Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 11.09.2006

OVG NRW: gegen die guten sitten, treu und glauben, härte, ausreise, aussiedlung, klagebefugnis, einreise, registrierung, wiederaufnahme, rechtsunkenntnis

Oberverwaltungsgericht NRW, 12 A 352/05
Datum:
11.09.2006
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
12 A 352/05
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Minden, 3 K 665/03 (7 K 2044/01 VG Köln)
Tenor:
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens. Die
außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000 EUR
festgesetzt.
G r ü n d e :
1
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet.
2
Das Zulassungsvorbringen führt nicht zu ernstlichen Zweifeln im Sinne von § 124 Abs. 2
Nr. 1 VwGO. Nach § 27 BVFG in der hier anzuwendenden Neufassung des
Zuwanderungsgesetzes vom 30. Juli 2004, BGBl. I, 1950, können die Kläger, worauf
bereits die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 10. März 2005 hingewiesen hat, den
Einbeziehungsanspruch nicht mehr selbst im Klagewege weiterverfolgen, weil, anders
als in der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung, allein der Bezugsperson,
hier also mit Blick auf den in erster Instanz gestellten Klageantrag nur die Mutter der
Klägerin zu 1., der Anspruch auf Einbeziehung zusteht und daher die Klagebefugnis der
Kläger entfallen ist.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 28. März 2006
4
- 2 A 4276/03 -, m. w. N.
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Für einen etwa im Wege der Klageänderung durchzuführenden Parteiwechsel ist
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- trotz des Hinweises der Beklagten - nichts vorgetragen worden.
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Aber auch dann, wenn die Mutter der Klägerin zu1. das Einbeziehungsbegehren in
eigener Person weiter verfolgen würde, wären ernstliche Zweifel gegenüber der
Annahme des Verwaltungsgerichts, die Voraussetzungen des § 51 VwVfG für ein
Wiederaufgreifen des bestandskräftig abgeschlossenen Aufnahmeverfahrens lägen
nicht vor, nicht gegeben.
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Dass die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 - 3 VwVfG
vorliegen, ist nicht dargelegt. Auch die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die
Beklagte habe das Wiederaufgreifen des Verfahrens unter Abwägung der
maßgeblichen Gesichtspunkte auf der Grundlage des § 51 Abs. 5 VwVfG
ermessensfehlerfrei abgelehnt, wird durch das Zulassungsvorbringen nicht in Frage
gestellt.
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Gründe, die dafür sprechen, dass die Aufrechterhaltung der bestandskräftigen
Entscheidung schlechthin unerträglich ist oder aber gegen die guten Sitten oder gegen
Treu und Glauben verstößt, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, zumal den
familiären Belangen im Rahmen des Ausländerrechts angemessen Rechnung getragen
werden kann.
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Bei der Abwägung fällt zu Lasten der Kläger entscheidend ins Gewicht, dass ein
Anspruch auf Einbeziehung beider Kläger in den der Mutter der Klägerin zu 1. erteilten
Aufnahmebescheid vom 28. Oktober 1993 nicht besteht. Nach dem nunmehr
anzuwendenden § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG n. F. setzt die Einbeziehung einen
ausdrücklichen Einbeziehungsantrag der Bezugsperson vor deren Aussiedlung voraus;
hat die Bezugsperson einen solchen Antrag vor ihrer Aussiedlung nicht gestellt, fehlt es
an einer der "sonstigen Voraussetzungen" des § 27 Abs. 2 BVFG n. F., die unabhängig
von einer ggfs. im übrigen bestehenden Härte Geltung beanspruchen. Der Umstand,
dass ein ausdrücklicher Einbeziehungsantrag nicht gestellt worden ist, kann danach
eine "verfahrensbedingte Härte" als Unterfall der "besonderen Härte" nicht begründen.
