Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 22.09.2000

OVG NRW: amnesty international, politische verfolgung, vietnam, aufenthalt im ausland, strafrechtliche verfolgung, kommunistische partei, regierung, bestrafung, wahrscheinlichkeit

Oberverwaltungsgericht NRW, 1 A 2531/98.A
Datum:
22.09.2000
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
1. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 A 2531/98.A
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 17a K 601/94.A
Tenor:
Die Berufung wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des
Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Gläubiger
vor der Vollstreckung in derselben Höhe Sicherheit leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Der 1968 geborene Kläger ist vietnamesischer Staatsangehöriger. In der Zeit vom 13.
Juni 1987 bis zum 29. September 1990 hielt er sich als Vertragsarbeitnehmer in der
damaligen Deutschen Demokratischen Republik auf.
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Nach seinen Angaben verließ er am 2. September 1993 Vietnam und reiste nach
Zwischenaufenthalten in Russland und in der Tschechischen Republik am 28.
November 1993 von Prag aus auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland
ein.
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Am 30. November 1993 meldete er sich als Asylsuchender. Die Niederschrift zu seinem
Asylantrag wurde am 3. Dezember 1993 aufgenommen.
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Im Rahmen der Anhörung vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge - Bundesamt - am 6. Dezember 1993 gab der Kläger im Wesentlichen an: Er
sei 1987 in die DDR geschickt worden, weil er besonders gut gearbeitet habe. Nach
seiner Rückkehr nach Vietnam im Jahre 1990 habe er für ein staatliches Unternehmen
gearbeitet. Er habe bemerkt, dass es viele Ungerechtigkeiten in Vietnam gebe. Wegen
mehrfacher Proteste für eine bessere Behandlung der Arbeiter sei er Anfang 1992 unter
dem Vorwurf entlassen worden, gegen die unternehmerische Leitung rebelliert und die
unternehmerische Struktur gestört zu haben. Danach sei er noch unzufriedener mit dem
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politischen System gewesen. Er habe sich mehrmals bemüht, eine neue Arbeitsstelle zu
finden. Da er jedoch vorher entlassen worden sei, habe er Schwierigkeiten gehabt,
einen neuen Arbeitsplatz zu bekommen. In jener Zeit habe es eine Organisation von 15
Leuten gegeben, die Demonstrationen gegen die Regierung organisierten und einen
Regierungswechsel, ein Mehrparteiensystem, Freiheit und die Verwirklichung der
Menschenrechte gefordert hätten. Von Anfang des Jahres 1993 bis etwa Mai 1993 habe
er für diese Organisation gearbeitet. Er habe jedoch nicht selbst demonstriert, sondern
nur an der Vorbereitung von Demonstrationen mitgewirkt. Bei einem dieser Treffen
seien sie von der Polizei entdeckt worden. Als sie Pamphlete und
Demonstrationsaufschriften vorbereitet hätten, habe die Polizei an der Tür geklopft. Er
habe durch den Hintereingang entkommen können. Die anderen seien von der Polizei
festgenommen worden. Bei einer Rückkehr nach Vietnam befürchte er ins Gefängnis zu
kommen, weil er an der Organisation der Demonstration teilgenommen habe. Er habe
Angst, dass die Festgenommenen etwas über ihn erzählt hätten.
Mit Bescheid vom 21. Dezember 1993, zugestellt am 25. Januar 1994, lehnte das
Bundesamt den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter ab und stellte fest, dass
die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53
AuslG nicht vorliegen. Weiterhin wurde der Kläger aufgefordert, die Bundesrepublik
Deutschland innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung, im Falle
einer Klageerhebung innerhalb eines Monats nach dem unanfechtbaren Abschluss des
Asylverfahrens, zu verlassen. Zudem wurde ihm, falls er die Ausreisefrist nicht einhalte,
die Abschiebung nach Vietnam oder in einen anderen Staat, in den er einreisen dürfe
oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei, angedroht.
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Am 2. Februar 1994 hat der Kläger Klage erhoben mit dem Antrag,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge vom 21. Dezember 1993 zu verpflichten, ihn als
Asylberechtigten anzuerkennnen sowie festzustellen, dass die Voraussetzungen des §
51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen.
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Nachdem der Kläger sich zur Begründung seiner Klage zunächst im Wesentlichen
lediglich auf sein Vorbringen gegenüber dem Bundesamt berufen hatte, hat er auf eine
entsprechende Nachfrage des Verwaltungsgerichts unter dem 10. Oktober 1996
mitgeteilt, der Name der Organisation, für die er in Vietnam tätig gewesen sei, laute
"Religiöse, Buddhistische Gruppe". Diese Gruppe wende sich gegen die
kommunistische Regierung und setze sich für Freiheit und Menschenrechte in
Hue/Vietnam ein. Die Personen, mit denen er Demonstrationen in Vietnam vorbereitet
habe, seien Dao Quangho, Thich Tri Tun (Geburtsname: Le Quang Vinh - Anführer) - in
einem späteren Schriftsatz korrigiert in Thich Chi Tuu -, Thich Hai Dang (Geburtsname:
Nguyen Dinh Hoa) - später ebenfalls korrigiert in Thich Hai Tang - und Thich Hai Thinh
(Geburtsname: Le Phu Thinh). Der zuerst Genannte habe sich am 21. Mai 1993 durch
Selbstverbrennung einer Verhaftung entzogen. Die Übrigen befänden sich nach wie vor
im Gefängnis und seien wahrscheinlich misshandelt und gefoltert worden. Sie seien am
15. November 1993 verhaftet worden.
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Auf eine Anfrage des Verwaltungsgericht hat das Auswärtige Amt unter dem 18.
Dezember 1996 mitgeteilt, über die vom Kläger genannte Organisation sowie deren
angeblich inhaftierte Mitglieder hätten keine Erkenntnisse gewonnen werden können.
Generell sei davon auszugehen, dass der Kläger nur dann mit Verfolgungsmaßnahmen
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zu rechnen habe, wenn bereits ein öffentlicher Fahndungsbeschluss gegen ihn vorliege.
Mit Schriftsatz vom 13. Februar 1997 hat der Kläger einen Ausschnitt aus der
vietnamesischen Zeitschrift "Politik - Sozial", Ausgabe vom 1. Juni 1993, vorgelegt, der
sich zu Einzelheiten eines Selbstmordes eines vermeintlichen Buddhisten in der Nähe
eines Linh-Mu-Klosters in Hue im Mai 1993 und damit im Zusammenhang stehenden
Ereignissen verhält. Nach diesem Bericht ist Thich Chi Tuu das Oberhaupt und Thich
Hai Tang ein Mönch dieses Klosters. Im Übrigen hat der Kläger sein Vorbringen weiter
vertieft und ergänzend ausgeführt, auch in der Bundesrepublik Deutschland sei er für
eine Zeitung tätig, die sich gegen Menschenrechtsverletzungen und für die Einführung
einer Demokratie in Vietnam einsetze. Die Zeitungen würden im Bundesgebiet gefertigt
und nach Vietnam zur dortigen Verbreitung übermittelt. Nach telefonischer Auskunft
eines ihm bekannten Polizisten seien die von ihm benannten Personen im November
1993 zu vier Jahren Gefängnis verurteilt worden. Auch nach ihm werde gesucht.
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Mit einem weiteren Schriftsatz vom 8. April 1997 hat der Kläger die Ablichtung eines
seine Person betreffenden Schreibens vom 4. Juni 1993 mit der Überschrift "Dringender
Haft- und Durchsuchungsbefehl" vorgelegt und dazu ausgeführt, die Ablichtung habe er
von einem Polizisten aus Vietnam erhalten, der mit seinem Schwager befreundet sei.
Weiterhin hat er einen Artikel aus der vietnamesischen Exilzeitschrift "Sinh Hoat Cong
Dong" übersandt, demzufolge am 22. November 1996 200 Polizisten und
Feuerwehrleute ins Linh-Mu-Kloster in Hue einmarschiert seien und die Priester Thich
Hai Thinh und Thich Hai Chanh verhaftet hätten; letztere seien bereits am 5. Juni 1993
wegen einer Demonstrationsteilnahme am 24. Mai 1993 verhaftet, zu einer Haftstrafe
von drei Jahren verurteilt und Mitte des Jahres 1995 wieder freigelassen worden.
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Auf Anfrage des Verwaltungsgerichts hat das Auswärtige Amt unter dem 23. Juli 1997
erklärt: Zu den angeblichen Verhaftungen der namentlich benannten Personen hätten
keine Erkenntnisse gewonnen werden können. Es sei lediglich bekannt, dass in Hue
einige Mönche wegen Störung der öffentlichen Ordnung ca. 1991/92 vorläufig
festgenommen worden seien, eine Anklage jedoch niemals erfolgt sei. Ein
Zusammenhang dieser Ereignisse mit dem Inhalt des vom Kläger vorgelegten
Zeitungsartikels könne nicht beurteilt werden. Auch wenn ein Zusammenhang bestehe,
sei es sehr unwahrscheinlich, dass der Kläger mit Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen
habe, da die Angelegenheit offensichtlich von den vietnamesischen Behörden nicht
weiter verfolgt worden sei.
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Zur Echtheit des Haft- und Durchsuchungsbefehls hat das Auswärtige Amt unter dem
28. November und 16. Dezember 1997 ausgeführt: Nach einer Mitteilung des
vietnamesischen Amtes für auswärtige Angelegenheiten in Ho-Chi-Minh-Stadt sei der
Haft- und Durchsuchungsbefehl nicht echt.
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Dazu hat der Kläger erklärt: Aus den Auskünften des Auswärtigen Amtes könne nicht
auf die Unechtheit des Haft- und Durchsuchungsbefehls geschlossen werden, da es
sich um eine an keinen bestimmten Merkmalen, Ausführungsarten etc. festgemachte
Behauptung handele und weder Nachforschungen noch deren Ergebnis substantiiert
dargelegt worden seien.
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Durch das angefochtene Urteil hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen und
zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der Kläger habe keinen Anspruch auf
Anerkennung als Asylberechtigter, da er über Tschechien und damit aus einem sicheren
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Drittstaat iSv Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 GG und § 26 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG eingereist sei.
Auch die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG lägen in der Person des Klägers nicht
vor. Er sei nicht vor drohender, individueller politischer Verfolgung aus seinem
Heimatland geflohen. Der Vortrag zu seinem Vorfluchtschicksal sei unglaubhaft. Das
bloße Stellen eines Asylantrages führe bei einer Rückkehr nicht mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit zu einer staatlichen Verfolgung. Der Kläger brauche auch eine
Bestrafung wegen Republikflucht nach Art. 89 VStGB nicht zu befürchten. Ferner sei
nicht davon auszugehen, dass ihm im Falle einer Rückkehr politische Verfolgung
aufgrund von beachtlichen politischen Nachfluchttatbeständen mit überwiegender
Wahrscheinlichkeit drohe. Der Kläger habe sich mit den angegebenen
Nachfluchtaktivitäten nicht derart als Regimegegner exponiert, dass er dadurch ins
Blickfeld der Verfolger geraten sein könnte, auch wenn diese (Exil-)Zeitschriften lesen
bzw. auswerten würden. Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG seien nicht
ersichtlich.
Nachdem das Urteil den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 7. Mai 1998
zugestellt worden war, hat das Auswärtige Amt in einer weiteren Auskunft vom 18. Mai
1998 zur Echtheit des Haft- und Durchsuchungsbefehls dargelegt: Das vietnamesische
Amt für auswärtige Angelegenheiten in Ho-Chi-Minh-Stadt habe nun mitgeteilt, der Haft-
und Durchsuchungsbefehl sei nicht echt, weil er von der falschen Abteilung ausgestellt
worden sei. Die richtige Abteilung sei "PA 24" (und nicht "PA 16"). Ferner habe der
Unterzeichner, Herr Huynh Hue, zu keinem Zeitpunkt in dieser Abteilung gearbeitet.
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Auf den fristgerecht gestellten Antrag des Klägers hat der Senat mit Beschluss vom 9.
November 1998, den Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellt am 13. November
1998, die Berufung zugelassen. Die Berufung ist mit einem am 09. Dezember 1998
eingegangenen Schriftsatz begründet worden.
