Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 24.05.2006

OVG NRW: widerruf, unechte rückwirkung, förderung der prostitution, waffengesetz, körperliche unversehrtheit, gesetzesänderung, inhaber, rechtskraft, zukunft, bedrohung

Oberverwaltungsgericht NRW, 20 A 2531/04
Datum:
24.05.2006
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
20. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
20 A 2531/04
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Aachen, 6 K 1922/03
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des zweitinstanzlichen Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger
darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des
beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf von fünf Waffenbesitzkarten, die ihm der
Beklagte in den Jahre 1992 bis 1994 nebst zugehöriger Munitionserwerbsberechtigung
erteilt hatte und in die insgesamt sieben Waffen eingetragen sind.
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Nachdem der Kläger in der Zeit ab 1983 bereits wiederholt rechtskräftig verurteilt
worden war, unter anderem wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz, wegen
fortgesetzter Beihilfe zur Förderung der Prostitution in Tateinheit mit Zuführung zur
Prostitution und Zuhälterei sowie wegen vorsätzlicher Körperverletzung und Bedrohung,
wurde gegen ihn durch Urteil des Amtsgerichts B. vom 3. November 1998 ( ) -
rechtskräftig seit dem 21. August 1999 - wegen Anstiftung zur falschen uneidlichen
Aussage sowie Anstiftung zum Meineid auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr
und neun Monaten erkannt. Von der letzten Verurteilung erhielt der Beklagte im
November 2000 Kenntnis, sah nach einem Aktenvermerk jedoch die Voraussetzungen
für weitere Maßnahmen nicht als gegeben an.
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Nach Anhörung des Klägers widerrief der Beklagte mit Bescheid vom 17. April 2003 die
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von ihm erteilten Waffenbesitzkarten einschließlich der
Munitionserwerbsberechtigungen sowie zwei von der Freien und Hansestadt I. in den
Jahren 1981 und 1983 ausgestellte Waffenbesitzkarten. Zugleich verpflichtete er ihn
unter Androhung eines Zwangsgeldes, die Erlaubnisurkunden spätestens mit
Bestandskraft des Widerspruchsbescheides zurückzugeben, und gab auf, die in den
Waffenbesitzkarten eingetragenen Waffen binnen sechs Monaten nach Bestandskraft
der Verfügung einem Berechtigten zu überlassen oder dauerhaft unbrauchbar zu
machen. Ferner erhob er für seine Entscheidung Kosten in Höhe von 250,62 EUR. Zur
Begründung führte er im Wesentlichen aus, die letzte Verurteilung des Klägers zu einer
Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten erfülle den Tatbestand des § 5 Abs. 1
Nr. 1 lit. a) des Waffengesetzes vom 11. Oktober 2002 (WaffG 2002), so dass seine
waffenrechtliche Unzuverlässigkeit mit der Folge feststehe, dass die ihm erteilten
Waffenbesitzkarten gem. § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG 2002 zu widerrufen seien.
Der Kläger legte am 24. April 2003 gegen den vorgenannten Bescheid Widerspruch ein.
Der Beklagte änderte unter dem 25. Juni 2003 seinen Bescheid dahin ab, dass er den
ursprünglich enthaltenen Widerruf der Waffenbesitzkarten aus den Jahren 1981 und
1983 aufhob, da diese bereits bestandskräftig durch die Freie und Hansestadt I.
widerrufen worden waren, und die vom Kläger zu tragenden Kosten auf 210,62 EUR
reduzierte. Mit Bescheid vom 1. September 2003 wies dann die Bezirksregierung L. den
Widerspruch zurück.
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Der Kläger hat am 17. September 2003 Klage erhoben, sich vor allem gegen die
Heranziehung der Zuverlässigkeitsregelungen des Waffengesetzes 2002 gewandt und
beantragt,
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die Bescheide des Beklagten vom 17. April 2003 und vom 25. Juni 2003 sowie den
Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung L. vom 1. September 2003 aufzuheben.
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Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Das Verwaltungsgericht hat mit dem angefochtenen Urteil, auf das Bezug genommen
wird, die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der
Kläger sei wegen einer nach Erteilung seiner waffenrechtlichen Erlaubnisse erfolgten
Verurteilung unzuverlässig geworden. Dabei sei auf die Zuverlässigkeitsregelungen des
zum 1. April 2003 in Kraft getretenen § 5 WaffG 2002 abzustellen. Darüber hinaus sei
auch nach § 5 des Waffengesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 8. März
1976 (WaffG 1976) die Unzuverlässigkeit des Klägers anzunehmen.
