Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 07.09.1996

OVG NRW (treu und glauben, kläger, grundstück, kag, gesetzliche grundlage, bezug, höhe, verwaltungsgericht, leistung, eigentümer)

Oberverwaltungsgericht NRW, 9 A 7244/95
Datum:
07.09.1996
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
9. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 A 7244/95
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 13 K 274/94
Tenor:
Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in
der Hauptsache für erledigt erklärt haben; insoweit ist das angefochtene
Urteil wirkungslos.
Im übrigen wird das angefochtene Urteil teilweise geändert. Die Klage
der Klägerin wird abgewiesen.
Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens beider Instanzen tragen die Kläger als
Gesamtschuldner zu 3/4 und der Beklagte zu 1/4.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige
Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden,
wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung
Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Die Kläger sind die beiden (Mit-)Eigentümer des Hausgrundstücks H. -R. -Straße 9 in E.
. Das Grundstück ist Bestandteil einer Wohnhausbebauung, die im Norden eingefaßt
wird von dem von Südwesten nach Nordosten verlaufenden V. -O. -Ring und im Süden
von der ebenfalls von Südwesten nach Nordosten verlaufenden H. - R. -Straße. An der
nordöstlichen Schmalseite des Grundstücks der Kläger verläuft eine etwa 3 m breite
Wegeparzelle (Gemarkung Horst, Flur 5, Flurstück 188), die als Querverbindung
zwischen dem V. -O. -Ring und der H. -R. -Straße dient. Der mit Betonsteinpflaster
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belegte Weg, der etwa in der Mitte zwischen den beiden genannten Straßen verspringt,
steht im Miteigentum der Grundstückseigentümer aller angrenzenden Grundstücke. An
den Einmündungen des Weges in den V. -O. -Ring und die H. -R. -Straße steht jeweils
ein herausnehmbarer Pfosten, der ein Befahren des Eigentümerweges mit
Kraftfahrzeugen verhindert. Für Notfälle haben alle Eigentümer einen Schlüssel zu
diesen Pfosten, so daß der Weg, wenn auch im Bereich des Versprungs mit gewissen
Rangierschwierigkeiten, mit Kraftfahrzeugen befahren werden kann. Postalisch sind die
angrenzenden Hausgrundstücke zu beiden Seiten des Weges entweder der H. -R. -
Straße oder dem V. - O. -Ring zugeordnet. Die zu dem Wohngrundstück der Kläger
gehörende Garage liegt an der H. -R. - Straße. V. der Stadt E. wird nur der V. -O. - Ring
gereinigt. In der Vergangenheit sind die Kläger nicht zu Straßenreinigungsgebühren
herangezogen worden.
Mit einem an „J. M.EHEL., H. -R. - STRAßE 9, E. ", gerichteten Bescheid vom 23.
November 1993 erhob der Beklagte für das Grundstück der Kläger rückwirkend für die
Jahre 1989 bis 1993 unter Zugrundelegung einer Seitenlänge des Grundstücks von 37
m und Gebührensätzen von 6,51 DM (1989-1992) bzw. von 9,09 DM (1993)
Straßenreinigungsgebühren in Höhe von insgesamt 1.299,81 DM.
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Hiergegen legten beide Kläger mit Schreiben vom 28. November 1993 Widerspruch ein
und rügten zur Begründung, daß ihr Grundstück nicht dem V. -O. -Ring zugeordnet
werden könne. Mit einem an „Eheleute M. J. " gerichteten Widerspruchsbescheid vom
11. Januar 1994 wies der Beklagte den Widerspruch der Kläger zurück.
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Daraufhin haben die Kläger fristgerecht die vorliegende Klage erhoben. Zur
Begründung haben sie im wesentlichen folgendes ausgeführt: Mangels einer
bestimmten Bezeichnung der Adressaten sei der Heranziehungsbescheid nichtig.
Außerdem werde ihr Grundstück nicht von dem V. -O. -Ring erschlossen. Des weiteren
verstoße die Nacherhebung der Straßenreinigungsgebühren gegen Treu und Glauben.
Darüber hinaus erziele die Stadt E. durch die Mehrfacherhebung der gleichen
Straßenreinigungsgebühr für dieselbe Grundstückslänge bei direkten Anliegern und
Hinterliegern ungerechtfertigte Gewinne.