18
Zur Begründung der Berufung wiederholt der Kläger sein bisheriges Vorbringen und
führt ergänzend an: Der von ihm vorgelegte Haft- und Durchsuchungsbefehl sei
authentisch und echt. Er gehöre einer Demokratiebewegung an, die sich "Religiöse,
Buddhistische Gruppe" nenne. In Deutschland habe er an Demonstrationen
teilgenommen und Artikel für eine regimekritische Zeitung verfasst. Aufgrund des
Haftbefehls, der wegen seiner Teilnahme an der Demonstration zur Religionsfreiheit am
24. Mai 1993 erlassen worden sei, werde er bei einer Rückkehr nach Vietnam sofort
verhaftet.
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Der Kläger beantragt,
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das angefochtene Urteil zu ändern und nach dem erstinstanzlichen Klageantrag zu
erkennen.
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Die übrigen Beteiligten haben keinen Antrag gestellt und sich nicht zur Sache geäußert.
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In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ist der Kläger zu seinem
Verfolgungsschicksal angehört worden. Wegen der Einzelheiten seines Vorbringens
wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.
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Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die
beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten (ein Band) Bezug genommen.
Hinsichtlich der im Übrigen verwerteten Erkenntnisse wird auf die den Beteiligten
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bekannte Erkenntnismittelliste "Vietnam" (Stand: August 2000) sowie die weiteren in
das Verfahren eingeführten Erkenntnisse verwiesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die Berufung ist zulässig. Insbesondere ist sie rechtzeitig begründet worden.
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Nach § 124 a Abs. 3 VwGO ist die Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung
des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen (Satz 1); die
Begründung muss einen bestimmten Antrag und sowie die im Einzelnen anzuführenden
Gründe der Anfechtung enthalten (Satz 4). Diesen Anforderungen ist der Kläger gerecht
geworden. Zwar ist der Sachantrag, mit dem das Berufungsverfahren durchgeführt
werden sollte, ausdrücklich erst mit Schriftsatz vom 16. Dezember 1998 und damit nach
Ablauf der Berufungsbegründungsfrist gestellt worden. Das Ziel der Berufung ergab sich
jedoch bereits aus dem - innerhalb der Berufungsfrist eingegangenen - Schriftsatz des
Klägers vom 9. Dezember 1998, dem sich unzweifelhaft entnehmen ließ, dass und in
welchem Umfang der Kläger das Urteil des Verwaltungsgericht anfechten wollte. Sein
Hinweis in diesem Schriftsatz, es solle keinesfalls ein Antrag im Berufungsverfahren
gestellt werden, ist lediglich als eine - unter Verkennung des § 79 Abs. 2 AsylVfG
erfolgte und deshalb vollkommen unerhebliche - Anregung an das Berufungsgericht zu
verstehen, das Verfahren auf der Grundlage des § 130 VwGO an das
Verwaltungsgericht zurückzuverweisen. Das Vorbringen des Klägers im Übrigen belegt
demgegenüber unzweifelhaft dessen Willen, das erstinstanzliche Begehren im vollen
Umfang in der Berufungsinstanz weiterzuverfolgen.
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Die Berufung ist jedoch unbegründet.
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Die Klage ist nach der gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylVfG maßgeblichen Sach-
und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung insgesamt
abzuweisen.
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Dem Kläger steht weder ein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter gemäß Art.
16 a Abs. 1 GG (1.) noch ein Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der
Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (2.) zu. Ebenso hat er keinen Anspruch auf die
begehrte Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG (3.). Schließlich
ist auch die Abschiebungsandrohung in dem Bescheid des Bundesamtes vom 21.
Dezember 1993 rechtlich nicht zu beanstanden (4.).
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1. Ein Anspruch des Klägers auf Anerkennung als Asylberechtigter gemäß § 16 a Abs. 1
GG scheitert bereits an dem in Art. 16 a Abs. 2 GG und § 26 a AsylVfG bestimmten
Ausschlussgrund für das Asylgrundrecht. Danach kann ein Ausländer, der aus einem
sicheren Drittstaat eingereist ist, sich nicht auf Art. 16 a Abs. 1 GG berufen. Als sichere
Drittstaaten sind nach § 26 a Abs. 2 AsylVfG u. a. alle Anrainerstaaten der
Bundesrepublik Deutschland (entweder aufgrund ihrer Mitgliedschaft in den
Europäischen Gemeinschaften oder aufgrund der Bestimmung des Gesetzgebers in
Anlage I zu § 26 a AsylVfG) anzusehen.
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Der Ausschlussgrund aus Art. 16 a Abs. 2 GG und § 26 a AsylVfG kommt hier zum
Tragen, weil der Kläger Ende November 1993 von der in Anlage I zu § 26 a AsylVfG
aufgeführten Tschechischen Republik aus in die Bundesrepublik Deutschland
eingereist ist. Dies hat auch das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt. Der Kläger
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ist dem im Berufungsverfahren nicht entgegengetreten.
2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der
gesetzlichen Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG.
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Nach § 51 Abs. 1 AuslG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in
dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit,
seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner
politischen Überzeugung bedroht ist. Hinsichtlich der Verfolgungshandlung, des
geschützten Rechtsgutes und des politischen Charakters der Verfolgung besteht
Deckungsgleichheit mit den Voraussetzungen, unter denen auf der Grundlage von Art.
16 a Abs. 1 GG die Anerkennung als Asylberechtigter erfolgt.
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Verfolgt im Sinne des Art. 16 a Abs. 1 GG und § 51 Abs. 1 AuslG ist derjenige, dessen
Leib, Leben oder persönliche Freiheit in Anknüpfung an seine politische Überzeugung,
an seine religiöse Grundentscheidung oder an für ihn unverfügbare Merkmale, die sein
Anderssein prägen, (asylerhebliche Merkmale) gefährdet oder verletzt werden. Es muss
sich um gezielte staatliche oder jedenfalls dem Staat zuzurechnende
Rechtsverletzungen handeln, die den Einzelnen ihrer Intensität nach aus der
übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen und die ihn
landesweit in eine ausweglose, d. h. seinen weiteren Verbleib im Lande - unter
Zumutbarkeitsgesichtspunkten - nicht zulassende Lage bringen. Die
Verfolgungsmaßnahme kann dem Einzelnen oder einer durch ein asylerhebliches
Merkmal gekennzeichneten Gruppe - und dort allen Gruppenmitgliedern oder dem
Einzelnen wegen seiner Gruppenzugehörigkeit - gelten.
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Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502, 1000, 961/86 -, BVerfGE 80,
315 = DÖV 1990, 200 = DVBl. 1990, 102 = InfAuslR 1990, 21 = NVwZ 1990, 151, und
23. Januar 1991 - 2 BvR 902/85 und 515, 1827/89 -, BVerfGE 83, 216 = DVBl. 1991, 531
= InfAuslR 1991, 200 = NVwZ 1991, 768; Urteil des Senats vom 21. August 1997 - 1 A
3866/92.A - .
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Nach welchem Maßstab das Vorliegen einer derartigen Bedrohung zu beurteilen ist,
hängt davon ab, ob der Ausländer seinen Heimatstaat auf der Flucht vor eingetretener
oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen hat oder ob er unverfolgt in
die Bundesrepublik Deutschland gekommen ist. Im erstgenannten Fall ist Asyl zu
gewähren, wenn der Asylsuchende vor erneuter Verfolgung - den gleichen oder einen
ähnlichen Verfolgungsanlass betreffend - nicht hinreichend sicher sein kann.
Andernfalls kann ein Asylantrag nur Erfolg haben, wenn dem Asylbewerber bei seiner
Rückkehr politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.
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Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502, 1000, 961/86 -, aaO.
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In Anwendung dieser rechtlichen Maßstäbe sowie unter Würdigung des Vorbringens
des Klägers und der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisse ist für die Frage einer
dem Kläger bei einer Rückkehr in sein Heimatland drohenden politischen Verfolgung
auf den Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit abzustellen, da nicht
festgestellt werden kann, dass der Kläger sein Heimatland auf der Flucht vor politischer
Verfolgung verlassen hat.
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Aufgrund seiner prozessualen Mitwirkungspflicht hat der Asylsuchende seine Gründe für
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eine politische Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er muss unter Angabe
genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich - als
wahr unterstellt - bei verständiger Würdigung die erfolgte Verfolgung ergibt. Bei den in
die eigene Sphäre des Asylsuchenden fallenden Ereignissen, insbesondere seinen
persönlichen Erlebnissen, muss der Asylsuchende eine Schilderung geben, die
geeignet ist, den Asylanspruch lückenlos zu tragen. Bleibt der Kläger hinsichtlich dieser
eigenen Erlebnisse konkrete Angaben schuldig, so ist das Gericht nicht verpflichtet,
insofern eigene Nachforschungen durch weitere Fragen anzustellen.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 8. Mai 1984 - 9 C 141.83 -, DVBl. 1984, 1005 = InfAuslR 1984,
292 = NVwZ 1985, 36.
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Das Gericht hat sich für seine Entscheidung die volle Überzeugung von der Wahrheit
des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Schicksals zu verschaffen. Ein
sachtypischer Beweisnotstand ist im Rahmen der Überzeugungsbildung zu
berücksichtigen.
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Vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Teil B 1, Art. 16 a GG RdNr. 255 ff., mwN.
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Vorliegend ist das Vorbringen des Klägers zu seinem Vorfluchtschicksal insgesamt
unglaubhaft.
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So fehlte es schon bei den Angaben des Klägers gegenüber dem Bundesamt an einer
lebensnahen Schilderung, wie sie bei tatsächlich Erlebtem zu erwarten ist. Der dortige
Vortrag des Klägers war völlig oberflächlich und ließ die Darlegung jeglicher
Einzelheiten vermissen.
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Dies gilt zunächst für die Bezeichnung der Gruppierung, für die der Kläger in der Zeit
von Anfang 1993 bis Mai 1993 aktiv gewesen sein will. Gegenüber dem Bundesamt hat
der Kläger sich darauf beschränkt, von einer Organisation von fünfzehn Personen zu
sprechen, ohne dabei die Mitglieder oder auch nur die Organisation namentlich zu
benennen.
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Gleiches ist für die Erläuterung seiner Tätigkeiten für diese Gruppierung festzustellen.
Der Kläger hat es bei dem pauschalen Vorbringen belassen, an der Vorbereitung von
Demonstrationen beteiligt gewesen zu sein. Welcher Art seine Tätigkeiten waren und
welchen Umfang diese hatten, hat er nicht näher dargelegt.
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Auch die bei der Anhörung vor dem Bundesamt erfolgte - den Kern seines
Verfolgungsschicksals betreffende - Darstellung der Entdeckung durch die Polizei und
seiner Flucht durch den Hinterausgang ist völlig oberflächlich gewesen. So mangelte es
schon an näheren Angaben dazu, wann sich dieser Vorfall ereignet haben soll.
Insbesondere hat der Kläger weder den genauen Tag noch eine ungefähre Tageszeit
benannt. Allein sein Vortrag, bis etwa Mai 1993 für die Organisation gearbeitet zu
haben, lässt eine zeitliche Fixierung des Vorfalls zu. Auch zu dem Ereignis selbst sind
dem Vorbringen des Klägers keine näheren Einzelheiten zu entnehmen gewesen.
Vielmehr hat der Kläger sich auf die pauschale Aussage beschränkt, die Polizei habe
an der Tür geklopft und er sei durch einen Hintereingang entkommen. An der Angabe
weiterer Umstände fehlte es völlig.
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Im Übrigen ist der Vortrag des Klägers gegenüber dem Bundesamt auch in
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verschiedenen Punkten nicht nachvollziehbar gewesen. So ließ er insbesondere nicht
hervortreten, woher dem Kläger und den übrigen Mitgliedern der Gruppierung überhaupt
bekannt gewesen ist, dass es gerade die Polizei ist, die an der Tür klopft. Ebenso blieb
offen, warum es dem Kläger hat gelingen können, durch einen Hintereingang zu fliehen.
Bei einer polizeilichen Durchsuchungsaktion gegenüber einer oppositionellen
Gruppierung ist es lebensfremd, davon auszugehen, dass der Hintereingang des
Gebäudes nicht gesichert gewesen sein soll.
