Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 10.09.1997

OVG NRW (aufschiebende wirkung, vater, verschlechterung des gesundheitszustandes, 1995, verlängerung, besondere härte, bundesrepublik deutschland, reaktive depression, prognostische beurteilung, härte)

Oberverwaltungsgericht NRW, 17 A 7547/95
Datum:
10.09.1997
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
17. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
17 A 7547/95
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 8 K 7602/93
Tenor:
Die Berufung wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zulassen.
Tatbestand:
1
Die am 1975 geborene Klägerin reiste am 18. Januar 1987 mit ihrer Mutter und ihren
beiden jüngeren Geschwistern K. , geboren am 1975, und A. , geboren am 1981, in das
Bundesgebiet ein. Ihr Vater lebte hier bereits seit Juni 1986 als Asylbewerber. Die
Klagen auf Anerkennung als Asylberechtigte wurden durch Urteile des
Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 20. Oktober 1989 abgewiesen. Die Urteile sind
seit dem 6. April 1990 rechtskräftig.
2
Von der für den 13. Juli 1990 vorgesehenen Abschiebung der Familie wurde
abgesehen, nachdem der Amtsarzt am 28. Juni 1990 die Transportunfähigkeit der Eltern
der Klägerin festgestellt hatte. In der Folgezeit wurden deswegen Duldungen erteilt.
3
Im November 1990 wurde der Vater der Klägerin 3 Wochen stationär in der
psychiatrischen Abteilung des St. A. Krankenhauses in K. wegen einer Depression
behandelt. Nach einem Selbstmordversuch wurde durch Beschluß des Amtsgerichts
Dorsten vom 24. Januar 1991 seine Unterbringung in einem psychiatrischen
Krankenhaus mit geschlossener Abteilung für zunächst zwei Monate angeordnet. Auf
Ersuchen des Gesundheitsamtes B. erstattete Dr. S. , der Chefarzt der Abteilung für
Psychiatrie und Psychotherapie des St. A. Krankenhauses K. , in das der Vater der
Klägerin eingewiesen worden war, unter dem 15. Februar 1991 ein nervenärztliches
Gutachten. Er führte aus: Herr N. leide an einer schweren depressiven Erkrankung mit
Suizidalität. Es sei davon auszugehen, daß es bei einer Ausweisung zu einer
Progredienz der Erkrankung und auch zu weiteren Suizidhandlungen kommen werde.
Auch sei damit zu rechnen, daß die Erkrankung nicht nur vorübergehender Natur sei
und auch unter psychiatrischer Behandlung aufgrund der desolaten Zukunftsperspektive
kaum beeinflußbar erscheine.
4
Aufgrund dieses Gutachtens erteilte der Beklagte den Eltern der Klägerin, ihr selbst und
ihren Geschwistern gemäß §§ 30, 31 AuslG aus dringenden humanitären Gründen
jeweils eine bis zum 29. April 1992 befristete Aufenthaltsbefugnis. Am 23. April 1992
wurden Anträge auf Verlängerung der Aufenthaltsbefugnisse gestellt.
5
Auf Antrag des behandelnden Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. B. vom 25.
August 1992 ordnete das Amtsgericht D. im Wege einstweiliger Anordnung für den
Vater der Klägerin wegen der Behandlungsbedürftigkeit einer akuten Psychose die
Betreuung mit dem Aufgabenkreis Gesundheitsfürsorge, Aufenthaltsbestimmung und
Vertretung in Asyl- und Ausweisungsangelegenheiten an.
6
Am 5. Oktober 1992 stellte das Gesundheitsamt B. nach am 30. September 1992
durchgeführter Untersuchung die Reiseunfähigkeit des Vaters der Klägerin fest.
7
In der Folgezeit wurden der Familie zunächst weiterhin Duldungen erteilt.
8
Durch Beschluß vom 11. Februar 1993 verlängerte das Amtsgericht D. aufgrund des
forensisch-psychiatrischen Gutachtens des Arztes für Neurologie-Psychiatrie Dr. K. in O.
vom 6. Januar 1993 die Betreuung des Vaters der Klägerin um zunächst zwei Jahre. Dr.