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Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Senat zugelassene Berufung des Klägers, der
nunmehr insbesondere geltend macht:
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Das angefochtene Urteil berücksichtige nicht hinreichend, dass der Beklagte -
dokumentiert durch einen Aktenvermerk - ihn, den Kläger, im Jahr 2000 in Kenntnis der
Verurteilung aus dem Jahre 1998 als waffenrechtlich zuverlässig beurteilt habe. Nicht
aufgrund der Verurteilung vom 3. November 1998, sondern allein aufgrund der am 1.
April 2003 in Kraft getretenen Änderung des Waffengesetzes sei bei ansonsten
unverändert gebliebener Tatsachenlage der Widerruf der Waffenbesitzkarten erfolgt.
Eine Rechtsänderung allein sei aber keine nachträgliche Tatsache im Sinne der
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Widerrufsregelungen. Zudem sei die Formulierung "hätte führen müssen" in § 45 Abs. 2
Satz 1 WaffG 2002 dahin auszulegen, dass die Zuverlässigkeitskriterien an der zum
Zeitpunkt der Erlaubniserteilung geltenden Rechtslage zu messen seien. Danach hätten
die angeführten Tatsachen aber nicht zur Annahme der Unzuverlässigkeit geführt. Für
dieses Verständnis des § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG 2002 spreche auch die
Übergangsregelung des § 58 Abs. 1 Satz 1 WaffG 2002, in welcher der Gesetzgeber
den Willen zum Ausdruck gebracht habe, waffenrechtlichen Erlaubnissen einen
Bestands- und ihren Inhabern einen Vertrauensschutz zu gewähren. Auch die vom
Verwaltungsgericht angenommene unechte Rückwirkung hätte wegen ihrer schwer
belastenden Wirkung vom Gesetzgeber klar und dezidiert angeordnet werden müssen.
Sie sei zudem grundsätzlich nur in Ausnahmefällen zulässig. Unzutreffend sei auch die
Hilfsbegründung des Verwaltungsgerichts, wonach seine, des Klägers, Zuverlässigkeit
auch nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) WaffG 2002, welcher wörtlich dem § 5 Abs. 1 Nr. 1
WaffG 1976 entspreche, hätte verneint werden müssen. Der Beklagte habe dies nach
einem Aktenvermerk ausdrücklich abgelehnt und seine Widerrufsentscheidung im
Übrigen selbst nicht einmal auf die Erwägungen der Hilfsbegründung des
Verwaltungsgerichts gestützt. Seine, des Klägers, Unzuverlässigkeit lasse sich mit den
mit der Gesetzesänderung verfolgten Sicherheitsinteressen nicht begründen. Das
entspreche auch der Wertung der Jagdbehörde, die ihm, dem Kläger, noch im April
dieses Jahres einen Jagdschein ausgestellt habe, der es ihm ermögliche, jedenfalls
zum Zweck der Jagd Waffen zu führen. Im Übrigen habe auch der Beklagte ihm einen
Europäischen Feuerwaffenpass ausgestellt.
Der Kläger beantragt,
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unter Abänderung des angefochtenen Urteils den Bescheid des Beklagten vom 17. April
2003 in der Fassung des Bescheides vom 25. Juni 2003 und den
Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung L. vom 1. September 2003 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er verteidigt die Entscheidung des Verwaltungsgerichts und führt insbesondere aus, die
im internen Vermerk aus dem Jahre 2000 getroffene Bewertung, der Kläger sei auch
nach der Verurteilung durch das Amtsgericht B. vom 3. November 1998 zuverlässig,
beruhe vornehmlich auf der damaligen Weisungslage in Nordrhein- Westfalen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der
Beteiligten wird auf die Streitakte und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten sowie
der Bezirksregierung L. , ferner auf die beigezogenen Akten des Verwaltungsgerichts B.
und der Staatsanwaltschaft B. verwiesen.
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Entscheidungsgründe
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Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die zulässige
Klage zu Recht abgewiesen. Der Widerruf der in Form der Waffenbesitzkarten erteilten
waffenrechtlichen Erlaubnisse ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen
Rechten.
