Urteil des OVG Rheinland-Pfalz vom 15.03.2011

OVG Koblenz: satzung, gemeinderat, durchgangsverkehr, eigentümer, verzicht, entstehung, verwaltung, anbau, einheit, begründungspflicht

OVG
Koblenz
15.03.2011
6 C 11187/10.OVG
Ausbaubeitragsrecht
Oberverwaltungsgericht
Rheinland-Pfalz
Urteil
Im Namen des Volkes
In dem Normenkontrollverfahren
- Antragsteller -
Prozessbevollmächtigte: Kunz Rechtsanwälte, Mainzer Straße 108, 56068 Koblenz,
gegen
die Ortsgemeinde Weitersburg, vertreten durch den Bürgermeister der Verbandsgemeinde Vallendar,
Rathausplatz 13, 56179 Vallendar,
- Antragsgegnerin -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Martini Mogg Vogt, Ferdinand-Sauerbruch-Straße 26,
56073 Koblenz,
wegen Ausbaubeitragssatzung (Normenkontrolle)
hat der 6. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der mündlichen
Verhandlung vom 15. März 2011, an der teilgenommen haben
Vorsitzender Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Mildner
Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Beuscher
Richter am Oberverwaltungsgericht Kröger
für Recht erkannt:
Der Normenkontrollantrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Mit seinem Normenkontrollantrag wendet sich der Antragsteller gegen die Satzung der Antragsgegnerin
zur Erhebung von wiederkehrenden Beiträgen für den Ausbau von Verkehrsanlagen
Ausbaubeitragssatzung wiederkehrende Beiträge ‑ vom 29. Oktober 2009 (im Folgenden: Satzung). Er
ist Eigentümer eines im Geltungsbereich dieser Satzung gelegenen Grundstücks. Die Satzung wurde von
der Antragsgegnerin auf der Grundlage des § 10a des Kommunalabgabengesetzes vom 20. Juni 1995
i.d.F. der Änderung vom 12. Dezember 2006 ‑ KAG ‑ erlassen. Dabei wurden sämtliche zum Anbau
bestimmten Verkehrsanlagen des gesamten Gemeindegebiets als einheitliche öffentliche Einrichtung
konstituiert, der Gemeindeanteil auf 35 % festgelegt und auf eine sog. Verschonungsregelung im Sinne
des § 10a Abs. 5 KAG verzichtet.
Mit seinem am 28. Oktober 2010 eingegangenen Normenkontrollantrag begehrt der Antragsteller, die
Satzung für nichtig zu erklären. Zur Begründung macht er im Wesentlichen geltend: Die Festsetzung eines
Gemeindeanteils von 35 v.H. sei weder begründet noch methodisch fehlerfrei ermittelt worden. Der
Durchgangsverkehr der Straßen mit Verbindungsfunktion überwiege zum Teil den Anliegerverkehr und
sei im Übrigen als erheblich einzuschätzen. Außerdem sei die Satzung zu beanstanden, weil eine
Verschonungsregelung im Sinne des § 10a Abs. 5 KAG nicht aufgenommen worden sei. Da die
Beschlussvorlage vom 31. Juli 2009 zur Neufassung der Satzung keinen Hinweis auf die Möglichkeit
einer Verschonungsregelung enthalte, müsse davon ausgegangen werden, dass der Gemeinderat der
Antragsgegnerin sein diesbezügliches Ermessen nicht erkannt habe. Dafür spreche auch der Hinweis in
der Beschlussvorlage, die Satzungsneuregelung entspreche der Mustersatzung. Denn das
Satzungsmuster des Gemeinde- und Städtebundes enthalte eine Verschonungsregelung im Sinne des
§ 10a Abs. 5 KAG. Dieser Ermessensausfall sei durch den nachträglichen Beschluss des Gemeinderates
vom 16. Juni 2010 nicht geheilt worden, mit welchem die Aufnahme einer Verschonungsregelung in die
Satzung ausdrücklich abgelehnt wurde. Ungeachtet dessen seien die in diesem Beschlussvorschlag ent-
haltenen Erwägungen gegen die Aufnahme einer Verschonungsregelung nicht haltbar. Weder gebiete