Schließlich hat der Kläger gegenüber dem Bundesamt auch nicht im Ansatz dargelegt,
warum er nach der offensichtlich im Mai 1993 stattgefundenen Polizeiaktion erst im
September 1993 und damit über ein Vierteljahr später ausgereist ist. Ebenso fehlt es an
jeglichen Angaben dazu, wo der Kläger sich in der Zwischenzeit aufgehalten hat und
warum er sich in dieser Zeit dem Zugriff der Sicherheitskräfte hat entziehen können.
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Diese durchgreifenden Zweifel an der Glaubhaftigkeit seines Vortrags hat der Kläger im
Rahmen des gerichtlichen Verfahrens bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat
nicht nur nicht entkräften können, sondern noch weiter verstärkt.
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So hat der Kläger auch im Verlauf des gerichtlichen Verfahrens bis zur mündlichen
Verhandlung vor dem Senat keine näheren Einzelheiten im Zusammenhang mit der den
Kern seines Verfolgungsschicksals betreffenden Polizeiaktion dargelegt. Ebenso ist
nach wie vor offen geblieben, wo der Kläger sich in der Zeit von Mai 1993 bis zu seiner
Ausreise aufgehalten hat und warum er sich dem Zugriff der Behörden hat entziehen
können. Angaben zu den Namen der Gruppierung und deren Mitglieder hat der Kläger
zwar mit Schriftsatz vom 10. Oktober 1996 gemacht. Dies geschah jedoch erst auf eine
entsprechende Nachfrage des Verwaltungsgerichts.
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Darüber hinaus weicht sein Vortrag zum Zeitpunkt der Verhaftung der anderen
Mitglieder der Gruppierung von den Angaben ab, die der Kläger gegenüber dem
Bundesamt gemacht hat. Dort hat er angegeben, die übrigen Gruppenmitglieder seien
anlässlich der Polizeiaktion festgenommen worden. Mit Schriftsatz vom 10. Oktober
1996 hat er hingegen erklärt, eine der Personen habe sich durch eine
Selbstverbrennung am 21. Mai 1993 einer Verhaftung entzogen und die übrigen seien
am 15. November 1993 inhaftiert worden. Diese Angaben stehen in einem nicht
auflösbaren Widerspruch zueinander.
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Weiterhin hat er im Berufungsverfahren schriftsätzlich vorgetragen, gegen ihn sei wegen
der Teilnahme an einer Demonstration am 24. Mai 1993 ein Haft- und
Durchsuchungsbefehl erlassen worden. Gegenüber dem Bundesamt hatte er noch auf
ausdrückliche Nachfrage erklärt, er habe nicht an Demonstrationen teilgenommen,
sondern nur an deren Vorbereitung mitgewirkt. Für diese Steigerung seines Vorbringens
hat der Kläger keine Erklärung gegeben.
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Darüber hinaus fällt auf, dass der Kläger die vermeintliche Existenz eines seine Person
betreffenden öffentlichen Fahndungsbeschlusses erstmals behauptet hat, nachdem das
Auswärtige Amt in seiner Auskunft vom 18. Dezember 1996 dargelegt hatte, der Kläger
habe nur dann mit Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen, wenn bereits ein solcher
Beschluss gegen ihn vorliege.
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Auch die im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens vorgelegten Unterlagen vermögen
keinen Beleg für die Glaubhaftigkeit des klägerischen Vortrags zu liefern.
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Dies gilt zunächst für den vom Kläger vorgelegte Artikel aus der Zeitschrift "Politik -
Sozial" vom 1. Juni 1993.
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Insofern ist schon nicht erklärlich, warum der Kläger diesen Artikel erst mit Schriftsatz
vom 13. Februar 1997 vorgelegt hat. In Anbetracht der darin geschilderten Umstände,
die für sein Asylbegehren von besonderer Bedeutung sein sollen, hätte es nahe
gelegen, diesen zeitnah in das Asylverfahren einzuführen. Dies gilt umsomehr, als der
Artikel zu einem Zeitpunkt erschienen ist, zu dem der Kläger sich noch in Vietnam
aufgehalten hat.
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Im Übrigen fehlt es an jeglichen Beleg dafür, dass das Schicksal des Klägers mit den in
dem Artikel geschilderten Umstände in einem Zusammenhang steht. Es verbleibt bei
der bloßen Behauptung des Klägers, bei den Mitgliedern der von ihm unterstützten
Gruppierung handele es sich um die in dem Artikel bezeichneten Personen. Nähere
Angaben zu den tatsächlichen Grundlagen für diese Behauptung bleibt der Kläger
schuldig.
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Der ebenfalls vorgelegte Artikel aus der Zeitschrift "Sinh Hoat Cong Dong" Nr. 96 aus
2/97 ist gleichermaßen nicht geeignet, das vom Kläger geschilderte Vorfluchtschicksal
zu belegen. Denn auch insoweit fehlt es an jeglichem auf einer tatsächlichen Grundlage
gestützten Beleg dafür, dass das Schicksal des Klägers mit den in dem Artikel
angesprochenen Ereignissen im Zusammenhang stehen könnte.
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Die schließlich auch noch eingereichte Ablichtung eines Haft- und
Durchsuchungsbefehls vermag ebenfalls den Vortrag des Klägers nicht zu stützen. Er
liefert vielmehr darüber hinaus noch einen weiteren Beleg für die Unglaubhaftigkeit des
Vortrags. Denn bei diesem Haft- und Durchsuchungsbefehls handelt es sich um eine
Fälschung, die vom Kläger offensichtlich vorgelegt worden ist, um nach der Auskunft
des Auswärtigen Amtes vom 18. Dezember 1996 und der darin enthaltenen
Feststellung, nur bei Vorliegen eines öffentlichen Fahndungsbeschlusses müsse der
Kläger mit Verfolgungsmaßnahmen rechnen, die Erfolgsaussichten seines
Asylbegehrens zu verbessern.
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Die Feststellung, dass es sich um eine Fälschung handelt, beruht auf den vom
Verwaltungsgericht eingeholten Auskünften des Auswärtigen Amtes. Diese Auskünfte
sind keinen durchgreifenden Zweifeln ausgesetzt. Dabei kann dahinstehen, ob den
Auskünften vom 28. November und 16. Dezember 1997 sowie 18. März 1998 im
Hinblick darauf, dass sie keinerlei Begründung für die Annahme einer Fälschung
enthalten, nur ein eingeschränkter Aussagewert zukommt. Denn mit der Auskunft vom
18. Mai 1998 hat das Auswärtige Amt diese Angaben nachgeholt und im Einzelnen die
Umstände dargelegt, die die Annahme einer Fälschung tragen. Danach ist der Haft- und
Durchsuchungsbefehl von der falschen Abteilung ausgestellt worden; die richtige
Abteilung sei "PA 24" (und nicht "PA 16") gewesen, und der Unterzeichner Herr Huynh
Hue habe zum Zeitpunkt der Ausstellung nicht in dieser Abteilung gearbeitet. Ein
Anlass, die Richtigkeit dieser Angaben in Zweifel zu ziehen, ist nicht ersichtlich. Dem
Vortrag des Klägers, auch die Abteilung "PA 16" sei zur Ausstellung von Haft- und
Durchsuchungsbefehlen bevollmächtigt und gerade in seinem Fall zuständig gewesen,
ist nicht weiter nachzugehen, da ihm keine Anknüpfung an eine hinreichende
Tatsachengrundlage zu entnehmen ist. Das Vorbringen stellt sich als bloße, durch
keinerlei Tatsachen belegte Behauptung dar, die als solche allein kein Anlass für
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weitere Nachforschungen sein kann. Angesichts dessen bedarf es auch nicht der vom
Kläger angeregten Vernehmung des angeblichen Ausstellers des Haft- und
Durchsuchungsbefehls. Im Übrigen ist der Aussteller insbesondere im Hinblick darauf,
dass der Kläger als ladungsfähige Anschrift "Innenministerium, Polizei von Ho Chi Minh
Stadt" angegeben hat, als unerreichbarer Auslandszeuge anzusehen.
Vgl. dazu allgemein BVerwG, Beschlüsse vom 9. Mai 1983 - 9 B 10466.81 -, Buchholz
402.25 § 1 AsylVfG Nr. 5 = DVBl. 1983, 1001 = InfAuslR 1983, 253 = NJW 1984, 574,
und vom 12. Juli 1983 - 9 B 3888.81 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 9.
63
Auf eine weitere Aufklärung kann letztlich auch deshalb verzichtet werden, weil die
Echtheit des Haft- und Durchsuchungsbefehls allenfalls eine dem Kläger drohende
Inhaftierung, aber nicht deren Grund und insbesondere nicht einen Zusammenhang
einer solchen Inhaftierung mit dem vom Kläger vorgetragenen Verfolgungsschicksal zu
belegen vermag.
64
Eine letzte Bestätigung der Unglaubhaftigkeit des Vortrags des Klägers haben dessen
Erklärungen im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geliefert.
65
So hat der Kläger dort nicht nur keine näheren Einzelheiten im Zusammenhang mit der -
bis dahin den Kernbereich seines Verfolgungsschicksals betreffenden - Entdeckung
seiner Beteiligung an einer Demonstrationsvorbereitung dargelegt, sondern von einer
Erwähnung dieses Ereignisses zunächst gänzlich Abstand genommen und erst nach
einem entsprechenden Vorhalt völlig unsubstantiiert erklärt, auch einmal durch die
Hintertür geflohen zu sein.
66
Zudem hat der Kläger seinen Vortrag weiter gesteigert. Nachdem er seine
Verfolgungsfurcht zunächst lediglich auf die Entdeckung seiner Beteiligung an einer
Demonstrationsvorbereitung gestützt hatte, hat er im Rahmen der mündlichen
Verhandlung vor dem Senat einen völlig anderen, bis dahin auch nicht im Ansatz
erwähnten Lebenssachverhalt als Grund für seine Furcht vor Verfolgung dargestellt.
Dort hat er nämlich - offensichtlich in Anknüpfung an die von ihm vorgelegten
Zeitungsberichte - erklärt, an einer Demonstration zur Freilassung eines Mönches
teilgenommen zu haben, bei der ein Wagen umgeworfen und in Brand gesetzt worden
sei. Auf den Vorhalt dieser Steigerung seines - den Kern des Verfolgungsschicksals
betreffenden - Vorbringens ist der Kläger jegliche sachliche Erklärung schuldig
geblieben.
67
Weiterhin hat er im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Senat in
Abweichung zu seinen Angaben vor dem Bundesamt nochmals ausdrücklich betont, an
einer Demonstration teilgenommen zu haben. Auf den ihm daraufhin gemachten Vorhalt
des Unterschieds seiner Aussagen auch in diesem Punkt hat der Kläger ebenfalls keine
sachliche Erklärung geben können.
68
Schließlich hat der Kläger gegenüber dem Senat erstmals dargelegt, den vermeintlich
seine Person betreffenden Haft- und Durchsuchungsbefehl kurz nach seiner Einreise
ins Bundesgebiet erhalten zu haben. Ausgehend von diesem Sachverhalt fehlt es an
einer Erklärung dafür, dass er diesen - aus seiner Sicht gewichtigen - Beleg für die von
ihm befürchtete Verfolgung nicht schon dem Bundesamt, sondern erst mehr als drei
Jahre nach Einleitung des gerichtlichen Verfahren vorgelegt hat. Zudem bleibt offen,
warum die Vorlage erst erfolgt ist, nachdem das Auswärtige Amt in seiner Auskunft vom
69
18. Dezember 1996 das Vorliegen einer Verfolgungsgefahr nur im Fall der Existenz
eines öffentlichen Fahndungsbeschlusses angenommen hat.
Zusammenfassend ist mithin festzustellen, dass das Vorbringen des Klägers zu seinem
Vorfluchtschicksal insgesamt unglaubhaft ist. Mangels näherer Substantiierung
insbesondere der aus seiner Sicht verfolgungsbegründenden Umstände stellt sich der
Vortrag des Klägers nicht als die Wiedergabe eines tatsächlich erlebten Sachverhalts
dar. Zudem weisen die den Kernbereich seiner Verfolgungsgeschichte betreffenden
Angaben unauflösliche Widersprüchlichkeiten und nicht erklärbare Steigerungen auf,
die endgültig belegen, dass das geschilderte Fluchtschicksal nicht tatsächlich erlebt,
sondern frei erfunden worden ist. Der Kläger hat offensichtlich ein tatsächliches Ereignis
aus seiner Heimatstadt zum Anlass genommen, sich eine damit im Zusammenhang
stehende Verfolgungsgeschichte auszudenken und dieser durch Hinweise auf
tatsächlich erfolgte Vorfälle und unter Vorlage eines gefälschten Dokuments den
Anschein der Wahrhaftigkeit zu geben.
