Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 02.02.2011

OVG NRW (hundesteuer, zpo, sicherung, steuer, umstände, hund, sache, teil, heizung, haftpflichtversicherung)

Oberverwaltungsgericht NRW, 14 E 1202/10
Datum:
02.02.2011
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
14. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
14 E 1202/10
Tenor:
Der angegriffene Beschluss wird geändert:
Der Klägerin wird unter Beiordnung von Rechtsan-wältin L. aus L1.
Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Klageverfahren bewilligt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.
G r ü n d e :
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Die zulässige Beschwerde der Klägerin hat auch in der Sache Erfolg.
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Die Klägerin erfüllt die gemäß § 166 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m.
§ 114 der Zivilprozessordnung (ZPO) erforderlichen Voraussetzungen für die
Gewährung von Prozesskostenhilfe.
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Zunächst ist sie als Bezieherin von Leistungen nach dem Zweiten Buch des
Sozialgesetzbuchs (SGB II) nicht in der Lage, die Kosten der Prozessführung
aufzubringen. Den erforderlichen Nachweis vgl. § 117 Abs. 2 Satz 1 ZPO hat sie durch
die Vorlage der entsprechenden Bescheide, zuletzt vom 10. September 2010, erbracht.
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Darüber hinaus lässt sich der Klage auf Neubescheidung des Antrags auf Erlass der
Hundesteuer für das Jahr 2008 unter Aufhebung des ablehnenden Bescheides vom 16.
Februar 2009 die hinreichende Aussicht auf Erfolg nicht absprechen. Erhebliche
Gesichtspunkte sprechen nämlich dafür, dass dieser Ablehnungsbescheid an
Ermessensfehlern leidet.
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Gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a des Kommunalabgabengesetzes für das Land
Nordrhein-Westfalen (KAG) i.V.m. § 227 der Abgabenordnung (AO) können Ansprüche
aus dem Steuerverhältnis ganz oder zum Teil erlassen werden, wenn deren Einziehung
nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Die Erhebung einer Steuer ist aus
persönlichen Gründen unbillig, wenn der Steuerpflichtige erlasswürdig und
erlassbedürftig ist, wobei Letzteres vorliegt, wenn die Erhebung der Steuer die
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Fortführung der persönlichen wirtschaftlichen Existenz gefährden, das heißt
wirtschaftlich existenzgefährdend oder existenzvernichtend wirken würde. Gefährdet ist
die wirtschaftliche Existenz, wenn ohne Billigkeitsmaßnahmen der notwendige
Lebensunterhalt vorübergehend oder dauernd nicht mehr bestritten werden kann.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 23. August 1990 - 8 C 42.88 , NJW 1991, 1073
(1075); BFH, Urteil vom 27. September 2001 X R 134/98 -, BFHE 196, 400
(406), jeweils m. w. N.
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Die Erlasswürdigkeit kann u.a. fehlen, wenn der Steuerpflichtige sich selbst in
vorwerfbarer Weise in eine Lage gebracht hat, aus der ihm auf Kosten des
Steuergläubigers herauszuhelfen er billigerweise nicht erwarten kann.
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Vgl. Rüsken, in: Klein, AO, 10. Aufl., § 163 Rn. 100, m.w.N.
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Das ist namentlich der Fall, wenn der Steuerpflichtige die mangelnde Leistungsfähigkeit
schuldhaft selbst herbeigeführt oder durch sein Verhalten in eindeutiger Weise gegen
die Interessen der Allgemeinheit verstoßen hat.
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Vgl. Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 20. Aufl., § 21 Rn. 340.
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Nach diesen Maßstäben vermögen die im Ablehnungsbescheid angegebenen Gründe
weder das Fehlen der Erlassbedürftigkeit noch der Erlasswürdigkeit zu tragen. Der
Umstand, dass die Klägerin aus den Leistungen nach dem SGB II einen Möbelkredit,
eine Hausrat- und Haftpflichtversicherung, eine Hundehaftpflichtversicherung und
Tierarztkosten bestreitet, schließt Erlassbedürftigkeit nicht aus. Die hier gewährten
Leistungen dienen der Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich angemessener
Kosten für Unterkunft und Heizung (§ 19 Satz 1 SGB II). Es spricht viel dafür, dass darin
Aufwendungen für Hundesteuer nicht enthalten sind und daher das Ansinnen, aus
diesen Leistungen Hundesteuer zu zahlen, den notwendigen Lebensunterhalt
gefährden würde.
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Die Verwendung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ist grundsätzlich
Sache des Empfängers. Allenfalls ließe sich im Einzelfall die Erlassbedürftigkeit trotz
Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts verneinen, wenn der
Empfänger daraus angesichts seiner finanziellen Verhältnisse unangemessene
Aufwendungen finanziert und ihm zuzumuten ist, stattdessen seine Steuerschuld zu
begleichen. Warum die Anschaffung von Möbeln, der Abschluss der genannten
Versicherungen oder Aufwendungen für einen Tierarzt diese Voraussetzungen erfüllen
sollen, erschließt sich dem Senat ohne weitere tatsächliche Umstände nicht. Es dürfte
sich zum überwiegenden Teil um Kosten des Lebensunterhalts handeln. Wenn sich die
Klägerin darüberhinaus Tierarztkosten zu Lasten des sonstigen Lebensunterhalts
abspart, kann daraus ebenfalls nicht auf fehlende Bedürftigkeit geschlossen werden.
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Die Beklagte wird unter dem Gesichtspunkt der Erlasswürdigkeit zu prüfen haben, ob
von der Klägerin - wie es grundsätzlich der Fall ist - erwartet werden muss, die
Hundehaltung aufzugeben, wenn sie die anfallende Hundesteuer nicht tragen kann.
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Vgl. OVG NRW, Urteil vom 8. Juni 2010 - 14 A 3020/08 -, NRWE Rn. 31 ff.
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Dabei hat die Beklagte die "Lage des einzelnen Falls" (§ 227 AO) unter
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Berücksichtigung der amtsbekannten Umstände und der geltend gemachten
Erlassgründe zu würdigen, hier namentlich, ob der Hund bereits zu einem Zeitpunkt vor
der Erlassbedürftigkeit angeschafft wurde, ob der Hund ohne Verursachung weiteren
Aufwands abgegeben werden kann und ob sonstige Härten des Einzelfalls die
Abschaffung des Hundes als unzumutbar erscheinen lassen.
Vgl. zum Billigkeitserlass der Hundesteuer OVG NRW, Urteil vom 8. Juni
2010 - 14 A 3020/08 -, NRWE Rn. 49 f.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 166 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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