der Grundsatz der Solidarität noch der Gleichheitsgrundsatz den Verzicht auf eine Satzungsregelung, wie
sie in § 10a Abs. 5 KAG ermöglicht werde. Die Situation sei auch nicht mit derjenigen vor der Entstehung
der Neubaugebiete in der Gemeinde zu vergleichen. Seinerzeit habe keine Veranlassung bestanden,
eine solche Verschonungsregelung satzungsrechtlich zu normieren. Nunmehr auf eine solche Regelung
zu verzichten, bedeute jedoch, die Grundstückseigentümer im Neubaugebiet, die erst kürzlich zu
Erschießungsbeiträgen in erheblicher Höhe herangezogen worden seien, ohne eine Übergangsfrist auch
zu wiederkehrenden Beiträgen für den Ausbau der übrigen gemeindlichen Verkehrsanlagen zu
veranlagen. Diese Doppelbelastung sei wesentlich gravierender als die Mehrbelastung, die für
Eigentümer in den älteren Baugebieten entstünde, wenn die Grundstückseigentümer in den
Neubaugebieten zu Lasten der übrigen Grundstückseigentümer in der Gemeinde vom wiederkehrenden
Beitrag verschont würden. Außerdem habe der Gesetzgeber die Verschonung solcher erst kürzlich zu
Erschließungsbeiträgen herangezogener Grundstückseigentümer für angemessen gehalten, wie sich der
Bestimmung des § 10a Abs. 5 KAG entnehmen lasse.
Der Antragsteller beantragt,
§ 5 der Satzung zur Erhebung von wiederkehrenden Beiträgen für den Ausbau von Verkehrsanlagen -
Ausbaubeitragssatzung wiederkehrende Beiträge - der Antragsgegnerin vom 29. Oktober 2009 für
unwirksam zu erklären
sowie festzustellen, dass es rechtswidrig war, in der Ausbaubeitragssatzung wiederkehrende Beiträge
keine Verschonungsregelung vorzusehen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Normenkontrollantrag abzulehnen.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der zur Gerichtsakte gereichten
Schriftsätze der Beteiligten sowie die vorgelegten Normsetzungsvorgänge Bezug genommen, die
Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe
Der Normenkontrollantrag ist zulässig (I.), aber unbegründet (II.).
I.
gestellte Normenkontrollantrag ist auch im Übrigen zulässig.
Insbesondere macht der Antragsteller im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO geltend, durch die Satzung
oder ihre Anwendung in seinen Rechten verletzt zu sein bzw. in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Als
Eigentümer eines Grundstücks in der Straße "A…" unterliegt er der Beitragspflicht des § 4 der Satzung,
weil diese Straße Teil der einheitlichen öffentlichen Einrichtung sämtlicher zum Anbau bestimmter
Verkehrsanlagen ist.
Soweit der Antragsteller die Festsetzung des Gemeindeanteils in § 5 der Satzung beanstandet, ist sein
Antrag gemäß § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO statthaft. Danach erklärt das Oberverwaltungsgericht eine
Rechtsvorschrift für unwirksam, wenn es zu der Überzeugung kommt, dass sie ungültig ist. Obwohl der
Wortlaut dieser Bestimmung auf erlassene, nicht aber auf unterlassene Rechtvorschriften abstellt, wird
auch ein Antrag auf Normergänzung für zulässig gehalten. Der Senat schließt sich der Rechtsprechung
des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, 7 N 1.79, BVerwGE 64, 77, juris) an, wonach beim Unterlassen
einer Regelung in einer Rechtsverordnung die Normenkontrolle mit dem Ziel der Feststellung der
Rechtswidrigkeit des Unterlassens zulässig ist. Angesichts dessen ist auch der auf eine
Verschonungsregelung bezogene Feststellungsantrag statthaft.