70
Da mithin davon auszugehen ist, dass der Kläger sein Heimatland unverfolgt verlassen
hat, kommt der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zur Anwendung.
71
Bei der Beurteilung, ob einem Ausländer politische Verfolgung mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit droht, ist eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer
Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung
vorzunehmen. Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist dann
anzunehmen, wenn bei der vorzunehmenden "zusammenfassenden Bewertung des zur
Prüfung gestellten Lebenssachverhalts" die für eine Verfolgung sprechenden Umstände
ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden
Umständen überwiegen. Die Verfolgung muss in diesem Sinne überwiegend
wahrscheinlich sein. Entscheidend ist dabei, ob aus der Sicht eines besonnenen und
vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller
bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint.
72
Vgl. BVerwG, Urteil vom 5. November 1991 - 9 C 118.90 -, BVerwGE 89, 162 = DVBl.
1992, 828 = NVwZ 1992, 582, mwN.
73
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze besteht derzeit und auf absehbarer Zeit keine
beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach
Vietnam politische Verfolgung droht.
74
Der Kläger muss nicht wegen des illegalen Verlassens Vietnams, des Aufenthalts in der
Bundesrepublik Deutschland und der Asylantragstellung mit einer - möglicherweise - als
politische Verfolgung zu wertenden strafrechtlichen Sanktion rechnen.
75
Mit seiner illegalen Ausreise und dem Bemühen um Asyl in der Bundesrepublik
Deutschland hat der Kläger den Tatbestand des Art. 89 VStGB erfüllt. Art. 89 VStGB
lautet:
76
"Gesetzwidrige Ein- oder Ausreise oder gesetzwidriger Aufenthalt im Ausland:
77
1. Wer gesetzwidrig ein- oder ausreist oder sich illegal im Ausland aufhält, wird mit einer
Verwaltungsstrafe (Verwarnung), Umerziehung bis zu einem Jahr ohne Freiheitsentzug
oder mit einer Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu zwei Jahren bestraft.
78
2. Dieser Artikel wird nicht auf Ausländer angewandt, die in Vietnam politisches Asyl
beantragen."
79
Vgl. zum Wortlaut dieser Bestimmung: Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 15.
Januar 1997 (Stand: Dezember 1996).
80
Es besteht jedoch keine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass der vietnamesische
Staat bei einer Rückkehr des Klägers nach Vietnam von dieser Strafvorschrift Gebrauch
machen wird.
81
Schon das am 16. Oktober 1992 in Kraft getretene,
82
vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das Verwaltungsgericht Neustadt vom 6. Mai 1993,
83
"Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der
Regierung der Sozialistischen Republik Vietnam über Finanzhilfen zur
Existenzgründung und beruflichen Eingliederung von Fachkräften der Sozialistischen
Republik Vietnam" (im Folgenden: Reintegrationsabkommen) vom 9. Juni 1992 und das
Zusatzprotokoll vom selben Tag sahen einen Strafverzicht vor. Nach Art. 8 des
Reintegrationsabkommens gestattete die Regierung der Sozialistischen Republik
Vietnam den vietnamesischen Staatsangehörigen und deren Familienangehörigen, die
sich in Deutschland aufhielten, die freiwillige Rückkehr und garantierte deren Sicherheit
und Würde in Übereinstimmung mit nationalem wie Völkerrecht. In dem Zusatzprotokoll
stellte die Regierung der Sozialistischen Republik Vietnam zwar einerseits fest, dass
die vietnamesischen Staatsangehörigen, die im Zusammenhang mit der Ausreise aus
Vietnam und ihrem Aufenthalt im Ausland gegen vietnamesisches Recht verstoßen
hätten, den einschlägigen Rechtsvorschriften unterlägen. Andererseits wurde diesem -
aus dem Text des Abkommens letztlich allerdings nicht genau festlegbaren -
Personenkreis bei einer freiwilligen Rückkehr nach Vietnam jedoch ein Verzicht auf
jegliche Ahndung dieser Verstöße zugesichert.
84
Am 21. September 1995 trat ferner das am 21. Juli 1995 unterzeichnete "Abkommen
zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der
Sozialistischen Republik Vietnam über die Rücknahme von vietnamesischen
Staatsangehörigen" (im Folgenden: Rückübernahmeabkommen) - BGBl. II S. 743 - in
Kraft. Mit diesem Abkommen hat Vietnam seine völkerrechtliche Verpflichtung zur
Rückübernahme aller seiner Staatsangehörigen, die sich ohne gültigen Aufenthaltstitel
in der Bundesrepublik aufhalten, anerkannt. Davon werden nicht nur die bereits zum
Zeitpunkt des Inkrafttretens ausreisepflichtigen rund 40.000 Vietnamesen, sondern auch
zukünftig illegal einreisende bzw. ausreisepflichtig werdende Personen erfasst.
85
Vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 15. Januar 1997 (Stand: Dezember 1996);
gleich lautend: Lagebericht vom 29. August 1997 (Stand: August 1997).
86
Nachdem in der Praxis die Rückführungen erst am 15. Mai 1996 begonnen hatten, sind
seitdem annähernd 7.200 Personen auf der Grundlage des
Rückübernahmeabkommens nach Vietnam zurückgekehrt.
87
Vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 3. August 2000.
88
In dem im Zusammenhang mit dem Abschluss des Rückübernahmeabkommens
erfolgten Briefwechsel, der von beiden Vertragspartnern als Bestandteil des
Rückübernahmeabkommens angesehen wird, hat die vietnamesische Seite erklärt,
dass sie entsprechend ihrer humanen Politik auf eine Strafverfolgung von Rückkehrern
wegen ihrer unerlaubten Ausreise und ihres unerlaubten Aufenthaltes in Deutschland
verzichte.
89
Vgl. Brief des Vizeaußenministers der Sozialistischen Republik Vietnams Nguyen Dy
Nien an den Bundesminister des Innern Manfred Kanther vom 21. Juli 1995 und
Antwortbrief vom selben Tage.
90
Dieser Strafverzicht gilt schon seinem Wortlaut nach uneingeschränkt, so dass bereits
und gerade mit Blick auf die dargestellte Entwicklung der einschlägigen Sachlage
jedenfalls heute als sicher zugrundegelegt werden kann, dass Rückkehrern - wie dem
Kläger - eine Bestrafung nach Art. 89 VStGB nicht droht.
91
Nach den vorliegenden Erkenntnissen bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass
diese Strafverzichtserklärung in der Praxis keine Anwendung findet.
92
So hat das Auswärtige Amt festgestellt, die ungenehmigte Ausreise aus Vietnam und
der unerlaubte Verbleib im Ausland stehe zwar dem Papier nach immer noch unter
Strafe, die vietnamesischen Behörden wendeten jedoch bei der Rückkehr illegal
Ausgereister die entsprechenden Strafrechtsparagraphen nicht mehr an. Weder dem
Auswärtigen Amt noch dem UNHCR seien Strafverfolgungsmaßnahmen gegenüber
nicht von einer vertraglichen Regelung erfassten Rückkehrern wegen ungenehmigter
Ausreise bekannt. Die Zahl der Repatriierten und noch zu Repatriierenden sei so hoch,
dass die vietnamesische Justiz bereits aus Kapazitätsgründen auf entsprechende
Strafverfahren verzichte.
93
Vgl. Lagebericht vom 3. August 2000; so auch schon Lageberichte vom 15. Januar 1997
(Stand: Dezember 1996) und vom 29. August 1997 (Stand: August 1997); Auskünfte an
das Verwaltungsgerichts Greifswald vom 10. Mai 1996, an das Verwaltungsgericht
Koblenz vom 26. März 1996 und an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vom 22.
Januar 1996.
94
Amnesty international geht davon aus, dass die Regierung Vietnams ihre sich aus
mehreren Abkommen mit anderen Staaten und dem UNHCR ergebende Verpflichtung,
Rückkehrer nicht nach Art. 89 VStGB zu bestrafen, in den vergangenen Jahren
eingehalten habe. Zwar sei eine konsequente Überwachung nicht gewährleistet.
Gleichwohl sei davon auszugehen, dass zumindest eine systematische Verfolgung von
Rückkehrern in Vietnam nicht mehr stattfinde. Die letzten anders lautenden Meldungen
datierten aus dem Jahre 1993. Seither seien keine Berichte über die Inhaftierung von
Rückkehrern und strafrechtliche Verfolgung nach Art. 89 VStGB bekannt geworden. Es
sei daher davon auszugehen, dass eine Verfolgung wegen der einfachen Republikflucht
nach Art. 89 VStGB bei freiwilliger Rückkehr nach Vietnam in Fällen der erstmaligen
Republikflucht nicht mehr stattfinde, obwohl der Straftatbestand nach wie vor existiere.
95
Vgl. Stellungnahmen an das Verwaltungsgericht Frankfurt/Main vom 7. Januar 1997 und
an das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg- Vorpommern vom 28. Mai 1996.
96
Der Sachverständige Prof. Dr. Lulei (früher Südostasien- Institut der Humboldt-
97
Universität zu Berlin) hat dargelegt, die Haltung der vietnamesischen Regierung
gegenüber Rückkehrern, die sich ohne Erlaubnis der Behörden im Ausland aufgehalten
hätten, sei in den letzten Jahren sichtbar großzügiger geworden. Dies gelte sowohl für
die, die freiwillig zurückkehrten, als auch diejenigen, die in den gewählten Zielländern
keine Aufenthaltserlaubnis erhalten hätten und deshalb zwangsweise zurückkehren
müssten. In der Regel drohe ihnen keine Strafverfolgung. Das Problem für die
Betroffenen bestehe darin, dass der vietnamesische Staat keine grundsätzliche
Amnestie für alle Rückkehrer garantiere und die betreffenden Paragraphen des
Strafgesetzbuches in Kraft geblieben seien. Zwischen den Gesetzestexten und der
gängigen Praxis gegenüber Rückkehrern bestünden in den letzten Jahren in Vietnam
deutliche Unterschiede. Die Reformpolitik Vietnams und die Vereinbarungen mit
anderen Staaten über die Rückführung vietnamesischer Staatsangehöriger hätten dazu
geführt, dass die zuständigen vietnamesischen Behörden gegenüber Rückkehrern in
der Regel "Großzügigkeit und Milde" walten ließen. Das bedeute, dass die meisten
Rückkehrer keine Strafverfolgung zu befürchten brauchten. Allerdings gebe es keine
allgemeine Amnestie, Straffreiheit werde nur für Vergehen gegen vietnamesische
Gesetze im unmittelbaren Zusammenhang mit dem unerlaubten Aufenthalt im Ausland
(also unerlaubte Ausreise, Verbleiben im Ausland, Stellung eines Asylantrages,
Manipulation von Personaldokumenten usw.) gewährt.
Vgl. Gutachten für den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vom 31. Oktober 1996 und
für das Verwaltungsgericht Neustadt vom 2. Januar 1997.
98
Zusammenfassend sei festzustellen, dass die überwiegende Mehrheit der Vietnamesen,
die freiwillig oder auf der Basis des Rückübernahmeabkommens auch gegen ihren
Willen nach Vietnam zurückkehrten, keine strafrechtliche Verfolgung zu befürchten
hätten. Insbesondere ein unerlaubter Aufenthalt im Ausland und das Stellen eines
Asylantrags zögen keine strafrechtliche Verfolgung nach sich.
99
Vgl. Gutachten für das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes vom 24. Februar 1998
und für das Verwaltungsgericht Frankfurt/Oder vom 24. Februar 1998.