K. führte in jenem Gutachten aus, es liege eine prolongiert bzw. chronisch verlaufende
schwere reaktive Depression vor. Die seelische Gestörtheit beinhalte latente
Suizidideen, allgemeine Gehemmtheits- und Antriebseinbußen, deutlich faßbare
Resigniertheit und regressiv anmutendes apathisch verzweifeltes Erleben und
Verhalten; sie sei krankheitswertig und behandlungsbedürftig. Herr N. befinde sich
derzeit in einem weitgehend psychosozial minder verfügbaren, fast hilflosen Zustand. Im
Falle einer Abschiebung zusammen mit der Familie seien massive Selbstaggressionen,
zum Beispiel Suizidalität und evtl. sogar ein weiterer Selbstmordversuch nicht
auszuschließen.
9
Am 5. Oktober 1993 erteilte der Beklagte den Eltern der Klägerin und ihrer Schwester A.
auf die Anträge vom 23. April 1992 jeweils eine bis zum 15. Februar 1994 befristete
Aufenthaltsbefugnis, ihrem Vater auf der Grundlage von § 30 Abs. 2, der Mutter und der
jüngeren Schwester gemäß § 31 Abs. 1 AuslG. Die Mutter der Klägerin hatte am 16.
Februar 1993 beim diakonischen Werk G. -B. - D. e.V. im Altenzentrum "J. -K. -Haus"
eine Tätigkeit als Altenpflegerin aufgenommen, die sie noch heute ausübt. Die
Entscheidung über die Verlängerung der Aufenthaltsbefugnis des Bruders K. wurde
wegen anhängiger Strafverfahren ausgesetzt.
10
Der Antrag der Klägerin wurde nach vorheriger Anhörung durch Ordnungsverfügung
vom 20. Dezember 1993 abgelehnt; zugleich wurde ihr unter Einräumung einer
Ausreisefrist von vier Wochen die Abschiebung nach Gambia angedroht. Der Beklagte
führte zur Begründung aus: Für die Klägerin komme eine Aufenthaltsbefugnis auf der
Grundlage von § 31 Abs. 1 AuslG nicht in Betracht, weil sie inzwischen volljährig sei.
Die Voraussetzungen für eine Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 3 und Abs. 4 AuslG
lägen nicht vor. Die Klägerin erhob unter dem 20. Dezember 1993 Widerspruch.
11
Zur Begründung der bereits am 21. Oktober 1993 - zunächst als Untätigkeitsklage -
erhobenen Klage hat die Klägerin ausgeführt: Sie bedürfe auch als Volljährige des
Schutzes ihrer Familie, bei der sie seit ihrer Einreise im Jahre 1987 lebe. Sie sei
vollständig integriert und habe die mittlere Reife erworben. Sie spreche, denke und
schreibe deutsch. Die Rückführung in ihr Heimatland werde zur Folge haben, daß der
12
psychisch kranke Vater einen weiteren Schub seiner Erkrankung erleiden werde. Die zu
befürchtenden Auswirkungen ausländerrechtlicher Maßnahmen auf das Krankheitsbild
ihres Vaters ergäben sich aus den vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen und
Gutachten.
Im Aussetzungsverfahren - 8 L 228/94 und 17 B 418/94 - hat die Klägerin weitere
ärztliche Stellungnahmen vorgelegt. Laut Arztbericht des Dr. B. vom 8. November 1993
habe sich der Zustand des Vaters der Klägerin verschlechtert, nachdem er erfahren
habe, daß seine Tochter die Bundesrepublik verlassen müsse. In der ärztlichen
Bescheinigung der praktischen Ärzte Dr. W. und N. vom 27. Mai 1994 ist ausgeführt, der
Gesundheitszustand des Vaters der Klägerin habe sich unter dem Druck des sie
betreffenden Verfahrens so stark verschlechtert, daß er stationär in die Psychiatrie in H.
aufgenommen werden müsse. Er habe jedoch den Arztkontakt abgebrochen und
danach jegliche Medikamenteneinnahme verweigert. Trotz seines früher bestehenden
ausgeglichenen Wesens sei es wiederholt zu Aggressionsausbrüchen der Umgebung
gegenüber gekommen, insbesondere aber zu wiederholten tätlichen Angriffen auf seine
Ehefrau. Eine Kurzschlußhandlung sich selbst oder die Familie betreffend sei nicht
mehr auszuschließen. Das Aussetzungsverfahren ist am 30. August 1995 durch
Hauptsachenerledigung beendet worden, nachdem der Beklagte die aufschiebende
Wirkung des Widerspruchs und der Klage gegen die Ordnungsverfügung vom 20.