II.
gegen die Festlegung des Gemeindeanteils auf 35 v.H. in § 5 der Satzung (1.) noch gegen das
Unterlassen einer Verschonungsregelung im Sinne des § 10a Abs. 5 KAG (2.).
1.
Gemäß § 10a Abs. 1 Satz 1 KAG können die Gemeinden durch Satzung bestimmen, dass anstelle der
Erhebung einmaliger Beiträge die jährlichen Investitionsaufwendungen für Verkehrsanlagen nach Abzug
des Gemeindeanteils (Abs. 3) als wiederkehrender Beitrag auf die beitragspflichtigen Grundstücke verteilt
werden. § 10a Abs. 3 Satz 1 KAG normiert, dass bei der Ermittlung des wiederkehrenden Beitrags ein dem
Vorteil der Allgemeinheit entsprechender Anteil (Gemeindeanteil) außer Ansatz bleibt. Der
Gemeindeanteil, der in der Satzung festzulegen ist (§ 10a Abs. 3 Satz 2 KAG), muss dem
Verkehrsaufkommen entsprechen, das nicht den Beitragsschuldnern zuzurechnen ist und beträgt
mindestens 20 v.H. (§ 10a Abs. 3 Satz 3 KAG).
a)
nicht begründet worden, macht er keinen Verstoß gegen höherrangiges Recht geltend. Denn die
Entscheidung des Gemeinderats über den Gemeindeanteil bedarf keiner schriftlichen Begründung. § 24
Abs. 2 der Gemeindeordnung ‑ GemO ‑ schreibt für eine gemeindliche Satzung (lediglich) einen
Beschluss des Gemeinderats in öffentlicher Sitzung vor. Eine Begründungspflicht für die Festlegung des
Gemeindeanteils ergibt sich auch weder aus dem § 10a Abs. 3 KAG noch aus anderen Vorschriften. Dass
im Ausbaubeitragsrecht eine Pflicht zur schriftlichen Begründung einer Satzungsregelung nur besteht,
wenn sie gesetzlich angeordnet ist, kann der Bestimmung des § 10a Abs. 1 Satz 4 KAG entnommen
werden. Danach bedarf die Entscheidung über die eine Einheit bildenden Verkehrsanlagen einer
weitergehenden Begründung nur, wenn statt sämtlicher Verkehrsanlagen des gesamten Gebiets der
Gemeinde lediglich Verkehrsanlagen einzelner, voneinander abgrenzbarer Gebietsteile als einheitliche
öffentliche Einrichtung bestimmt werden. Diese Begründung ist nach § 10a Abs. 1 Satz 5 KAG der Satzung
beizufügen. Eine vergleichbare Begründungspflicht für die Festlegung des Gemeindeanteils ist vom
Gesetzgeber nicht getroffen worden (vgl. LT-Drs. 15/318, S. 8).
b)
35 v.H. (§ 5 der Satzung) methodisch fehlerhaft ermittelt wurde. Die in der bisherigen Rechtsprechung des
Senats (OVG RP, 6 A 12701/98.OVG, ESOVGRP) für unbedenklich gehaltene Methode, den
Gemeindeanteil auf der Grundlage der Längen der einzelnen Verkehrsanlagen und des dort gegebenen
Verhältnisses zwischen Anlieger- und Durchgangsverkehr zu ermitteln, ist keine zwingende
Voraussetzung für die rechtmäßige Festlegung des Gemeindeanteils gemäß § 10a Abs. 3 KAG.