100
Der Sachverständige Dr. Will (auf eigenen Antrag beurlaubter Mitarbeiter des
Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale Studien) hat zwar darauf
hingewiesen, dass sich auch bei den Verhandlungen über das
Rückübernahmeabkommen gezeigt habe, dass die vietnamesische Seite keineswegs
darauf verzichten wolle, politische Straftaten nach den entsprechenden Artikeln des
vietnamesischen Strafgesetzbuches zu ahnden. Denn obgleich eine allgemeine
Straffreiheitsgarantie, die sich auf alle Verstöße gegen die entsprechenden Artikel des
vietnamesischen Strafgesetzbuches beziehe, ein zentrales Anliegen der deutschen
Seite hätte gewesen sein müssen, da ohne eine solche Garantie eine zügige und
verantwortbare Rückführung der vietnamesischen Staatsbürger kaum möglich sein
werde, habe die vietnamesische Seite hier sehr wenig Entgegenkommen gezeigt und
weder im Text des Abkommens, noch in dem dazugehörigen Protokoll, sondern
lediglich in dem anlässlich des Abkommens vorgenommenen Briefwechsel zugesichert,
sie verzichte entsprechend ihrer humanen Politik auf eine Strafverfolgung von
Rückkehrern wegen ihrer unerlaubten Ausreise und ihres unerlaubten Aufenthalts in
Deutschland. Das heiße, es werde eine Amnestie für Verstöße gegen Art. 89 VStGB
erteilt, aber keine Straffreiheit bei Verstößen gegen andere Artikel des vietnamesischen
Strafgesetzbuches zugesichert.
101
Vgl. Gutachten für den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vom 2. Oktober 1995.
102
Bei zusammenfassender Betrachtung dieser Erkenntnisquellen ist daher festzustellen,
dass dem Kläger nach einhelliger Auffassung bei einer Rückkehr nach Vietnam wegen
der illegalen Ausreise, des Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland und der
Asylantragstellung keine Bestrafung nach Art. 89 VStGB droht.
103
Ebenso wenig hat der Kläger deswegen eine Bestrafung nach Art. 85 VStGB zu
erwarten. Art. 85 VStGB lautet:
104
"Straftatbestand der illegalen Flucht und des illegalen Verbleibs im Ausland zwecks
Opposition gegen die Volksmacht:
105
1. Wer illegal in das Ausland flüchtet oder dort unerlaubt verbleibt, um die Volksmacht
zu bekämpfen, wird mit drei bis zwölf Jahren Haft bestraft.
106
2. Personen, die die Flucht organisieren, erzwingen oder anstiften, werden mit
Freiheitsstrafe von fünf bis fünfzehn Jahren bestraft.
107
3. In besonders schwerwiegenden Fällen wird eine Freiheitsstrafe von zwölf bis
zwanzig Jahren oder lebenslänglich verhängt."
108
Vgl. zum Wortlaut dieser Bestimmung: Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 15. Januar
1997 (Stand: Dezember 1996).
109
Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger überhaupt den Tatbestand dieser Strafnorm
erfüllt haben könnte. Ein Anhalt dafür, dass diese Vorschrift über den Wortlaut hinaus
wegen der illegalen Ausreise, des Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland und
der Asylantragstellung Anwendung finden könnte, lässt sich den vorliegenden
Erkenntnissen nicht entnehmen und ist unter Berücksichtigung der
Strafverzichtserklärung aus dem Briefwechsel zum Rückübernahmeabkommen nicht
beachtlich wahrscheinlich.
110
Eine gerade an die Tatsache der Asylantragstellung anknüpfende Bestrafung kann
ebenfalls ausgeschlossen werden. Dabei bedarf es keiner Vertiefung, inwieweit mit der
Beantragung politischen Asyls eine Distanzierung vom Heimatstaat verbunden ist, die
von den vietnamesischen Stellen als Herabwürdigung Vietnams verstanden und
deshalb unter einen die Diskreditierung des Staates erfassenden Straftatbestand
subsumiert werden könnte. Jedenfalls ist nach den vorliegenden Erkenntnissen aus
jüngerer Zeit rein tatsächlich mit einer allein an die Tatsache der Asylantragstellung
anknüpfenden Bestrafung nicht zu rechnen.
111
So hat das Auswärtige Amt ausdrücklich festgestellt, Rückkehrern drohe allein aufgrund
der Asylantragstellung keine Bestrafung.
112
Vgl. Auskunft an das Verwaltungsgericht Frankfurt/Main vom 26. März 1996.
113
Gleichermaßen geht der Sachverständige Prof. Dr. Lulei davon aus, auch für die
Stellung eines Asylantrages werde Straffreiheit gewährt, weil es sich um ein Vergehen
gegen vietnamesische Gesetze im unmittelbaren Zusammenhang mit dem unerlaubten
Aufenthalt im Ausland handele.
114
Vgl. Gutachten für den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vom 18. und 31. Oktober
1996.
115
Auch den Stellungnahmen von amnesty international und den Gutachten von Dr. Will
sowie den sonstigen Erkenntnisquellen lassen sich keine Anhaltspunkte entnehmen,
die auf eine an die Asylantragstellung anknüpfende Bestrafung hindeuten könnten.
116
Wegen des illegalen Verlassens Vietnams, des Aufenthalts in der Bundesrepublik
Deutschland und der Asylantragstellung muss der Kläger auch nicht mit unterhalb der
strafrechtlichen Ebene angesiedelten Sanktionen rechnen, die als politische Verfolgung
gewertet werden könnten. Insbesondere besteht kein Anhalt dafür, dass Rückkehrer
nach Vietnam allein wegen dieser Umstände Disziplinierungsmaßnahmen zu erwarten
hätten, wie sie mit der Regierungsverfügung Nr. 31/CP vom 14. April 1997 und der dazu
ergangenen "Verordnung über die verwaltungsrechtliche Arrestierung" ermöglicht
werden.
117
Diese Vorschriften eröffnen bei Vergehen gegen die nationale Sicherheit, die nicht
schwerwiegend genug sind, um ein Strafverfahren einzuleiten, die Möglichkeit der
Verhängung einer administrativen Haftstrafe. Die als Verwaltungsorgane anzusehenden
Präsidenten der Volkskomitees auf Provinzebene haben die Befugnis, Personen für bis
zu zwei Jahren in Verwahrung zu nehmen, wobei diese in Hausarrest oder in der
Verbannung an festgelegte Aufenthaltsorte bestehen kann. Ebenso kann dem
Betreffenden während der Bewährungszeit die Ausübung bestimmter Berufe untersagt
werden. Mit diesen Regelungen werden die verfassungsrechtlich verbürgten
Grundrechte unterminiert, da sie eine Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren ermöglichen,
weil es sich formell um keine Straftat handelt. Aufgrund dessen kann ein Inhaftierter
auch keinen rechtlichen Beistand beanspruchen. Zudem ist die Beschreibung des
Vergehens so vage gehalten, dass der Ermessensspielraum der über die Verhängung
der Strafe befindlichen Stellen groß ist.
118
Vgl. im Einzelnen: Auswärtiges Amt, Ergänzung vom 17. Februar 1998 zum Bericht über
die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Vietnam vom 4. Februar 1998;
Dokumentation der Congregation der Vereinigten Vietnamesich-Buddhistischen Kirche
(CVBK) und der Vereinigung der Buddhistischen Vietnamflüchtlinge in Deutschland
(VBVF) vom 30. April 1998.
119
Die vietnamesische Regierung behauptete in den vergangenen Jahren zwar,
administrative Strafe nicht mehr zu verhängen. Nach Berichten von "Human Rights
Watch/Asia" soll es aber in jeder vietnamesischen Provinz ein zentrales Lager geben, in
dem administrative Haftstrafen verbüßt werden. Verlässliche Erkenntnisse über die
vietnamesische Praxis in diesem Bereich sind allerdings nur schwer zu erhalten.
120
Vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 26. Februar 1999 (Stand: Februar 1999).
121
Aus den vorliegenden Erkenntnisquellen ist jedoch kein hinreichend konkreter Anhalt
dafür ersichtlich, dass die vietnamesischen Behörden von dieser Sanktionsmöglichkeit
unterhalb der strafrechtlichen Ebene gegenüber Rückkehrern in Anknüpfung an deren
illegaler Ausreise, deren illegalen Verbleibs im Ausland oder deren Asylantragstellung
Gebrauch machen. Insbesondere ist dem Auswärtigen Amt nichts darüber bekannt
geworden, dass die vietnamesischen Behörden entgegen ihrer Verpflichtungen aus
122
dem Rückübernahmeabkommen Rückkehrer wegen ihrer unerlaubten Ausreise bzw.
ihres unerlaubten Aufenthalts in Deutschland auf diese Weise bestraft.
Vgl. Auswärtiges Amt, Ergänzung vom 17. Februar 1998 zum Bericht über die asyl- und
abschiebungsrelevante Lage in Vietnam vom 4. Februar 1998.
123
Auch der Dokumentation der Congregation der Vereinigten Vietnamesich-
Buddhistischen Kirche (CVBK) und der Vereinigung der Buddhistischen
Vietnamflüchtlinge in Deutschland (VBVF) vom 30. April 1998 lässt sich kein
tatsächlicher Anhalt für die Verhängung von administrativen Haftstrafen gegenüber
Rückkehrern entnehmen. Die Dokumentation verbleibt bei der bloße Behauptung, die
Vorschriften der Regierungsverfügung Nr. 31/CP könnten auf Rückkehrer Anwendung
finden, ohne jedoch eine Grundlage dafür zu liefern, aufgrund welcher Umstände auch
von einer tatsächlichen Anwendung in der Praxis auszugehen ist.
124
Schließlich droht dem Kläger auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit, nach
seiner Ankunft in Vietnam für mehrere Tage in einer Aufnahmeeinrichtung festgehalten
zu werden.
125
Zwar ist damit zu rechnen, dass die in ihr Heimatland zurückkehrenden Vietnamesen
regelmäßig zunächst in eine am Flughafen Noi Bai/Hanoi bestehende
Aufnahmeeinrichtung gebracht und dort einer Gesundheitsuntersuchung unterzogen
und unter anderem zu ihren politischen Aktivitäten im Ausland befragt werden.
Entgegen der - durch keinerlei nähere tatsächliche Angaben belegten - Annahme von
amnesty international
126
- vgl. Stellungnahme an das Verwaltungsgericht Potsdam vom 4. Juni 1998 -
127
kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass die Rückkehrer dort in der Regel
für mehrere Tage festgehalten werden. Vielmehr wird ein Großteil der Rückkehrer nur
für kurze Zeit zur Erledigung der Einreiseformalitäten und zu einer Befragung in die
Aufnahmestelle gebracht. Lediglich Straftäter, die zurückgeführt werden, müssen ca. fünf
Tage zur Erledigung der Formalitäten in der Aufnahmestelle verbleiben.
128
Vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das Verwaltungsgericht Stuttgart vom 2. Februar
1998; Interview mit Dao Van My in der Zeitschrift "Der gute Wille", Nr. 55 aus Dezember
1997, S. 32 - 35.
129
Im Übrigen geht amnesty international selbst davon aus, dass die Rückkehrer in der
Regel nach einigen Tagen wieder frei kämen und kein Fall einer dauerhaften
Internierung eines Rückkehrers aus Deutschland bekannt sei. Aus dem Umstand, dass
amnesty international weiter die Auffassung vertritt, wegen der fehlenden Beobachtung
könne allerdings nicht mit letztendlicher Sicherheit ausgeschlossen werden, dass
zumindest einzelne Rückkehrer von den Erstaufnahmelagern in eine dauerhafte
Internierung überführt bzw. kurz nach der Entlassung aus dem Erstaufnahmelager
verhaftet würden, lässt sich nichts Erhebliches herleiten. Im vorliegenden
Zusammenhang ist allein eine beachtlich wahrscheinliche Gefährdung relevant. Von
einer solchen kann angesichts der verwendeten Formulierung "es könne nicht mit
letztendlicher Sicherheit ausgeschlossen werden" nicht ausgegangen werden.
130
Wegen der vorgetragenen exilpolitischen Betätigungen droht dem Kläger ebenfalls nicht
131
mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine politische Verfolgung.
Das vietnamesische Strafgesetzbuch eröffnet an verschiedenen Stellen die Möglichkeit,
im Ausland entwickelte oppositionelle Aktivitäten unter eine Strafbestimmung zu fassen.
Insbesondere ist dabei an die Vorschriften zu denken, die sich auf Straftaten gegen die
nationale Sicherheit beziehen. Zu nennen sind neben dem bereits dargestellten Art. 85
VStGB u. a. im Wesentlichen die Art. 73 und 82 VStGB.