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Der Widerruf ist zutreffend auf § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG 2002 gestützt, das mit dem
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Gesetz zur Neuregelung des Waffenrechts vom 11. Oktober 2002 am 1. April 2003 in
Kraft getreten ist und zum Zeitpunkt des Widerrufs die Bestimmungen des
Waffengesetzes 1976 abgelöst hatte. Auf den Bestand der Erlaubnisse hat die
Gesetzesänderung keinen Einfluss gehabt, § 58 Abs. 1 Satz 1 WaffG 2002. Gemäß § 45
Abs. 2 Satz 1 WaffG 2002, der keine wesentliche Änderung gegenüber § 47 Abs. 2 Satz
1 WaffG 1976 enthält, ist eine Erlaubnis zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen
eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen. Diese Voraussetzungen liegen für
den maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids vor.
Eine waffenrechtliche Erlaubnis setzt gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG 2002 voraus, dass
der Antragsteller die erforderliche Zuverlässigkeit, § 5 WaffG 2002, besitzt. Dies ist nicht
der Fall bei Personen, die wegen eines Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden sind,
wenn seit dem Eintritt der Rechtskraft der letzten Verurteilung zehn Jahre noch nicht
verstrichen sind, § 5 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) WaffG 2002. Nach dieser zwingenden
gesetzlichen Vorgabe, die eine wesentliche Verschärfung gegenüber der bisherigen
Parallelregelung in § 5 WaffG 1976 darstellt, ist der Kläger als waffenrechtlich
unzuverlässig zu betrachten. Denn er wurde durch Urteil des Amtsgerichts B. vom 3.
November 1998 ( ) wegen eines Verbrechens, § 12 Abs. 1, §§ 26, 154 StGB verurteilt
und seit dem Eintritt der Rechtskraft sind 10 Jahre noch nicht verstrichen. Die zum
Wegfall der Zuverlässigkeit führende Verurteilung ist zeitlich nach der Erteilung
sämtlicher Waffenbesitzkarten - die letzte wurde im Dezember 1994 ausgestellt - erfolgt
und daher eine nachträgliche Tatsache im Sinne von § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG 2002.
Sie hätte auch im Sinne dieser Vorschrift zur Versagung führen müssen, weil die dafür
maßgeblichen Kriterien nicht dem bei der Erteilung der Erlaubnisse oder beim Eintreten
der nachträglichen Tatsache geltenden Recht, mithin dem Waffengesetz 1976, sondern
der jetzt geltenden Norm zu entnehmen sind, also § 5 WaffG 2002.
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Diese Festlegung ist vorliegend erforderlich, weil das Gericht die Auffassung des
Verwaltungsgerichts nicht teilt, der Widerruf sei auch bei Heranziehung der
Zuverlässigkeitsregelungen des Waffengesetzes 1976 gerechtfertigt. Als nachträgliche
Tatsachen kommen nach dem Aktengehalt nur die vorgenannte Verurteilung sowie eine
Verurteilung wegen Körperverletzung und Bedrohung aus dem Januar 1996 durch das
Landgericht B. als Berufungsgericht ( ) in Betracht. Die letztgenannte Verurteilung mag
vom Deliktscharakter her geeignet sein, eine Regelvermutung zu begründen, § 5 Abs. 2
Nr.1 lit. b) WaffG 1976, jedoch ist der zusätzlich zu beachtende zeitliche Rahmen von
fünf Jahren überschritten. Die weitere Verurteilung führt schon vom Deliktscharakter her
zu keinem Regelfall der Unzuverlässigkeit nach dem Waffengesetz 1976. Für den
Rückgriff auf die Grundregel der Zuverlässigkeit in § 5 Abs.1 WaffG 1976 ist ein
begründbarer Rückschluss auf den Umgang mit Waffen erforderlich, der aufgrund der
hier zu betrachtenden Tatsachen nicht zu ziehen ist. Angesichts der nach früherem
Recht maßgeblichen gesetzgeberischen Risikoeinschätzung und - bewertung, nach der
nur bei bestimmten nicht unmittelbar auf den Umgang mit Waffen bezogenen Delikten
ein Schluss auf Besorgnisse beim Umgang mit Waffen für grundsätzlich gerechtfertigt
gehalten wurde, können die der Verurteilung aus dem Jahr 1998 zugrunde liegenden
Verhaltensweisen des Klägers trotz der darin zu Tage getretenen Charaktermängel
nicht ausreichen, auf ein das allgemeine Maß der Gefahr des missbräuchlichen
Umgangs mit Waffen übersteigendes Risiko zu schließen.