Entscheidend ist vielmehr (vgl. OVG RP, 6 A 11146/09.OVG, NVwZ‑RR 2010, 62, ESOVGRP), dass der
Satzungsgeber sämtliche in der Baulast der Gemeinde stehenden Verkehrsanlagen und ‑anlagenteile
innerhalb der öffentlichen Einrichtung im Sinne des § 10a Abs. 1 KAG in den Blick nimmt und insgesamt
das Verhältnis von Anlieger- und Durchgangsverkehr gewichtet. Dabei darf er den gesetzlich festgelegten
Mindestgemeindeanteil von 20 v.H. (§ 10a Abs. 3 Satz 3 KAG) nicht unterschreiten. Wie der Begründung
des Gesetzentwurfs (LT-Drs. 15/318, S. 9) entnommen werden kann, ist den Beitragsschuldnern der
Anliegerverkehr in der eine Einheit bildenden Einrichtung zuzurechnen, nicht aber der
Durchgangsverkehr. Diese Begründung erläutert außerdem, dass der vorgeschriebene
Mindestgemeindeanteil von 20 v.H. nur dann ausreichend ist, wenn das Verkehrsaufkommen fast
ausschließlich den Grundstücken im Abrechnungsgebiet zuzurechnen ist. Bei der satzungsrechtlichen
Festlegung des Gemeindeanteils muss der Gemeinderat demnach das Verhältnis von Anlieger- und
Durchgangsverkehr auf den in der Baulast der Gemeinde stehenden Verkehrsanlagen in der jeweiligen
öffentlichen Einrichtung insgesamt gewichten (vgl. auch OVG RP, 6 C 10464/02.OVG, AS 30, 106,
ESOVGRP). Der ihm dabei zustehende Beurteilungsspielraum schließt eine geringe Bandbreite mehrerer
vertretbarer Vorteilssätze ein, die einen Ausgleich für die insbesondere tatsächliche Unsicherheit bieten
soll, welche mit der Bewertung der Anteile des Anlieger- sowie des Durchgangsverkehrs zwangsläufig
verbunden ist (vgl. OVG RP, 6 A 11315/06.OVG, AS 34, 99, ESOVGRP). Nach der Rechtsprechung des
Senats (vgl. OVG RP, 6 A 11220/05.OVG, NVwZ‑RR 2006, 285, ESOVGRP) beträgt der Gemeindeanteil
bei erhöhtem Durchgangs-, aber noch überwiegendem Anliegerverkehr regelmäßig zwischen 35 und
45 v.H..
Da der gesamte von Anliegergrundstücken innerhalb des Gemeindegebiets ausgehende bzw. dorthin füh-
rende Verkehr als Anliegerverkehr innerhalb der einheitlichen öffentlichen Einrichtung im Sinne des § 10a
Abs. 1 KAG zu bewerten ist, hat der Senat keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Annahme des
Gemeinderats, der Anliegerverkehr auf den in der Baulast der Gemeinde stehenden Verkehrsanlagen
überwiege insgesamt den Durchgangsverkehr, fehlerhaft sein könnte. Solche Anhaltspunkte ergeben sich
auch nicht aus dem Vorbringen des Antragstellers, das Gebiet südlich der BAB 48 bestehe im
Wesentlichen aus der Hu…straße mit überwiegendem Durchgangsverkehr und die äußeren
Verkehrsanlagen des ringförmig angelegten Straßennetzes nördlich der BAB 48, insbesondere die Ha…
straße und die B… Straße, wiesen erheblichen Durchgangsverkehr auf. Denn die Hu…straße, die Ha…
straße und die B… Straße sind Ortsdurchfahrten von Kreisstraßen und damit, was die Fahrbahnen angeht,
nicht in der Baulast der Antragsgegnerin (§ 12 Abs. 2, 6 und 9 LStrG). Außerdem ist der Verkehr, der
beispielsweise über die S…straße, den G… Weg oder die F…straße zur G…straße gelangt, nicht als
Durchgangsverkehr in der S…straße, im G… Weg oder in der F…straße zu qualifizieren, sondern als
Anliegerverkehr innerhalb der einheitlichen öffentlichen Einrichtung im Sinne des § 10a Abs. 1 KAG. Dazu
gehört - wie ausgeführt - der gesamte von Anliegergrundstücken innerhalb des Gemeindegebiets
ausgehende bzw. dorthin führende Verkehr.