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Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 28. Juli 2005 - 5 B 134.04 -, vom 7. Juli 2005 - 5 B
133.04 - und vom 30. Juni 2005 - 5 B 127.04 -; OVG NRW, Urteil vom 26. Oktober 2005 -
2 A 2383/05 - mit Hinweis auf BVerwG, Beschluss vom 28. Juli 2005, a.a.O., Beschluss
vom 29. Juni 2006 - 2 A 3232/04 -.
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Dass die Mutter der Klägerin zu 1. vor ihrer Aussiedlung in die Bundesrepublik
Deutschland im März 1994 einen ausdrücklichen Antrag auf Einbeziehung der Kläger
gestellt hat, wird nicht dargelegt; hierfür ist auch nichts ersichtlich. Soweit die Kläger im
Februar 1996 - vertreten durch die Mutter der Klägerin zu 1. - einen, wenn auch
formlosen, so doch ausdrücklichen Antrag auf Einbeziehung in den Aufnahmebescheid
des Ehemanns der Klägerin zu 1. gestellt haben, ist dies mit Blick auf das hier
maßgebliche Klageziel ohne Belang. Die im Mai 1997 - nach der Ausreise des
Ehemanns der Klägerin zu 1. im Juni 1996 - vorgelegten Antragsunterlagen beinhalten
in Bezug auf die Klägerin zu 1. ohnehin allein einen Antrag auf Aufnahme aus eigenem
Recht und damit keinen ausdrücklichen Antrag auf Einbeziehung in den
Aufnahmebescheid ihrer Mutter. Bei Aufnahmeanträgen aus eigenem Recht hat die
Beklagte dann lediglich in ihrer Verwaltungspraxis im Hinblick auf die seit Anfang 1993
geltende Rechtslage jeweils auch geprüft, ob nicht eine Einbeziehung in einen
beantragten oder erteilten Aufnahmebescheid möglich ist.
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Vgl. hierzu: BVerwG, Urteil vom 12. April 2001
14
- 5 C 19.00 -, DVBl. 2001, 1527.
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Eine solche Verfahrensweise wie auch eine eigene Antragstellung der
Einzubeziehenden sollte gerade durch die Gesetzesneufassung, die eine ausdrückliche
Antragstellung der Bezugsperson erfordert, unterbunden werden. Dies ergibt sich
sowohl aus dem Wortlaut der Vorschrift des § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG, die einen
ausdrücklichen Antrag verlangt, als auch aus der Begründung des Gesetzesentwurfs für
die Änderung dieser Vorschrift, in der es heißt: "Die Neufassung verdeutlicht überdies,
dass ohne Antrag eine Einbeziehung nicht erfolgen und die Antragstellung der
Verwaltungspraxis nicht unterstellt werden darf."
16
Vgl. die insoweit gleichlautende Begründung des Entwurfs zu Art. 6 Nr. 5 b) des
Zuwanderungsgesetzes der Fraktionen SPD und Bündnis90/Die Grünen vom 8.
November 2001 - BT-Drucks. 14/7387,
17
S. 111, und des Entwurfs der Bundesregierung zu Art. 6 Nr. 6 b) des
Zuwanderungsgesetzes vom 7. Februar 2003, BT-Drucks. 15/420, S. 120.
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Dass die Mutter der Klägerin zu 1. und die Klägerin zu 1. selbst seinerzeit nicht gewusst
haben, dass die Einbeziehung erfolgreicher bei einem gemeinsamen Verbleib im
Aussiedlungsgebiet bis zur Entscheidung der Beklagten hätte betrieben werden
können, ist als bloße Rechtsunkenntnis bezüglich der Voraussetzungen für die Erteilung
des Einbeziehungsbescheides nicht geeignet, die Annahme einer besonderen Härte im
Sinne des § 27 BVFG zu rechtfertigten; dies galt auch schon im Rahmen des § 27 Abs.
2 BVFG a. F.
19
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 11. Mai 2006
20
- 2 A 4241/04 -, m. w. N.
