der genannten Einrichtung der Beigeladenen nicht nur
überwiegen solle, sondern gerade Kern des therapeutischen Konzepts sei. Die psychisch kranken
Menschen sollten lernen, sich wieder in die Gesellschaft zu integrieren, wobei auf Grundlage des
gegebenen Konzepts ein Gewaltpotential und eine Gefährdung der Anwohner ausgeschlossen werden
könne. Einen allgemeinen Anspruch auf ein Ausblenden bestimmter Probleme und Erkrankungen
bestehe indessen nach der Rechtsprechung gerade nicht.
Der Senat hat die Verfahren weiterer Antragsteller abgetrennt und unter den Aktenzeichen
1 C 10277/11.OVG bzw. 1 C 10610/10.OVG fortgeführt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der
Gerichtsakte einschließlich der Schriftsätze der Beteiligten sowie auf die beigezogenen Planungsakten
der Antragsgegnerin (8 Ordner). Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Gemäß
§ 109 VwGO
kann das Gericht über die Zulässigkeit der Klage durch Zwischenurteil auch im
Hinblick auf einzelne Prozessvoraussetzungen vorab entscheiden (BVerwG, Urteil vom 19.05.1988, NVwZ
1988, 913; Urteil vom 22.06.1962, NJW 1962, 2074; OVG RP, Urteil vom 15.10.2008, 1 A 10388/08,
ESOVGRP; Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, 20. EL 2010, § 109 Rn. 5; vgl. auch BVerwG, Urteil
vom 04.02.1982, DVBl 1982, 839).
Der Normenkontrollantrag ist zulässig, da die Sachentscheidungsvoraussetzungen des § 47 VwGO für
eine Normenkontrolle gegen den Bebauungsplan„Bereich zwischen Fliegerkaserne und Wohnsiedlung
L…….-Straße“ gegeben sind.
Die Antragstellerin ist insbesondere antragsbefugt gemäß § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO. Nach dieser
Bestimmung kann jede natürliche oder juristische Person, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift
oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden, sowie
jede Behörde innerhalb eines Jahres nach Bekanntmachung der Rechtsvorschrift den
Normenkontrollantrag stellen.
Ausreichend ist dabei, dass ein Antragsteller hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es
zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch den zur Prüfung gestellten Rechtssatz in einem
subjektiven Recht verletzt wird. Eine Rechtsverletzung ist dabei nicht nur dann möglich, wenn die Norm
oder ihre Anwendung unmittelbar in eine Rechtsstellung eingreift. Entscheidend ist vielmehr, ob sich die
mögliche Verletzung subjektiver Rechte der angegriffenen Norm tatsächlich und rechtlich zuordnen lässt.
Die Antragsbefugnis eines Grundstückseigentümers wegen möglicher Eigentumsverletzung ist
regelmäßig dann gegeben, wenn er sich als Eigentümer eines im Plangebiet gelegenen Grundstücks
gegen eine bauplanerische Festsetzung wendet, die unmittelbar sein Grundstück betrifft (vgl. BVerwG,
Beschluss vom 22.08.2000, NVwZ 2000, 1413 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind hier schon deshalb
nicht erfüllt, weil die betroffenen Gebäude der Antragstellerin in der Boelkestraße 5 und 7 nicht nur
außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs des mit dem vorliegenden Normenkontrollantrag
angegriffenen Bebauungsplans liegen, sondern sie diese auch nicht zu Eigentum besitzt. In der
Rechtsprechung ist insofern jedoch anerkannt, dass einen Antrag auf Entscheidung über die Gültigkeit
eines Bebauungsplanes auch ein Mieter stellen kann, sofern seine schutzwürdigen Interessen von den
Festsetzungen berührt sein können (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.10.1999, Buchholz 310 § 47 VwGO Nr
136; Urteil vom 11.11.1988, DVBl 1989, 359; vgl. zuletzt OVG NRW, Urteil vom 11.09.2008, DVP 2009,
475; s.a. SaarOVG, Urteil vom 15.05.2001, 2 N 10/99).
Soweit die Antragstellerin sich auf eine Beeinträchtigung ihrer Behindertenarbeit beruft, unterliegt dieser
Einwand nicht der Präklusion gemäß § 47 Abs. 2a S. 1 VwGO. Die Antragstellerin hat vielmehr diese
Belange bereits mit Schreiben vom 14.08.2008 (Bl. 184 ff PA) ausführlich geltend gemacht.