2.
Verstoß gegen höherrangiges Recht dar.
Nach § 10a Abs. 5 KAG können die Gemeinden durch Satzung Überleitungsregelungen für die Fälle
treffen, in denen Erschließungsbeiträge, Ausbaubeiträge oder Ausgleichsbeträge nach dem
Baugesetzbuch oder Kosten der erstmaligen Herstellung aufgrund von Verträgen zu leisten sind. Die
Überleitungsregelungen sollen gemäß § 10a Abs. 5 Satz 3 KAG vorsehen, dass die betroffenen
Grundstücke für einen Zeitraum von höchstens 20 Jahren seit der Entstehung des Beitragsanspruchs bei
der Ermittlung des wiederkehrenden Beitrags nicht berücksichtigt und auch nicht beitragspflichtig werden.
Bei der Bestimmung des Zeitraums nach § 10a Abs. 5 Satz 3 KAG sollen die übliche Nutzungsdauer der
Verkehrsanlagen und der Umfang der einmaligen Belastung berücksichtigt werden (§ 10a Abs. 5 Satz 4
KAG).
a)
Abs. 5 KAG zustehende Satzungsermessen, eine Verschonungsregelung zu treffen, nicht ausgeübt, folgt
ihm der Senat nicht. Denn angesichts der Umstände der Satzungsneuregelung kann nicht davon die
Rede sein, der Gemeinderat habe die Möglichkeit, eine Verschonungsregelung in die Satzung
aufzunehmen, verkannt. Der Rat der Antragsgegnerin hat mit der Satzung nicht etwa erstmalig eine
Ausbaubeitragssatzung zur Erhebung wiederkehrender Beiträge beschlossen, sondern die bestehende
Satzung dem neuen Recht angepasst, das durch die Einführung des § 10a KAG geschaffen wurde. In der
Beschlussvorlage vom 31. Juli 2009 wurde der Ortsgemeinderat der Antragsgegnerin über die gesetzliche
Neuregelung des § 10a KAG informiert und über die sich daraus ergebenden Folgen für die Umstellung
bestehender Satzungen über die Erhebung von wiederkehrenden Beiträgen für Verkehrsanlagen. Der
Beschlussvorschlag, der dem Gemeinderat unterbreitet wurde, diente ersichtlich allein dem Zweck, das
bestehende Satzungsrecht an die neue Rechtslage anzupassen. Nicht durch die Einführung des § 10a
KAG ausgelöste Änderungen waren danach nicht beabsichtigt. Dementsprechend kann aus dem
Umstand, dass die Möglichkeit einer Verschonungsregelung in der Sitzungsvorlage nicht erwähnt wird,
nicht auf einen "Ermessensausfall" geschlossen werden. Denn das bisherige Satzungsrecht zur Erhebung
wiederkehrender Straßenausbaubeiträge enthielt ebenfalls keine Verschonungsregelung nach den bis
dahin geltenden gesetzlichen Vorschriften. Auch die Anmerkung in der Sitzungsvorlage, die Änderungen
der Satzung entsprächen den Vorgaben des vom Gemeinde- und Städtebund erarbeiteten
Satzungsmusters, lässt nicht darauf schließen, der Gemeinderat sei sich seiner Befugnis, eine
Verschonungsregelung zu treffen, nicht bewusst gewesen. Denn der Gemeinde- und Städtebund
empfiehlt in seinem Muster für eine Satzung zur Erhebung wiederkehrender Ausbaubeiträge die
Aufnahme einer Verschonungsregelung. Da eine solche im bisherigen Satzungsrecht der Antragsgeg-
nerin aber nicht vorgesehen war, kann sich die Bemerkung, die vorgeschlagenen Satzungsänderungen
entsprächen den Vorgaben des Satzungsmusters, nur auf die Änderungen beziehen, die durch die
gesetzliche Neuregelung (Einführung des § 10a KAG) ausgelöst wurden.