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Die Kläger haben beantragt,
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den Heranziehungsbescheid des Beklagten vom 23. November 1993 und den
Widerspruchsbescheid vom 11. Januar 1994 aufzuheben.
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Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er tritt dem Vorbringen der Kläger entgegen und hält den Heranziehungsbescheid für
hinreichend bestimmt, das Grundstück der Kläger auch vom V. -O. -Ring im Sinne des
Straßenreinigungsrechts erschlossen und die Nacherhebung mit Treu und Glauben für
vereinbar.
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Mit dem angefochtenen Urteil hat das Verwaltungsgericht nach Durchführung einer
Augenscheinseinnahme der Klage der Klägerin stattgegeben und im übrigen die Klage
abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, daß der
Heranziehungsbescheid in bezug auf die Klägerin wegen der Unbestimmtheit der
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Adressatenbezeichnung nichtig sei. Hinsichtlich des Klägers sei der Bescheid dagegen
hinreichend bestimmt und auch im übrigen rechtmäßig. Das Grundstück der Kläger
werde durch die Wegeparzelle 188 im straßenreinigungsrechtlichen Sinn auch von dem
V. - O. -Ring erschlossen. Die Nachveranlagung sei noch innerhalb der vierjährigen
Festsetzungsfrist erfolgt; der Grundsatz von Treu und Glauben stünde ihr nicht
entgegen.
Hiergegen haben sowohl der Kläger als auch der Beklagte fristgerecht Berufung
eingelegt.
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Zur Begründung seiner Berufung wiederholt und vertieft der Kläger sein Vorbringen aus
dem verwaltungs- und erstinstanzlichen Gerichtsverfahren. Ergänzend trägt er vor, daß
die Frontmeter der von dem Beklagten nachveranlagten Grundstücke in der jeweils
zugrunde liegenden Kalkulation nicht berücksichtigt worden seien, so daß der
Gebührensatz unwirksam sei.
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Während des Berufungsverfahrens hat der Beklagte zwei getrennte und gesondert an
die Klägerin und den Kläger adressierte Widerspruchsbescheide erlassen, mit denen er
den Widerspruch der Kläger vom 28. November 1993 erneut zurückwies. Hiergegen
haben die Kläger zunächst vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen Klage erhoben -
13 K 1385/96 -, diese jedoch in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen.
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Während des Berufungsverfahrens hat der Beklagte des weiteren den angefochtenen
Gebührenbescheid insoweit aufgehoben, als darin für das Jahr 1993
Straßenreinigungsgebühren festgesetzt sind. Insoweit haben die Beteiligten in der
mündlichen Verhandlung den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.
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Der Kläger beantragt,
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das angefochtene Urteil zu ändern und den Grundbesitzabgabenbescheid des
Beklagten vom 23. November 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.
Januar 1994 und des Aufhebungsbescheides vom 4. Oktober 1996 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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das angefochtene Urteil teilweise zu ändern und die Klage der Klägerin - soweit nicht
die Hauptsache für erledigt erklärt worden ist - abzuweisen, sowie die Berufung des
Klägers zurückzuweisen.
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Der Beklagte hält seine Auffassung hinsichtlich der Bestimmtheit des
Heranziehungsbescheides in bezug auf die Klägerin sowie der Erschließung des
Grundstücks der Kläger aufrecht. Er gesteht zu, daß die Frontmeter der nachveranlagten
Grundstücke nicht in die Kalkulation eingeflossen sind. Dies, so der Beklagte, führe
jedoch nicht zu einer Fehlerhaftigkeit des Gebührensatzes, weil aufgrund der deutlichen
Unterdeckungen in den verbliebenen Veranlagungszeiträumen einerseits und des
geringen Anteils der Frontmeter der nachveranlagten Grundstücke an der Gesamtzahl
der rund 1,7 Mio. Maßstabseinheiten eine Auswirkung auf den Gebührensatz nicht
gegeben sei.
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Die Klägerin, die unter Einbeziehung der Auffassung des Verwaltungsgerichts den
Heranziehungsbescheid nach wie vor sowohl in formeller als auch materieller Hinsicht
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für rechtswidrig hält, beantragt,
die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten
im übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen
Verwaltungsvorgänge des Beklagten, die zum Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gemacht worden sind, Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
24
Soweit die Beteiligten das Verfahren in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist es
entsprechend § 92 Abs. 2 VwGO einzustellen; insoweit ist das angefochtene Urteil
gemäß §§ 173 VwGO, 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO wirkungslos.