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Dass Inhaber von unter Geltung des Waffengesetzes 1976 erteilten Erlaubnissen von
der Verschärfung der materiellen Rechtslage im Waffengesetz 2002 verschont sein
sollten, also für sie die Rechtslage bei Erlaubniserteilung perpetuiert wäre, ist weder
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ausdrücklich angeordnet, noch aus anderen Gründen, etwa solchen der systematischen
oder an Sinn und Zweck ausgerichteten Auslegung festzustellen. Insbesondere lässt
sich ein gesetzgeberischer Wille, bestehende waffenrechtliche Erlaubnisse von den
materiellen Anforderungen des neuen Waffenrechts freizustellen, nicht aus § 58 Abs. 1
Satz 1 WaffG 2002 entnehmen. Die Vorschrift erschöpft sich darin, die Fortgeltung
erteilter waffenrechtlicher Erlaubnisse anzuordnen und so zu verhindern, dass diese mit
Inkrafttreten des Waffengesetzes 2002 ihre Gültigkeit verlieren und unter den
Voraussetzungen des neuen Rechts erneut beantragt werden müssen. Ein
weitergehender, die materiellen Voraussetzungen umfassender Schutz für Inhaber alter
Erlaubnisse lässt sich weder dem Wortlaut noch der Gesetzesbegründung zu der
Übergangsregelung entnehmen. Die vom Kläger angeführte Besitzstandswahrung
gemäß der Begründung zu § 56 des Regierungsentwurfs zum
Waffenneuregelungsgesetz (BT-Drs. 14/7758) bezieht sich auf kriegswaffenrechtliche
Erlaubnisse, bei denen sich durch die Auflösung der teilweise parallelen Anwendung
von Waffengesetz und Kriegswaffenkontrollgesetz Neuerungen ergeben sollten. Der
vom Kläger im Anschluss an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof -
vgl. Beschluss vom 14. November 2003 - 21 Cs 03.2056 -
25
vertretenen Auffassung, bei der Anwendung von § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG 2002 sei ein
Rückbezug auf früheres Recht mit Blick darauf erforderlich, ob die nachträglich
eingetretene Tatsache zur Versagung hätte führen müssen, ist nicht zu folgen.
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Eine solche Betrachtung wird insbesondere nicht durch das in Art. 20 Abs. 3 GG
verankerte rechtsstaatliche Vertrauensschutzgebot gefordert. Zutreffend geht das
Verwaltungsgericht davon aus, dass die in Rede stehende Vorschrift keine echte
Rückwirkung darstellt, da nicht gestaltend in einen in der Vergangenheit liegenden
Sachverhalt eingegriffen wird; die mit den geänderten Regelungen der für den Widerruf
maßgeblichen Kriterien verbundenen Rechtsfolgen können und sollen erst nach dem
Inkrafttreten des Waffengesetzes 2002 eintreten und knüpfen lediglich tatbestandlich
(auch) an Ereignisse vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens an. Eine solche unechte
Rückwirkung erfordert nach den Maßstäben des Bundesverfassungsgerichts -
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vgl. etwa Urteil vom 5. Februar 2004 - 2 BvR 2029/01 -, BVerfGE 109, 133 (182) -
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eine Abwägung zwischen dem Gewicht der berührten Vertrauensschutzbelange und der
Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für das Gemeinwohl.