Dezember 1993 angeordnet hatte.
13
Sodann hat der Beklagte zum Zwecke der Klärung der möglichen Auswirkungen der
Ausreise der Klägerin auf den Gesundheitszustand ihres Vaters dessen amtsärztliche
Untersuchung veranlaßt. In der nervenärztlichen Stellungnahme des Gesundheitsamtes
des Kreises R. - Nebenstelle D. - vom 2. November 1995 ist ausgeführt: Es bestehe
auch jetzt ein chronifizierter reaktiv-depressiver Zustand, wahrscheinlich auf dem Boden
einer narzistischen Persönlichkeitsstörung. Herr N. verfüge nur über eingeschränkte
Verarbeitungs- und Bewältigungskompetenzen hinsichtlich durchschnittlicher
Lebensanforderungen. Insbesondere lägen ausreichende Bewältigungsmöglichkeiten
für überdurchschnittliche Belastungen wie die zwangsweise Herauslösung eines
Kindes nicht vor. Eine solche lasse angesichts der in der Vergangenheit wiederholt
deutlich gewordenen Neigung des Vaters der Klägerin zu selbst- und fremdaggressiven
krankhaften Impulsdurchbrüchen eine weitere Symptomprovokation in dieser Hinsicht
befürchten, deren suizidaler Ausgang nicht auszuschließen sei.
14
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit dem Antrag,
15
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 20. Dezember 1993, soweit darin
der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis abgelehnt worden ist, zu verpflichten,
der Klägerin die begehrte Aufenthaltsbefugnis zu erteilen,
16
durch Urteil vom 20. November 1995, auf dessen Begründung Bezug genommen wird,
abgewiesen.
17
Die Klägerin hat gegen das ihr am 22. November 1995 zugestellte Urteil am 20.
Dezember 1995 Berufung eingelegt. Zu ihrer Begründung trägt sie vor: Der Beklagte
könne das ihm in § 30 Abs. 2 AuslG eingeräumte Ermessen fehlerfrei nur zu ihren
Gunsten ausüben. Das Verwaltungsgericht habe die Stellungnahme des
Kreisgesundheitsamtes vom 2. November 1995 unzutreffend gewürdigt. Ihr Vater
befinde sich nach wie vor in psychiatrischer Behandlung bei Dr. B. in D. . Außerdem
18
erfülle sie selbst die Voraussetzungen der Altfallregelung vom 10. Juni 1996. Sie sei vor
dem maßgebenden Stichtag eingereist. Die Familie nehme keine Sozialhilfe in
Anspruch. Sie habe wiederholt Berufsausbildungen in Angriff genommen, habe aber
immer Schwierigkeiten mit der Arbeitserlaubnis gehabt. Aus diesem Grund habe sie
auch ein ab 1. August 1997 vorgesehenes einjähriges Praktikum im St. G. Hospital in N.
nicht beginnen können. Von einem zwischenzeitlich erwogenen Besuch der Schule mit
dem Ziel, das Fachabitur zu machen, habe sie Abstand genommen.
Die Klägerin beantragt,
19
das angefochtene Urteil zu ändern und den Beklagten zu verpflichten, ihr auf ihren
Antrag vom 23. April 1993 die Aufenthaltsbefugnis zu verlängern und die
Ordnungsverfügung des Beklagten vom 20. Dezember 1993 insoweit aufzuheben.
20
Der Beklagte beantragt,
21
die Berufung zurückzuweisen.
22
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und führt aus: Der Bruder der Klägerin, K. ,
halte sich seit Mitte 1995 zum Besuch einer Sprachenschule in Großbritannien auf. Die
Abwesenheit dieses Sohnes führe offensichtlich nicht zu weiteren Beeinträchtigungen
der Gesundheit des Vaters. Das lasse darauf schließen, daß auch die Anwesenheit der
Tochter im Bundesgebiet nicht zwingend erforderlich sei. Die Erteilung einer
Aufenthaltsbefugnis nach der Härtefallregelung vom 10. Juni 1996 habe zunächst nicht
geprüft werden können, weil trotz mehrmaliger Aufforderung eine Schul- oder
Ausbildungsbescheinigung nicht vorgelegt worden sei. Die Klägerin habe sich sodann
zwar am 23. Oktober 1996 für die Höhere Berufsfachschule für Betriebswirtschaft an den
Berufsbildenden Schulen des Kreises R. in D. - Sekundarstufe II - angemeldet, habe
sich jedoch lediglich eine Bescheinigung über den Schulbesuch zum Zweck der
Vorlage bei der Ausländerbehörde ausstellen lassen; zum Unterricht sei sie nicht
erschienen.
