Urteil des OVG Rheinland-Pfalz vom 16.01.2003

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Asylrecht
OVG
Koblenz
16.01.2003
6 A 10217/02.OVG
Oberverwaltungsgericht
Rheinland-Pfalz
Beschluss
In dem Verwaltungsrechtsstreit
wegen Asylrechts und Abschiebungsandrohung (Afghanistan)
hier: Zulassung der Berufung
hat der 6. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der Beratung vom
17. Mai 2002, an der teilgenommen haben
Vorsitzender Richter am Oberverwaltungsgericht Hehner
Richter am Oberverwaltungsgericht Stamm
Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Beuscher
beschlossen:
Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Mainz vom
3. Januar 2002 – 1 K 800/00.MZ – wird abgelehnt.
Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Gründe
Der Antrag der Kläger, die Berufung zuzulassen, bleibt ohne Erfolg. Aus dem Zulassungsantrag ergibt sich
weder der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinne
des § 78 Abs. 3 Nr. 1 Asylverfahrensgesetz – AsylVfG – noch ein Verfahrensfehler im Sinne des § 78 Abs.
3 Nr. 3 AsylVfG.
Die erhobene Rüge, das angefochtene Urteil gebe keine Begründung dafür an, "warum die von der
Klägerin befürchteten Einschränkungen keine Verfolgung wegen asylerheblicher Maßnahmen sein
sollen", greift nicht durch, selbst wenn man dem Zusammenhang des Zulassungsantrags entnimmt, dass
die Kläger damit den Verfahrensfehler des § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. § 138 Nr. 6 VwGO geltend
machen. Ein solcher Verfahrensfehler liegt nur vor, wenn die Gründe gänzlich fehlen oder inhaltlich völlig
unzureichend sind. Dies ist der Fall bei rational nicht nachvollziehbaren, widersprüchlichen oder sachlich
inhaltslosen Entscheidungsgründen (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juni 1992, DVBl. 1993, 47). Diese
Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Die Begründung des Verwaltungsgerichts, die Klägerin zu 1)
berufe sich lediglich auf die allgemein in Afghanistan herrschenden Verhältnisse, denen sie in gleicher
Weise wie die übrige Bevölkerung unterworfen sei, ist zwar knapp gehalten, jedoch nicht völlig
unzureichend.
Der Zulassungsantrag lässt aber auch die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache
nicht deutlich werden.Zur Darlegung der Grundsatzbedeutung einer Sache muss eine tatsächliche oder
rechtliche Frage aufgeworfen werden, die entscheidungserheblich ist und über den Einzelfall hinaus im
Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts einer Klärung
bedarf (BVerwG, Urteil vom 31. Juli 1984, BVerwGE 70, 24 ff.; Beschluss vom 12. August 1993, NJW 1994,
144 f.).
Daran fehlt es der von den Klägern gestellten Frage, ob eine asylrelevante Gefährdung afghanischer
Frauen besteht, die nicht bereit sind, Beschränkungen ihrer persönlichen Freiheit hinzunehmen und den
Schleier zu tragen. Ebenso wenig ist klärungsbedürftig, ob eine nach den Vorschriften der Scharia
erfolgende Ahndung der Weigerung, einen Schleier zu tragen, eine geschlechtsspezifische Verfolgung
darstellt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 10. Juli 1989,
BVerfGE 80, 315 <333 ff.>)bilden Verfolgungsmaßnahmen, die nicht mit einer Gefahr unmittelbar für Leib
und Leben oder Beschränkungen der persönlichen Freiheit verbunden sind, nur dann einen
asylrelevanten Verfolgungstatbestand, wenn sie nach Intensität und Schwere die Menschenwürde
verletzen und über das hinaus gehen, was die Bewohner des Verfolgerstaates aufgrund des dort
herrschenden Systems allgemein hinzunehmen haben. Zwar sind Körperstrafen (Auspeitschungen), die
nach dem religiösen islamischen Recht im Falle der Weigerung einer Frau, den Schleier zu tragen,
verhängt werden können, menschenunwürdig. Ob solche in Afghanistan (auch) unter der
Interimsregierung HamidKarsais ausgesprochen und vollstreckt werden, kann jedoch offen bleiben. Denn
es ist einer Muslimin in Afghanistan zumutbar, die dort allgemein geltenden Bekleidungsvorschriften zu
beachten, und zwar unabhängig davon, ob sie früher in Afghanistan oder nach ihrer Flucht in Deutschland
von westlichen Idealen geprägt gelebt und diese verinnerlicht hat. Maßgeblich ist nämlich nicht die
subjektive Sicht der einzelnen Frau. Vielmehr muss hier ein objektiver Maßstab angelegt werden, der sich
daran orientiert, was im Heimatland der Betroffenen als das herrschende Wertesystem anzusehen ist. Bei
der asylrechtlichen Beurteilung einer fremden Rechtsordnung kann diese nicht am weltanschaulichen
Neutralitäts- und Toleranzgebot des Grundgesetzes gemessen werden, denn es ist nicht Aufgabe des
Asylrechts, die Grundrechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland in anderen Staaten durchzusetzen
(BVerwG, Urteil vom 18. Februar 1996, BVerwGE 74, 31 <37>). Da der Islam seit jeher die in Afghanistan
vorherrschende Religion ist, deren Wertesystem insbesondere in den weitreichenden ländlichen Gebieten
galt, entspricht es der hergebrachten islamischen Ordnung, dass Frauen sich "ihr Gewand ein Stück weit
über den Kopf herunterziehen", wenn sie Fremden gegenüber treten, wie es in der 33. Sure des Koran
heißt. Eine Verletzung der Menschenwürde von Frauen, die sich dieser islamischen Verpflichtung
unterwerfen müssen, ist darin nicht zu erkennen.
Für ein Abschiebungsverbot gemäß § 51 Abs. 1 AuslG gilt nichts anderes, weil dessen Voraussetzungen
und diejenigen des Asylgrundrechts deckungsgleich sind, soweit sie die Verfolgungshandlung, das
geschützte Rechtsgut und den politischen Charakter der Verfolgung betreffen (BVerwG, Urteil vom 18.
Februar 1992, EZAR 231 Nr. 3). Auch ein Schutzbedürfnis nach § 51 Abs. 1 AuslG liegt nicht vor, wenn
eine durch die Rückkehr ins Heimatland entstehende Gefahr durch eigenes zumutbares Verhalten
abgewendet werden kann (BVerwG, Urteil vom 3. November 1992, BVerwGE 91, 150 <155>). Deshalb
bedarf es einer Klärung der von den Klägern gestellten Fragen auch unter dem Gesichtspunkt von
Abschiebungshindernissen i.S.d. § 53 AuslG nicht.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b Abs. 1
AsylVfG nicht erhoben.
gez. Hehner gez. Stamm gez. Dr. Beuscher