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Danach ergeben sich keine Bedenken. Der Gesetzgeber verfolgt mit der Änderung des
Waffengesetzes und insbesondere mit der Verschärfung der Anforderungen an die
waffenrechtliche Zuverlässigkeit das Ziel, seine Schutzpflichten aus Art. 2 Abs. 2 GG zu
erfüllen und sich schützend vor das Leben und die körperliche Unversehrtheit der
Bürger zu stellen. Zentrales Anliegen des Waffengesetzes 2002 ist es dabei, das mit
jedem Waffenbesitz verbundene Risiko noch weitergehend zu minimieren und nur bei
Personen hinzunehmen, die das Vertrauen verdienen, in jeder Hinsicht ordnungsgemäß
und verantwortungsbewusst mit der Waffe umzugehen. Demgegenüber fällt ein
Vertrauen auf den Fortbestand der Zuverlässigkeitsanforderungen nicht erheblich ins
Gewicht. Ein entsprechendes Festhalten am Bisherigen wäre schon mit dem Charakter
der waffenrechtlichen Zuverlässigkeitsprüfung als Prognoseentscheidung kaum zu
vereinbaren. Kennzeichen dieser Prognose ist, dass zur Verhinderung künftiger
Schäden aus Entwicklungen und Tatsachen der Vergangenheit und Gegenwart auf die
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Zukunft geschlossen wird. Eine Prognose ist anerkanntermaßen nicht zu beanstanden,
wenn zum Zeitpunkt der Entscheidung Anhaltspunkte vorhanden sind, welche den
Schluss auf künftige Schäden begründbar machen, wobei dem Gesetzgeber eine
Einschätzungsprärogative hinsichtlich des Aussagegehaltes bestimmter
Verhaltensweisen zusteht. Der Schutz eines Vertrauens auf eine bestimmte behördliche
Reaktion und/oder die Beibehaltung der Einschätzung bestimmter Vorkommnisse - auch
soweit sie in der Vergangenheit liegen - ist schon wegen möglichen
Erkenntniszuwachses und wegen möglicher Wertungsänderungen nebst
Gewichtsverschiebungen mit einer in die Zukunft gerichteten Bewertung nicht vereinbar,
zumal wenn diese wie nach § 4 Abs. 3 WaffG 2002 in regelmäßigen Abständen zu
überprüfen ist. Im Übrigen wäre ein Vertrauen wie etwa das auf den Bestand der
Regelung des § 5 WaffG 1976 auch nur bei einer darauf aufbauenden Betätigung
schutzwürdig, was vorliegend die schwerlich haltbare Annahme implizieren würde, dass
die für den Widerruf entscheidende Straftat nicht begangen worden wäre, wenn
seinerzeit die Folgen des strafrechtlich relevanten Verhaltens in waffenrechtlicher
Hinsicht abzusehen gewesen wären.
Aus dem Wortlaut des § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG 2002 ist eine Begünstigung für die nach
altem Recht erteilten Erlaubnisse nicht abzuleiten. Zwar lässt die Formulierung "die zur
Versagung hätten führen müssen" ein Verständnis dahin zu, für die Beurteilung der
Zuverlässigkeit des Erlaubnisinhabers seien die zu berücksichtigenden nachträglichen
tatsächlichen Umstände fiktiv auf den Zeitpunkt der Erlaubniserteilung und die damals
gültige Rechtslage zu beziehen. Allerdings ist das keinesfalls zwingend; denn § 45 Abs.
2 Satz 1 WaffG 2002 dient anders als Absatz 1 dieser Vorschrift gerade nicht der
Korrektur einer rechtswidrigen Erlaubniserteilung, für die die damaligen tatsächlichen
und rechtlichen Umstände maßgeblich wären, sondern ermöglicht eine für geboten
erachtete Reaktion auf später eingetretene Umstände. Systematische Gründe sprechen
daher eher gegen eine Orientierung an Maßgaben, die zum Zeitpunkt der
Erlaubniserteilung galten. Für ein Anknüpfen an die Rechtslage im Zeitpunkt der nach
dem Waffengesetz 2002 zwingend zur Unzuverlässigkeit führenden Verurteilung
sprechen ebenfalls keine tragfähigen Erwägungen; dem steht schon der Zweck der
Widerrufsverpflichtung, den geltenden waffenrechtlichen Anforderungen Rechnung zu
tragen, und die Zielsetzung ihrer Verschärfung durch das Waffengesetz 2002 entgegen.