23
Im Laufe des Berufungsverfahrens ist der Mutter der Klägerin - am 28. Februar 1997 -
eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis nach § 35 Abs. 1 i.V.m. § 24 AuslG erteilt worden.
Der Vater verfügt über eine bis zum 9. März 1999 befristete Aufenthaltserlaubnis nach §
35 Abs. 2 AuslG.
24
Am 13. Mai 1997 ist die Klägerin zusammen mit ihrem deutschen Freund bei der
Einreise aus den Niederlanden wegen des Verdachts der unerlaubten Einfuhr von
Betäubungsmitteln (Kokain) in nicht geringer Menge festgenommen worden. Sie war im
Besitz einer Plastiktüte, in der sich außer zwei Videokassetten 198 g Kokain mit einem
Anteil von 93,75 g Cocainhydrochlorid befanden. Der Haftbefehl des Amtsgerichts
Borken vom 14. Mai 1997 - 8a GS 181/97 - ist am selben Tag u.a. mit der Auflage außer
Vollzug gesetzt worden, sich einmal wöchentlich bei der Polizeistation in C. - wo die
Klägerin überwiegend bei ihrem deutschen Freund lebt - zu melden. Die Klägerin hat
bei der Vernehmung vor dem Haftrichter angegeben: Sie sei im Auftrag ihrer Mutter mit
ihrem Freund nach W. gefahren, um am Bahnhof etwas abzuholen. Sie habe dort die ihr
unbekannte Kontaktperson getroffen und eine Plastiktüte mit Videokassetten erhalten.
Erst auf der Rückfahrt habe sie noch in Holland bei einem Blick in die Plastiktüte einen
Knubbel bemerkt, von dem sie angenommen habe, das könne Hasch oder etwas
Härteres sein. Sie habe überlegt, diesen Knubbel vor der Grenze aus dem Fenster zu
25
werfen, habe davon aber aus Angst beobachtet zu werden, Abstand genommen.
Das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren richtet sich auch gegen die Mutter der
Klägerin.
26
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Streitakten,
die Verfahrensakten 8 L 228/94 = 17 B 418/94, die Verwaltungsvorgänge des Beklagten
und die beigezogenen Ermittlungsakten 49 Js 1145/97 der Staatsanwaltschaft Münster
Bezug genommen.
27
Entscheidungsgründe:
28
Die Berufung ist unbegründet.
29
Die Klägerin hat im gegenwärtigen Zeitpunkt, auf den für die Entscheidung über den
Verpflichtungsantrag abzustellen ist, keinen Anspruch auf Verlängerung ihrer
Aufenthaltsgenehmigung.
30
Ihr Aufenthaltswunsch ist, soweit mit ihm der Zweck verfolgt wird, eine massive
Verschlechterung des Gesundheitszustandes ihres Vaters bis hin zur Lebensgefahr
abzuwenden, auch nach der Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen an beide Eltern
nach § 30 Abs. 2 AuslG zu beurteilen. Hiernach kann einem Ausländer, der sich
rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, aus dringenden humanitären Gründen eine
Aufenthaltsbefugnis erteilt werden, wenn 1. die Erteilung oder Verlängerung einer
anderen Aufenthaltsgenehmigung ausgeschlossen und 2. aufgrund besonderer
Umstände des Einzelfalles das Verlassen des Bundesgebietes für den Ausländer eine
außergewöhnliche Härte bedeuten würde.
31
Anders als in der angefochtenen Ordnungsverfügung zugrundegelegt wird, ist eine
Aufenthaltsbefugnis nach dieser Vorschrift nicht schon durch § 30 Abs. 5 AuslG
ausgeschlossen, weil es nicht um die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach
erfolglosem Abschluß eines Asylverfahrens oder nach Rücknahme eines Asylantrages
geht. Die Klägerin war bereits ein Jahr - von April 1991 bis April 1992 - im Besitz einer
Aufent- haltsbefugnis. Da der Beklagte diese nicht zurückgenommen hat, ist
unerheblich, ob seinerzeit die Erteilungsvoraus- setzungen vorgelegen haben.