132
Art. 73 VStGB lautet:
133
Wer eine Organisation, die den Umsturz der Regierung des Volkes zum Ziel hat,
gründet oder einer solchen Organisation beitritt, wird
134
1. mit 12 bis 20 Jahren Haft oder Todesstrafe bestraft, wenn er die Organisation (mit-
)begründet, die Gründung propagiert oder diese Organisation aktiv unterstützt und dabei
ernste Folgen verursacht;
135
2. mit 5 bis 15 Jahren Haft bestraft, wenn er ein sonstiger Mittäter ist.
136
Art. 82 VStGB hat folgenden Wortlaut:
137
1. Wer eine der nachstehend genannten Tatbestände der Propaganda gegen die
Volksmacht erfüllt, wird mit Freiheitsstrafe von drei bis zwölf Jahren bestraft:
138
a) Propaganda zur Verleumdung der sozialistischen Gesellschaftsordnung
139
b) Propaganda mittels psychologischer Kriegführung zur Verbreitung falscher
Nachrichten und Anzettelung von Verwirrung in der Bevölkerung
140
c) Produktion, Aufbewahrung und In-Verkehr-Bringen von inhaltlich gegen die
sozialistische Gesellschaftsordnung gerichteten Schriften und Druckerzeugnissen.
141
2. Bei besonders schwerwiegenden Straftaten wird eine Freiheitsstrafe von zehn bis
zwanzig Jahren verhängt.
142
Vgl. zum Wortlaut dieser Bestimmungen: Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 15. Januar
1997 (Stand: Dezember 1996).
143
In Würdigung der insbesondere aus neuerer Zeit vorliegenden Erkenntnisquellen ist
jedoch davon auszugehen, dass nur dann überwiegend wahrscheinlich mit einer
asylrelevanten Bestrafung wegen exilpolitischer Betätigungen nach diesen oder
anderen Bestimmungen des vietnamesischen Strafgesetzbuches zu rechnen ist, wenn
die oppositionellen Aktivitäten besonders hervorgetreten sind, ihre Wirkung im
Wesentlichen nicht auf das Ausland begrenzt geblieben ist und sie als Ausdruck ernst
zu nehmender, nicht bloß asyltaktisch motivierter Opposition von Seiten
vietnamesischer Behörden gewertet werden.
144
Diese Einschätzung ergibt sich aus Folgendem:
145
Nach den vorliegenden Auskünften, Stellungnahmen und Gutachten wird das Risiko,
bei einer Rückkehr nach Vietnam wegen exilpolitischer Betätigungen mit einer
146
Bestrafung überzogen zu werden, unterschiedlich beurteilt.
So geht das Auswärtige Amt zwar davon aus, Rückkehrern könne im Einzelfall eine
Bestrafung gemäß Art. 82 VStGB drohen. Das Risiko einer Bestrafung hängt aber nach
Ansicht des Auswärtigen Amtes vom Inhalt der jeweiligen politischen Aktivitäten und
von deren Öffentlichkeitsgrad ab. Die Auslandsaktivitäten der vietnamesischen
Exilgruppen würden von der breiten vietnamesischen Öffentlichkeit kaum
wahrgenommen. Kritik an der im Verwaltungsapparat verbreiteten Korruption werde mit
hoher Wahrscheinlichkeit nicht zur Verfolgung führen. Im Bekanntenkreis geäußerte
Ansichten, selbst wenn sie vietnamesischen Behörden bekannt würden, seien als
harmlos einzustufen. Hingegen könnten aktive Gegner des Sozialismus und des
Alleinherrschaftsanspruchs der Kommunistischen Partei aufgrund verschiedener
weitgefasster Bestimmungen in der Verfassung und dem Strafgesetzbuch inhaftiert und
bestraft werden. Insgesamt sei zu betonen, dass das vietnamesische Strafrecht auf
einem Territorialitätsprinzip aufbaue, dessen Ziel der Schutz der vietnamesischen
Gesellschaft sei. Dabei werde davon ausgegangen, dass Auslandsaktivitäten die
vietnamesische Gesellschaft nur begrenzt berührten.
147
Vgl. Lagebericht vom 3. August 2000; Auskunft an das Verwaltungsgericht Freiburg vom
6. Januar 2000; so auch schon Lageberichte vom 15. Januar 1997 (Stand: Dezember
1996) und vom 29. August 1997 (Stand: August 1997).
148
Bisher sind dem Auswärtigen Amt keine Fälle bekannt geworden, in denen Rückkehrer
aufgrund der Mitgliedschaft in einem im Ausland gegründeten Verein oder der
Teilnahme an Demonstrationen gegen den Kommunismus in Vietnam bestraft worden
sind.
149
Vgl. Auskünfte an das Verwaltungsgericht Stuttgart vom 26. Februar 1999 und an das
Verwaltungsgericht Meiningen vom 26. November 1996.
150
Auch sei in Vietnam kein Strafverfahren aufgrund des Art. 82 VStGB eröffnet worden.
Ebenso seien keine Fälle bekannt, in denen gegen Personen, die im Ausland gegen
diese Bestimmung verstoßen hätten, ein Verfahren eröffnet worden sei.
151
Vgl. Auskunft an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vom 22. Januar 1996.
152
Aufgrund dessen führe die Teilnahme an Veranstaltungen in Deutschland, die
Mitgliedschaft in im Ausland existierenden, gegen die vietnamesische Regierung
gerichteten Vereinen sowie die (bloße) Mitarbeit bei Zeitungen mit großer
Wahrscheinlichkeit nicht zu einer staatlichen Verfolgung in Vietnam.
153
Vgl. Auskunft an das Verwaltungsgericht Stuttgart vom 26. Februar 1999.
154
Darüber hinaus hat das Auswärtige Amt angenommen, die Tätigkeit als Chefredakteur
einer vietnamesischen Auslandszeitschrift mit regimekritischen Inhalten könne einen
Verstoß gegen Art. 73 und 82 VStGB darstellen.
155
Vgl. Auskunft an das Verwaltungsgericht Ansbach vom 19. Juni 1996.
156
Sofern ein vietnamesischer Staatsangehöriger aufgrund seiner Tätigkeit im Ausland
Bekanntheit in Vietnam erlangt haben sollte, ist nach Ansicht des Auswärtigen Amtes
157
davon auszugehen, dass ihm die Einreise eher verweigert werde, als dass er nach der
Einreise verhaftet werde.
Vgl. Lagebericht vom 3. August 2000; Auskunft an das Verwaltungsgericht Neustadt
vom 20. Februar 1996.
158
Auch nach Auffassung des Sachverständigen Prof. Dr. Lulei kann eine Bestrafung
wegen exilpolitischer Betätigungen nicht ausgeschlossen werden. Seiner Ansicht nach
hängt die Wahrscheinlichkeit und Höhe einer Bestrafung jedoch entscheidend davon
ab, wie die zuständigen Stellen in Vietnam die Wirksamkeit der Aktivitäten in Vietnam
selbst einschätzten und wie sie die Aktivitäten des Betreffenden beurteilt hätten. Bei den
meisten im Ausland gegründeten Organisationen müsse man davon ausgehen, dass sie
nur begrenzte Möglichkeiten hätten, in Vietnam selbst wirksam zu werden. Die
vietnamesische Bevölkerung sei vor allem an der Verbesserung ihrer sozialen und
ökonomischen Situation interessiert, sie tendiere mehr zur Fortsetzung schrittweiser
Reformen als zu prinzipiellen politischen Veränderungen. Insgesamt stellten deshalb
die oppositionellen Parteien und Organisationen von Vietnamesen im Ausland
zumindest zurzeit keine ernsthafte Gefahr für die Regierung Vietnams und für die
Herrschaft der Kommunistischen Partei Vietnams dar. Trotzdem sei festzustellen, dass
die Exilorganisationen schon die Bemühungen von Regierung und Partei um Festigung
ihrer innenpolitischen Position und ihres Ansehens im Ausland störten. Deshalb sei
eine strafrechtliche Verfolgung auch in Zukunft nicht ausgeschlossen. Insgesamt sei
jedoch die Politik Vietnams mehr darauf gerichtet, auch die Vietnamesen im Ausland für
eine Zusammenarbeit zu gewinnen. Die Wahrscheinlichkeit einer Bestrafung werde
deshalb weniger von den Tätigkeiten in der Vergangenheit als von den politischen
Aktivitäten in der Gegenwart abhängen. Die Teilnahme an Veranstaltungen und
Demonstrationen im Ausland gegen die Politik Vietnams, das Verfassen
regimekritischer Artikel usw. werde vor allem bei Leuten, die in Vietnam vor ihrer
Ausreise nicht in dieser Richtung aktiv gewesen seien, als Versuch gewertet, im
Gastgeberland als Asylbewerber Anerkennung zu finden. In der Mehrzahl der Fälle
werde es deshalb zu keiner Bestrafung kommen.
159
Vgl. Gutachten für den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vom 31. Oktober 1996.
160
An anderer Stelle hat der Sachverständige Prof. Dr. Lulei festgestellt, die
vietnamesischen Behörden wendeten die angekündigte "Großzügigkeit und Milde"
offensichtlich in weitem Maße an. Die Reformpolitik wirke über die Wirtschaft hinaus.
Rückkehrer aus dem Ausland würden in der Regel großzügig behandelt, schon um die
Öffnungspolitik nicht zu gefährden und Auslandsvietnamesen zu Investitionen zu
ermuntern. Die Teilnahme an regimekritischen Demonstrationen und Versammlungen
würden kaum zur Strafverfolgung führen. Derartige Angelegenheiten würden die
vietnamesischen Staatsorgane nicht so wichtig nehmen.
161
Vgl. Gutachten für den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vom 18. Oktober 1996, für
das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes vom 24. Februar 1998 und für das
Verwaltungsgericht Frankfurt/Oder vom 24. Februar 1998.
162
Nach Auffassung von amnesty international ist es sehr schwer einzuschätzen, ob und
welche Sanktionen Rückkehrern, die das Regime öffentlich kritisiert hätten, im Einzelfall
drohten. Bei besonders massiver Kritik an der vietnamesischen Regierung, die zudem
durch die gewählten Medien eine besonders breite öffentliche Wirkung erreicht habe,
163
sei mit hoher Wahrscheinlichkeit von einer Strafverfolgung und Bestrafung im Falle der
Rückkehr nach Vietnam auszugehen.
Vgl. Stellungnahme an das Verwaltungsgericht Neustadt vom 7. Januar 1997.
164
Wer kritische Artikel zu Fragen der Wohnungsverteilung, der Verteilung von sonstigen
Hilfen, vor allem aber zum Zustand des sozialistischen Systems verfasse oder sich für
die Religionsfreiheit, für mehr Freiheit und Demokratie und für die Einhaltung der
Menschenrechte einsetze, müsse mit langjährigen Haftstrafen rechnen.
165
Vgl. Stellungnahme an das Verwaltungsgericht Neustadt vom 17. Oktober 1995.
166
Der Sachverständige Dr. Will weist darauf hin, die Kommunistische Partei Vietnams
bestehe trotz der außenwirtschaftlichen Öffnung und wirtschaftlicher Reformen auf ihrem
uneingeschränkten Herrschaftsmonopol. Die vietnamesische Partei- und Staatsführung
messe nicht zuletzt der ideologischen Arbeit unter den im Ausland lebenden
vietnamesischen Staatsbürgern einen sehr hohen Stellenwert bei. So seien noch Ende
1996 in der Zeitung der vietnamesischen Armee die regimekritischen Aktivitäten der im
Ausland lebenden Vietnamesen erneut scharf verurteilt und alle vietnamesischen
Staatsbürger eindringlich davor gewarnt worden, sich an derartigen Aktivitäten zu
beteiligen.
167
Vgl. Gutachten für das Verwaltungsgericht Meiningen vom 25. November 1996.
168
Erkenntnisse über die exilpolitischen Aktivitäten von Auslandsvietnamesen würden
nicht zuletzt mit dem Ziel gesammelt, um gegen die betreffenden Staatsbürger bei ihrer
Rückkehr nach Vietnam strafrechtlich vorgehen und um in dem familiären Umfeld des
Betreffenden in Vietnam entsprechende Nachforschungen anstellen zu können.
169
Vgl. Gutachten für das Verwaltungsgericht Frankfurt/Oder vom 7. Juni 1996.