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Im übrigen ist die zulässige Berufung des Beklagten begründet, die des Klägers
hingegen unbegründet.
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Der Heranziehungsbescheid des Beklagten vom 23. November 1993 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 11. Januar 1994 bzw. der Widerspruchsbescheide
jeweils vom 31. Januar 1996 und des Aufhebungsbescheides vom 4. Oktober 1996 ist
rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Der Bescheid ist gegenüber beiden Klägern formell ordnungsgemäß erlassen worden,
insbesondere ist er inhaltlich reichend bestimmt i.S.d. nach § 12 Abs. 1 Nr. 3 b KAG NW
entsprechend anzuwendenden § 119 der Abgabenordnung (AO 1977). Zur inhaltlichen
Bestimmtheit eines Festsetzungsbescheides bezüglich Kommunalabgaben gehört nach
§ 12 Abs. 1 Nr. 4 b, Abs. 4 KAG NW, daß ein - wie hier - schriftlich ergangener
Abgabenbescheid entsprechend § 157 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 neben der Bezeichnung
der festgesetzten Abgabe nach Art und Betrag auch angibt, wer die Abgabe schuldet.
Dies ist hier in hinreichend eindeutigem Maß sowohl in bezug auf die Klägerin als auch
auf den Kläger erfolgt.
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Zwar ist der Heranziehungsbescheid lediglich adressiert an „M. J. .EHEL.", gleichwohl
ist hieraus zu entnehmen, daß die Klägerin und der Kläger jeweils die im
Heranziehungsbescheid im einzelnen nach Art und Betrag aufgeschlüsselten und für
das Grundstück H. -R. - Straße 9 festgesetzten Straßenreinigungsgebühren in Höhe von
insgesamt 1.299,81 DM (als Gesamtschuldner) schulden.
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Dies ergibt sich aus einer bei Zweifeln an der Bestimmtheit eines Abgabenbescheides
vorrangig,
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vgl. BVerwG, Beschluß vom 25. März 1996 - 8 B 48.96 -, DVBl. 1996, 1061,
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vorzunehmenden Auslegung des Heranziehungsbescheides. Auslegungsmaßstab ist
dabei - wie allgemein im Rechtsverkehr bei empfangsbedürftigen Erklärungen -
entsprechend § 133 BGB der Empfängerhorizont, d.h. es kommt allein darauf an, wie
der Adressat (Betroffene) selbst nach den ihm bekannten Umständen den materiellen
Gehalt des angefochtenen Bescheides unter Berücksichtigung von Treu und Glauben
verstehen mußte.
32
Vgl. BVerwG, Beschluß vom 25. März 1996 a.a.O. und Urteil vom 25. Februar 1994 - 8 C
2.92 -, Buchholz 401.84 Benutzungsgebühren Nr. 68 S. 1 (4); OVG NW, Urteile vom 15.
Dezember 1995 - 9 A 3413 und 3499/95 -, letzteres bestätigt durch BVerwG, Beschluß
vom 25. März 1996 a.a.O.
33
Hiernach mußte zunächst für die Klägerin offensichtlich sein, daß mit der Adressierung
„M. J. .EHEL." i.V.m. der Adresse H. -R. -Straße 9, E. , die Eheleute M. J. gemeint waren,
die in der H. -R. -Straße 9 in E. wohnen. In dem Einfamilienwohnhaus auf diesem
Grundstück wohnten im Zeitpunkt des Zugangs des angefochtenen
Heranziehungsbescheides - unbestritten - nur zwei Eheleute J. , nämlich den Kläger
und eben auch die Klägerin; die marginal abweichende Schreibweise von „J. " statt „J. "
konnte daher von der Klägerin, die den Nachnamen J. trägt, nicht als Bezeichnung
anderer in der H. - R. -Straße 9 wohnender Eheleute "J. " aufgefaßt werden, zumal es
sich durch die zusätzliche - im Rechtsverkehr übliche - Verwendung des
Vornamenskürzels „M.", das mit dem Beginn des Vornamens ihres Ehegatten „M. "
identisch war, für sie aufdrängen mußte, welche Eheleute von dem
Heranziehungsbescheid betroffen waren. Entsprechendes gilt für den Kläger, der durch
die Verwendung seines Vornamenskürzels noch eindeutiger bestimmt ist.