Soweit das Bundesverwaltungsgericht -
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Urteil vom 18. Februar 1983 - 1 C 158.80 -, BVerwGE 67, 16, 20 -
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zum Eingreifen der Bestimmungen über einen Widerruf bei nachträglicher
Unzuverlässigkeit nach dem Waffengesetz 1972 darauf abgehoben hat, ob die
"nachträglich eingetretenen Tatsachen nach dem im Zeitpunkt ihrer Eintritts für ihre
Bewertung maßgeblichen Recht zur Versagung der Erlaubnis hätten führen müssen",
kann dem für die hier relevante Frage kein maßgeblicher Aussagegehalt gegeben
werden, weil es seinerzeit um Fälle ging, in denen das Inkrafttreten der Widerrufs- und
Zuverlässigkeitsregelungen und die Möglichkeit der Erteilung der Waffenbesitzkarten
zeitlich zusammenfielen, also ein Tatsacheneintritt zwischen der Erlaubniserteilung und
einer Änderung der im Zeitpunkt des Widerrufs geltenden gesetzlichen
Zuverlässigkeitskriterien gar nicht in Rede stand. Soweit es die angeführte Passage in
einer Entscheidung zum Waffengesetz 1976 aufgreift -
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Urteil vom 30. April 1985 - 1 C 12.83 -, BVerwGE 71, 234, 243 -
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kommt dem im dort entschiedenen Fall ebenfalls keine tragende Bedeutung zu und stellt
eher ein abrundendes Zitat zu dem der hier vertretenen Auffassung entsprechenden
Obersatz dar, dass "der Widerruf einer Waffenbesitzkarte wegen nachträglichen Eintritts
von Versagungstatsachen ... nicht einer vergangenen, sondern der im Zeitpunkt der
Entscheidung über den Widerruf gegebenen Rechtslage hinsichtlich der
Voraussetzungen für die weitere Ausübung der tatsächlichen Gewalt über
Schusswaffen Rechnung tragen" soll. Auch sonst spricht gerade in den
Zuverlässigkeitskriterien für einen Rückbezug auf normativer Ebene nichts Tragfähiges.
Der bei der Änderung des Waffenrechts mitverfolgte Zweck, die Sicherheit zu erhöhen,
spricht vielmehr eindeutig dafür, die gesetzgeberisch gewählten und neu bestimmten
Grenzen für die Hinnehmbarkeit des Waffenbesitzes Privater möglichst effektiv zur
Anwendung zu bringen.
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Diese Zielsetzung und die mit ihr in Fällen der vorliegenden Art verbundene
Widerrufsmöglichkeit wird nicht dadurch nachhaltig in Frage gestellt, dass ein Widerruf
in anderen Fallkonstellationen - etwa bei fehlendem Eintritt nachträglicher Tatsachen
wegen der Notwendigkeit der Bewertung einer Verurteilung zum Zeitpunkt der Erteilung
einer Waffenbesitzkarte - Widerruf und auch Rücknahme nicht in Betracht kommen. Dies
betrifft die Fälle, in denen vor dem Inkrafttreten des Waffengesetzes 2002 eine
Waffenerlaubnis in Ansehung einer Verurteilung erteilt worden ist, die nach den
damaligen gesetzlichen Vorgaben der Annahme der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit
nicht entgegenstand, jetzt aber eine solche Annahme ausschließt. Dies führt auf keine
willkürliche Ungleichbehandlung, denn dem Gesetzgeber stand es frei, das Gewicht der
Bestandskraft der waffenrechtlichen Erlaubnisse insoweit unterschiedlich zu bewerten.
Aus den gleichen Gründen bewegt sich das hier gewonnene Ergebnis innerhalb der
gesetzlichen Systematik. Insbesondere stellt der Umstand, dass die neue
gesetzgeberische Zielsetzung bestimmte Fallkonstellationen nicht erfasst, keinen
tragfähigen Grund dafür dar, die Erreichung des Gesetzeszweckes, nämlich die
persönlichen Anforderungen für die Befugnis zum Umgang mit Waffen zu verschärfen
und so die objektive Sicherheit zu verbessern, für andere Fallgestaltungen, die nach
Wortlaut, Zweck und Systematik vom gesetzlichen Widerrufstatbestand erfasst werden,
in Frage zu stellen.
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Nach alldem bleibt festzustellen, dass der Überprüfung des vorliegend angefochtenen,
nach dem 1. April 2003 ergangenen Widerrufsbescheids, der nach dem Außerkrafttreten
des Waffengesetzes 1976 allein auf § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG 2002 gestützt werden
kann, insgesamt allein die Maßgaben des Waffengesetzes 2002 zugrundezulegen sind.
Das entspricht auch der Auffassung anderer Obergerichte.