Die Antragsbefugnis scheitert vorliegend entgegen der Auffassung der Beklagten und der Beigeladenen
auch nicht daran, dass der Antragsteller als eingetragener Verein (e.V.) auftritt und damit mittelbar auch
die persönlichen Belange seiner geistig behinderten Bewohner geltend macht. Diese Interpretation der
Antragsbefugnis knüpft insofern offenbar an die im Verwaltungsrecht traditionell vertretene Auffassung an,
dass Bürgerinitiativen, Bürgerforen und ähnlichen Zusammenschlüssen, die etwa als interessengeleiterer
Verein im Prozess beteiligt sein wollen, die Antragsbefugnis gemäß 47 Abs. 2 S. 1 VwGO abzusprechen
ist (vgl. schon ausführlich v. Mutius, VerwArch 64, 311 u.a. unter Bezugnahme auf VGH BW, Urteil vom
23.02.1972, NJW 1972, 1101). Diese Einschränkung der Klagebefugnis entspricht dem
verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenklichen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15.06.1994, 1 BvR
1194/93) auch in § 42 Abs. 2 VwGO normierten Ausschluss von Popularklage und damit mittelbar dem
Ausschluss der gewillkürten Prozessstandschaft im Verwaltungsprozess (vgl. Eyermann, VwGO, 13.
Auflage 2010, § 42 Rn. 76). Dementsprechend hat der Gesetzgeber in bestimmten Teilbereichen
spezialgesetzlich die Erweiterung der Klagebefugnis auf näher bezeichnete qualifizierte Vereinigungen
normiert (vgl. § 64 BNatSchG; § 2 UmwRG), die hier nicht inmitten stehen.
Vorliegend geht es indessen gerade nicht um die Zurückweisung einer Popularklage, (vgl. hierzu etwa
BVerwG, Beschluss vom 18.05.1982, Buchholz 310 § 43 VwGO Nr 69; Urteil vom 22.05.1980, BVerwGE
60, 144; OVG RP, Urteil vom 18.11.1980, AS RP-SL 16, 328; OVG Bln-Bbg, Urteil vom 02.06.2006,
NuR 2006, 664) sondern um die eigenen Rechte der Antragstellerin als Einrichtung der
Behindertenfürsorge, die eine sachgerechte Ausübung ihrer Tätigkeit durch eine – in dem kleinen
Dorfgebiet nahezu zwangsläufig – „angrenzende“ und möglicherweise auch konfligierende Nutzung.
Maßgeblich ist damit letztendlich, dass die Antragstellerin als anerkannte Einrichtung der
Behindertenarbeit substantiell die – zumindest theoretisch – mögliche Beeinträchtigung ihrer Arbeit durch
Übergriffe auf Bewohner dargelegt hat. Solche Übergriffe – gesetzt den Fall sie seien in der genannten
Form zu erwarten – würden ohne weiteres auch die Arbeit der Antragstellerin beeinträchtigen, etwa durch
organisatorische und personelle Maßnahmen sowie die daraus resultierenden Kosten.
Es handelt sich damit entgegen den Andeutungen der übrigen Beteiligten auch nicht um den
unzulässigen Fall einer gewillkürten Prozessstandschaft, da die Antragstellerin mit der Normenkontrolle
eigene Rechte geltend macht. Eine derartige Prozessstandschaft, bei der die Verfügungsbefugnis über
das materielles Recht und die Aktivlegitimation, auseinanderfallen (vgl. BayVGH, Urteil vom 13.05.2008,
12 B 06.3207; Zöller ZPO, 28. Aufl. 2010, Rn. 18ff vor § 50) läge allenfalls dann vor, wenn die
Antragstellerin allein die Unversehrtheit, Selbstbestimmung und allgemeine Handlungsfreiheit der
Bewohner ihrer Einrichtung geltend machen würde. Die Antragstellerin wäre insofern mangels
gesetzlicher Grundlage nicht allgemein befugt isoliert Rechte einzelner Bewohner geltend zu machen,
sofern nicht ein konkreter Bezug zu Ihrer Tätigkeit als Fürsorgeeinrichtung nachzuweisen wäre. Ein
solcher Bezug ist indessen zur Überzeugung des Senats nach Maßgabe der nachfolgenden
Ausführungen anzunehmen, so dass kein Anlass bestand auf die Frage einer etwaigen
Vereinsmitgliedschaft der Heimbewohner näher einzugehen.