170
Seit dem Sommer 1995 sei eine sehr rigide Anwendung des Strafrechts durch
vietnamesische Gerichte zu beobachten, sobald der Anspruch der Kommunistischen
Partei auf das alleinige Herrschafts- und Machtmonopol berührt werde.
171
Vgl. Gutachten für das Verwaltungsgericht Frankfurt/Oder vom 7. Juni 1996.
172
Auf dem ZK-Plenum im Frühjahr 1995 sei noch einmal mit großem Nachdruck darauf
hingewiesen worden, dass die ideologische Arbeit gerade unter den im Ausland
lebenden Vietnamesen von besonderer Wichtigkeit sei und jegliche oppositionelle
Aktivitäten mit aller Entschlossenheit bekämpft werden müssten.
173
Vgl. Gutachten für das Verwaltungsgericht Ansbach vom 15. Februar 1996.
174
Für vietnamesische Staatsbürger, die in Deutschland an regimekritischen Aktivitäten
teilgenommen oder sie gar organisiert hätten, bestehe ein hohes Bestrafungsrisiko.
175
Vgl. Gutachten für das Verwaltungsgericht Ansbach vom 15. Februar 1996.
176
Für die Vermutung, die strafrechtlichen Vorschriften würden auf Rückkehrer, die sich in
der Bundesrepublik Deutschland in herausgehobener Weise regimekritisch engagiert
177
hätten, keine Anwendung finden, lägen ihm schon deshalb keine konkreten
Anhaltspunkte vor, weil ihm eine Rückkehr derartiger Vietnamesen nicht bekannt sei.
Vgl. Gutachten an das Verwaltungsgericht Berlin vom 17. November 1999.
178
Auch regimekritische Zeitschriften, die seines Erachtens nach keine ernsthafte Gefahr
für das politische System Vietnams darstellten, würden von offizieller vietnamesischer
Seite als ernsthafte Herausforderung empfunden.
179
Vgl. Gutachten für das Verwaltungsgericht Ansbach vom 15. Februar 1996.
180
Nachdem sich etwa seit Anfang 1998 die Kräfte, die die uneingeschränkte
Durchsetzung des Führungsmonopols der Kommunistischen Partei forderten,
gegenüber den Befürwortern der Reformpolitik zunehmend mehr durchgesetzt hätten,
sei eine Verschärfung des politischen Klimas eingetreten, infolge derer das
Bestrafungsrisiko bei regimekritischen Äußerungen noch sehr viel höher als in den
davor liegenden Jahren angesetzt werden müsse. Dies gelte umsomehr, als sich die
Position der Reformer durch einen drastischen Rückgang der ausländischen
Investitionen und durch ein Abflachen der wirtschaftlichen Zuwachsraten erheblich
verschlechtert habe. Aufgrund dieser Umstände führe die Teilnahme an
regimekritischen Veranstaltungen in Deutschland bei einer Rückkehr zu einer
Bestrafung nach Art. 82 VStGB. Die aktive Mitgliedschaft in einer regimekritischen
Organisation werde sich dabei strafverschärfend auswirken.
181
Vgl. Gutachten für das Verwaltungsgericht Aachen vom 2. April 1998.
182
Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte geht - allerdings ohne nähere
Einzelheiten zur Begründung darzulegen - ebenfalls davon aus, dass vietnamesische
Asylbewerber, die exilpolitisch tätig gewesen sind oder eine nicht von der
vietnamesischen Regierung unterstützte Zeitung herausgegeben, für diese geworben
oder diese nur gelesen haben, bei ihrer Rückkehr dafür belangt werden könnten, und
weist in diesem Zusammenhang auf einen Artikel der Quartalszeitschrift "An Ninh Thu
Do" (Sicherheit der Hauptstadt) in der Ausgabe Nr. 4/1995 hin, der sich sehr ausführlich
mit dem Art. 82 VStGB und dessen Strafmaß auseinander setze.
183
Vgl. Internationale Gesellschaft für Menschenrechte, Rückführungen von Vietnamesen
aus Deutschland - Praxis und Erfahrungen, Januar 1997, Seite 23.
184
Bei der Würdigung dieser zum Teil erheblich voneinander abweichenden
Einschätzungen eines Bestrafungsrisikos wegen exilpolitischer Betätigungen sind die
politischen Verhältnisse in Vietnam, insbesondere ihre Entwicklung bis zum heutigen
Tage, zu berücksichtigen.
185
Dazu ist Folgendes festzustellen:
186
Nachdem Vietnam der politische und ökonomische Zusammenbruch drohte, beschloss
der 6. Parteitag der Kommunistischen Partei im Jahre 1986 die so genannte "Politik der
Erneuerung" (Doi Moi), die mit umfassenden Reformen verbunden war. Diese betrafen
u.a. die politische und ökonomische Öffnung Vietnams und den Übergang von der
sozialistischen Planwirtschaft zur Marktwirtschaft.
187
Vgl. Prof. Dr. Lulei, Jahrbuch Dritte Welt 1997, S. 165ff.; Dr. Mutz, Aus Politik und
Zeitgeschichte, B 30 - 31/96, S. 3.
188
Im Zuge dieser Reformbestrebungen kam es zunächst auch zu einer politischen
Liberalisierung, in deren Verlauf die Kommunistische Partei zu offener
Meinungsäußerung und Kritik ermunterte. Nach dem politischen Umbruch in Mittel- und
Osteuropa versuchte die kommunistische Regierung Vietnams jedoch, gegen sie
gerichtete Kräfte zu kontrollieren und einzuschüchtern, um ihr Machtmonopol zu
erhalten. So agierten die Behörden im Vorfeld des im Juni 1991 durchgeführten 7.
Parteitages übervorsichtig und repressiv.
189
Vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 3. April 1992 (Stand: 31. März 1992).
190
In der Folgezeit lockerte sich jedoch die Verhaltensweise gegenüber Oppositionellen.
So wurde im April 1992 das letzte, seit 1975 bestehende Umerziehungslager aufgelöst,
und über 100 ehemalige Funktionäre aus dem früheren Süd-Vietnam wurden
freigelassen.
191
Vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 15. Januar 1997 (Stand: Dezember 1996);
gleich lautend: Lagebericht vom 29. August 1997 (Stand: August 1997); amnesty
international, "Vietnam - Weiterhin Grund zur Besorgnis", Bericht aus Oktober 1993.
192
Anfang 1993 wurde eine Reihe von politischen Gefangenen aus der Haft entlassen.
193
Vgl. amnesty international, "Vietnam - Weiterhin Grund zur Besorgnis", Bericht aus
Oktober 1993.
194
Darüber hinaus ist im April 1992 eine neue vietnamesische Verfassung verabschiedet
worden, in der erstmals eine Reihe von Grundrechten aufgeführt sind (z.B. Presse-,
Meinungs- und Religionsfreiheit, Unverletzlichkeit der Person), wenn auch die
Verwirklichung dieser Rechte unter dem Vorbehalt einer gesetzlichen Regelung bzw.
der Konformität mit bestehenden Gesetzen steht.
195
Vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 16. Juni 1993 (Stand: 1. Juni 1993).
196
Dieser Kurs der Erneuerung hat auf dem Ende Januar 1994 abgehaltenen
Zwischenparteitag seine Fortsetzung gefunden.
197
Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage vom 23.
September 1994 (Stand: 1. September 1994).
198
Der 8. Parteitag der Kommunistischen Partei im Sommer 1996 hat den vor zehn Jahren
eingeleiteten Reformkurs erneut bestätigt. Auch wenn die insoweit wesentliche
Antriebskraft wirtschaftliche Interessen bleiben, betrifft der Strukturwandel heute doch
bereits auch andere Bereiche des staatlichen Lebens.
199
Vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 3. August 2000; Prof. Dr. Lulei, Jahrbuch Dritte
Welt 1997, S. 180.
200
Veränderungen setzen sich aber nur sehr langsam durch. Zwar will die 1997 erneuerte
Staats- und Parteispitze mit dem Staatspräsident Tran Duc Luong, dem
201
Ministerpräsident Phan Van Khai und dem Parteisekretär Le Kha Phieu den Kurs der
Erneuerung fortführen. Diese gelten allerdings als vorsichtige Taktierer, die stets die
Belange der Partei im Auge haben.
Vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 3. August 2000.
202
Im Zuge der mit der wirtschaftlichen Umgestaltung einhergehenden zunehmenden
Öffnung gegenüber westlichen Staaten wurden die vietnamesischen Stellen verstärkt
mit Menschenrechtsfragen konfrontiert. Dabei zeigten sie sich zu internationaler
Zusammenarbeit bereit. Menschenrechtsorganisationen können die Achtung der
Menschenrechte in Vietnam überprüfen. So reiste bereits im März 1993 erstmals eine
Delegation von "Asia Watch" durch das Land. Mit amnesty international pflegt die
vietnamesische Regierung institutionellen Kontakt. Im November 1993 besuchte der
Menschenrechtskoordinator des Auswärtigen Amtes Vietnam. 1997 hielten sich die MdB
Neumann und Eppelmann in Vietnam auf, um sich über die Menschenrechtslage zu
unterrichten.
203
Vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 3. August 2000 und Bericht über die asyl- und
abschieberelevante Lage vom 23. September 1994 (Stand: 1. September 1994).
204
Aufgrund von zwei vom Staatspräsidenten verfügten Sonderamnestien kamen im Jahre
1998 insgesamt 7.849 Inhaftierte frei, unter denen sich etliche politische Häftlinge,
insbesondere die führenden Oppositionellen Prof. Doan Viet Hoat und Nguyen Dan
Que, befanden. Die Freilassungen sind nicht zuletzt auch dem anhaltenden Druck des
Auslands gegenüber der vietnamesischen Regierung in der Menschenrechtsfrage zu
verdanken.
205
Vgl. dazu Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 3. August 2000; amnesty international,
Stellungnahme an das Verwaltungsgericht Münster vom 27. August 1999; Dr. Will,
Gutachten für das Verwaltungsgericht Münster vom 30. Oktober 1998.
206
Trotz des zunehmenden Übergangs zu einem marktwirtschaftlich orientierten System
und der damit verbundenen verstärkten Ausrichtung an westlichen Staaten sowie des
insgesamt festzustellenden inneren Wandels Vietnams bleibt die Kommunistische
Partei die einzige politische Kraft, die bestimmend ist für Politik und Staat. Das
politische Leben wird weiterhin von der Kommunistischen Partei dominiert, der
Legislative und Rechtsprechung verpflichtet sind. Ein Mehrparteiensystem im
westlichen Sinne und eine pluralistische Gesellschaft sind nicht angestrebt.
207
Vgl. "Die einseitige Liberalisierung Vietnams", in: Frankfurter Rundschau vom 31.
Januar 1997; Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 3. August 2000; gleichlautend:
Lageberichte vom 29. August 1997 (Stand: August 1997) und vom 15. Januar 1997
(Stand: Dezember 1996).
208
Im Hinblick auf die Durchsetzung dieses Alleinherrschaftsanspruchs muss auch heute
noch damit gerechnet werden, dass exponierte, in Vietnam aktive Gegner der
Kommunistischen Partei inhaftiert und nach verschiedensten Bestimmungen des
vietnamesischen Strafgesetzbuches zu Gefängnisstrafen verurteilt werden. Von dieser
Möglichkeit machen die Behörden nach wie vor auch Gebrauch.
209
Vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 3. August 2000.
210
So wurden in den Jahren 1995 und 1996 gegen verschiedene Oppositionelle, die Kritik
an der vietnamesischen Regierung geübt und sich für eine Veränderung des politischen
Systems in Vietnam eingesetzt hatten, langjährige Freiheitsstrafen verhängt.
211
Vgl. dazu im Einzelnen: amnesty international, "Sozialistische Republik Vietnam - Der
Fall Le Hong Ha und Ha Si Phu", Bericht aus Dezember 1996, und Stellungnahme an
das Verwaltungsgericht Neustadt vom 7. Januar 1997.
212
Festzustellen ist jedoch, dass diese Oppositionellen sich in gesteigertem Maße
exponiert haben. Sie haben ihre Kritik in besonders massiver Weise geäußert bzw. sind
in nachhaltiger Art öffentlich in Erscheinung getreten, so dass aus Sicht der
Kommunistischen Partei die Befürchtung bestand, sie könne in ihrem
Alleinherrschaftsanspruch gefährdet sein oder zumindest gegenüber der Allgemeinheit
ihr Gesicht verloren haben.