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Hinzu kommt, daß aus dem angefochtenen Bescheid deutlich hervorgeht, daß es sich
um einen Bescheid über Grundbesitzabgaben und zwar betreffend das Grundstück H. -
R. -Straße 9 handelt. „Grundbesitzer" des vorgenannten Grundstücks sind allein die
Kläger als (Mit-) Eigentümer, so daß sie i.V.m. der - sicherlich unglücklichen -
Adressierung davon ausgehen mußten, daß der Bescheid auch sie beide betrifft. So
haben sie offenbar den genannten Bescheid auch verstanden, da sie mit Schreiben vom
28. November 1993 beide Widerspruch hiergegen eingelegt und sich ausschließlich
gegen die materielle Gebührenpflicht gewandt, die Adressierung des Bescheides
hingegen mit keinem Wort erwähnt haben. Die erstmals im Rahmen des
verwaltungsgerichtlichen Verfahrens vorgebrachte Begründung, man habe lediglich
deshalb Widerspruch eingelegt, weil der Bescheid ihr Grundstück betroffen und
Straßenreinigungsgebühren festgesetzt habe, obwohl die H. -R. -Straße gar nicht durch
die Stadt gereinigt werde, ist bei dieser Sachlage schlichtweg unglaubhaft, zumal die
Klägerin - wie auch der Kläger - die anderen in den Jahren 1989 bis 1994 ergangenen
und in gleicher Weise adressierten Grundbesitzabgabenbescheide des Beklagten bis
zu dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren unbeanstandet gelassen und offenbar auch
die Gebühren bezahlt haben; ein deutliches Indiz dafür, daß sie keinerlei Zweifel
hinsichtlich ihrer Schuldnerstellung hatten und die Adressierung für sie im Ergebnis
nicht unklar war.
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Der - von den Klägern erst im Berufungsverfahren eingeführte - Umstand, daß der
Bruder des Klägers "M. J. " sich Ende 1993 vorübergehend im Haus der Kläger
aufgehalten habe, ist vor diesem Hintergrund völlig unerheblich, zumal der Bruder in
keinerlei Beziehung zu dem Grundstück H. -R. -Straße 9 stand, für das die Gebühren
erhoben worden sind.
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Unter dem Gesichtspunkt der hinreichenden Bestimmtheit i.S.v. §§ 119, 157 Abs. 1 Satz
2 AO 1977 ist es nicht erforderlich, daß der Bescheid den zusätzlichen Hinweis enthält,
daß die Adressaten als Gesamtschuldner haften. Der Begriff „Gesamtschuldner" ist die
gesetzliche Kurzbezeichnung der Rechtsfigur, „daß mehrere eine Leistung in der Weise
schulden, daß jeder die ganze Leistung zu bewirken verpflichtet, der Gläubiger aber die
Leistung nur einmal zu fordern berechtigt ist" (vgl. die Legaldefinition in § 421 Satz 1
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BGB). V. diesem Begriffsinhalt innerhalb der Gesamtschuldnerschaft geht auch § 44
Abs. 1 Satz 1 AO 1977, der hier über § 12 Abs. 1 Nr. 2 b KAG NW anwendbar ist, aus,
da er u.a. bestimmt, daß Personen, die nebeneinander dieselbe Leistung aus dem
Abgabenverhältnis schulden, Gesamtschuldner sind. Da diese Rechtsfigur
(Gesamtschuldnerschaft) Regelungsinhalt des Bescheides war und sich - wie oben
ausgeführt - im Wege der Auslegung unmittelbar aus dem Bescheid ergibt, ist ein
solcher wiederholender Zusatz überflüssig.