Eine die Antragsbefugnis begründende „mögliche“ Rechtsverletzung folgt vor dem geschilderten
Hintergrund insbesondere daraus, dass die Antragstellerin eine fehlerhafte Behandlung ihrer Belange in
der Abwägung und damit eine Verletzung des drittschützenden Abwägungsgebots (§ 1 Abs. 7 BauGB)
geltend machen kann und die dazu vorgetragenen Tatsachen (z. B. Übergriffe in der Vergangenheit,
Schwierigkeiten in der Behindertenwerkstatt) eine abwägungserhebliche Beeinträchtigung von Belangen
auch als möglich erscheinen lassen (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.09.1998, BVerwGE 107, 215). Ein die
Befugnis zur Einleitung eines Normenkontrollverfahrens gegen einen Bebauungsplan begründender
Nachteil im Sinne des § 47 Abs 2 S 1 VwGO ist gegeben, wenn der Antragsteller durch den
Bebauungsplan oder durch dessen Anwendung negativ, d.h. verletzend, in einem Interesse betroffen
wurde bzw. in absehbarer Zeit betroffen werden kann, das bei der Entscheidung über den Erlass oder den
Inhalt dieses Bebauungsplans als privates Interesse des Antragstellers in der Abwägung berücksichtigt
werden musste. Das setzt voraus, dass sich der Antragsteller auf einen abwägungserheblichen Belang
berufen kann (BVerwG Urteile vom 10.03.1998, NVwZ 1998, 732/733 und vom 24.09.1998, BVerwGE 107,
215/219 ff.). Nicht jeder private Belang ist in der Abwägung zu berücksichtigen, sondern nur solche, die in
der konkreten Planungssituation einen städtebaulich relevanten Bezug haben.
Diese Voraussetzungen sind zur Überzeugung des Senats vorliegend gegeben, da es gerade nicht
ausschließlich um die Prognose von Auswirkungen künftigen Fehlverhaltens von Personen der neuen
Einrichtung für psychisch Kranke geht, sondern planungsrechtlich die Grundlage für eine konfliktträchtige
Nutzung gelegt worden sein könnte. Diesen Umständen ist die städtebauliche Relevanz nicht
abzusprechen, da oftmals Beeinträchtigungen erst mittelbar durch bestimmte Verhaltensweisen und
spezifische Nutzungen hervorgerufen werden, wie dies auch bei bestimmten Gemeinschaftseinrichtungen
(vgl. HessVGH, Urteil vom 27.08.1992, BRS 54 Nr 11) oftmals anzunehmen ist. Zudem sieht etwa § 9 Abs.
1 Nr. 8 BauGB die Möglichkeit der Festsetzungen für Personengruppen mit besonderem Wohnbedarf
ausdrücklich vor und hebt damit die städtebauliche Bedeutung dieser Problemlage hervor. Vor diesem
Hintergrund kommt dem im Gebiet WA 2 geplanten Wohn- und Therapiezentrum nicht nur als Einrichtung
und bauliche Anlage, sondern auch hinsichtlich des geplanten Betriebskonzepts städtebauliche Relevanz
zu, selbst wenn dies unmittelbar „nur“ ausdrücklicher Gegenstand der Planaufstellung und nicht auch der
textlichen Festsetzungen ist. Denn Grundlage der Antragsbefugnis ist zunächst die durch die
Bebauungsplanung ermöglichte Nutzung; die städtebauliche Rechtfertigung des Vorhabens und die
zutreffende Abwägung einschließlich der Zumutbarkeit für Anlieger ist indessen eine Frage der
Begründetheit. Auch das Argument der Antragsgegnerin, es handele sich lediglich um eine
„Angebotsplanung“ eines allgemeinen Wohngebiets kann die Antragsbefugnis der Antragstellerin letztlich
nicht in Frage stellen. Denn die Festsetzungen hinsichtlich des Gebietes WA2 richten sich entsprechend
den unmissverständlich geäußerten Planungsabsichten auch eindeutig nach den Bedürfnissen einer
Gemeinschaftseinrichtung der Beigeladenen, so dass von einer (neutralen) Angebotsplanung nicht
gesprochen werden kann; vielmehr zeichnet die Bauleitplanung das geplante Projekt hinreichend konkret
vor, so dass die Antragstellerin nicht auf den Rechtsschutz gegen die Baugenehmigung allein zu
verweisen ist.
Die von der Antragstellerin genannten und bereits zitierten Umstände reichen nach alledem aus, um eine
Abwägungserheblichkeit (§ 1 Abs. 7 BauGB) zu ihren Gunsten und damit ihre Antragsbefugnis begründen
zu können.
Die Kostenentscheidung bleibt bei Urteilen nach § 109 VwGO der Endentscheidung vorbehalten.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da Gründe der In § 132 Abs. 2 VwGO genannten Art nicht vorliegen.
RMB
gez. Zimmer
gez. Schneider
gez. Dr. Berthold