Ungeachtet dessen kann ein "Ermessensausfall" im Zusammenhang mit einer Verschonungsregelung im
Sinne des § 10a Abs. 5 KAG für die Zeit ab 2010 ohnehin ausgeschlossen werden. Denn seinerzeit hat
sich der Gemeinderat der Antragsgegnerin auf Antrag einer Ratsfraktion ausdrücklich mit der Frage einer
Verschonung auseinandergesetzt und eine solche mehrheitlich abgelehnt.
b)
Beschlussvorlage vom 17. Mai 2010 gegen die Aufnahme einer Verschonungsregelung im Sinne des
§ 10a Abs. 5 KAG enthalten sind, seien mit höherrangigem Recht unvereinbar. Dabei kann offen bleiben,
in welcher Weise die Ausübung des dem Gemeinderat nach § 10a Abs. 5 KAG zukommenden
Normsetzungsspielraums in formeller Hinsicht zu überprüfen ist. Selbst wenn man annimmt, nicht nur das
Ergebnis des Normsetzungsverfahrens, also die getroffenen Satzungsregelungen als solche, sondern
auch deren Begründung, könne Gegenstand eines Normenkontrollverfahrens sein (vgl. einerseits
SächsOVG, 5 D 25/00, juris; andererseitsOVG NW, 15 A 4734/01, NVwZ-RR 2003, 376, juris), setzt dies
voraus, dass eine solche Begründung vorliegt. Das ist hier nicht der Fall, zumal eine Pflicht zur
schriftlichen Begründung des Verzichts auf eine Verschonungsregelung im Sinne des § 10a Abs. 5 KAG
gesetzlich nicht angeordnet ist. Die Überlegungen, die seitens der Verwaltung in einer Beschlussvorlage
für den Gemeinderat zusammengefasst werden, dürfen nicht ohne Weiteres als Begründung des
Gemeinderats betrachtet werden. Fasst der Gemeinderat einen Beschluss in dem Sinne, wie er ihm
seitens der Verwaltung vorgeschlagen wurde, bedeutet dies keineswegs, dass sich der Gemeinderat
damit gleichzeitig sämtliche Erwägungen zu Eigen macht, die die Verwaltung zur Begründung ihres
Beschlussvorschlags niedergelegt hat. Deshalb geben die Argumente, die in einer Beschlussvorlage
enthalten sind, in erster Linie Aufschluss über den Informationsstand des Gemeinderats, sie sind aber nur
bedingt geeignet, die Entscheidung des Gemeinderats auf Fehler bei der Wahrnehmung seines
Normsetzungsspielraums zu überprüfen.
Anders als der Antragsteller meint, widerspricht der Verzicht auf eine Verschonungsregelung nicht dem
vom Gesetzgeber mit der Regelung des § 10a Abs. 5 KAG verfolgten Zweck. Der Gesetzgeber hat die
Verschonungsregelung des § 10a Abs. 5 KAG nicht als „Soll-Vorschrift“ ausgestaltet, sondern als „Kann-
Vorschrift“ (vgl. auch OVG RP, 6 C 10255/08.OVG, AS 36, 195, ESOVGRP). Er hat die Möglichkeit einer
Verschonung nach Maßgabe der weiteren Voraussetzungen des § 10a Abs. 5 KAG gesetzlich geschaffen,
ohne eine Tendenz für eine solche Entscheidung des Gemeinderats vorzugeben (vgl. LT-Drs. 15/318, S.