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Vgl. Niedersächsisches OVG, Urteil vom 26. Januar 2006 - 11 LB 178/05 -, DVBl. 2006,
528 (Ls), OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 4. März 2005 - 1 M 279/04 - und VGH
Baden-Württemberg, Beschluss vom 19. August 2004 - 1 S 976/04 -, VBlBW 2005, 102.
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Dass dem Kläger im April diesen Jahres ein Jagdschein erteilt worden ist, ist für die hier
zu treffende Bewertung des Entfallens des Zuverlässigkeitserfordernisses nach § 4 Abs.
1 Nr. 2 WaffG 2002 ohne Bedeutung. Ein Vorrang oder eine Maßgeblichkeit der
jagdrechtlichen Beurteilung für das Waffenrecht ist nicht gegeben. Im Gegenteil verweist
§ 17 Abs. 1 Satz 2 BJagdG in der Fassung des Gesetzes zur Neuregelung des
Waffenrechts vom 11. Oktober 2002 auf die Zuverlässigkeitsregelungen des
Waffengesetzes 2002. Insofern stellen sich die Fragen einer gebotenen
Berücksichtigung früheren Waffenrechts nicht einmal in der im Rahmen eines Widerrufs
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gegebenen Weise. Denn der Jagdschein ist befristet, § 15 Abs. 2 BJagdG, und erfordert
nach Fristablauf jeweils eine neue, eigenständige Prüfung gemäß den Erfordernissen
der aktuellen Rechts- und Faktenlage. Eine Verurteilung, die nach den Vorgaben des
Waffengesetzes 2002 zwingend die Annahme der erforderlichen waffenrechtlichen
Zuverlässigkeit hindert, steht also auch dann der Erteilung eines Jagdscheins zwingend
entgegen, wenn diese vor der Gesetzesänderung erfolgt ist, und zwar unbeschadet
davon, ob es sich um die Anschlusserteilung eines Jagdscheins nach Ablauf der
Befristung handelt.
Vgl. Beschluss des Senats vom 6. September 2005 - 20 A 1490/05 - mit Bezug auf die
Änderung der Zuverlässigkeitsregelungen gemäß § 5 WaffG 2002.
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Entsprechend könnte es - selbst wenn man der oben dargestellten Auffassung zum
maßgeblichen Recht beim Widerruf wegen Unzuverlässigkeit nicht folgt - dann
gleichwohl zu einem Widerruf von Waffenbesitzkarten, und zwar wegen fehlenden
Bedürfnisses, § 4 Abs. 1 Nr. 4 WaffG 2002, kommen, wenn nämlich die ein Bedürfnis
begründenden jagdrechtlichen Befugnisse wegen fehlender waffenrechtlicher
Zuverlässigkeit nach Maßgabe des Waffengesetzes 2002 aus Rechtsgründen, vgl. § 17
Abs. 1 Satz 2 BJagdG, nicht erneut erteilt werden dürfen. Wieso die für den Kläger
zuständige Jagdbehörde zu einer anderen Einschätzung der Zuverlässigkeit gelangt ist,
erschließt sich nicht, bedarf wegen fehlender rechtlicher Relevanz auch keiner weiteren
Abklärung. Entsprechend kann sich der Kläger wegen des zwingenden Charakters der
vorliegend in Rede stehenden Vorschriften zum Widerruf und zur Unzuverlässigkeit
auch nicht mit Erfolg auf eine abweichende Einschätzung bei der Erteilung des
Europäischen Feuerwaffenpasses, § 32 Abs. 1 WaffG 2002, berufen.
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Gegen die weiteren Regelungen in dem angefochtenen Widerrufsbescheid sind
Bedenken weder geltend gemacht noch ersichtlich, so dass sich weitere Ausführungen
erübrigen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO, § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
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Die Revision wird zugelassen, weil mit dem oben angeführten Urteil des
Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts von der Voraussetzung des § 132 Abs. 2
Nr. 1 VwGO auszugehen ist, zumal der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinem
ebenfalls genannten Beschluss - wenngleich nur in einem Verfahren des vorläufigen
Rechtsschutzes - unter näherer Begründung einen anderen Standpunkt vertreten hat,
und eine auf das Waffengesetz 2002 übertragbare Klärung zu früheren
Gesetzesfassungen durch das Bundesverwaltungsgericht nicht vorliegt.
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