32
Einer Aufenthaltsbefugnis steht auch § 30 Abs. 2 Nr. 1 AuslG nicht entgegen.
Namentlich ist der Aufenthaltswunsch der Klägerin nicht dem Anwendungsbereich des
§ 22 AuslG zuzuordnen, wonach sonstigen - erwachsenen - Familienangehörigen eines
Ausländers nach Maßgabe des § 17 eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden kann,
wenn es zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich ist. Es geht der
Klägerin nicht um die Erbringung von Lebenshilfe an ihren darauf etwa angewiesenen
Vater im Rahmen familiärer Lebensgemeinschaft. Ihr Vater ist ersichtlich nicht auf ihre
persönliche Hilfe und Betreuung angewiesen. Die Besorgnis einer dramatischen
Verschlechterung seines Gesundheitszustandes wird aus seiner Vorstellung abgeleitet,
seine Kinder seien bei einer Abschiebung in ihr Heimatland dort staatlicher Willkür
ausgesetzt und könnten nicht menschenwürdig überleben. So erklärt sich, daß die
Übersiedlung des jüngeren Bruders der Klägerin nach Großbritannien im Sommer 1995
ohne nachteilige Auswirkungen auf den psychischen Zustand des Vaters geblieben ist.
Auch hat sich dieser nicht dadurch verschlechtert, daß die Klägerin seit einiger Zeit
damit begonnen hat, sich aus dem elterlichen Haushalt zu lösen und jetzt weitgehend
33
bei ihrem Freund in C. lebt.
Die Klägerin hat den Antrag, wie in § 30 Abs. 2 AuslG gefordert, aus der Position
rechtmäßigen Aufenthaltes, nämlich vor Ablauf ihrer früheren Aufenthaltsbefugnis
gestellt. Überdies ist die zunächst mit Wirksamwerden der angefochtenen
Ordnungsverfügung entfallene Fiktionswirkung rückwirkend wieder aufgelebt, nachdem
der Beklagte - aufgrund der damaligen Rechtslage bis zur rechtskräftigen Entscheidung
in der Hauptsache - die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs und der
vorliegenden Klage angeordnet hatte.
34
Die Klägerin erfüllt gegenwärtig jedoch nicht die Voraussetzungen, unter denen
ausländerbehördliches Ermessen nach § 30 Abs. 2 AuslG eröffnet ist.
35
Dringende humanitäre Gründe im Sinne dieser Vorschrift liegen vor, wenn die
Aufenthaltsgewährung aufgrund der besonderen Umstände des Falles ein
unabweisbares Gebot der Menschlichkeit ist.
36
Vgl. GK AuslG, § 30, Rdn. 16 und 72.
37
Die gesundheitliche Verfassung des Vaters der Klägerin kann auf einen dringenden
humanitären Grund für ihren weiteren Aufenthalt führen. Besteht infolge ihrer
Rückführung nach Gambia die nicht nur entfernte Gefahr einer massiven
Verschlechterung seines Gesundheitszustandes bis hin zur Lebensgefahr, bedeutet das
eine extreme Belastung nicht nur für den Vater selbst und die bei ihm lebenden
Familienangehörigen. Auch und gerade die Klägerin wäre schwerwiegend betroffen,
wenn sie damit rechnen müßte, daß ihre Rückkehr in ihr Heimatland eine dramatische
Verschlechterung des Zustandes ihres Vaters, möglicherweise seinen Tod auslösen
würde. Es ist ein dringendes humanitäres Gebot, derartige Folgen abzuwenden.