9; LT-Drs. 13/4632, S. 4 zu § 10 Abs. 8 KAG a.F.). Dass die Gemeinden berechtigt, aber nicht verpflichtet
sind, eine solche Verschonung satzungsrechtlich vorzusehen, hat der Senat bereits zu der Bestimmung
des § 10 Abs. 8 KAG a.F., der Vorgängervorschrift des § 10a Abs. 5 KAG, entschieden (OVG RP, 6 C
10464/02.OVG, AS 30, 106, KStZ 2003, 35, ESOVGRP). Grundstückseigentümer, die kürzlich zu
Erschließungsbeiträgen, Ausbaubeiträgen oder Ausgleichsbeträgen nach dem Baugesetzbuch
herangezogen wurden oder Kosten der erstmaligen Herstellung aufgrund von Verträgen tragen mussten,
haben danach keinen Anspruch auf eine Verschonung. Nur wenn sich eine Gemeinde für eine solche
Verschonungsregelung entschieden hat, darf sie nach der erstmaligen Herstellung und der Widmung
einer neuen, weiteren Verkehrsanlage auf eine Verschonung auch der dort liegenden Grundstücke nur
verzichten, wenn besondere Umstände eine solche Ungleichbehandlung rechtfertigen (vgl. OVG RP, 6 A
10323/07.OVG, KStZ 2008, 33, ESOVGRP).
Das völlige Absehen von einer satzungsrechtlichen Verschonungsregelung im Sinne des § 10a Abs. 5
KAG verstößt auch nicht gegen das in § 7 Abs. 2 Satz 1 KAG normierte Vorteilsprinzip. Nach der
Rechtsprechung des Senats (OVG RP, 6 C 12887/98.OVG, AS 27, 363, ESOVGRP) stellt eine
Veranlagung zu wiederkehrenden Beiträgen nur kurze Zeit nach der Heranziehung zu einem einmaligen
Beitrag keine Verletzung des Vorteilsprinzips dar. Dies gilt erst recht für die Erhebung wiederkehrender
Beiträge von Grundstückseigentümern, die erst kürzlich zu Erschließungsbeiträgen herangezogen
wurden. Denn Erschließungsbeiträge und wiederkehrende Beiträge resultieren nicht nur aus
verschiedenen Maßnahmen an öffentlichen Verkehrsanlagen, sondern unterscheiden sich in rechtlich
erheblicher Weise auch hinsichtlich der sie jeweils rechtfertigenden Sondervorteile voneinander. So wird
der Erschließungsbeitrag für die erstmalige Herstellung einer das Grundstück des Beitragspflichtigen
unmittelbar erschließenden Verkehrsanlage geleistet. Demgegenüber wird mit dem erst nach der
erstmaligen Herstellung möglichen (vgl. OVG RP, 6 A 12155/04.OVG, AS 32, 179, ESOVGRP)
wiederkehrenden Beitrag nach § 10a Abs. 1 Satz 2 KAG der sich hiervon unterscheidende besondere
Vorteil abgegolten, der den Grundstücken durch die Anbindung an die öffentliche Einrichtung entsteht, die
von allen zum Anbau bestimmten Verkehrsanlagen gebildet wird. In diesem Vorteilsbegriff kommt zum
Ausdruck, dass zur wegemäßigen Erschließung eines bestimmten Grundstücks die Straße, an der es
gelegen ist, keineswegs ausreicht, sondern erst über andere Verkehrsanlagen der Anschluss ans übrige
Straßennetz vermittelt wird (OVG RP, 6 C 10601/07.OVG, AS 35, 209, ESOVGRP). Angesichts dessen
stellt der generelle Verzicht auf eine Verschonungsregelung im Sinne des § 10a Abs. 5 KAG auch keine
Doppelveranlagung dar.