Auch in bezug auf die im Bescheid neben der Abgabenfestsetzung enthaltene zweite
Regelung, nämlich die Zahlungsaufforderung, den festgesetzten Betrag innerhalb eines
Monats nach Bekanntgabe des Bescheides zu zahlen, war eine zusätzliche
Konkretisierung, daß die Kläger als Gesamtschuldner in Anspruch genommen werden,
nicht erforderlich. Aus dem Festsetzungsteil des Bescheides ergab sich nämlich bereits,
daß beide Adressaten die Straßenreinigungsgebühren in voller Höhe als
Gesamtschuldner schuldeten. An diesem Regelungsgehalt des
Festsetzungsbescheides knüpfte die Zahlungsaufforderung an und forderte jeden der
beiden Schuldner gleich Adressaten des Bescheides auf, den im Bescheid
angegebenen Betrag zu zahlen. Vor dem Hintergrund der gesetzlichen Regelung in §
12 Abs. 1 Nr. 2 b KAG, § 44 Abs. 1 Satz 2 AO 1977, wonach, soweit nichts anderes
bestimmt ist, jeder Gesamtschuldner die gesamte Leistung schuldet, konnte für die
Adressaten der Zahlungsaufforderung kein Zweifel bestehen, daß diese gegen beide
Adressaten in voller Höhe gerichtet war.
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Der danach - unabhängig von den später erlassenen Widerspruchsbescheiden -
hinsichtlich des Klägers und der Klägerin hinreichend bestimmte
Heranziehungsbescheid ist auch formell ordnungsgemäß bekannt gegeben worden.
Der Beklagte hat gegen die Kläger einen sogenannten zusammengefaßten Bescheid
i.S.v. § 12 Abs. 1 Nr. 4 b KAG, § 155 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 erlassen. Zum Erlaß eines
solchen zusammengefaßten Bescheides war der Beklagte befugt, weil die Kläger die
hier im Streit befindliche Abgabe „Straßenreinigungsgebühren" als Gesamtschuldner
schulden. Ob mehrere Personen in bezug auf dieselbe Abgabe nebeneinander dieselbe
Leistung schulden, richtet sich nach materiellem Abgabenrecht (§ 43 AO 1977 i.V.m. §
12 Abs. 1 Nr. 2 b KAG). Hier bestimmt das materielle Abgabenrecht, nämlich § 7 Abs. 1
der Satzung über die Straßenreinigung und über die Erhebung von
Straßenreinigungsgebühren in der Stadt E. vom 4. Dezember 1979 (SRS) i.d.F. der
Änderungssatzung vom 19. November 1987 (Veranlagungszeitraum 1989 bis 1992),
daß gebührenpflichtig der Eigentümer des erschlossenen Grundstücks ist und mehrere
Gebührenpflichtige Gesamtschuldner sind. Da die Kläger beide Miteigentümer des
Grundstücks sind, bezüglich dessen sie zu Straßenreinigungsgebühren herangezogen
worden sind, sind sie beide gebührenpflichtig und damit Gesamtschuldner. Ein
zusammengefaßter Bescheid nach § 155 Abs. 3 AO 1977 darf, wenn er - wie hier - an
Eheleute gerichtet ist, gemäß § 155 Abs. 5 AO 1977 in der Weise bekannt gegeben
werden, daß den Betroffenen eine Ausfertigung unter ihrer gemeinsamen Anschrift
übermittelt wird. Das ist hier geschehen.
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Der danach gegenüber den Klägern formell rechtmäßige Heranziehungsbescheid
begegnet auch in materiell-rechtlicher Hinsicht keinen Bedenken.
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Rechtsgrundlage der umstrittenen Gebührenerhebung sind die Bestimmungen der §§ 5
bis 7 SRS. Diese Bestimmungen sind formell wirksames Satzungsrecht; sie sind auch
materiell- rechtlich nicht zu beanstanden. Dies gilt insbesondere für die Gebührensätze
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von 6,51 DM (1989-1992) je Meter Grundstückslänge. Denn auch unter
Berücksichtigung der geänderten Rechtsprechung zur Berechnung der kalkulatorischen
Verzinsung lediglich nach dem Anschaffungswert und mit einem Zinssatz von bis zu 8
%,
vgl. OVG NW, Urteil vom 5. August 1994 - 9 A 1248/92 -, KStZ 1994, 213,
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sowie unter Einrechnung der nachveranlagten 1.734 m Seitenlängen bestehen die
Unterdeckungen in den genannten Veranlagungszeiträumen fort, wie der Beklagte - von
den Klägern nicht substantiiert in Frage gestellt - dargelegt hat. Durch die Einbeziehung
auch der Seitenlängen der Hinterliegergrundstücke in die Maßstabseinheiten bei der
Ermittlung des Gebührensatzes ist, wie das Verwaltungsgericht bereits zutreffend
ausgeführt hat, die von den Klägern befürchtete Mehrfacherhebung der
Straßenreinigungsgebühr ausgeschlossen.