38
Allerdings ist offen, ob die von der Klägerin gehegte Besorgnis zu Recht besteht. Die
Entwicklung des Krankheitsbildes ihres Vaters seit der nervenärztlichen Stellungnahme
des Kreisgesundheitsamtes R. vom 2. November 1995 ist nicht bekannt. Die Klägerin
selbst hat seither privatärztliche Äußerungen nicht vorgelegt, sondern sich auf den
Vortrag beschränkt, ihr Vater stehe nach wie vor bei Dr. B. in Behandlung. Auch der
Beklagte hat eine nochmalige amtsärztliche Untersuchung nicht veranlaßt. Es kann
nicht zugrundegelegt werden, daß das Ergebnis der amtsärztlich-nevenärztlichen
Untersuchung, durch die nach dem Willen beider Parteien eine Klärung herbeigeführt
werden sollte, nach Ablauf von mehr als 22 Monaten noch heute aktuell ist. Dies gilt um
so mehr, als die prognostische Beurteilung relativ offengehalten ist. Die Unterzeichner
der Stellungnahme, ein Arzt und ein Sozialarbeiter, hegen für den Fall der
zwangsweisen Rückführung der Klägerin nach Gambia die Befürchtung weiterer selbst-
und fremdaggressiver Impulsdurchbrüche ihres Vaters mit nicht auszuschließendem
suizidalem Ausgang, verzichten aber auf eine annähernd konkrete Aussage zu der
Wahrscheinlichkeit einer solchen Entwicklung. Überdies wird die geäußerte
Befürchtung wesentlich daraus abgeleitet, daß Herr N. in der Vergangenheit
"nachgewiesenermaßen wiederholt" die beschriebenen selbst- und fremdaggressiven
Verhaltensweisen gezeigt habe. Aus dem Inhalt der vorliegenden Akten ergibt sich
indessen nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit, daß es noch nach der letzten
stationären Behandlung und Beobachtung des Vaters der Klägerin im Jahre 1991 zu
weiteren selbstaggressiven und später auch, wie erstmals von Dr. K. im Gutachten vom
6. Januar 1993 angedeutet, zu wiederholten fremdaggressiven Reaktionen gekommen
39
ist. Insoweit haben die Ärzte in tatsächlicher Hinsicht, soweit ersichtlich, die Angabe der
- aus verständlichen Gründen an einem weiteren Aufenthalt der Klägerin interessierten -
Familienangehörigen als zutreffend zugrundegelegt. Bei einer durch psychiatrisches
Sachverständigengutachten möglichem Klärung der Frage, wie sich eine Rückkehr der
Klägerin nach Gambia jetzt auf den Gesundheitszustand ihres Vaters auswirken würde,
würde auch der Frage der Glaubhaftigkeit jener Angaben nachgegangen werden
müssen.
Einer diesbezüglichen Klärung bedarf es jedoch nicht, weil die Beendigung des
Aufenthaltes der Klägerin für sie nicht aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalles
eine außergewöhnliche Härte bedeuten würde.
40
Eine außergewöhnliche Härte setzt voraus, daß der Ausländer sich in einer
Sondersituaion befindet, die sich deutlich von der Lage anderer Ausländer
unterscheidet. Es müssen Gründe vorliegen, die von ihrem Gewicht her über die in
anderen Vorschriften des Ausländergesetzes als Voraussetzung für eine
Aufenthaltsgenehmigung geforderte Härte oder besondere Härte hinausgehen. Nur
besonders gravierende persönliche Gründe sind geeignet, die gegen die
Aufenthaltsgewährung streitenden öffentlichen Belange zurückzudrängen und die
Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 2 AuslG zu ermöglichen.
41
Dem Anliegen der Klägerin, durch ihren weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet eine
Gefährdung von Gesundheit und Leben ihres Vaters abzuwenden, kommt unter den
gegebenen Umständen, die Begründetheit ihrer Besorgnis in diesem Zusammenhang
zu ihren Gunsten zugrundegelegt, kein Vorrang vor dem gegen ihren Aufenthalt
streitenden öffentlichen Interesse zu. Die Klägerin hat durch die Einfuhr von Kokain in
nicht geringer Menge einen schwerwiegenden Ausweisungsgrund geschaffen. Ihr
Verhalten erfüllt den Regelausweisungsgrund des § 47 Abs. 2 Nr. 2 AuslG. Nach dieser
Vorschrift wird ein Ausländer in der Regel ausgewiesen, wenn er den Vorschriften des
Betäubungsmittelgesetzes zuwider ohne Erlaubnis Betäubungsmittel u.a. einführt oder
wenn er zu einer solchen Handlung anstiftet oder Beihilfe leistet. Eine strafgerichtliche
Verurteilung ist insoweit nicht Voraussetzung der Regelausweisung. Daß die Klägerin
diesen Ausweisungsgrund verwirklicht hat, ergibt sich aus ihrer Aussage vor dem
Haftrichter. Sie hat bei ihrer richterlichen Vernehmung am 14. Mai 1997 eingeräumt, daß
ihr noch vor ihrer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland bewußt gewesen sei, bei
dem in der erhaltenen Plastiktüte befindlichen Knubbel könne es sich um Hasch oder
etwas Härteres handeln. Sie hat danach die Einfuhr einer erheblichen Menge Kokain in
Kauf genommen. Kokain gehört zu den gefährlichsten Drogen, die, regelmäßig
genommen, zur Betäubungsmittelabhängigkeit führen und die Gesundheit, nicht selten
auch das Leben abhängig gewordener, vor allem junger Menschen zerstören. Das ist
bei der Entscheidung darüber, ob das Verlassen des Bundesgebietes für die Klägerin,
wenn wegen der Auswirkungen ihrer Ausreise auf den Gesundheitszustand ihres Vaters
dringende humanitäre Gründe vorliegen sollten, eine außergewöhnliche Härte darstellt,
zu berücksichtigen.