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Darüber hinaus ist in der Rechtsprechung geklärt, dass schon nach bisheriger
Rechtslage ein nach der Ausreise der Bezugsperson in deren Person eingetretener
Umstand für sich allein genommen bezogen auf eine begehrte nachträgliche
Einbeziehung eine besonderer Härte im Sinne des § 27 Abs. 2 BVFG a. F. nicht zu
begründen vermochte.
22
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 11. Mai 2006,
23
- 2 A 4241/04 -.
24
Schließlich könnte auch durch eine Rückkehr der Mutter der Klägerin zu 1. in das
Herkunftsgebiet nachträglich eine Einbeziehung der Kläger nicht mehr erreicht werden.
25
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 11. Mai 2006,
26
- 2 A 4241/04 -.
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Eine grundsätzlichen Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) kommt der Rechtssache
nicht zu. Die aufgeworfene Frage,
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"Begründet nur ein auf den Formularvordrucken des Bundesverwaltungsamtes gestellter
Antrag auf Aufnahme als Spätaussiedler eine sogenannte verfahrensbedingte Härte im
Sinne von § 27 Abs. 2 BVFG, wenn die Bezugsperson noch nicht ins Bundesgebiet
eingereist und hier noch nicht registriert ist, oder liegt eine solche verfahrensbedingte
Härte auch dann vor, wenn ein formloser Antrag des Antragstellers dem
Bundesverwaltungsamt vor der Einreise und der Registrierung der Bezugsperson im
Bundesgebiet dem Bundesverwaltungsamt zugegangen ist?"
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ist hier nicht entscheidungserheblich, da, wie oben dargelegt, ein ausdrücklicher
Einbeziehungsantrag einer Bezugsperson nicht vorliegt und das Fehlen eines
derartigen Antrags selbst bei Vorliegen einer besonderen Härte der Erteilung eines
Einbeziehungsbescheides entgegensteht.
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Die erhobenen Verfahrensrügen (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) greifen nicht durch. Die
Behauptung, das Verwaltungsgericht habe in Bezug auf die Ablehnung des
Wiederaufgreifens des Verfahrens nach § 51 Abs. 5 VwVfG in dem Urteil nicht die
Gründe angegeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen seien, trifft
nicht zu. Die Urteilsgründe lassen eindeutig und nachvollziehbar die tragenden
Erwägungen erkennen. Ausweislich der Ausführungen ab Seite 10 ff. des
Urteilsabdrucks hat das Verwaltungsgericht die Voraussetzungen eines
Einbeziehungsanspruchs verneint und abschließend ausgeführt, dass unter
Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen die Klage aber auch deshalb keinen
Erfolg haben könne, "weil das Bundesverwaltungsamt unter Abwägung der
maßgeblichen Gesichtspunkte die Wiederaufnahme des Aufnahmeverfahrens auf der
Grundlage des § 51 Abs. 5 VwVfG i. V. m. den §§ 48 Abs. 1 Satz 1 und 49 Abs. 1 VwVfG
ermessensfehlerfrei abgelehnt" habe. Daraus wird ersichtlich, dass das
Verwaltungsgericht die Berufung der Beklagten auf die eingetretene Bestandskraft - wie
die Beklagte auch - im wesentlichen deshalb für gerechtfertigt erachtet hat, weil ein
Einbeziehungsanspurch (schon damals) nicht bestand.
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Soweit die Kläger darüber hinaus eine Versagung rechtlichen Gehörs geltend machen,
weil sich das Verwaltungsgericht nicht ausdrücklich mit den angeführten Härtegründen
auseinander gesetzt habe, führt dies nicht zur Zulassung der Berufung, da den Klägern,
wie oben dargelegt, die Klagebefugnis fehlt und es darüber hinaus mit Blick auf den
fehlenden ausdrücklichen Einbeziehungsantrag der Bezugsperson vor ihrer Ausreise an
einer der "sonstigen Voraussetzungen" des § 27 BVFG n. F. mangelt.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Die
Streitwertfestsetzung erfolgt gemäß §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 und 2 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 66 Abs. 3 Satz 3 und 68 Abs.
1 Satz 5 GKG). Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz
4 VwGO).
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