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Nach § 5 Satz 1 i.V.m. § 7 Abs. 1 SRS sind die Kläger in den genannten
Veranlagungszeiträumen dem Grunde nach gebührenpflichtig gewesen.
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Gemäß § 5 Satz 1 SRS erhebt die Stadt E. für die von ihr durchgeführte Reinigung der
öffentlichen Straßen Benutzungsgebühren nach § 6 Abs. 2 KAG i.V.m. § 3
Staßenreinigungsgesetz NW. Gebührenpflichtig ist der Eigentümer des erschlossenen
Grundstücks.
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Die Kläger sind (Mit-)Eigentümer des Grundstücks H. - R. -Straße 9. Dieses Grundstück
wird auch, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, von dem von der Stadt
gereinigten „V. -O. -Ring" erschlossen i.S.d. § 7 Abs. 1 Satz 1 SRS. Gemäß § 4 Abs. 2
Satz 1 SRS ist ein Grundstück dann erschlossen, wenn seine wirtschaftliche oder
verkehrliche Nutzung durch die Straße, insbesondere durch einen Zugang oder eine
Zufahrt möglich ist. Dies trifft auf das Grundstück der Kläger in bezug auf den „V. -O. -
Ring" zu.
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Was nach § 4 Abs. 2 Satz 1 SRS mit der Möglichkeit einer wirtschaftlichen Nutzung des
Grundstücks durch die Straße gemeint ist, ergibt sich aus den Erschließungsbegriff des
§ 3 Abs. 1 StrReinG, wonach die Gemeinden von den Eigentümern der durch die (von
der Gemeinde gereinigten) Straße erschlossenen Grundstücke als Gegenleistung für
die Kosten der Straßenreinigung eine Benutzungsgebühr nach den Vorschriften des
Kommunalabgabengesetzes erheben. Die Vorschrift ist die gesetzliche Grundlage für
die Erhebung der Straßenreinigungsgebühren und im Sinne einer gesetzeskonformen
Auslegung des Satzungsrechts zu berücksichtigen. Danach ist die Regelung des § 4
Abs. 2 Satz 1 SRS so zu verstehen, daß die Grundstücke durch die zu reinigende
Straße erschlossen werden, wenn rechtlich und tatsächlich für Fußgänger oder
Fahrzeuge eine Zugangsmöglichkeit zur Straße besteht und dadurch die Möglichkeit
einer innerhalb geschlossener Ortslagen üblichen und sinnvollen wirtschaftlichen
Nutzung des Grundstücks schlechthin eröffnet wird. Die Definition entspricht dem
Erschließungsbegriff des § 3 Abs. 1 Straßenreinigungsgesetz.
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Vgl. OVG NW, Urteile vom 28. September 1989 - 9 A 1974/87 -, NWVBl. 1990, 163, und
vom 14. Dezember 1989 - 9 A 1718/88 -, mit denen die frühere Rechtsprechung zum
Erschließungsbegriff im Straßenreinigungsrecht NW aufgegeben worden ist; zur
Veranlagung von Hinterliegern vgl. OVG NW, Urteil vom 9. Dezember 1991 - 9 A
1610/90 -, KStZ 1992, 232.
48
Im vorliegenden Fall besteht für das Grundstück der Klägerin aufgrund ihres
Miteigentums an der Wegeparzelle 188 eine rechtlich ausreichend gesicherte
Zugangsmöglichkeit vom „V. - O. -Ring" zu ihrem innerhalb der geschlossenen Ortslage
gelegenen Hausgrundstück. Denn die Wegeparzelle 188 eröffnet die fußläufige - und in
Ausnahmefällen auch die mit Kraftfahrzeugen zu befahrende - Verbindung zum „V. - O. -
Ring" und begründet damit die Erreichbarkeit des Grundstücks der Klägerin (auch) von
dieser Straße aus. Daß ihr Grundstück postalisch der H. -R. -Straße zugeordnet ist und
darüberhinaus der Weg von dem „V. - O. -Ring" bis zu ihrem Grundstück, wie die Kläger
vortragen, tatsächlich nicht als Zugang genutzt wird, steht dem nicht entgegen, weil es
insoweit nur auf die objektive Zugangsmöglichkeit, nicht aber die postalische
Zuordnung oder die tatsächliche Nutzung ankommt. Die danach gegebene
Zugangsmöglichkeit eröffnet auch eine wirtschaftliche - hier etwa die bestehende
bauliche - Nutzung des Grundstücks der Kläger.