213
Unter Berücksichtigung dieser Umstände ist nicht davon auszugehen, dass im Ausland
entwickelte und bekannt gewordene Aktivitäten gegen das vietnamesische System und
die vietnamesische Regierung in jedem Fall beachtlich wahrscheinlich eine Bestrafung
zur Folge haben.
214
Insbesondere kann entgegen der Einschätzung auch des Sachverständigen Dr. Will
nicht allein aus dem uneingeschränkten Herrschafts- und Machtmonopol der
Kommunistischen Partei geschlossen werden, dass generell für alle Rückkehrer, die
sich im Ausland oppositionell betätigt haben, ein hohes Bestrafungsrisiko besteht. Denn
es ist nicht ersichtlich, aufgrund welcher Umstände auch wegen exilpolitischer
Aktivitäten, die nicht geeignet erscheinen, das Herrschafts- und Machtmonopol der
Kommunistischen Partei anzutasten, eine Sanktionierung drohen könnte. Auch den
Gutachten des Dr. Will lassen sich keine nähere Einzelheiten dazu entnehmen.
Vielmehr ist mit strafrechtlichen Konsequenzen nur dann zu rechnen, wenn
Vietnamesen mit ihren exilpolitischen Betätigungen besonders hervorgetreten sind und
ihre Wirkung nicht auf das Ausland begrenzt geblieben ist. Nur dann kann aus Sicht
vietnamesischer Stellen ein relevanter Ansehensverlust der Kommunistischen Partei
oder sogar eine Gefährdung deren Alleinherrschaftsanspruchs bestehen. Bei unterhalb
dieser Schwelle liegenden Aktivitäten ist ein Verfolgungsinteresse der vietnamesischen
Behörden nicht anzunehmen; das gilt auch dann erst recht, wenn die
Auslandsaktivitäten als asyltaktisch motiviert bewertet werden (müssen). Soweit Dr. Will
die Auffassung vertritt, von offizieller vietnamesischer Seite werde nicht hinreichend
unterschieden, aus welchen Motiven oppositionelle Aktivitäten begangen werden,
vielmehr sei ausschlaggebend, dass vietnamesische Staatsbürger öffentlich Kritik an
ihrem Staat übten und ihm einen verbrecherischen Charakter zusprächen,
215
- vgl. Gutachten für das Verwaltungsgericht Berlin vom 17. November 1999; ähnlich
Gutachten für das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes vom 6. September 1997 -
216
kann dem nicht uneingeschränkt gefolgt werden. Denn jedenfalls in den Fällen, in
denen von vornherein ersichtlich ist, dass die öffentlich geübte Kritik ohne jede
Resonanz bleiben wird, - wie dies insbesondere bei Aktivitäten regelmäßig der Fall ist,
die offensichtlich nur zur Verbesserung der Erfolgsaussichten eines gestellten
Asylantrags unternommen werden - ist ein Sanktionsinteresse des vietnamesischen
Staates nicht erkennbar.
217
Für diese Auffassung spricht auch, dass die vietnamesische Regierung bei einer
regelmäßig praktizierten Bestrafung von Rückkehrern wegen systemkritischer
Auslandsaktivitäten die wirtschaftliche Unterstützung aus den westlichen Staaten
gefährden würde. An dieser Unterstützung ist der vietnamesische Staat jedoch dringend
zur Umsetzung des angestrebten Reformkurses interessiert, so dass davon auszugehen
ist, dass eine unnötige Gefährdung dieser Unterstützung vermieden werden wird.
218
Zudem ist zu berücksichtigen, dass die exilpolitischen Betätigungen weit entfernt von
Vietnam stattgefunden haben, so dass sie nur beschränkt der Öffentlichkeit in Vietnam
überhaupt bekannt werden und deshalb nicht zwingend einen Handlungsbedarf der
vietnamesischen Behörden in Bezug auf den Schutz der vietnamesischen
Gesellschaftsordnung auslösen. Es kommt für die Abschätzung des Bestrafungsrisikos
gerade aber hierauf an, weil in Vietnam - wie oben bereits dargelegt - ebenso wie in
vergleichbaren Ländern (z. B. China) die Anwendung einer Strafnorm nicht in erster
Linie von der Erfüllung des Tatbestandes, sondern von der der politischen Opportunität
folgenden Einschätzung der maßgeblichen Stellen dazu abhängig ist, ob aus Gründen
der Partei- bzw. Staatsräson und der für erforderlich gehaltenen Abschreckung eine
Bestrafung angezeigt erscheint. Die Zuordnung des Verhaltens zu einer der
gewünschten Sanktion entsprechenden Strafnorm ist gegebenenfalls willkürlich
möglich.
219
Ausgehend von dieser Würdigung der vorliegenden Erkenntnisse muss der Kläger bei
einer Rückkehr nach Vietnam nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit einer
Bestrafung wegen seiner angeführten exilpolitischen Betätigungen rechnen. So hat der
Kläger zunächst lediglich vorgetragen, in der Bundesrepublik Deutschland für eine
Zeitung tätig zu sein, die sich gegen Menschenrechtsverletzungen und für die
Einführung der Demokratie in Vietnam einsetze und die im Bundesgebiet hergestellt
und nach Vietnam zur dortigen Verteilung übermittelt werde. Später hat der Kläger
erklärt, in Deutschland an Demonstrationen teilgenommen und Artikel für eine
regimekritische Zeitung verfasst zu haben. Unabhängig davon, dass dieses Vorbringen
des Klägers jegliche nähere Substantiierung vermissen und damit schon gar nicht
hervortreten lässt, wogegen sich der Kläger inhaltlich im Einzelnen mit seinem
exilpolitischen Engagement überhaupt gewandt haben will, ist nicht im Geringsten
erkennbar, dass der Kläger damit in irgendeiner Weise in der Öffentlichkeit besonders
hervorgetreten sein könnte. Erst recht ist nicht ersichtlich, dass seine Betätigungen
Wirkungen nach Vietnam gezeigt haben könnten. Sein persönlicher Entwicklungsgang
wird in den Augen der insoweit seinen Auslandsaufenthalt beurteilenden Stellen seines
Heimatlandes keinen Zweifel darüber aufkommen lassen können, dass der Kläger als
Wirtschaftsflüchtling die "Gunst der Stunde" zu nutzen suchte, im Übrigen aber nicht als
ernsthafter politischer Gegner zu bewerten ist.
220
Wegen seiner vorgetragenen exilpolitischen Aktivitäten muss der Kläger auch nicht mit
unterhalb der strafrechtlichen Ebene angesiedelte Sanktion rechnen, die als politische
Verfolgung gewertet werden könnten. Insbesondere besteht kein Anhalt dafür, dass er
Disziplinierungsmaßnahmen nach der Regierungsverfügung Nr. 31/CP vom 14. April
1997 und der dazu ergangenen "Verordnung über die verwaltungsrechtliche
Arrestierung" zu erwarten hätten.
221
Wie bereits dargestellt, hängt die Gefahr, von Seiten des vietnamesischen Staates
diszipliniert zu werden, nicht davon ab, ob sich das jeweilige Verhalten unter eine
222
bestimmte Norm subsumieren lässt. Vielmehr ist entscheidend, ob der vietnamesische
Staat von der jeweiligen Norm zur Disziplinierung bestimmter Personen auch Gebrauch
machen will. Von einer derartigen Absicht des vietnamesischen Staates kann jedoch
nicht ausgegangen werden, wenn es sich um Personen handelt, die - wie der Kläger -
nicht in besonderer Weise als mögliche Oppositionelle in Erscheinung getreten sind.
Weder aus dem Vorbringen des Klägers noch ansonsten ist ein hinreichend konkreter
Anhalt ersichtlich, dass dies für Sanktionsmöglichkeiten unterhalb der strafrechtlichen
Ebene anders zu sehen ist.
Auch der Bericht der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte aus März/Juni
1998 steht dem nicht entgegen. Die darin geschilderten Einzelfälle betreffen sämtlich
Personen, die sich in besonderer Weise öffentlichkeitswirksam gegen die
vietnamesische Regierung oder die sie tragende Kommunistische Partei gewendet
haben. Dem Bericht lässt sich kein Anhalt dafür entnehmen, dass nicht herausgehoben
in Erscheinung getretene Rückkehrer mit Sanktionen unterhalb der strafrechtlichen
Ebene beachtlich wahrscheinlich rechnen müssten.
223
Gleiches gilt für die Dokumentation der Congregation der Vereinigten Vietnamesich-
Buddhistischen Kirche (CVBK) und der Vereinigung der Buddhistischen
Vietnamflüchtlinge in Deutschland (VBVF) vom 30. April 1998. Auch diese lässt nicht
hervortreten, dass Rückkehrern wegen nicht herausgehobener exilpolitischer Aktivitäten
derartige Sanktionen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen.
224
Vgl. dazu auch Beschluss des Senats vom 26. Januar 1999 - 1 A 76/99.A.
225
Ob der Kläger zu befürchten hat, im Falle einer Rückkehr nach Vietnam Schwierigkeiten
bei der Wohnungs- und Arbeitssuche zu bekommen, kann dahinstehen. Insofern ist
zwar festzustellen, dass sich Vietnam in einem schwierigen wirtschaftlichen
Transformationsprozess befindet und vorerst nicht in der Lage ist, die negativen
Begleitumstände des Strukturwandels durch ein soziales Netz abzufedern.
226
Vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 3. August 2000.
227
Es ist jedoch nicht erkennbar, dass etwaige mit diesen Umständen im Zusammenhang
stehende Beeinträchtigungen des Klägers - sollten sie sich tatsächlich einstellen - als
politische Verfolgung angesehen werden könnten. Vielmehr werden eventuelle
wirtschaftliche Probleme allein auf die schwierigen Lebensverhältnisse in Vietnam
zurückzuführen sein, die den Kläger gleichermaßen treffen wie die übrigen Bevölkerung
in seinem Heimatland. Im Übrigen lässt sich insbesondere im Hinblick darauf, dass
nach der Einschätzung des Auswärtigen Amtes die Versorgung mit
Grundnahrungsmitteln gesichert ist,
228
- vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 3. August 2000 -
229
den vorliegenden Erkenntnisquellen kein Anhalt dafür entnehmen, dass etwaige
Schwierigkeiten ein solches Ausmaß erreichen könnten, dass der Kläger sein
Existenzminimum nicht wird sicherstellen können. Auch der Kläger selbst hat Derartiges
nicht vorgetragen.
230
3. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Feststellung, dass in seiner Person eine
Abschiebungshindernis nach § 53 AuslG vorliegt.
231
Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 1 bis 4 AuslG sind weder aus dem Vorbringen
des Klägers noch ansonsten ersichtlich.
232
Aber auch ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG ist nicht
festzustellen.
233
Dass der Kläger aus Gründen, die für die Frage einer politischen Verfolgung relevant
und damit auch im vorliegenden Zusammenhang gegebenenfalls beachtlich sind, keiner
Gefahr iSv § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG ausgesetzt sein könnte, ergibt sich bereits aus den
unter 2. gemachten Ausführungen. Andere Gründe für eine derartige Gefährdung lassen
sich weder dem Vortrag des Klägers noch den vorliegenden Erkenntnisquellen
entnehmen.
234
4. Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung bestehen nicht.
Gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG erlässt das Bundesamt nach den §§ 50 und 51 Abs.
4 AuslG die Abschiebungsandrohung, wenn der Ausländer nicht als Asylberechtigter
anerkannt wird und keine Aufenthaltsgenehmigung besitzt. Diese Voraussetzungen sind
erfüllt. Gemäß § 38 Abs. 1 AsylVfG beträgt die Ausreisefrist einen Monat. Im Falle der
Klageerhebung endet die Ausreisefrist einen Monat nach dem unanfechtbaren
Abschluss des Asylverfahrens. Gemäß § 50 Abs. 2 AuslG iVm § 34 Abs. 1 Satz 1
AsylVfG soll in der Androhung der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer
abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch
in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu
seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Diesen gesetzlichen Regelungen entspricht der
angefochtene Bescheid des Bundesamtes.
235
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß
§ 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben. Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit
der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO iVm §§ 708 Nr. 11 und 711 Satz 2 ZPO.
236
Für eine Zulassung der Revision fehlt es an den gesetzlichen Voraussetzungen.
237