Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 13.10.2005

OVG NRW: genfer flüchtlingskonvention, widerruf, kosovo, resolution, regierung, staatsangehörigkeit, ausländer, polizist, abschiebung, zumutbarkeit

Oberverwaltungsgericht NRW, 13 A 3690/05.A
Datum:
13.10.2005
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
13. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
13 A 3690/05.A
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Köln, 22 K 4295/04.A
Tenor:
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil
des Verwaltungsgerichts Köln vom 30. August 2005 wird auf Kosten des
Klägers zurückgewiesen.
G r ü n d e:
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
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Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr.
1 AsylVfG) ist nicht gegeben.
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Grundsätzlich bedeutsam ist eine Rechtssache, die eine über den Einzelfall
hinausgehende, verallgemeinerungsfähige Frage tatsächlicher oder rechtlicher Art
aufwirft, die der Rechtsvereinheitlichung und/oder Rechtsfortbildung dienlich und in der
Berufung klärungsbedürftig und klärungsfähig ist. Diese Umstände sind vom
Rechtsmittelführer darzulegen, wobei "Darlegung" im Sinne von "Erläutern" und
"Erklären" zu verstehen ist. "Darlegen" erfordert deshalb eine Durchdringung und
Aufarbeitung des Falles in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht am Maßstab des
erstinstanzlichen Urteils und dementsprechend eine qualifizierte Auseinandersetzung
mit den Gründen des angefochtenen Urteils sowie detaillierte fallbezogene
Ausführungen.
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GK-AsylVfG, Stand: September 2005, § 78 Rdnrn. 557 ff.
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Die vom Kläger aufgeworfene Frage,
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ob sich die Prüfung im Rahmen des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG lediglich spiegelbildlich
auf den Wegfall der ursprünglich die Verfolgung begründenden Umstände beschränkt,
oder aber ob im Sinne der 'Wegfall-der-Umstände-Klausel' des Artikel 1 C (5) der Genfer
Flüchtlingskonvention (GK) eine objektive Veränderung der Umstände im Herkunftsland
des Betroffenen eingetreten sein muss, aufgrund derer der Flüchtling es nicht mehr
ablehnen kann, den Schutz seines Herkunftsstaates wieder in Anspruch zu nehmen,
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bedarf keiner grundsätzlichen Klärung in einem Berufungsverfahren, denn sie steht
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hinsichtlich des im Zulassungsantrag bezeichneten § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nicht an,
beantwortet sich außerdem auf Grund einer Auslegung der maßgeblichen
Rechtsvorschriften bzw. ist in der Rechtsprechung bereits geklärt.
Durch den mit der Klage angefochtenen Bescheid des (früheren) Bundesamts für die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 2. Juni 2004 wurde eine für den Kläger
positive Entscheidung zu dem (früheren) § 53 Abs. 6 AuslG, dem jetzt § 60 Abs. 7
AufenthG entspricht, widerrufen. Die für den Widerruf maßgebende und auch im
Widerrufsbescheid genannte Rechtsgrundlage des § 73 Abs. 3 AsylVfG (nicht, wie vom
Kläger angegeben, § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) enthält, anders als § 73 Abs. 1 AsylVfG,
keine weitergehenden einschränkenden Tatbestandsvoraussetzungen für den Widerruf
und verweist insbesondere nicht auf die humanitär orientierte Zumutbarkeitsklausel des
§ 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG, wonach von einem Widerruf abzusehen ist, wenn sich der
Ausländer auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann,
um die Rückkehr in den Staat abzulehnen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt.
Dementsprechend ist bereits zweifelhaft, ob die humanitäre Härteklausel des § 73 Abs.
1 Satz 3 AsylVfG im Rahmen des § 73 Abs. 3 AsylVfG überhaupt Anwendung findet,
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verneinend: VG Ansbach, Urteil vom 23. September 1999 - AN 17 K 99.31173 -,
InfAuslR 2000, 45.
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Selbst wenn angesichts dessen, dass § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG am Wortlaut des Art. 1
C Nr. 5 GK orientiert ist, und vor dem Hintergrund der humanitären Intention der
Konvention von einer Anwendbarkeit des § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG (auch) im Rahmen
des § 73 Abs. 3 AsylVfG ausgegangen wird, bedarf die als grundsätzlich bedeutsam
formulierte Frage keiner Klärung in einem Berufungsverfahren. Sowohl dem § 73 Abs. 1
Satz 3 AsylVfG als auch dem Art. 1 C Nr. 5 GK ist die Frage immanent, ob der betroffene
Ausländer noch eines asylrechtlichen Schutzes bedarf und/oder ihm die Rückkehr in
den Herkunftsstaat zumutbar ist. Der Widerruf einer Asylentscheidung (nach § 73 Abs. 1
AsylVfG) kommt nur in Betracht, wenn eine Wiederholung der Verfolgungsmaßnahmen
wegen zwischenzeitlicher Veränderungen im Herkunftsstaat mit hinreichender
Sicherheit ausgeschlossen werden kann, d.h. wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse
dort so einschneidend und dauerhaft und "hinreichend stabil" verändert haben, dass der
Betroffene ohne Verfolgungsfurcht heimkehren kann. Zudem ist in der Rechtsprechung
anerkannt, dass die genannte Bestimmung der Genfer Flüchtlingskonvention schon
deshalb keine höheren Anforderungen an den Widerruf der Eigenschaft als
Asylberechtigter bzw. der Flüchtlingseigenschaft als § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG stellt,
weil sie keine Regelung über den Widerruf des förmlich zuerkannten Flüchtlingsstatus
trifft.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 24. November 1992 - 9 C3.92 -, Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG
1992 Nr. 1; Schl.-H. OVG, Beschluss vom 3. Juni 2004 - 3 LA 3/04 -; VGH Bad.-Württ.,
Beschluss vom 16. März 2004 - A 6 S 219/04 -, AuAS 2004, 142, Hess. VGH, Beschluss
vom 28. Mai 2003 - 12 ZU 2805/02.A -, InfAuslR 2003, 400; OVG NRW, Beschlüsse vom