49
Der Erschließungszusammenhang zum „V. -O. -Ring" entfällt auch nicht dadurch, daß
das Wohnhaus der Kläger von dieser Straße weiter entfernt ist, als von der H. - R. -
Straße. Zwar ist nicht generell auszuschließen, daß durch private Zuwegungen der
Erschließungszusammenhang zur öffentlichen Straße unterbrochen werden kann, wenn
das jeweilige Grundstück von der betreffenden Straße so weit entfernt ist, daß von
einem Sondervorteil für den Grundstückseigentümer von der Reinigung dieser Straße
nicht mehr gesprochen werden kann.
50
Vgl. OVG NW, Urteil vom 2. März 1990 - 9 A 1647/88 -.
51
Eine solche Sachlage scheidet für das vorliegende Grundstück aber aus, da
ausweislich des vorliegenden Flurkartenauszuges die Wegeparzelle 188 zwischen dem
Grundstück der Kläger und dem „V. -O. -Ring" einschließlich des Versprungs lediglich
rund 47 m lang ist.
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Unerheblich ist, daß über die Wegeparzelle 188 zugleich eine Zugangsmöglichkeit zu
der H. -R. -Straße besteht, da hierdurch allenfalls eine weitere Erschließung des
Grundstücks der Kläger im straßenreinigungsrechtlichen Sinn von dieser Straße aus
begründet wird.
53
Die Höhe der festgesetzten Gebühr begegnet ebenfalls keinen Bedenken. Fehler bei
der Ermittlung der Länge der nach § 6 Abs. 1 Satz 1 SRS maßgebenden, dem „V. -O. -
Ring" zugewandten Grundstücksseite mit 37,48 m, die nach § 6 Abs. 3 SRS auf 37 m
abgerundet worden sind, sind nicht ersichtlich.
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Umstände, die die Einstufung des „V. -O. -Rings" als Straße, die i.S.d. § 6 Abs. 4 a SRS
überwiegend dem Anliegerverkehr dient, entgegenstehen, drängen sich dem Senat
nicht auf und sind auch von den Klägern nicht vorgetragen worden. Mit dem danach
zugrunde zu legenden Gebührensatz von 6,51 DM (1989-1992) je Meter Seitenlänge
und einer Seitenlänge des Grundstücks von 37 m ist die von dem Beklagten
festgesetzte und nach der Erledigung noch verbliebene Gebühr i.H.v. insgesamt 963,48
DM (37 x 6,51 DM x 4) auch rechnerisch richtig ermittelt worden.
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Die Nachveranlagung ist, wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat, noch
innerhalb der vierjährigen Festsetzungsfrist des § 12 Abs. 1 Nr. 4 b KAG i.V.m. § 169
Satz 2 AO 1977 und damit rechtzeitig erfolgt.
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Der Beklagte ist auch unter dem Gesichtspunkt der Verwirkung nach Treu und Glauben
nicht an der Nachveranlagung gehindert. Angesichts der Vier-Jahres-Frist für die
Festsetzungsverjährung kann der Abgabenschuldner nicht darauf vertrauen, bereits vor
Ablauf dieser Frist keinen Nachveranlagungen mehr ausgesetzt zu sein, es sei denn,
der Beklagte hat einen diesbezüglichen besonderen Vertrauenstatbestand geschaffen.
Dies liegt hier jedoch nicht vor. Ein derartiger besonderer Vertrauenstatbestand kann
insbesondere nicht in dem Erlaß der jährlichen Grundbesitzabgabenbescheide gesehen
werden. Diese ausschließlich belastenden Bescheide gehen in ihrem
Bedeutungsgehalt nicht über die jeweils konkret festgesetzte und erhobene Abgabe
hinaus und lassen im Regelfall die nachträgliche Erhebung eines weiteren
Abgabenbetrages oder anderer Abgaben unberührt. Anhaltspunkte dafür, daß dies im
Falle der Kläger ausnahmsweise anders ist, sind nicht ersichtlich.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 161 Abs. 2, 154 Abs. 1 und Abs. 2, 159 Satz 2
VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO,
§§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO
nicht gegeben sind.
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