Die Aufnahme einer solchen Verschonungsregelung in die Beitragssatzung ist auch nicht vom
Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gefordert. Weder werden die Grundstückseigentümer, die erst
kürzlich zu Erschließungsbeiträgen herangezogen wurden, ohne hinreichenden sachlichen Grund
schlechter behandelt noch die übrigen Grundstückseigentümer willkürlich begünstigt. Dabei darf man den
Blick nicht auf die Belastung der Grundstückseigentümer in einem ganz bestimmten Jahr verengen,
sondern muss die unterschiedlichen Beiträge in einer Gesamtschau betrachten. Dabei kann davon
ausgegangen werden, dass jede gemeindliche Anbaustraße irgendwann unter Kostenbeteiligung der
Anlieger erstmals hergestellt wurde und in der Folgezeit erneuert, erweitert, umgebaut oder verbessert
wird (vgl. § 9 Abs. 1 Satz 2 KAG), wofür Ausbaubeiträge erhoben werden. Auch wenn
Straßenausbaumaßnahmen in kürzlich fertiggestellten Neubaugebieten über viele Jahre nicht anfallen,
die Eigentümer dort gelegener Grundstücke aber zu wiederkehrenden Beiträgen für den Ausbau älterer
Verkehrsanlagen in der Gemeinde (mit-)herangezogen werden, können sie erwarten, dass die
Eigentümer von Grundstücken außerhalb der Neubaugebiete ihren Beitrag zum Ausbau von Straßen in
den Neubaugebieten leisten müssen, wenn diese erneuert, erweitert, umgebaut oder verbessert werden.
Darin kommt bei der anzustellenden Gesamtbetrachtung das vom Antragsteller vermisste solidarische
Prinzip zum Ausdruck. Deshalb bedeutet der Verzicht auf eine satzungsrechtliche Verschonungsregelung
nicht, dass Anlieger der einen Straße die Ausbaukosten einer anderen Straße mittragen sollen, umgekehrt
jedoch keine solche Kostenbeteiligung stattfindet.
Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass die Antragsgegnerin in den vergangenen Jahren bewusst auf
notwendige Ausbaumaßnahmen an bestehenden Gemeindestraßen verzichtet hat, um diese auf die Zeit
nach der Entstehung der Neubaugebiete zu verschieben, um die dortigen Grundstückseigentümer über
die Erhebung von wiederkehrenden Beiträgen an den Kosten zu beteiligen. Aus der im Jahre 2001
angestellten Erwägung des Gemeinderats, kurz vor der Umstellung auf wiederkehrende Beiträge auf eine
Ausbaumaßnahme zu verzichten, die über die Erhebung von Einmalbeiträgen hätte refinanziert werden
müssen, lässt sich nicht die Verpflichtung ableiten, nunmehr eine Verschonungsregelung in die
Beitragssatzung für die Fälle aufzunehmen, in denen kürzlich Erschließungsbeiträge zu leisten waren.
Der Gemeinderat der Antragsgegnerin hat auch die beitragsrechtlichen Folgen einer
Satzungsneuregelung ohne Verschonungsregelung im Sinne des § 10a Abs. 5 KAG nicht verkannt, wie
den beispielhaften Berechnungen zu entnehmen ist, die der Beschlussvorlage beigefügt waren. Dass
eine Verschonung der Grundstückseigentümer in den Neubaugebieten - wie der Antragsteller meint -
"nur" zu einer Erhöhung der wiederkehrenden Beiträge in den alten Baugebieten von ungefähr 25 v.H.
geführt hätte, musste den Rat nicht veranlassen, eine Regelung im Sinne des § 10a Abs. 5 KAG zu treffen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708
Nr. 10 ZPO.
Die Revision wird nicht zugelassen, da Gründe der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Art nicht vorliegen.
Rechtsmittelbelehrung
gez. Dr. Mildner
gez. Dr. Beuscher
gez. Kröger
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000 € festgesetzt (§ 52 Abs. 2 GKG).
gez. Dr. Mildner
gez. Dr. Beuscher
gez. Kröger