5. November 2004 - 13 A 4432/04.A -, vom 21. Juni 2004 - 13 A 1374/04.A - und vom 4.
Dezember 2003 - 8 A 3766/03.A -, NVwZ 2004, 757 ; VG Karlsruhe, Urteil vom 18. Mai
1998 - A 12 K 10192/98 -, NVwZ- Beil. 1998, 111.
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Ob die Voraussetzungen für den Ausnahmetatbestand des § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG
gegeben sind und einem Rückkehrverpflichteten die Rückkehr in den Herkunftsstaat
zumutbar ist, unterliegt der Tatsachenwürdigung durch den erstinstanzlichen Richter.
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Eine die Zulassung der Berufung rechtfertigende grundsätzliche Bedeutung zur
Anwendbarkeit und Auslegung von Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention
bzw. des § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG wird wegen der Abhängigkeit der Frage der
Zumutbarkeit der Rückkehr in den Herkunftsstaat von den Umständen des jeweiligen
Einzelfalls (u. a. Maß der Veränderung der dortigen Verhältnisse und etwaige im
Hinblick auf Art und Schwere der früher erlittenen Verfolgung zu erwartende
Nachwirkungen, sowie weitere den jeweiligen Rückkehrer betreffende Gesichtspunkte)
insoweit nicht begründet. Angesichts dessen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60
Abs. 7 AufenthG nur dann zu bejahen ist, wenn die Abschiebung eine wesentliche oder
gar lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustands bewirkt, d. h. zu
außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden und/oder
existenzbedrohenden Zuständen führen würde, wären in einem Berufungsverfahren
vielmehr die persönlichen Umstände des Klägers in einem derart großen Ausmaß für
die Anwendung von § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG maßgeblich, dass mit einer generellen
Klärung der als grundsätzlich bedeutsam formulierten Frage nicht gerechnet werden
kann.
Eine grundsätzliche Bedeutung ergibt sich auch nicht im Hinblick auf das Vorbringen im
Zulassungsantrag, dass der Kosovo wegen des nicht auf Dauer ausgerichteten UNMIK-
Mandats gekennzeichnet sei "durch einen vorübergehenden, alles andere als
endgültigen Status". Nach dem Schutzzweck des Art. 1 C Nr. 5 GK, wonach
internationaler Schutz nicht mehr gewährt werden soll, wo er nicht mehr erforderlich
oder nicht mehr gerechtfertigt ist, weil die Gründe, die dazu führten, dass jemand ein
Flüchtling wurde, nicht mehr bestehen, reicht es aus, dass der Flüchtling in das Land
seiner Staatsangehörigkeit zurückkehren kann und dort vor der politischen Verfolgung,
deretwegen er sein Heimatland verlassen hat, hinreichend sicher ist. Dieser Schutz
muss nicht notwendigerweise gerade durch die "Regierung" seines Heimatlandes (hier
des serbisch-montenegrinischen Staates) gewährt werden; vielmehr reicht es aus, wenn
dieser Schutz auf Grund einer UN-Resolution für eine Übergangszeit von einer von ihr
legitimierten Verwaltung gewährleistet wird. Dies gilt um so mehr, wenn die "Regierung"
des Heimatstaates - wie hier im Rahmen der UN-Resolution 1244 - der internationalen
Präsenz ausdrücklich zugestimmt hat. Maßgeblich kommt es dementsprechend darauf
an, ob dem Flüchtling in dem Land seiner Herkunft Schutz gewährt wird, nicht jedoch
darauf, durch welche Schutzmacht dies geschieht.
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Schl.-H. OVG, Beschluss vom 3. Juni 2004 - 3 LA 3/04.
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Die Wertung des Verwaltungsgerichts, eine Verfolgungsgefahr für den Kläger bei
dessen Rückkehr in den Kosovo zu verneinen, entspricht im Übrigen der
Rechtsprechung des Senats, dass Abschiebungsverbote für Kosovo-Albaner nicht
bestehen. Die frühere Tätigkeit des Klägers als Polizist begründet ebenfalls keine
fallübergreifende grundsätzliche Bedeutung, weil nach den Erkenntnisquellen keine
Anhaltspunkte für eine gezielte Verfolgung dieser Personengruppe bestehen und
deshalb für den Kläger wegen seiner früheren Berufstätigkeit keine ein
Abschiebungsverbot begründende Verfolgungssituation gegeben ist.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2 VwGO, 83 b Abs. 1 AsylVfG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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