42
Dem Zweck des Aufenthaltswunsches der Klägerin, Gesundheit und Leben ihres Vaters
zu schützen, steht das elementare öffentliche Interesse gegenüber zu verhindern, daß
durch Einfuhr von harten Drogen Gesundheit und Leben einer unbekannten Zahl in
Deutschland lebender Menschen schwerwiegend gefährdet oder zerstört werden. Der
Tatbeitrag der Klägerin ist geeignet, die Verwirklichung dieses Zieles zu unterlaufen.
Hat sie damit aber selbst den Schutz von Gesundheit und Leben anderer, den sie für
43
ihren Vater fordert, aufs Spiel gesetzt, liegt in der Beendigung ihres Aufenthaltes im
Bundesgebiet keine vom Gesetz nicht beabsichtigte und deswegen durch Erteilung
einer Aufenthaltsbefugnis zu honorierende außergewöhnliche Härte.
Die Klägerin kann eine Aufenthaltsbefugnis auch nicht auf der Grundlage des
Runderlasses des Innenministeriums NW vom 10. Juni 1996 - I B 3 44.40 - Anordnung
nach § 32 AuslG - Härtefallentscheidungen (Altfälle) zur Erteilung von
Aufenthaltsbefugnissen nach dem Beschluß der Innenministerkonferenz vom 29. März
1996, MBl. NW 1996, S. 1411 - beanspruchen. Nach III. der Beschlußniederschrift kann
unter weiteren Voraussetzungen Asylbewerberfamilien mit einem oder mehreren
minderjährigen Kindern, die vor dem 1. Juli 1990 eingereist sind, der weitere Aufenthalt
durch Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltsbefugnis gestattet werden. In die
Regelung können auch die während des Aufenthaltes volljährig gewordenen Kinder
einbezogen werden, die eine Ausbildung durchlaufen, die zu einem anerkannten
Bildungs- bzw. Ausbildungsabschluß führt, oder die bereits beruflich eingegliedert sind.
Die Erteilung setzt des weiteren voraus, daß Ausweisungsgründe nach den §§ 46 Nr. 1
bis 4 und 47 AuslG nicht vorliegen und der Ausländer während seines Aufenthaltes im
Bundesgebiet keine vorsätzliche Straftat begangen hat. Die Verlängerung der
Aufenthaltsbefugnis nach dem Härtefallerlaß scheidet unbeschadet der sonstigen
Voraussetzungen wegen Vorliegens eines Ausweisungsgrundes nach § 47 Abs. 2 Nr. 2
AuslG aus.
44
Die Berufung bleibt auch mit dem in dem Verpflichtungsantrag inzident enthaltenen
Antrag auf Neubescheidung des Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltsbefugnis
erfolglos. Das folgt schon daraus, daß im gegenwärtigen Zeitpunkt die Voraussetzungen
für Erteilung bzw. Verlängerung einer Aufenthaltsbefugnis nicht vorliegen. Deswegen ist
unerheblich, ob die angefochtene Ordnungsverfügung, durch die der Antrag der
Klägerin schon aus Rechtsgründen abgelehnt worden ist, zu dem für die rechtliche
Überprüfung maßgebenden Zeitpunkt, auf den ebenfalls nicht einzugehen ist, an einem
Ermessensmangel leidet.
45
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
46
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO
nicht vorliegen.
47